Politologin über den Zustand der Union: „Die SPD stellt die richtige Diagnose“
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält die Hartz-IV-Korrekturen der SPD für stimmig. Nur sei die Partei dafür in der falschen Koalition.
taz: Frau Münch, SPD und CDU arbeiten gerade ihre jeweiligen Traumata auf: Hartz IV die einen, die Flüchtlingspolitik die anderen. Ist diese Aufarbeitung geeignet, die Glaubwürdigkeit der beiden Volksparteien wieder herzustellen?
Ursula Münch: Beides sind ja riesige Themen, die man eigentlich in einem größeren Format behandeln müsste. Bei der SPD nehme ich es so wahr, dass sie jetzt beginnt. Jetzt liegen genauere Pläne vor, wie man sich eine Änderung der Hartz IV-Gesetze vorstellt. Das wird zwangsläufig weitergehen und vermutlich auch mit weitergehenden Vorschlägen. Und bei der CDU redet man nun zumindest mal über die Flüchtlingspolitik. Vielleicht betreibt man ein bisschen wenig Aufwand dafür, dass das Thema so groß ist.
Ist es denn glaubwürdig, wenn die SPD sagt, wir wenden uns von Hartz IV ab, reden von Bürgergeld, belassen aber die Regelsätze gleich?
Ich denke, die SPD stellt die richtige Diagnose. Ein Punkt, der viele Leute so unheimlich erzürnt hat, war, dass Menschen, die viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach einem Jahr aus der Versicherung raus- und in eine sozialpolitische Leistung gefallen sind. Diese Gleichstellung von langjährigen Beitragszahlern mit Sozialhilfeempfängern ist den Leuten im Rahmen der Flüchtlingspolitik so richtig deutlich geworden. Auch Flüchtlinge, die erst wenige Monate in Deutschland leben, können Hartz IV bekommen, sobald sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus, aber noch keinen Job haben. Das Interessante ist also, dass es eine inhaltliche Verbindung zwischen beiden Themen – der Flüchtlingspolitik der CDU und den Hartz IV Reformen der SPD – gibt.
Die CDU nähert sich ihrem Trauma in einem zweitägigen Werkstattgespräch. Sie sagen selbst, der Aufwand sei überschaubar. Ist diese Aufarbeitung glaubwürdig?
Ja, das Format ist relativ harmlos, aber es geht ja auch nicht um massive Änderungen. Die sind im Grunde längst geschehen und Merkel hat sie mitgetragen. Sie hat es nur nie gesagt. Man sollte also die Symbolkraft dieses Werkstattgesprächs nicht unterschätzen. Wenn man es vergleicht mit der Politik der Kanzlerin und bisherigen CDU-Vorsitzenden, die das Thema nie thematisieren und einen Schlussstrich ziehen wollte, erfüllt es schon seinen Zweck. Nämlich der eigenen Anhängerschaft zu zeigen: Wir reden nicht zur davon „Das soll sich nicht mehr wiederholen“, sondern wir beschäftigen uns mit dem, was nicht richtig gelaufen ist und wo wir den Eindruck eines schwachen Staates hinterlassen haben. Und wenn die CDU-Anhänger irgendetwas nicht brauchen können, ist das der Eindruck eines schwachen Staates.
Merkel ist ja gar nicht dabei und wird wohl auch nie sagen, sie habe einen Fehler gemacht. Reicht es, wenn ihre Nachfolgerin stellvertretend ein Gespräch moderiert, das ausdrücklich keine Abrechnung mit der Kanzlerin sein soll?
Annegret Kramp-Karrenbauer steckt ja in einer Zwickmühle. Selbstverständlich kann sie die Kanzlerin und Vorgängerin im Amt nicht beschädigen. Das wäre ein grober Fehler, vor allem mit Blick darauf, dass sie sie wohl auch im Amt der Kanzlerin beerben will. Sie kann also nicht sagen, Angela Merkel war schuld, aber sie kann es ihrer Partei auch nicht antun zu sagen: „Augen zu, wir machen weiter, als wäre nichts geschehen“. Und vor diesem Hintergrund ist die Lösung zwar schwach, aber Kramp-Karrenbauer wird dem Dilemma wenigstens gut gerecht.
ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München und seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung.
Wirklich?
Ja, sie gibt ein Zeichen nach außen, verfällt aber nicht darauf, immer wieder Fehler herbei zu reden. Das kann die CDU auch nicht brauchen. Wenn man ständig nur auf dem herum hackt, was man vermeintlich falsch gemacht hat, wie es Horst Seehofer getan hat, belohnen einen die Leute auch nicht, sondern sie belohnen die, die aus solchen Fehlern politisches Kapital schlagen, nämlich die AfD.
Aber reicht Kramp-Karrenbauers Balanceakt aus, um die CDU-Anhänger, die die Flüchtlingspolitik doch für einen Fehler halten, zu versöhnen?
Er würde nicht ausreichen, wenn sonst nichts geschehen wäre. Aber es gab ja fundamentale Einschnitte für den Zuzug von Flüchtlingen in die Bundesrepublik, nicht zuletzt unter dem Druck der anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Die Politik hat sich also verändert, aber Angela Merkel und andere in der CDU waren nicht bereit das zuzugeben. Weil sie dieses Zugeständnis nicht machten, gab es im Grunde diesen idiotischen Streit zwischen CDU und CSU um eine längst geänderte Flüchtlingspolitik. Also vor diesem Hintergrund, ist das Werkstattgespräch zwar nicht grandios, aber ein ordentlicher Weg.
Müssten in beiden Parteien nicht auch personelle Konsequenzen gezogen werden?
Die gibt es doch längst. In der CDU ganz offensichtlich und in einer überschaubaren Zeit auch in der Kanzlerschaft.
Und bei der SPD?
Die SPD wäre extrem töricht, wenn sie in den alten Fehler verfallen und ihr Personal austauschen würde. Die SPD kann ihr Führungspersonal noch zwanzig Mal austauschen, solange sie nicht den Grundkonflikt klärt: Mit wem müssen wir solidarisch sein? Müssen wir genauso solidarisch sein mit Flüchtlingen oder müssen wir mit langjährigen Beitragszahlern solidarischer sein. Und meiner Meinung nach geht es bei der angekündigten Hartz-IV-Reform um genau diese Frage. Die SPD will keine Gleichstellung von Flüchtlingen mit langjährigen Beitragszahlern. Flüchtlinge kann man nicht schlechter stellen, also zieht die SPD die richtige Schlussfolgerung und stellt die anderen eben besser. Das wird so nicht thematisiert, aber es läuft darauf hinaus.
Haben beide Parteien nun an Glaubwürdigkeit gewonnen, wird sich die Aufarbeitung auszahlen?
Eigentlich würde das bei beiden Parteien gut klappen, wenn beide nicht in einer Großen Koalition wären. Das ist ausgesprochen misslich, besonders für die Sozialdemokraten. Sie arbeiten an Hartz IV-Reformen ausgerechnet in einer Regierung und mit einem Partner, der damals 2010 aus der Opposition heraus, Hartz IV mitgetragen hat. Das kann die Union nicht gutheißen, vor allem mit einer CDU-Vorsitzenden, die den Wirtschaftsflügel stärken will. Es ist das Dilemma der SPD, nicht in der Opposition sein zu dürfen. Es ist fast unmöglich, der Union hier Änderungen abzutrotzen.
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