Organisierte Kriminalität: Deutsche Clans
Organisierte Kriminalität ist nicht arabisch oder türkisch und viel mehr als ein ethnisches, subkulturelles Phänomen. Sie ist global vernetzt.
A ls Italiener in Deutschland musste ich mich relativ schnell an Mafia-Witze gewöhnen: „Du bist doch Italiener. Sicher kennst du irgendwelche Bosse.“ Die Antwort habe ich parat: „Ich kann es dir sagen. Aber danach muss ich dich leider umbringen.“
Die Mafia ist aber kein Witz. Ich habe noch das Getöse im Ohr, als an einem sonnigen Morgen vor 30 Jahren ein Auto nur wenige Kilometer von meiner Schule entfernt explodierte. Am Steuer saß ein Bauingenieur, der offenbar Streit mit einem lokalen Clan hatte.
In Italien gibt es zahlreiche Clans. Einige sind zu globalen Stars geworden, wie etwa der Corleone-Clan aus „Der Pate“ von Mario Puzo oder der Clan der Casalesi aus Roberto Savianos „Gomorra“. Es gibt auch viele weniger bekannte Clans (allein die kalabrische ’Ndrangheta zählt mehr als 160), die aber allesamt wissen, wie man Menschen einschüchtert, erpresst oder ermordet.
Wenn man in Italien „Clan“ sagt, weiß man genau, was damit gemeint ist. In Deutschland hingegen ist der Begriff umstritten. Selbst das Bundeskriminalamt (BKA) hat keine einheitliche Definition dafür. Spricht man in Deutschland über „Clans“, sind fast nie Italiener:innen gemeint.
Gemeinschaft jenseits des Rechtsstaats
In der Regel geht es um Araber:innen und Türk:innen. „Angehörige ethnisch abgeschotteter Subkulturen“, so das BKA – Clans mit einer „patriarchalisch-hierarchisch geprägten Familienstruktur“, deren Mitglieder angeblich nicht integrations-, dafür aber gewaltbereit sind.
Die Idee eines Clans als „patriarchalisch-hierarchisch geprägte Familie“ trifft übrigens für viele Gruppen der organisierten Kriminalität (OK) zu. Sehr unterschiedliche OK-Gruppen von Italien über Albanien und Zentralasien bis nach Japan sind nach Familienbündnissen organisiert – echte oder fiktive. Warum das so ist, hat der Mafia-Boss Joseph Bonanno erklärt: „Da es für uns nicht möglich war, uns an der Verwaltung des eigenen Landes zu beteiligen, zogen wir uns in die Familien zurück.“ Die Clans sind so gesehen ein Zufluchtsort für Menschen, die sich vom Rechtsstaat ausgeschlossen fühlen.
Clans existieren. Es hilft nicht – wie wohlwollende Kritiker oft sagen –, den Begriff als rassistisches Label abzutun. Dies verkennt entscheidende Eigenschaften dieses Phänomens. So sorgt das enge Bündnis zwischen Clanmitgliedern dafür, dass sich die Organisation gegen Eingriffe von außen wehren kann. Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Mitgliedern schützt vor Verrat.
Was wir von Italien lernen können
In ihrem etwa 150-jährigen Kampf gegen die Mafia haben die italienischen Behörden gelernt, wie man gegen Clans vorgehen kann. Erstens: Um sie zu bekämpfen, muss man sie kennen. Stichwort: Strukturermittlungen. Italienische Ermittler verbringen inzwischen deutlich mehr Zeit damit, Bücher zu überprüfen und Gespräche abzuhören, als mit Razzien und Festnahmen.
Das spricht unter anderem gegen die sogenannte Strategie der 1.000 Nadelstiche – also die ständigen Razzien in Restaurants und Shisha-Bars. Diese mögen zwar für Schlagzeilen sorgen, helfen aber nicht viel.
Die zweite wichtige Lehre des Kampfs gegen die Mafia in Italien lautet: Man muss sie angreifen, wo es weh tut – beim Geldbeutel. Denn einzelne Clanmitglieder können eingesperrt werden, doch solange die Vermögensstruktur der Organisation bestehen bleibt, ist diese noch stark. Da haben die deutschen Staatsanwält:innen von den italienischen Kolleg:innen gelernt. Seit einigen Jahren ist es auch in Deutschland einfacher geworden, Vermögen, das mit Drogen- Waffen- oder Menschenhandel erworben wurde, zu beschlagnahmen.
Deutschland als Geldwaschanlage
Das ist besonders wichtig für ein Land, in dem nach Angaben von Transparency International mehr als 30 Milliarden Euro illegal erworbene Gelder im Jahr investiert werden. „Deutschland ist eine einzige Waschanlage“, sagte vor einigen Jahren ein Mitglied der ʼNdrangheta in einem abgehörten Gespräch. Wie groß das Kapital der italienischen OK in Deutschland ist, weiß zwar niemand. Doch es gibt Indizien. In einem einzigen Verfahren haben italienische Ermittler kürzlich einen Geldwäsche-Ring aufgedeckt, der zwischen Italien, Deutschland, der Türkei, Dubai und Malaysia arbeitete und Summen über 500 Milliarden Euro verwaltete.
Man sieht: Es geht nicht um „abgeschottete Subkulturen“. Einflussreiche kriminelle Clans müssen in der globalen Arena spielen – und Netzwerke bauen. So arbeiten Mitglieder der italienischen OK in Deutschland erwiesenermaßen unter anderem mit albanischen und türkischen Kriminellen zusammen.
Die dritte, wahrscheinlich wichtigste Lehre lautet daher: Kriminelle Clans sind kein arabisches, türkisches oder italienisches Phänomen. Sie sind ein globales und gleichzeitig endemisches Phänomen – also auch ein deutsches. Sie sind kein toxischer Fremdkörper in einem gesunden System. Sie sind Teil des Systems.
Die Clans gehen alle an
Meine Landsleute sind ein perfektes Beispiel dafür. Schon seit den 70er Jahren haben sich Mitglieder der organisierten Kriminalität in den italienischen Communities in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eingenistet. Heute zählt das BKA rund 600 aktive Mitglieder italienischer Clans – die Dunkelziffer ist höher. Von „mangelnder Integrationsbereitschaft“ kann nicht die Rede sein.
Mitglieder der italienischen OK gelten als unauffällige Modellbürger:innen mit besten Beziehungen. So sollen Mitglieder der ’Ndrangheta nach der Wende sehr gute Geschäfte in Ostdeutschland gemacht haben – mit der Hilfe deutscher Unternehmer, Politiker und sogar Richter.
Na ja – könnte man sagen – wenn sie keinen Stress machen, keine Goldmünzen stehlen, ihre Steuern zahlen und nicht in der zweiten Reihe parken, wo liegt das Problem? Ein freundlicher Reminder: Seit jener Autobombe nahe meiner Schule vor 30 Jahren waren die Clans in Italien für den Tod von mehr als 500 Menschen verantwortlich. Auch in Deutschland töteten sie in dieser Zeit 30 Menschen. Die Clans gehen uns alle an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut