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Opferfest in Gaza5.000 Euro für ein Schaf

Im Gazastreifen steht am Freitag der höchste muslimische Feiertag an. Durch den Krieg können sich nur noch die Wenigsten Tiere zum Schlachten leisten.

Zerstörung im Hintergrund, ein wenig Fleisch im Vordergrund: Abu Hasiras Fleischerei in Gaza-Stadt Foto: Enas Tantesh

Gaza-Stadt/Berlin taz | Jedes Jahr, sagt Ashraf al-Sawwaf, habe er mit seiner Familie zum Opferfest ein Schaf gekauft, es geschlachtet, das Fleisch gemeinsam gegessen. Den Kindern seiner Familie habe er neue Kleider gekauft, ihnen Geschenke gemacht – so ist es Tradition zu diesem höchsten Fest im islamischen Jahr. Schon im letzten Jahr war jedoch alles anders. Al-Sawwaf stammt aus dem Norden des Gazastreifens, mit seiner Familie war er damals in den Süden vertrieben worden: „Wir konnten es uns einfach nicht leisten“, sagt er, „und auch dieses Jahr wird es kein Opfer geben“.

Am Opferfest gedenken Muslime des Propheten Ibrahim, der dem Stammesvater Abraham im Christen- und Judentum entspricht. Gott weist ihn an, seinen Sohn zu opfern. Als Gott sieht, dass Ibrahim und auch der Sohn dazu bereit sind, gebietet Gott ihm doch Einhalt, und Ibrahim opfert stattdessen einen Widder. In Erinnerung daran schlachtet, wer es sich leisten kann, am Opferfest ein Tier.

Vor dem Krieg, sagt Hammam al-Zarqa, habe er den besten Umsatz des Jahres vor dem Opferfest gemacht. Mit seiner Familie züchtet er Schafe, Ziegen, Kühe, Hühner, Tauben und Enten – schon seit über 20 Jahren. Zwei Farmen im Norden des Küstenstreifens betrieben sie vor dem 7. Oktober 2023, als der Krieg im Gazastreifen nach dem Überfall der Hamas in Süd­is­rael begann.

Die eine, nahe der Grenze gelegen, sei völlig zerstört. Die andere, im Viertel al-Naqaf von Gaza-Stadt, musste im Laufe des Krieges ebenfalls evakuiert werden und wurde durch Angriffe beschädigt. Insgesamt siebenmal, sagt er, habe die Familie flüchten müssen.Mittlerweile ist die Familie nach al-Naqaf zurückgekehrt.

Hammam Al-Zarqa, Viehzüchter, mit dem was nach den Angriffen Israels blieb Foto: Enas Tantesh

Und al-Zarqa hat einen provisorischen Stall gebaut, im ehemaligen Garten, erzählt er: Mit Dächern und Blech und Planen, und zusammengewürfelten Metallgittern und Brettern als Zaun. Allein an Schafen habe er vor dem Krieg über 500 besessen. Heute sind es etwa 75. Manche der Tiere, erzählt er, wurden bei Luftangriffen getötet oder geklaut, andere konnte er retten – und verkaufte sie dann während der Waffenruhe von Mitte Januar bis Mitte März.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Zehnmal mehr für ein Schaf

Al-Zarqa verkauft seine Schafe lebendig, der Käufer bringt sie dann zum Schlachter. Ein Tier, sagt er, koste derzeit 3.000 jordanische Dinar, über 3.700 Euro. Vor dem Krieg seien es etwa 300 Dinar gewesen, circa 370 Euro. „Wer kann sich das leisten?“, fragt er, und antwortet gleich selbst: „Internationale Organisationen von außerhalb des Gazastreifens“, die diese dann als Spende an die Bevölkerung verteilen lassen. Auch er selbst wird zum Opferfest kein Schaf schlachten. Manchmal, wenn Metzgerbetriebe bei ihm Tiere kauften, bringe er sie hin und nehme ihnen ein Kilo des Fleisches ab. Das muss reichen – für den 38-Jährigen, seine Frau und die neun Kinder.

Die Preise, die al-Zarqa verlangt, sind hoch, das weiß er. Er hat keine Wahl – Rohstoffe sind fast unbezahlbar geworden: Die Jungtiere selbst, erzählt er, seien viel teurer als vor dem Krieg. Während der Waffenruhe hätten sie den Beduinen im Süden des Gazastreifen einige abgekauft. Damals zog das israelische Militär aus dem Netzarim-Korridor ab – einer Straße, die den Gazastreifen horizontal zerschneidet, mit einer breiten Pufferzone. Dieser trennte während des Großteils des Krieges Nord- von Südgaza, während der Waffenruhe war die Passage wieder möglich. Nun, so berichten lokale Quellen der taz, ist der Korridor wieder unpassierbar.

Ziegen und Schafe sind ein teures und seltenes Gut im ohnehin ausgehungerten Gaza – und Teil der Eid-Feierlichkeiten Foto: Enas Tantesh

Das Futter, sagt al-Zarqa, sei das größte Problem: Ein Sack koste über 2.500 Schekel, vor dem Krieg seien es 100 gewesen. Umgerechnet ein Preissprung von etwa 25 Euro auf fast 630 Euro. Auch medizinische Versorgung sei unerschwinglich geworden – oder gar nicht erst zu finden. „Die Preise haben sich mindestens verzehnfacht“, sagt er.

Mit den Tieren, dem Futter und Equipment ­haben wir be­stimmt eine ­halbe Million Dollar verloren

Abu Hasira, Fleischer

Dann begann der Krieg von Neuem

Dass der Preis für Schafe so hoch ist, beschäftigt auch Adham Abu Hasira. Auch er betrieb einmal eine Farm mit Schafen und Kühen. Sie existiert nicht mehr; wo sie einmal stand, baute die israelische Armee den Netzarim-Korridor. Die Times of Israel berichtete im vergangenen Winter, dass dieser etwa 47 Quadratkilometer Land einnehme. Das entspricht circa 13 Prozent der gesamten Landfläche des Gazastreifens.

Seine Farm sei von der israelischen Luftwaffe bombardiert worden, erzählt er – mit den Tieren darin. Dass das Gebiet evakuiert werden sollte, habe er nicht gewusst. „Der Angriff war ein Schock“, sagt er. Er selbst und seine Familie flohen dann in den Süden des Gaza­strei­fens. Während der Waffenruhe seien sie wieder zurückgekehrt, in den Norden, nach Gaza-Stadt.

Wieder Tiere aufzuziehen, sei keine Option gewesen: Seit dem Ende der Waffenruhe Mitte März ist das israelische Militär im Netzarim-Korridor wieder präsent. „Mit den Tieren, dem gelagerten Futter und dem ganzen Equipment haben wir damals bestimmt eine halbe Million US-Dollar verloren“, sagt Abu Hasira.

Die Kosten, um die Farm an einem anderen Ort wieder aufzubauen, seien hoch, sagt er – zu hoch. Doch schon vor dem Krieg schlachteten Abu Hasira und seine Familie die Tiere auch, im Gegensatz zu Hammam al-Zarqa, dem Schafzüchter. „Der Verkauf von rotem Fleisch ist unser Geschäft“, sagt er. Und er baut sich nun ein neues auf: Während der Waffenruhe hat er mit seiner Familie eine kleine Fleischerei eröffnet.

Adham Abu Hasira – heute Fleischer, früher selber Züchter Foto: Enas Tantesh

Sie ist spärlich eingerichtet, die Metalltüren zur Straße hin sind rostig. Das Nachbarhaus ist schwer beschädigt durch den Krieg: Mehrere Wände fehlen, in den Fensterhöhlen hängen die Metallgerippe der Fensterrahmen. Eigentlich, erzählt er, habe er den Laden ausbauen wollen, ein Restaurant daraus machen. Doch dann begann der Krieg von Neuem.

In seiner kleinen Fleischerei kostet 1 Kilogramm Schaffleisch heute 240 Schekel – etwa 60 Euro. Ein ganzes Schaf koste ihn bis zu 20.000 Schekel, über 5.000 Euro. „Locker elf Schafe haben wir früher für solche Preise bekommen“, sagt er.

„Das muss aufhören, die Welt muss uns helfen“

Das Problem, sagt er, sei nicht nur, dass den Menschen das Geld fehlt. Im Gaza­streifen gab es vor dem Krieg wie an den meisten Orten eine Mittel- und Oberschicht; Geld, das sie vor dem Krieg angespart hatten, liege auf ihren Konten. Doch an dieses Geld heranzukommen ist schwierig: Bankautomaten funktionieren nicht mehr. Etwa mit einer App der Bank of Palestine, ansässig in Ramallah im Westjordanland, kann man Geld an andere transferieren – aber es auszuzahlen, ist ungleich schwieriger und mit hohen Gebühren der Geldwechsler auf den Straßen verbunden.

In den palästinensischen Gebieten sind parallel mehrere Währungen im Umlauf: der israelische Schekel, der jordanische Dinar, aber auch der US-Dollar. Viele Farmer, sagt Abu Hasira, nähmen nur Bargeld, an das er kaum herankommt. Die meisten seiner Abnehmer derzeit, bestätigt er, sind Hilfsorganisationen.

Ashraf al-Sawwaf, der seiner Familie in diesem Jahr kein Opfertier kaufen kann, sucht täglich die Verteilungen der Hilfsorganisationen auf. „Wenn wir dort keine Mahlzeit auftreiben können, essen wir abends nur Weizengrütze und Thymian“. In dem Zelt nahe dem Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt, in dem er lebt, will er zum Opferfest trotzdem Verwandte empfangen. „Es ist das Erste ohne meine Schwester“, sagt er. Vor zwei Wochen sei sie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden, gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern. Nur die 22-jährige Tochter habe überlebt. Zum Opferfest wolle er sie besuchen.

Ashraf Al-Sawwaf verlor Teile seiner Familie und ist von Hilfslieferungen abhängig. Ein Opfertier wird es dieses Jahr nicht geben Foto: Enas Tantesh

Sechsmal, sagt er, sei er vertrieben worden in diesem Krieg. „Das muss aufhören, die Welt muss uns helfen“, sagt er und beginnt zu weinen.Es wäre eine Katastrophe, sagt Farmer Hammam al-Zarqa, wenn er noch einmal fliehen müsste.

„Ich würde versuchen, alle Schafe mitzunehmen. Doch es gibt keine Lastwagen und keinen Treibstoff, um sie so zu transportieren, wir müssten laufen.“ Er fürchte, dass sie sich dabei etwas brechen, vor Erschöpfung zusammenklappen, von Autos angefahren werden könnten. „Ich hoffe, dass sie zu diesem Opferfest alle verkauft und geschlachtet werden.“ Doch noch mehr hoffe er, „dass dieser Genozid endet – und die Menschen wieder die Möglichkeit haben, sich einfach Fleisch zu kaufen“.

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15 Kommentare

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  • Also, was feiern Muslime heute so mit Inbrunst? Gott prüft Abrahams Glauben, indem er ihm befiehlt, seinen erstgeborenen Sohn Isaak zum Berg zu führen. Abraham hat absoluten Glauben an Yahwe/Gott/Allah und folgt daher dem Befehl. Er zieht sein Messer und legt es an Isaaks Kehle. In diesem Moment sieht Yahwe/Gott/Allah, dass Abrahams Glaube und Gehorsam vollständig sind und sendet einen Engel, um das Menschenopfer zu stoppen. Was muss das für ein Gott sein, der die Glaubenstüchtigkeit eines Menschen auf diese grausame Art bestätigt haben will ? Ein Vertrauensbeweis gegen jegliche Vernunft und Ethik beschreibt Abrahams Opfergang als eine Qual. Man muss sich vorstellen, dass Abraham sein Messer mit der letzten Kraft seines eigenen Willens gezogen hat, bevor er sich ganz Allah hingibt. Dieses Hingeben, dieses Unterwerfen ist der Kern des Islam. Das Beispiel Abrahams, der auf Kosten seiner eigenen Menschlichkeit und seines eigenen Willens auf die “Vorsehung” Allahs vertraute, macht auf frapierende Weise deutlich, wie blinder Gehorsam in Unmenschlichkeit mündet.



    Ich war oft in Marokko und konnte den teilweise harten Umgang mit den "Schlachtopfern" miterleben.

  • Trotz allem Mitgefühl für die schreckliche Situation, Fleisch produzieren ist das schlechteste, was man bei Nahrungsmittelknappheit machen kann. Milcherzeugung macht noch Sinn, weil deutlich effizienter als Fleischerzeugung pro kcal und gibt genauso das benötigte B12, aber Fleischproduktion ist in der Hinsicht reine Verschwendung.

    • @illea:

      Sie können einem Schafzüchter sicherlich erklären, wie man von Schafen auf wertvolle Vollkornprodukte in Krieg und Zerstörung in Gaza umsattelt.

      Einfach nur zynisch.

      • @Dromedar:In:

        Nein, einfach nur zynisch ist wie über die Qual der Tiere null berichtet wird.



        Wenn solche Zustände in Deutschland herrschen würden - Stichwort "Stall" in dem Artikel...



        Wenn hier jeder Katholik ein Schaf schlachten, ja ausbluten lassen wollen würde, zu Ostern oder Weihnachten - da wär der Teufel los, aber hier in einem Bericht über Gaza wird es als das normalste vom normalen eingeordnet.



        Auch die 9 Kinder werden überhaupt nicht kritisch hinterfragt - wie wird berichtet wenn eine deutsche Familie 9 Kinder hat? Wird da nicht das Klima oder das Patriarchat herbeigezogen?



        Zynisch ist wirklich nur die zwei-Klassen-Berichterstattung zwischen Christentum und Islam und zwischen abendländischen und muslimischen Riten und Gebräuchen.

  • Tja - üblicherweise wird hier in der TAZ der Fleischkonsum angeprangert, aber dass sich die Menschen Schaf nicht leisten können ist auf einmal ein Fehler. Und dass die Tiere tierquälerisch geschlachtet werden, ist wohl auch kein Problem....



    Nein, Fleischkonsum ist auch zum Opferfest nicht notwendig, und für den Preis von einem kg Fleisch bekommt man eine ganze Menge anderer hochwertiger Lebensmittel!

    • @Sandra Becker:

      Ihr Beitrag strotzt vor besserwisserische, gefühlter Kulturüberheblichkeit; angesichts der Not und den Gefühlen der Menschen, die mit den noch verbliebenen Verwandten ein Minimum an Normalität und Tradition erleben wollen.

      • @Dromedar:In:

        Geht's jetzt um die Kultur oder um die Not? Nicht, dass sie das Eine mit dem Anderen begründen.

      • @Dromedar:In:

        Tradition rechtfertigt keine Tierquälerei.



        Oder wo ziehen Sie die Grenze?

    • @Sandra Becker:

      Ich sehe das genauso!



      Aus Opferperspektiven wird gerne berichtet... je nach Thema und Diskussionsrichtung gerne auch total widersprüchlich.

    • @Sandra Becker:

      ...dazu ein atheistisches Amen. Sprich volle Zustimmung.

  • Religiöses Schlachten ist Barberei.



    Auch unsere Wohlstandskultur kennt kein Mitgefühl mit den geschundenen Kreaturen.

    • @Manzdi:

      Ich war schon oft in West Afrika. Die zum Opferfest geschlachteten Tiere hatten ein besseres Leben als Tiere aus Massentierhaltung bei uns. Es wird auch nicht soviel Fleisch gegessen wie bei uns. Fleisch ist dort verhältnismäßig teuer. Wir sollten uns erstmal um unsere Massentierhaltung und um die industriellen Schlachthöfe kümmern bevor wir andere Kulturen kritisieren. Die haben oft mehr Respekt vor Tieren als wir.

    • @Manzdi:

      Immerhin ist in Deutschland allerdings eine Betäubung gesetzlich vorgeschrieben.

      • @Sybille Bergi:

        Also das Leben ist die Hölle aber die 10 Sekunden vorm Tod immerhin betäubt. Daumen hoch für Deutschland.

  • Der marokkanische König hat schon im März seine Untertanen aufgefordert, dieses Jahr auf das Lammopfer zu verzichten, da Dürre die Bestände sich nicht günstig entwickeln ließ. Schutz der Bestände, Schutz vor weiterer Verschuldung hätten Vorrang.



    In Gaza stehen die Landwirte durch Kriegsbedingungen dann noch unter ganz anderem Druck.