Opferfest in Gaza: 5.000 Euro für ein Schaf
Im Gazastreifen steht am Freitag der höchste muslimische Feiertag an. Durch den Krieg können sich nur noch die Wenigsten Tiere zum Schlachten leisten.

Am Opferfest gedenken Muslime des Propheten Ibrahim, der dem Stammesvater Abraham im Christen- und Judentum entspricht. Gott weist ihn an, seinen Sohn zu opfern. Als Gott sieht, dass Ibrahim und auch der Sohn dazu bereit sind, gebietet Gott ihm doch Einhalt, und Ibrahim opfert stattdessen einen Widder. In Erinnerung daran schlachtet, wer es sich leisten kann, am Opferfest ein Tier.
Vor dem Krieg, sagt Hammam al-Zarqa, habe er den besten Umsatz des Jahres vor dem Opferfest gemacht. Mit seiner Familie züchtet er Schafe, Ziegen, Kühe, Hühner, Tauben und Enten – schon seit über 20 Jahren. Zwei Farmen im Norden des Küstenstreifens betrieben sie vor dem 7. Oktober 2023, als der Krieg im Gazastreifen nach dem Überfall der Hamas in Südisrael begann.
Die eine, nahe der Grenze gelegen, sei völlig zerstört. Die andere, im Viertel al-Naqaf von Gaza-Stadt, musste im Laufe des Krieges ebenfalls evakuiert werden und wurde durch Angriffe beschädigt. Insgesamt siebenmal, sagt er, habe die Familie flüchten müssen.Mittlerweile ist die Familie nach al-Naqaf zurückgekehrt.
Und al-Zarqa hat einen provisorischen Stall gebaut, im ehemaligen Garten, erzählt er: Mit Dächern und Blech und Planen, und zusammengewürfelten Metallgittern und Brettern als Zaun. Allein an Schafen habe er vor dem Krieg über 500 besessen. Heute sind es etwa 75. Manche der Tiere, erzählt er, wurden bei Luftangriffen getötet oder geklaut, andere konnte er retten – und verkaufte sie dann während der Waffenruhe von Mitte Januar bis Mitte März.
Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.
Zehnmal mehr für ein Schaf
Al-Zarqa verkauft seine Schafe lebendig, der Käufer bringt sie dann zum Schlachter. Ein Tier, sagt er, koste derzeit 3.000 jordanische Dinar, über 3.700 Euro. Vor dem Krieg seien es etwa 300 Dinar gewesen, circa 370 Euro. „Wer kann sich das leisten?“, fragt er, und antwortet gleich selbst: „Internationale Organisationen von außerhalb des Gazastreifens“, die diese dann als Spende an die Bevölkerung verteilen lassen. Auch er selbst wird zum Opferfest kein Schaf schlachten. Manchmal, wenn Metzgerbetriebe bei ihm Tiere kauften, bringe er sie hin und nehme ihnen ein Kilo des Fleisches ab. Das muss reichen – für den 38-Jährigen, seine Frau und die neun Kinder.
Die Preise, die al-Zarqa verlangt, sind hoch, das weiß er. Er hat keine Wahl – Rohstoffe sind fast unbezahlbar geworden: Die Jungtiere selbst, erzählt er, seien viel teurer als vor dem Krieg. Während der Waffenruhe hätten sie den Beduinen im Süden des Gazastreifen einige abgekauft. Damals zog das israelische Militär aus dem Netzarim-Korridor ab – einer Straße, die den Gazastreifen horizontal zerschneidet, mit einer breiten Pufferzone. Dieser trennte während des Großteils des Krieges Nord- von Südgaza, während der Waffenruhe war die Passage wieder möglich. Nun, so berichten lokale Quellen der taz, ist der Korridor wieder unpassierbar.

Das Futter, sagt al-Zarqa, sei das größte Problem: Ein Sack koste über 2.500 Schekel, vor dem Krieg seien es 100 gewesen. Umgerechnet ein Preissprung von etwa 25 Euro auf fast 630 Euro. Auch medizinische Versorgung sei unerschwinglich geworden – oder gar nicht erst zu finden. „Die Preise haben sich mindestens verzehnfacht“, sagt er.
Abu Hasira, Fleischer
Dann begann der Krieg von Neuem
Dass der Preis für Schafe so hoch ist, beschäftigt auch Adham Abu Hasira. Auch er betrieb einmal eine Farm mit Schafen und Kühen. Sie existiert nicht mehr; wo sie einmal stand, baute die israelische Armee den Netzarim-Korridor. Die Times of Israel berichtete im vergangenen Winter, dass dieser etwa 47 Quadratkilometer Land einnehme. Das entspricht circa 13 Prozent der gesamten Landfläche des Gazastreifens.
Seine Farm sei von der israelischen Luftwaffe bombardiert worden, erzählt er – mit den Tieren darin. Dass das Gebiet evakuiert werden sollte, habe er nicht gewusst. „Der Angriff war ein Schock“, sagt er. Er selbst und seine Familie flohen dann in den Süden des Gazastreifens. Während der Waffenruhe seien sie wieder zurückgekehrt, in den Norden, nach Gaza-Stadt.
Wieder Tiere aufzuziehen, sei keine Option gewesen: Seit dem Ende der Waffenruhe Mitte März ist das israelische Militär im Netzarim-Korridor wieder präsent. „Mit den Tieren, dem gelagerten Futter und dem ganzen Equipment haben wir damals bestimmt eine halbe Million US-Dollar verloren“, sagt Abu Hasira.
Die Kosten, um die Farm an einem anderen Ort wieder aufzubauen, seien hoch, sagt er – zu hoch. Doch schon vor dem Krieg schlachteten Abu Hasira und seine Familie die Tiere auch, im Gegensatz zu Hammam al-Zarqa, dem Schafzüchter. „Der Verkauf von rotem Fleisch ist unser Geschäft“, sagt er. Und er baut sich nun ein neues auf: Während der Waffenruhe hat er mit seiner Familie eine kleine Fleischerei eröffnet.
Sie ist spärlich eingerichtet, die Metalltüren zur Straße hin sind rostig. Das Nachbarhaus ist schwer beschädigt durch den Krieg: Mehrere Wände fehlen, in den Fensterhöhlen hängen die Metallgerippe der Fensterrahmen. Eigentlich, erzählt er, habe er den Laden ausbauen wollen, ein Restaurant daraus machen. Doch dann begann der Krieg von Neuem.
In seiner kleinen Fleischerei kostet 1 Kilogramm Schaffleisch heute 240 Schekel – etwa 60 Euro. Ein ganzes Schaf koste ihn bis zu 20.000 Schekel, über 5.000 Euro. „Locker elf Schafe haben wir früher für solche Preise bekommen“, sagt er.
„Das muss aufhören, die Welt muss uns helfen“
Das Problem, sagt er, sei nicht nur, dass den Menschen das Geld fehlt. Im Gazastreifen gab es vor dem Krieg wie an den meisten Orten eine Mittel- und Oberschicht; Geld, das sie vor dem Krieg angespart hatten, liege auf ihren Konten. Doch an dieses Geld heranzukommen ist schwierig: Bankautomaten funktionieren nicht mehr. Etwa mit einer App der Bank of Palestine, ansässig in Ramallah im Westjordanland, kann man Geld an andere transferieren – aber es auszuzahlen, ist ungleich schwieriger und mit hohen Gebühren der Geldwechsler auf den Straßen verbunden.
In den palästinensischen Gebieten sind parallel mehrere Währungen im Umlauf: der israelische Schekel, der jordanische Dinar, aber auch der US-Dollar. Viele Farmer, sagt Abu Hasira, nähmen nur Bargeld, an das er kaum herankommt. Die meisten seiner Abnehmer derzeit, bestätigt er, sind Hilfsorganisationen.
Ashraf al-Sawwaf, der seiner Familie in diesem Jahr kein Opfertier kaufen kann, sucht täglich die Verteilungen der Hilfsorganisationen auf. „Wenn wir dort keine Mahlzeit auftreiben können, essen wir abends nur Weizengrütze und Thymian“. In dem Zelt nahe dem Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt, in dem er lebt, will er zum Opferfest trotzdem Verwandte empfangen. „Es ist das Erste ohne meine Schwester“, sagt er. Vor zwei Wochen sei sie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden, gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern. Nur die 22-jährige Tochter habe überlebt. Zum Opferfest wolle er sie besuchen.

Sechsmal, sagt er, sei er vertrieben worden in diesem Krieg. „Das muss aufhören, die Welt muss uns helfen“, sagt er und beginnt zu weinen.Es wäre eine Katastrophe, sagt Farmer Hammam al-Zarqa, wenn er noch einmal fliehen müsste.
„Ich würde versuchen, alle Schafe mitzunehmen. Doch es gibt keine Lastwagen und keinen Treibstoff, um sie so zu transportieren, wir müssten laufen.“ Er fürchte, dass sie sich dabei etwas brechen, vor Erschöpfung zusammenklappen, von Autos angefahren werden könnten. „Ich hoffe, dass sie zu diesem Opferfest alle verkauft und geschlachtet werden.“ Doch noch mehr hoffe er, „dass dieser Genozid endet – und die Menschen wieder die Möglichkeit haben, sich einfach Fleisch zu kaufen“.
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