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Politikvertrauen bei Mus­li­m*in­nenDramatischer Vertrauensverlust

Nur ein Drittel der Mus­li­m*in­nen in Deutschland vertraut laut einer Studie Politiker*innen. Die Au­to­r*in­nen sehen Grund in der Migrationsdebatte.

Mit wenig Vertrauen in die Politik unterwegs Foto: Sylvio Dittrich/imago

Berlin taz | Viele Mus­li­m*in­nen in Deutschland haben in den letzten Jahren dramatisch Vertrauen in die Politik verloren. Wie aus einer Untersuchung im Rahmen des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) hervorgeht, setzen fast zwei Drittel aller befragten Mus­li­m*in­nen kaum noch Hoffnung in die Po­li­ti­ke­r*in­nen insgesamt. 2022 hatte sich nur die Hälfte der Befragten so geäußert.

Die For­sche­r*in­nen des NaDiRa fragten getrennt nach Vertrauen in Bundesregierung und die Po­li­ti­ke­r*in­nen allgemein. Während in der Mehrheitsgesellschaft vor allem die Bundesregierung an Ansehen verlor, verschlechterte sich unter Mus­li­m*in­nen sowohl das Bild der Bundesregierung als auch das von Po­li­ti­ke­r*in­nen insgesamt.

Auch wenn man die größere Gruppe der rassistisch markierten Menschen betrachtet, zeigt sich ein großer Unterschied zwischen 2022 und 2024. Hatten Menschen in dieser Gruppe einst noch überdurchschnittlich große Hoffnung in die Po­li­ti­ke­r*in­nen gesetzt, hat sich ihr Wert nun dem der Mehrheitsbevölkerung angeglichen.

Sprechen über Migration und Flucht

Der Chef des NaDiRa, Cihan Sinanoğlu, sagt der taz: „Das sollte ein Signal an Po­li­ti­ke­r*in­nen und Parteien sein.“ Zwar gehe aus den Daten nicht hervor, was der Grund für den Ansehensverlust der Politik unter Mus­li­m*in­nen ist. Aber es liege nahe, zumindest einen Teil der Antwort in der Art und Weise zu suchen, wie deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen über Migration und Flucht sprechen. „Mus­li­m*in­nen registrierten sehr genau, dass sie dabei implizit mitgemeint sind“, so Sinanoğlu.

Es liege nahe, zumindest einen Teil der Antwort in der Art und Weise zu suchen, wie deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen über Migration und Flucht sprechen. Mus­li­m*in­nen registrierten sehr genau, dass sie dabei implizit mitgemeint sind, so Sinanoğlu.

Nicht nur die Unionspartien stellten in letzter Zeit zunehmend radikale Forderungen auf, die bis hin zur Grenzschließung für alle Geflüchteten reichen. SPD und Grüne gingen zwar nicht ganz so weit, beschlossen in der Bundesregierung mit der FDP aber eine Verschärfung für Geflüchtete nach der anderen. Die AfD fordert mittlerweile dagegen nicht nur ein Ende jeder Flüchtlingsaufnahme, sondern auch die Vertreibung von Mi­gran­t*in­nen aus Deutschland.

Auch die deutsche Debatte um den Krieg in Gaza hat wohl einen Anteil am Vertrauensverlust unter Muslim*innen. Es habe eine Zunahme rassistischer und antisemitischer Diskurse und Markierungen gegeben, so Sinanoğlu. Auch, dass der Anstieg antimuslimischen Rassismus' weniger beachtet werde als der parallele Anstieg antisemitischer Vorfälle, könnte zu einer Entfremdung führen.

Keine Resultate aus Demokratie-Demos

Studien-Co-Autorin Massa Gahein-Sama fügt hinzu, dass auch die ausbleibende Reaktion der demokratischen Parteien auf die Demonstrationen gegen die AfD vor einem Jahr zu Frust unter Mus­li­m*in­nen geführt haben könne. Deren Anlass waren Enthüllungen über Pläne der AfD, Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland zu vertreiben. „Das aus dem Protest damals nichts resultierte, hat zu einem Gefühl der Ohnmacht beigetragen“.

Dazu kommen aber auch eine ganze Reihe materieller Faktoren.„Mus­li­m*in­nen sorgen sich natürlich um die gleichen Probleme, die auch Menschen der Mehrheitsgesellschaft betreffen“, so Gahein-Sama. Also Inflation, Wirtschaftskrise, internationale Unsicherheit. „Aber sie sind zusätzlich von gesellschaftlichen Machtdynamiken machen betroffen.“ So seien Mus­li­m*in­nen mit akademischem Abschluss viel öfter von Armut gefährdet, als Menschen in der Mehrheitsgesellschaft. Andere Untersuchungen zeigten etwa, dass Frauen, die Hijab tragen, auf dem Arbeitsmarkt massiv diskriminiert würden.

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22 Kommentare

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  • „Aber sie sind zusätzlich von gesellschaftlichen Machtdynamiken machen betroffen.“ So seien Mus­li­m*in­nen mit akademischem Abschluss viel öfter von Armut gefährdet, als Menschen in der Mehrheitsgesellschaft. Andere Untersuchungen zeigten etwa, dass Frauen, die Hijab tragen, auf dem Arbeitsmarkt massiv diskriminiert würden.

    Ich habe mein Berufsleben in schicken Anzügen und auf Pumps unter Männern und Frauen verbracht. Als emanzipierte Frau, die in den Genuss eines Kampfes von Generationen von mutigen Frauen kam! Und nichts kann mich davon überzeugen, dass sich das für meine Töchter, Nichten oder Enkelinnen ändern sollte!

    Die Verschleierung, egal in welcher Form, empfinde ich als Zeichen der Frauenunterdrückung. Ergänzend kommen in mulimisch regierten Ländern Berufsverborte, Schul- udn Studienverborte, Ausgehverbote etc. hinzu.

    Jeder darf glauben, woran er will!

    Aber jeder Frau, die für ihre Verschleierung "kämpft", sollte klar sein, dass sie die emanzipierten Frauen in westlich geprägten Ländern vor den Kopf stößt. Sie haben überhaupt kein Interesse, in die Vergangenheit zurück zu kehren!

  • Der sog. antimuslimische Rassismus könnte vielleicht kleiner sein, wenn nach einem islamistisch motivierten Anschlag auch der NaDiRa und hohe muslimische Würdenträger sich bei Beileidsbekundungen sehen lassen und offensiv verlauten lassen, dass der Anschlag nicht zum Glauben passt.



    Und falls die Presse - aus Platzgründen, natürlich - nicht darüber berichtet, sollte die TAZ den Platz bieten.

  • Ein Teil des Problems könnte sein, dass die Bevölkerungsteile ihr Vertrauen in die Politik nur da bewerten, wo es sie betrifft.

  • Was sind denn „rassistisch markierten Menschen“?



    Im Artikel werden mal wieder Muslime mit Geflüchteten gleichgesetzt.



    Das Vertrauen in alle Politiker zu verlieren ist natürlich Blödsinn, wenn man die amtierende Regierung nicht gut findet wählt man eben eine andere.

    • @Jesus:

      Das wurde wohl als Selbsteinschätzung abgefragt und Probanden konnten sich bis zu drei Identitäten zuordnen. Das erscheint mir ein methodischer Mangel, weil es verzerrenden Effekt hat und unklar ist, mit welcher Identität welche Effektstärke verbunden ist. Dazu kommt, dass die Skala extrem weit ist und man bei der Interpretation sich viel Spielraum geben kann.

    • @Jesus:

      Nur das wir keine Regierung wählen, sondern Parteien die sich dann zusammen würfeln.



      Und Politiker zu finden die integer sind ist auch schwer, vor allem weil die dann ganz gern mal abgesägt werden.



      Nur das ist weder ein Neues Problem, noch eins das ausschließlich Dtl betrifft.

      Ich frage mich eher wie man als Muslim bitte an deutschen Politikern zweifeln kann.



      Die meisten Länder mit muslimischer Mehrheit fallen doch eher durch noch schlimmere Zustände auf.



      Es sei denn man vertraut nur Diktatoren oder Solchen die es gern werden wollen.

    • @Jesus:

      Danke für den Ratschlag, da wäre ich nicht drauf gekommen. Dann mal eben eine andere Regierung wählen und das Vertrauen kommt wieder!

  • Welche "Resultate" sollten denn die Demokratie-Demos bringen. Ist es nicht ein sehr gutes Zeichen, wie viele Menschen sich solidarisch gezeigt haben?

  • Man sollte klein Anfangen. Grüßen Sie jede Kartoffel oder Migrant ganz unverbindlich aber deutlich und nicht invasiv.

  • "Keine Resultate aus Demokratie-Demos"

    Natürlich nicht. Das war eine Veranstaltung der weißen Mehrheitsgesellschaft und die Millionen Teilnehmer sind nicht auf die migrantische Nachbarn oder Organisationen zugegangen.

    • @Rudolf Fissner:

      Hat jemand die "migrantischen Nachbarn" abgehalten selber hin zu gehen und sich anzuschließen?



      Ihre Behauptung grenzt an Verleumdung. Niemand hat die Demos exklusiv gemacht außer sie.

  • Wo findet man die Quelle dieser Studie?

    • @Benzo:

      Nehmen Sie die Co-Autorin Massa Gahein-Sama. Dann noch dezim eingeben. Unten bei der Autorin finden Sie die Publikationen mit 3 Seiten Text. Wer fragen hat zur Datenerhebung macht "nadira.panel".

      Mir immer noch unerklärlich, warum man nicht direkt die links angibt. Bei manchen Studien verstehe ich es, weil wenn man die Studien liest, sich das Text schreiben nicht mehr lohnt.

    • @Benzo:

      Ich konnte Sie auch nicht finden. Nicht einmal für "NaDiRa" finden sich .irgendwelche guten Quellen.

  • Verrückt, ich frag mich wo die 33 Prozent das Vertrauen hernehmen, ich habe es mittlerweile komplett verloren.

    Insbesondere, wenn es darum geht wer die führenden Posten in den Parteien hat. Weit hinten und unten gibt es aber bestimmt Menschen, die das Vertrauen verdient hätten, aber die sind so sichtbar wie ein Schwarzes Loch.

    Die Politiker schaffen es nicht mal simpel zu vermitteln, dass wenn jemand mit offenen Augen durch den Alltag geht überall auf migrantische Arbeitskräfte stößt. Die wie die Deutschen meist freundlich sind, aber zu schlechten Gehalt jobs machen, wo die meisten Deutschen keine Lust drauf hätten. Straßenbau, Pflege auf dem Feld, sanitäranlagen, Verkauf.

    Wer sich jetzt daran stößt, dass ich keine hochqualifizierten Jobs erwähne. Das liegt schlicht daran, das man selten mit dem Arzt im Krankenhaus zu tun hat oder ähnliches. Es geht um Sichtbarkeit.

    Ganz ehrlich, mittlerweile empfinde ich sie als nutzlos und wenn man den Wahlkampf und Aussagen von ihnen hört, hat man das Gefühl, dass sie überhaupt nicht wissen, dass sie mit dem sich zur Wahl stellen, eigentlich eine Verantwortung übernommen haben. Nur Eigenverantwortung kommt bei ihnen nicht vor.

  • Es gibt definitiv eine Entfremdung. Und die fallenden Vertrauenswerte sind nachvollziehbar. Auch hier wieder das alte Lied: Man mag den Arbeitskollegen mit orientalischem Hintergrund schätzen, die Masse der Fremden schätzt man nicht.

    Dazu diese unsägliche Anschlagswellen. Vermutlich finden große Teile der Muslime die Anschläge auch überhaupt nicht witzig. Und selbst das kann dazu beitragen das Vertrauen zu verlieren.

    Die Bundesregierung hatte jedoch definitiv vertrauen verdient. Man konnte sicher sein und darauf vertrauen, dass sie nichts gescheites auf die Reihe bekommen würden.

  • Frauen, die Hijab tragen, präsentieren in offensiver Art und Weise ihre Religion.



    Für Jobs ohne Kundenkontakt ist das kein Problem,bei Jobs mit Kundenkontakt würde ich mir schon überlegen, so jemand einzustellen. Je nach Klientel wären Leute geeigneter, die ihren Glauben nicht so vor sich her tragen.

    • @Peter Schütt:

      Bei einer Burka würde ich ihnen recht geben, beim Hijab sehe ich kein Problem.



      Ich hatte mal eine Mitarbeiterin mit „Jesus liebt dich“ auf die jeansjacke gestickt, hat auch niemanden gestört.

  • Und vice versa..... mit jedem Anschlag ertappe ich mich, dass ich mich in der S-Bahn besondere Vorsicht walten lassen. Ist einfach mal bei mir so......

    • @Leningrad:

      Niemand kann etwas für ihre Paranoia. Wann genau war der letzte Anschlag in einer S-Bahn?!

    • @Leningrad:

      Sind Sie Politiker?