Politikwissenschaftler über 10 Jahre AfD: „Die AfD verrottet von unten“
Auch in der Opposition richtet die AfD Schaden an, sagt Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch. Er glaubt aber, dass die Brandmauer hält.
taz: Herr Botsch, Sie haben 2012 unmittelbar vor der AfD-Gründung das Standardwerk „Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland – 1949 bis heute“ geschrieben. Haben Sie damals noch damit gerechnet, dass sich in Deutschland eine rechtsradikale Partei dauerhaft parlamentarisch festigen kann?
Gideon Botsch: Ich rechnete schon damals relativ fest mit einer Zäsur: Eine Trendwende zur extremen Rechten war schon damals absehbar und wurde in Fachkreisen diskutiert. Aber es gab auch gute Gründe, anfangs an der Etablierung der AfD zu zweifeln: ihre Strukturprobleme oder die politische Kultur der Bundesrepublik etwa. Demgegenüber hofften bestimmte Kreise aus der extremen Rechten genau darauf: Dieter Stein von der Jungen Freiheit schrieb schon 2009: „Diesmal habe ich wirklich Hoffnung, dass etwas Neues entstehen kann.“
Der Politikwissenschaftler hat sich vor allem als Rechtsextremismus-Forscher verdient gemacht und ist außerplanmäßiger Professor. Er leitet im Moses Mendelssohn Zentrum die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus (EJGF) an der Uni Potsdam, arbeitete zuvor unter anderem in der Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannseekonferenz“. In einem Gutachten zu Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ kam er 2010 zu dem Schluss, dass Teile von Sarrazins Äußerungen „rassistisch, elitär und herabwürdigend“ seien.
In voller gesellschaftlicher Breite wurden damals eher die rassistischen Thesen von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ diskutiert. Ist Sarrazin mitverantwortlich für den Rechtsruck, der die AfD ermöglichte?
Die These von der Sarrazin-Partei, in der er selbst nie Mitglied war, hat für die frühe AfD einen wahren Kern. Sie war anfangs noch keine klar rechtsextreme Partei, aber man kann sehr deutlich sagen, dass die Ressentiments und Vorurteile, die Sarrazin bedient hat, vollumfänglich die frühe Programmatik der AfD bestimmten.
Welche konkret?
Ein spezifischer Elitenrassismus, der sich sehr stark aus einem sozialen Rassismus speist. Ebenso EU-Skepsis sowie die Warnung vor einer „Tugendpolizei“ und einer finanziellen Katastrophe. Ähnlich wie Sarrazin distanzierte sich die frühe AfD von offenem Rechtsextremismus und tarnte ihn. Mittlerweile wissen wir genauer, wie rechtsextrem schon diese Gründergeneration der AfD durchsetzt war, aber es war eben nicht die Charakterisierung der ganzen Partei. Vor allem nicht derjenigen, die damals in den vorderen Reihen standen – obwohl sie ihn bedienten und froh waren, dass er dazukam.
Inwiefern war die Partei damals schon rechtsextrem durchsetzt?
Es gab schnell ein Angebot der Integration an Rechtsextreme, insofern sie nicht allzu öffentlich aufgetreten sind. In der zweiten und dritten Reihe waren damals bereits eine Reihe von Leuten aus rechtsextremem Milieus mit einer aktivistischen Vergangenheit: Personen wie Andreas Kalbitz, der die Doppelstrategie fuhr, bürgerlich akzeptabel zu sein und gleichzeitig im völkischen Milieu verankert blieb. Oder nehmen Sie Arnulf Fröhlich, der 1990 mit Anfang 20 an einer Holocaust-Leugner-Konferenz mit dem Titel „Wahrheit macht frei“ beteiligt war und versuchte, sich in der AfD Schleswig-Holstein zu etablieren. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Woran liegt es, dass die AfD sich etablierte? Liegt es an einem „Linksruck“ der CDU, an der Medienrevolution durch das Internet oder am internationalen Aufwind für rechte Strömungen und Verschwörungsideologien?
Es ist natürlich alles multikausal. Es gab damals eine große Enttäuschung über die FDP, die damals in der Regierung stark versagte. Es drohten verschiedene Szenarien: Eine Mitte-links-Regierung war nicht mehr ausgeschlossen, auch Rot-Grün oder Schwarz-Grün waren realistische Sondierungsoptionen – ebenso wie eine weitere Große Koalition. Durch das Versagen der FDP, die in sozialpolitischen Fragen eher rechts von der CDU einzuordnen war, gab es dort eine Repräsentationslücke. Hier stieß die „Professoren-Partei“ von Bernd Lucke hinein.
Welche Rolle spielen Medien beim Erfolg der AfD?
Die AfD hat von einem wahnsinnigen medialen Zuspruch profitiert – denken Sie an die ganze Bereitschaft, die AfD in Talkshows zu lassen. Hinzu kommt, dass die AfD mit echten Medienprofis arbeitet. Viele, die mit der AfD und ihrem Umfeld zu tun haben, haben Meinungsmache von der Pike auf gelernt: Gauland hat lange Zeit Pressearbeit für die Union gemacht und bei der Märkischen Allgemeinen gearbeitet.
Er ist damit nicht allein: Gründer Konrad Adam war Welt-Kolumnist und davor Redakteur im FAZ-Feuilleton, es gab viele weitere mit ähnlichen Erfahrungen …
Auch bestimmende Gestalten im Umfeld sind Medienprofis: Götz Kubitschek vom neurechten Institut für Staatspolitik hat bei der Bundeswehr gelernt, wie man Propagandaprozesse steuert. Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin ist seit den Siebzigern politischer und meinungsbeeinflussender Journalist. Durch geschicktes Auftreten konnte die AfD von Beginn an Mediendiskurse sehr stark bestimmen. Wenn mal ein Thema entglitt, hielt man mit einer gezielten Provokation anderswo das Stöckchen hin.
Die Flüchtlingsdebatte 2015 erinnerte stark an die Asyldebatte Anfang der Neunziger.
Für die AfD war das eine wahnsinnig günstige Gelegenheitsstruktur: Man war im Pegida-Rausch und profitierte von der medialen Skandalisierung einer vermeintlichen Flüchtlingskrise. Der AfD-Einzug in den Bundestag 2017 war nicht gesetzt – und gelang auch, weil Medien durch Neu-Aufwärmung einer vergangenen Nachrichtenlage der AfD Stimmen verschafften. Erinnern Sie sich an das Kanzler-Duell? Eine Dreiviertelstunde lang wurde nur über Flüchtlinge geredet – mit negativem Framing: Das sind zu viele, wie schließen wir Grenzen? Man verstand sich als Stimme des Volkszorns. Das war ein Tiefpunkt der öffentlich-rechtlichen Medien.
Blicken wir auf die AfD im internationalen Vergleich: Wenn man nach Schweden, Italien, Brasilien, Frankreich, in die USA, nach Ungarn und Polen schaut, sieht man überall erfolgreiche rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien, die es in Regierungen schaffen oder mutmaßlich kurz davor sind. Was ist in Deutschland anders?
Es gibt verschiedene Faktoren: Das deutsche Wahlrechtssystem benachteiligt glücklicherweise bestimmte Polarisierungsstrategien. Der entscheidende Unterschied ist aber: Die AfD hat sich aus bestimmten intrinsischen Gründen selbst für eine Radikalisierung entschieden – man hat extrem rechten Kräften in der Partei früh eine große Macht eingeräumt. Das hätte die AfD bei aller Fremdausgrenzung nicht tun müssen, aber sie ging konsequent und sehr deutlich den Weg der Radikalisierung.
Die Partei hat mit Lucke, Petry und Meuthen bereits drei Vorstände zerschlissen. Aus Sicht der meisten Beobachter*innen stand jeder neue Vorstand für einen weiteren Rechtsruck. Wie würden Sie die verschiedenen Phasen charakterisieren?
Die Lucke-AfD ist eine Abspaltung der Union unter Beteiligung von Teilen der FDP und versprengten Kräften aus der politischen und extremen Rechten. Sie ist ein Versuch, eine rechtspopulistische Wahl- und Koalitionsalternative ins Leben zu rufen. Anfangs hat sich die AfD als gemäßigte rechtspopulistische Kraft präsentiert, die bestimmte Tendenzen vermeidet. Sie bekam ein großes mediales Echo und große Zustimmungswerte im neoliberalen und konservativen Bürgertum.
Lucke ging jedoch 2015 auf dem Essener Parteitag unter, rassistische Migrationspolitik ersetzte die EU als das entscheidende AfD-Thema. Petry hatte wie später Meuthen, Weidel und Chrupalla mit Höcke paktiert.
Unter Petry wird die AfD zu einer rechtspopulistischen Sammlungspartei, die ganz klar populistische Züge trägt. Nachdem Petry gegangen war, wurde sie unter dem Duo Meuthen/Weidel zu einer rechtsextrem dominierten Partei, die weiter Sammlungspartei bleibt.
Meuthen trat wiederum vor einem Jahr erneut mit einem Verweis auf den Rechtsruck aus. Was wäre die nächste Häutung, wenn die AfD sich unter Weidel/Chrupalla weiter radikalisiert?
Höcke versucht aus der AfD eine rechtsextreme Bewegungs- und Weltanschauungspartei zu machen. Wenn Sie sich die Radikalität seiner Rede in Gera am 3. Oktober nochmal vor Augen führen, sieht man eine deutliche Tendenz zur neonationalsozialistischen Positionierung. Ob das der Endpunkt der AfD ist, kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen.
Inwiefern hat sich die Wählerschaft der AfD seit der Gründung verändert?
Das ist tatsächlich ein radikaler Wandel: Die Wähler der AfD heute sind nicht mehr Wähler der Gründungsphase: Am Anfang war die AfD eine Eliten- und Wohlstandspartei. Mittlerweile wird sie hauptsächlich vom unteren Mittelstand und unteren Sozialschichten gewählt.
Trotz oder gerade wegen ihrer anhaltenden Radikalisierung hat die AfD eine stabile und treue Wählerbasis.
Ja, und die kann nicht ohne Weiteres demokratisch zurückgewonnen werden. In den ostdeutschen Ländern hat sie 25 Prozent plus, in den westdeutschen Ländern bleibt sie deutlich darunter, kann aber bis an die 15 Prozent herankommen – und stößt dann jeweils an eine gläserne Decke.
Warum kommt sie da nicht durch?
Die AfD kommt aus der Falle, die sie sich selbst gebaut hat, nicht raus. Sie ist aufgrund ihrer eigenen Inkompetenz und ihres Desinteresses an funktionierender Politik für alle anderen politischen Kräfte kein bündnisfähiger Akteur. Deswegen bleibt sie eingemauert auf diesem relativ stabilen Niveau.
Auf der anderen Seite spielen AfD und CDU in Thüringen gemeinsam Sprachpolizei und lassen geschlechtsneutrale Sprache verbieten. Im sächsischen Bautzen streichen AfD und CDU gemeinsam Mittel für Geflüchtete. Erodiert die Brandmauer nicht zusehends unter der CDU von Friedrich Merz, der selbst in Talkshows vor allem durch Rassismus auffällt?
Klar, gerade in der Union, auch in der FDP, gibt es immer wieder Kräfte, die meinen, man solle lieber mit der AfD koalieren, man sei ihr ja näher. Aber ich bin dennoch skeptisch, ob es dazu kommt.
Alice Weidel hat eine Koalition kürzlich als Ziel benannt. Sie will nach den Landtagswahlen in den Ostbundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg 2024 mitregieren. Dort könnte die AfD je nach Umfrage sogar stärkste Kraft werden.
Aber um in Regierungsverantwortung zu kommen, hätte die AfD sich sehr viel deutlicher als koalitionsfähig profilieren müssen. Gucken Sie doch mal auf die Fakten: Die AfD ist eine sehr unbeliebte Partei in Deutschland. Selbst in den östlichen Bundesländern sagen mehr als 60 Prozent, dass sie die AfD niemals wählen würden.
Allerdings gibt es derzeit eine Krise, die AfD fährt Angstkampagnen und hat seitdem in den Umfragen zugelegt.
Wir werden die AfD mit großer Wahrscheinlichkeit auch in einigen ostdeutschen Ländern als stärkste Kraft sehen. Zumal die zentrale Wählergruppe der AfD in Ostdeutschland demografisch ihren Anteil erhöht – die mittelalten Männer im unteren und mittleren Mittelstand. Aber: In allen Wahlkämpfen haben die Wähler jeweils den aussichtsreichsten Demokraten gewählt. Die Angst vor der AfD als stärkste Kraft ist in den ostdeutschen Ländern hoch und wahlentscheidend.
Viel Hoffnung hat die AfD zuletzt auf Kommunalwahlen gesetzt. Aber weder in Sachsen noch bei Bürgermeisterwahlen in rechten Hochburgen wie Cottbus konnte die AfD ein Amt erringen. Traut man der AfD vor der eigenen Haustür am Ende doch keine Kompetenz zu?
Die Ergebnisse bei der Kommunalwahl waren ja gar nicht schlecht. Aber schauen Sie mal mal, was danach passierte: Die Partei verrottet von unten. Sie interessiert sich gar nicht für all die Dinge, die der Front National gemacht hat – nämlich Milieubildung, Graswurzelpolitik, sich lokal verankern, angreifen im Bund, aber in der Kommune Verantwortung übernehmen und Vertrauen schaffen, sich mit realen ökonomischen und politischen Interessen verbinden, in Gewerkschaften und Fachverbände gehen, in die Universitäten gehen.
Woran machen Sie das fest?
Für Kommunalpolitik setzt sie wenig Ressourcen ein. Es gibt keine anständigen kommunalpolitischen Schulungen oder gute Strategien. Jeder wurschtelt vor sich hin, die Fraktionen zerstreiten sich heillos. Will ich, dass solche Leute verantwortlich dafür sind, dass das Schwimmbad beheizt ist und der Sportplatz renoviert wird?
Auf der anderen Seite wirkt die AfD, ohne an der Macht zu sein, rechte Diskursverschiebungen sind ja nicht wegzudiskutieren. Man denke nur mal an die rassistische Silvester-Debatte, die von der CDU losgetreten wurde.
Es stimmt, dass die AfD zur ungeheuren Radikalisierung der Sprache und des Umgangs beigetragen hat. Wir hören mittlerweile auch von Unionspolitikern leider immer öfter Ausfälle, die nach AfD klingen. Ebenso gibt es eine Verschärfung des Wortlauts in anderen demokratischer Parteien – auch gegenüber der AfD. Die AfD vergiftet die politische Atmosphäre mit Wirkung auf die gesamte demokratische Kultur.
Und ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir in zehn Jahren nicht doch einen radikalen Wandel haben werden, der die Erfolgsaussichten der AfD verändert. Wer hätte den Republikanern, der Grand Old Party in den USA, einen solchen Niedergang vorhergesagt? Oder wer hätte in Israel prognostiziert, dass vorbestrafte Rechtsextremisten das Innenamt übernehmen? Wir müssen uns alle um eine streitbare, Alternativen bietende Politik bemühen.
Öffentliche rassistische Diskurse legitimieren rechte Gewalt indirekt und befördern Alltagsrassismus. Der Aufstieg der AfD fällt in ein Jahrzehnt exzessiver rechter Gewalt. Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen, Angriffe und Attacken auf Politiker bis hin zum Lübcke-Mord 2016, rechtsterroristische Anschläge in München, Halle und Hanau. Inwiefern hängt das zusammen?
Verantwortungslose Propaganda befördert selbstverständlich die Gewalt. Sie beeinflusst etwa die Zielauswahl der Gewalttäter. Als die AfD und ihr Umfeld gegen „unbegleitete minderjährige Geflüchtete“ agitierten und diese pauschal verdächtigten, ihr Alter zu fälschen, konstatierte die Opferperspektive Brandenburg eine Zunahme der Gewalt gegen Minderjährige. Wir können den kausalen Zusammenhang nicht beweisen, aber die zeitliche Koinzidenz halte ich für keinen Zufall.
Haben Sie noch mehr Beispiele?
Vor dem Mordanschlag in Hanau sprach dort Andreas Kalbitz. Wir wissen nicht, was er vor Ort genau sagte, aber nur ganz kurz vorher hatte er sich an anderem Ort die Hetze gegen Schischa-Bars zu eigen gemacht. Leider muss man sagen, dass Polizeisprecher*innen, liberale Medien und demokratische Politiker*innen – und ich denke dabei nicht nur an Union und FDP! – diese Rede, Schischa-Bars pauschal zu „gefährlichen Orten“ zu erklären, zuerst verbreiteten. Für den Täter schien es irgendwie in Ordnung, seine Ziele nach diesem Raster auszuwählen.
Für die Zukunft muss man angesichts neuer Feindbild-Zuschreibungen mit einer größeren Gefährdung von Klimaaktivist*innen rechnen – wegen des zugrundeliegenden Sexismus wird sich dies, fürchte ich, besonders gegen junge Frauen richten. Während eine „Klima-RAF“ weithin eine Angstfantasie ist, steigt das Aggressionspotenzial gegen Umweltaktivist*innen gerade erheblich.
Der Lübcke-Mörder demonstrierte auf AfD-Kundgebungen, hängte Wahlplakate auf und spendete an die AfD. Zuletzt war eine ehemalige AfD-Abgeordnete an einem geplanten gewaltsamen Staatsstreich beteiligt. Waren Sie davon überrascht?
Nein, überhaupt nicht. Das ist das Milieu, das zur AfD gehört. Es verwundert nicht, wenn Sie sich noch mal vor Augen führen, was schon 2016 auf AfD-Kanälen in den Kommentarspalten öffentlich für Mord- und Vergewaltigungslust in die Welt geblasen wurde, ohne dass man widersprochen hätte.
Nach dem aufgeflogenen geplanten Reichsbürgerputsch gab es erneut AfD-Verbotsforderungen.
Ich denke, jetzt ist die AfD nicht an einem Punkt, wo man sie verbieten kann. Aber sie bewegt sich in eine Richtung, wo wir fragen müssen: Ab welchem Moment beginnt sie aggressiv-kämpferisch die Verfassungsordnung beseitigen zu wollen und wann könnte ein Verbot gemäß Grundgesetz greifen? Die Diskussion müssen wir führen, bevor sich die AfD in den verbotsreifen Bereich begibt. Weil auch die Anhänger wissen müssen, wann ein Verhalten ein Verbot gemäß unseres Grundgesetzes ermöglicht.
Die NPD wurde 2017 vom Bundesverfassungsgericht zwar als verfassungsfeindlich anerkannt, aber wegen mangelnder Erfolgsaussichten nicht verboten. Hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem NPD-Urteil selbst ein Ei gelegt: Man darf eine Partei erst verbieten, wenn sie relevant ist. Aber wenn eine Partei relevant ist, ist es total problematisch, sie zu verbieten, oder?
Das ist der Widerspruch dieses absurden Urteils. Vor allem hat mich sehr geärgert, dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtsauffassungen ohne viel Begründungen abgegeben hat. Das Urteil stellt fest, dass NPD verfassungsfeindlich ist, zeigt aber nicht auf, was die Kriterien wären, die einer anderen Partei zeigen, ab wann das Verbot greifen würde.
Das Gericht hat uns in der seit den 80er Jahren schwelenden Debatte um Parteiverbote rechtsextremer und neonazistischer Parteien keine Guidelines an die Hand gegeben. Dass die AfD Chancen und Aussichten hat, gemäß der Definition des Bundesverfassungsgerichts, ihren Willen in Zukunft mal durchzusetzen, wenn man sie gewähren lässt, halte ich für gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste