Pannen-Wahl Berlin 2021: Arroganz gegenüber dem Wahlvolk

Die Berlin-Wahl 2021 wird wohl wiederholt werden. Das ist notwendig, aber darf trotzdem ärgern: In der Krise gäbe es Besseres zu tun als Wahlkampf.

Zwei Wahlurnen von oben

Die Qual der Wahl – am 26. September 2021 lief einiges schief Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Meistens hat diese spezielle Berliner laissez-faire-Haltung ja ihren Reiz. Diese an Arroganz grenzende Wurstigkeit, die verhindert, dass in dieser Stadt jemals so etwas wie eine Kehrwoche eingeführt werden könnte. Dass man es in dieser Stadt mit vielem nicht so genau nimmt, lässt Luft zum Atmen.

Mit den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 26. September 2021, mit diesen Wahlen hätte man es aber genau nehmen müssen. Das Landesverfassungsgericht hat am Mittwoch deutlich gemacht, dass eine Wiederholung der kompletten Berlin-Wahl wahrscheinlich ist. Die Fehler, die am Wahltag passiert sind – falsche Stimmzettel, gar keine Stimmzettel, zu spät eingereichte Stimmzettel – waren eklatant. Sie könnten sich auf Mandate ausgewirkt haben. Das heißt, Wahlvolkes Wille wurde möglicherweise verfälscht.

Das kann einen als Teil des Wahlvolks zurecht ein bisschen wütend zurücklassen. Weil es tatsächlich eine Art von Arroganz ist, die sich da ausdrückt in der offensichtlich mangelhaften Vorbereitung dieser Wahl, die organisatorisch absehbar schwierig werden würde: mit dem parallel zu wählenden Bundestag, mit dem zeitgleich stattfindenden Großevent Berlin-Marathon, der die Innenstadt lahmlegte und Wahlzettel-Kurieren das Durchkommen erschwerte. Mit einem Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnkonzerne, über den ebenfalls abgestimmt wurde.

Es war nicht Laissez-faire, sondern schlicht nachlässig, die Logistik nicht besser zu planen und überforderte Wahlhelfende nicht besser zu schulen. Da drückt sich eine Respektlosigkeit gegenüber den Menschen aus, und letztlich gegenüber dem demokratischen Instrument der Wahl an sich.

Frust über „die da oben“

Das ist auch deshalb ärgerlich, weil diese Arroganz – ganz besonders im bevorstehenden Krisen-Winter – denjenigen rechten Kräften Auftrieb geben könnte, die Politikverdrossenheit schüren und Frust über „die da oben“ für ihre Agenda zu nutzen wissen.

Wenn die Inflation, wie jetzt prognostiziert, die Zehn-Prozent-Marke knackt, wird das die gesellschaftliche Spaltung im Land vorantreiben, soziale Fragen werden drängender werden. Da wäre es besser, eine grün-linke Regierungskoalition könnte sich gemeinsam um Antworten (auch an die Adresse der Rechten) bemühen, und müsste sich nicht mit Wahlkampf beschäftigen.

Spätestens am 28. Dezember muss das Landesverfassungsgericht endgültig entscheiden. Dass die Rich­te­r*in­nen hinter ihre Argumentation einer kompletten Wahlwiederholung der Pannen-Wahl zurückfallen, gilt als unwahrscheinlich. Am 28. März wiederum müsste dann spätestens neu gewählt werden in Berlin.

Die Wahl 2023 wird unter anderen Vorzeichen stattfinden: Ab dem 1. Oktober tritt ein neuer Landeswahlleiter sein Amt an. Das wiederum soll mit deutlich mehr Machtbefugnissen ausgestattet sein. Bisher wurstelte jedes Bezirkswahlamt für sich – mit den nun bekannten Folgen.

Man kann die Neuwahl eine Chance für die Demokratie nennen. Doch besser wäre es, man hätte die Demokratie gar nicht erst geschwächt.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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