Polizei und Schule kriminalisieren Kind: Rassismus an der Grundschule
Eine Schulleiterin in Wilhelmshaven rief ohne Benachrichtigung der Eltern die Polizei, weil ein schwarzes Mädchen eine Freundin fotografiert hatte.
Obame möchte, dass ihr eigener Name und ihr Gesicht zu sehen sind. Damit Menschen, die keine rassistische Diskriminierung erleben, begreifen, was das bedeutet. Denn Jessica Obame, ihre fünf Kinder zwischen neun Monaten und elf Jahren sowie deren Vater sind schwarz. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass einer Julia Meier und ihrer Tochter Greta Ähnliches geschehen wäre wie Obame und ihrer Tochter. Sie soll hier Ada heißen.
Am Freitag, den 10. November, so erzählt es die 33-jährige Maschinenbauingenieurin im Zoom-Gespräch, habe sie zu Hause auf Ada gewartet. Die hatte um 12.45 Uhr Schulschluss, die Schule ist nur fünf Minuten entfernt. Doch erst um halb zwei stand das Mädchen weinend vor der Tür. „Sie hatte geschwollene, rote Augen und war fix und fertig“, erzählt die Mutter. Dann berichtete ihr das Kind, wie sie nach Schulschluss von ihrer Klassenlehrerin in einen Raum geführt wurde, in dem zwei Polizist:innen – eine Frau und ein Mann -, die Schulleiterin sowie eine Mutter und ein Vater von zwei Mitschülerinnen auf sie warteten.
Es ging um ihren Fotoapparat, eine rosafarbene „Kidizoom“; eine Kamera für Kinder, ohne Internet-Verbindung oder die Möglichkeit, Fotos herunterzuladen, wie es mit jedem Smartphone möglich ist. Ohne das Wissen der Mutter hatte Ada die Kamera regelmäßig freitags mit in die Schule genommen, um dort in der Sport-Umkleide sich und ihre Freundin zu fotografieren. Die zwei Mitschülerinnen, deren Eltern mit im Raum waren, hätten geglaubt, Ada hätte auch sie fotografiert, erzählt Jessica Obame. Zum Beweis, dass dies nicht stimmte, zeigte Ada ihnen die Bilder. „Sie weiß, dass sie andere nicht ohne deren Einverständnis fotografieren darf.“
Eingriff in Rechte des Kindes
Dennoch informierten die beiden Mädchen ihre Eltern, die sich zuvor bei der Schulleiterin darüber beschwert hatten, dass Ada manchmal die Kamera dabei hatte. Weder die Sportlehrerin noch die Klassenlehrerin hätten davon gewusst, sagt Jessica Obame. Und was tat die Schulleiterin? Anstatt mit dem Kind oder noch besser der Mutter zu sprechen, rief sie die Polizei – vermutlich auf Druck der anderen Eltern, so ist es gegenüber Jessica Obame dargestellt worden.
Die Polizei hielt das Anliegen für so dringlich, dass sie mittags in die Schule kam und sich die Kamera zeigen ließ. „Zu diesem Zeitpunkt stand im Raume, dass sich möglicherweise kompromittierende Bilder auf der Schülerkamera befinden könnten, welche das 9-jährige Kind gefertigt haben soll“, schreibt eine Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven der taz. Es gab also den Verdacht, dass die Kinder sich oder andere nackt fotografiert hatten.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Polizei korrekt im Sinne der Gefahrenabwehr gehandelt, sagt der Berliner Polizeirechts-Professor Guido Kirchhoff. „Sie ist gekommen, um einen Sachverhalt aufzuklären.“ Doch spätestens in dem Moment, in dem die Polizist:innen sich von dem Kind die Kamera samt Aufnahmen zeigen ließen, werde es problematisch. Denn das sei eine Durchsuchung. Da die Kamera ersichtlich nicht mit dem Internet verbunden war und damit kein sofortiger Handlungsbedarf bestand, sei es zumindest „sehr ungewöhnlich“, hier nicht die Eltern des Kindes einzubeziehen und ein starker Eingriff in dessen Rechte.
Anders hätte der Fall gelegen, wenn die Kamera technisch so ausgestattet wäre, dass die Aufnahmen hätten weiter verbreitet werden können, sagt Kirchhoff. „Unter solchen Umständen hätte man mit Dringlichkeit argumentieren können.“ Als die Polizist:innen dann auch noch sahen, dass die Fotos harmlos waren, hätte deren Einsatz enden müssen, sagt der Jurist von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. „Wenn es keine Gefahrenlage gibt, darf die Polizei niemanden weiter festhalten.“
Fragen nach häuslicher Situation
Doch die Polizist:innen blieben und belehrten die Neunjährige. „Das Kind wurde als Besitzerin der Kamera nunmehr von den Beamt:innen in einem folgenden Gespräch rein präventiv dahingehend sensibilisiert, dass eine Mediennutzung jeglicher Art Gefahren birgt, die mitunter nicht sofort offensichtlich sind“, schreibt die Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven. „Das ist ein Eingriff ins Erziehungsrecht der Eltern“, sagt Guido Kirchhoff dazu. Es habe überhaupt keinen Anlass für eine Standpauke gegeben, da das Mädchen sich in keiner Weise „falsch“ im Sinne des Gesetzes verhalten hatte.
Strittig ist, ob die Polizist:innen rechtswidrig weitere Daten erhoben haben. Ihre Tochter habe ihr erzählt, die Beamt:innen hätten auch nach der häuslichen Situation gefragt, sagt Jessica Obame. „Sind Mama und Papa noch zusammen?“ Außerdem seien die Eltern der anderen beiden Mädchen bei dem Gespräch dabei gewesen – was gegen Datenschutzverordnungen verstößt.
Die Polizei, gegen die Obame Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt hat, widerspricht dieser Darstellung. Jessica Obame möchte Ada nicht erneut danach fragen, ob sie diese falsch verstanden hat. „Sie schläft immer noch schlecht, ich möchte sie nicht weiter damit belasten.“ Die Schulleiterin, die die ganze Zeit bei dem Gespräch dabei war und zur Aufklärung dieses Punktes beitragen könnte, spricht nicht mit der taz. Damit bleibt auch unklar, warum sie überhaupt die Polizei gerufen hat.
Für sie antwortet ein Pressesprecher des niedersächsischen Kultusministeriums. Nach seinen Informationen hätten die anderen beiden Eltern dem Gespräch beigewohnt. Das Vorgehen der Schulleiterin erscheine „nicht nachvollziehbar“, heißt es in seiner Mail. „Hier scheint ein sensibleres und bedachtsameres Vorgehen angezeigt – besonders durch eine frühzeitige intensive Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus.“ Mit Rassismus habe der Vorfall allerdings nichts zu tun, schreibt der Sprecher, darin sei man sich mit der Schule und dem zuständigen Schuldezernat vor Ort einig.
Es ist dieser Punkt, der Jessica Obame besonders wütend macht. „Mein Kind wurde kriminalisiert“, sagt sie, „weil es schwarz ist“. Das sei ein wiederkehrendes Muster von Rassismus, sie selbst habe es oft genug erlebt, seitdem sie mit 17 Jahren aus Gabun nach Deutschland kam.
„Das hast du falsch verstanden“
Und jedes Mal würden ihr Menschen, die nicht aufgrund ihrer Hautfarbe beschimpft, bedroht, angegriffen, ausgegrenzt oder kriminalisiert werden, sagen, das sei kein Rassismus. „Alle wissen, was das ist, aber ich bin diejenige, die es täglich erlebt.“ Doch ihre tiefen Verletzungen würden ihr abgesprochen. „Das hast du falsch verstanden“, höre sie stets.
Wieder und wieder fragt sie im Zoom-Gespräch, wie es sein kann, dass niemand aus der Schule sie angerufen hat. Sie habe zu Hause gesessen und sich Sorgen gemacht, als Ada nicht nach Hause kam. Erst am Montag erreichte sie jemanden in der Schule. Völlig unverständlich sei auch, dass ihre verstörte Tochter alleine nach Hause geschickt wurde. „Sie ist doch erst neun!“
Warum sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht und sich nicht mit der Entschuldigung der Schulleiterin zufrieden gibt, erklärt sie mit der Hoffnung, es werde sich so etwas ändern: „Meine fünf Kinder sind fünf Erwachsene von morgen. Wir müssen in dieser Welt miteinander klar kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour