Parität und Frauenpolitik: Die bequeme Quote
Die Herren Feministen glauben, dass eine Quote sie vom Rest der Frauenpolitik befreit. Die Quote droht zum Ersatz für feministische Inhalte zu werden.
W enn es um die Frauenquote bei den Kommentaren in der taz geht, bin ich normalerweise gnadenlos. Männer sollten nicht die politische Debatte dominieren, allein schon deshalb nicht, weil diese Debatte Teil der öffentlichen Willensbildung in einer Demokratie ist. Und so telefoniere und laufe ich als Meinungsredakteurin meist so lange herum, bis jene Kolleginnen, die irgendwo hinter eine Säule versteckt sitzen oder ins Homeoffice abgetaucht sind, erfolgreich rekrutiert werden können.
Meine Entschlossenheit, die Quote durchzusetzen, geht jedoch nicht so weit, dass ich durch die taz-Kantine laufen würde, um willkürlich irgendeine Frau als Leitartiklerin zu gewinnen, die sich für ausreichend qualifiziert hält und zufällig ihren Laptop dabei hat. Genauso aber ist es bei der CDU gelaufen, wo sich erst diese Woche eine bis dahin gänzlich unbekannte Kommunalpolitikerin, Sabine Buder aus Brandenburg, berufen fühlte, (vergeblich) für den CDU-Vorsitz zu kandidieren.
Sie hat die Quote offenbar als Mittel verstanden, ihre Karriere quantensprunghaft zu befördern, ohne dabei durch eigene Erfolge oder Ideen aufgefallen zu sein – ein Phänomen, das auch den Grünen nicht ganz fremd ist. Doch die Quote, die bewirken soll, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden, treibt nicht nur dort, wo der eigene Vorteil als Feminismus umgedeutet wird, seltsame Blüten. Parität ist neuerdings das Maß aller Dinge.
Der Zustand der Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern wird nur noch daran gemessen, ob die Frauenquote erfüllt ist. Machen wir einen kleinen Realitätscheck am Beispiel der SPD. Im neuen Bundestag beträgt der Frauenanteil der SPD-Fraktion knapp 42 Prozent. Dafür bekommt sie keine Eins im Fach Quotenfeminismus, aber immerhin eine gute Zwei. Dennoch musste die SPD-Führung händeringend nach einer geeigneten Kandidatin für das Amt der Bundestagspräsidentin suchen.
Schließlich fiel die Wahl auf die Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas, die trotz der Pandemie als Fachfrau in der Öffentlichkeit noch nie aufgefallen ist. Ähnlich hat es beim Rennen um die SPD-Parteiführung ausgesehen. Diverse Männer, die SPD-Vorsitzende werden wollten, rannten los wie beim Abschlussball in der Tanzschule, um eine geeignete Partnerin für eine Doppelspitze zu ergattern.
In Erinnerung geblieben ist lediglich die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, die das Rennen zusammen mit dem Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans machte und derzeit zu den unbeliebtesten Politiker*innen des Landes zählt. Bei den SPD-Ministerinnen in der Groko fällt vor allem auf, dass den wenigsten Menschen in Deutschland auf Anhieb ihre Namen aufzählen könnten, selbst wenn sie pro Name sofort tausend Euro auf die Hand bekämen.
Die Vorzeichen einmal umkehren
Sie sind politisch blass geblieben und führen außerdem Ressorts, die nicht zu den Schlüsselministerien der Bundesregierung zählten. Manchmal stelle ich mir die Gegenwart vor wie in dem Buch „Die Töchter Egalias“ der Norwegerin Gerd Brantenberg aus dem Jahr 1977, in dem der Konflikt der Geschlechter unter umgekehrten Vorzeichen geschildert wird.
Die Männer kämpfen in ihrer aufkeimenden Emanzipationsbewegung gegen das herrschende Schönheitsideal (mollig) und dass sich beim Sex stets alles um die Klitoris dreht und der männliche Orgasmus als gelegentlich beachtetes Beiwerk gilt. Eine eigene Karriere, ganz zu schweigen von einer politischen Laufbahn, ist schon deshalb schwierig, weil einer die Kinder aufziehen muss.
Die Frauen können sich schließlich nicht um alles kümmern. Wer also soll die Säuglinge in die Büros tragen, damit die hart arbeitenden Mütter, die ja schon fürs Gebären zuständig sind, sie stillen können? Ein Vater ist ja gerade in jungen Jahren so wichtig. Vielleicht ein Minijob, sobald die Kinder in die Schule gehen? Natürlich hätten auch die Söhne Egalias inzwischen Einiges erreicht, sie wären vielleicht sogar bis in die Bundesregierung aufgestiegen.
Ein Kabinett könnte in etwa so aussehen: Olaf Scholz ist Minister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Heiko Maas Umweltminister, und Hubertus Heil steht dem Ministerium für Bildung und Forschung vor. Im neuen Kabinett kann die designierte nächste Bundeskanzlerin Andrea Nahles sich sogar eine Männerquote vorstellen. Weitere Betätigungsfelder für männliche Politiker wären beispielsweise Ernährung und Landwirtschaft oder auch Gesundheit.
Kurzum: Die Quote ist eine Krücke, die wir als Gesellschaft brauchen, um Frauen überhaupt erst die Möglichkeit zu geben, glänzen zu können. Warum aber glänzen so viele Politikerinnen der quotenfreundlichen Parteien nicht? Warum ist es ausgerechnet die CDU, die die erste Bundeskanzlerin, die erste Verteidigungsministerin und die erste Präsidentin der Europäischen Kommission hervorgebracht hat?
Die Antwort liegt unter anderem bei den Herren Feministen. So wie manche Frauen unter Emanzipation vorrangig verstehen, für das eigene Weiterkommen zu sorgen und dies als Feminismus zu labeln, nutzen auch Männer die Quote zur Imagepflege. Olaf Scholz etwa hat ein paritätisches Kabinett angekündigt und behauptet von sich, Feminist zu sein. Man darf also gespannt sein, wer die Ministerien für Finanzen, Verteidigung, Inneres und Auswärtiges übernimmt.
Von Gender Pay Gap keine Rede
Jenseits der Quote aber hört man von den Feministen der Spitzenpolitik – zu denen selbstverständlich auch Grünen-Chef Robert Habeck gehört – erstaunlich wenig. Im Wahlkampf wurde ab und zu mal in zwei bis drei Sätzen etwas vom Gender Pay Gap zwischengeschoben, aber ansonsten war nichts Konkretes zu erfahren. Die Feministen glauben, sich mit der Umsetzung der Frauenquote vom übrigen Gedöns befreit zu haben und dabei immer noch als fortschrittlich zu gelten.
Das Erstaunliche ist: Auch ein erheblicher Teil der Frauen gibt sich mit der Quote zufrieden. Parität macht den Feminismus übersichtlich, unkompliziert und leicht umsetzbar. Im Stil von Milan Kundera könnte man sagen, dass die unerträgliche Bequemlichkeit der Quote sich in der Politik durchgesetzt hat. Sie hat feministische Inhalte weitestgehend verdrängt.
Dabei wäre nichts weniger als eine Revolution nötig. Um überhaupt nur in die Nähe von Gleichberechtigung zu kommen, müsste etwa die Berufswelt vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die sogenannten Frauenberufe – von der Erzieherin über die Altenpflegerin bis hin zur Krankenschwester – brauchen eine komplette Neuaufstellung. Als Altenpflegerin verdiente man dann nicht mehr weniger als ein Handwerker, als Krankenschwester nicht weniger als ein Facharbeiter.
Erzieherinnen hätten zahlreiche Aufstiegs- und Karrierechancen. Friseurinnen könnten von ihrem Lohn leben, und die Mehrheit der Grundschullehrerinnen würde nicht weniger als Berufsschullehrer verdienen. Mit der Feminisierung eines Berufs oder einer Branche würden nicht mehr Gehalt und Status sinken. Noch weniger wird in Zeiten des Quotenfeminismus über Gewalt gegen Frauen geredet, die die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, Dubrovka Šimonovic, zuletzt als „pandemisch“ bezeichnete.
Wer mit Beraterinnen des Frauennotrufs spricht, bekommt zu hören, dass Gewalt gegen Mädchen und Frauen auch heute noch extrem weit verbreitet ist. Es fängt mit Festhalten und Drohungen an und endet mit Schlägen und sexualisierter Gewalt. Jeder Junge und jeder Mann müsse damit rechnen, dass die neue Freundin in ihrem Leben schon einmal betroffen war, sagen Expertinnen. Dennoch gehört dieses Thema nicht zum kontinuierlichen Lernstoff in der Schule. Selbstverteidigung ist nicht Teil des Sportunterrichts.
Gewalt gegen Frauen mit pandemischen Ausmaßen
Lehrer machen weiter anzügliche Bemerkungen, und Mädchen werden sogar noch häufiger als früher „Hure“ genannt. Und das obwohl sexualisierte Gewalt gerade auch im schulischen Kontext eine große Rolle spielt. Aber Hauptsache die Quote im Lehrerzimmer stimmt. Die gegenwärtige Fixierung auf die Quote als feministisches Allheilmittel ist umso erstaunlicher, als dass dies noch zu Beginn der Amtszeit von Angela Merkel als abwegig galt.
Über die Wahl der ersten Frau in diesem Amt am 22. November 2005 durfte man sich in linken Kreisen bestenfalls heimlich freuen. Allein auf die frauenpolitischen Inhalte kam es schließlich an. Auch das hat sich natürlich als eine grandiose Fehleinschätzung herausgestellt. Die Quote ist ein Hilfsmittel – nicht mehr und nicht weniger. Sie entbindet Politikerinnen nicht davon, durch Leistung und Fähigkeiten hervorzustechen, die Wähler*innen zu überzeugen.
Geben wir es ruhig zu: Es gibt durchaus die Quotenfrauen, und nicht selten haben sie auf dem Weg nach oben nicht das Rüstzeug erworben, um ihre Position auszufüllen. Manche Frauen scheitern dann schnell, andere haben die Fähigkeit, sich trotz hoher Fehlerquote zu halten, zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Die Grüne Katrin Göring-Eckardt zum Beispiel, die trotz Pleiten, Pech und Pannen immer eine Spitzenposition halten konnte.
Das wiederum zu kritisieren, gilt im Zweifel als misogyn. Bei Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock grenzte Kritik gar an Majestätsbeleidigung. Komisch nur, dass Merkel, von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer oder auch Julia Klöckner aufs Schärfste kritisiert werden dürfen, ohne dass dieser Vorwurf je erhoben wird.
Frauenpolitik auf die Quote zu reduzieren, befördert eine Art Placebo-Feminismus. Die Quote wird zur Falle. Mit dem Verweis auf Parität in Regierungen, Parlamenten, Vorständen bis hin zum Kaninchenzüchterverein wird das postfeministische Zeitalter eingeläutet. Frauen werden sichtbarer sein, einige Männer ihre Macht verlieren – und das Patriarchat wird munter weiterbestehen.
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