piwik no script img

„Oktober in Europa“ der Antilopen GangDer Antisemitismus der anderen

Die Band Antilopen Gang macht mit ihrem neuen Track vor, was gerade sehr verbreitet ist: Deutsche Schuld wird auf andere abgeladen.

Die Band Antilopen Gang Foto: Danny Koetter

Die Band Antilopen Gang hat mit „Oktober in Europa“ einen neuen Song veröffentlicht – mit dem eigentlich löblichen Vorhaben, Antisemitismus zu kritisieren und der Hamas-Opfer zu gedenken.

Leider wirkt es aber auch hier so, als würde die Band in ein sich wiederholendes Muster verfallen: Viele, die sich zum Nahostkonflikt positionieren, scheinen damit vorrangig eine politische Agenda zu verfolgen.

So gibt es unter Palästina-Solidarischen oft auch solche, denen der Konflikt ein Vorwand ist, um den eigenen Antisemitismus auszuleben; und umgekehrt gibt es unter Israel-Solidarischen oft auch solche, denen der Konflikt ein Vorwand ist, um den eigenen antiarabischen oder antimuslimischen Rassismus auszuleben.

Als gäbe es nicht progressive Kräfte und schützenswerte Leben auf beiden Seiten – wobei allein die Idee von „zwei“ Seiten schon verkehrt und nationalistisch ist.

Der akute Mangel an Verstand und das Desinteresse am Menschlichen, mit denen diese diskursiven Fronten weiter ausgebaut werden, ist Rechthaberei auf dem Rücken von Menschenleben. Oder, mit den Worten von Ilija Trojanow vor wenigen Wochen in dieser Zeitung: „Wer die Verbrechen der Hamas gutheißt oder die Grauen der israelischen Angriffswellen ohne Wenn und Aber rechtfertigt, hat an seiner Seele Schaden genommen.“

Diesem Seelenschaden gesellt sich insbesondere in Deutschland (auch in Form dieses Lieds) noch ein weiterer Aspekt hinzu. Es scheint eine Sehnsucht im kollektiven Unterbewusstsein der Deutschen zu geben, sich der deutschen Schuld – auf welche Art auch immer – zu entledigen. So lässt sich auch die Antilopen Gang zu dubiosen Zeilen hinreißen, darunter insbesondere folgende: „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas / Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“.

Abgesehen von der Holocaust-Verharmlosung, die dem innewohnt, sowie der Reduzierung Zehntausender Toter auf die Funktion eines Schutzschildes: Die „Nachfahr'n der Juden Vergaser“ – sorry für den Spoiler – sind in erster Linie Deutsche. Wer dazugehört, sollte klarstellen, dass darin ein „Wir“ steckt und nicht „die anderen“. Die Täter-Abstammung jemand anderem anhängen zu wollen, die deutsche Schuld und Täterschaft also abzuwälzen, kann nicht im Sinne des Kampfs gegen Antisemitismus sein.

Wenig rühmlich und in dieselbe Richtung äußerte sich auch der Antisemitismus-Beauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume. Als im Dezember die Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr in einer DLF-Debatte von „Menschen mit Nazi-Hintergrund“ sprach und korrekterweise klarstellte: „Also wir, die wir hier sprechen“, unterbrach Blume sie empört: „Ekelhaft! Ekelhafter Spruch. Lasse ich mir nicht sagen. Deutsche mit Nazi-Hintergrund, was soll denn das bitte heißen?“. Augen auf bei der Berufswahl. Als Antisemitismus-Beauftragter hätte man sich zu dieser Frage mitunter am meisten Gedanken machen sollen.

Beide Beispiele verdeutlichen eine katastrophale Dimension der Selbstgerechtigkeit und der Geschichtsverklärung: Antisemitismus, das sind die anderen.

Die Steigerung dessen: Der Holocaust, das waren die anderen.

Diese Tendenz tritt zutage, wenn Deutsche die Verbrechen der Hamas mit dem Holocaust gleichsetzen. Darin steckt auch eine Sprachlosigkeit über das Grauen, man greift zu äußersten Mitteln, um es zu beschreiben – darin offenbart sich aber auch ein Bedürfnis, von eigenen Verbrechen abzulenken. Womöglich ist das eine neue Stufe dessen, was Max Czollek als Versöhnungstheater beschrieben hat: Alles ist gut, wir waren's nicht.

Doch die deutsche Schuld ist nicht zu tilgen. Der Kampf gegen Antisemitimus ergibt sich als Notwendigkeit aus dieser Schuld, aber er wird sie niemals beseitigen.

Nun werden Antilopen Gang oder Michael Blume womöglich erklären, das sei alles ganz anders gemeint. Fair enough. Vielleicht können sie Missverständnisse ausräumen. Sie müssten aber mindestens zugeben, dass ihre Worte eine Zweideutigkeit zugelassen haben, dass sie damit einen Nerv getroffen haben, wie die begeisterten Reaktionen von Regierungsvertretern bis Springer-Presse zeigen.

Wünschenswert wäre vor allem, auch bei anderen Äußerungen mehr Milde zu zeigen, mehr in die Debatte zu gehen, nachzufragen: Wie war das gemeint?

Denn aktuell ist es absurderweise so, dass antisemitische Geschichtsklitterung aus dem Munde von Deutschen meist keine Konsequenzen hat, solange sie sich dabei der israelischen Regierung gegenüber treu zeigen. Dagegen führt Kritik an der israelischen Regierung, oft auch von nichtdeutschen Juden und Jüdinnen, wie zuletzt der Philosophin Nancy Fraser, zur Aberkennung von Preisen und Posten. Das ist eine unhaltbare Schieflage.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

48 Kommentare

 / 
  • Ich möchte gerne bemerken, dass ich die Äußerungen zu Herrn Blume völlig unangemessen finde. Ich habe mir die genannte DLF-Sendung in ganzer Länge angesehen. Selbstgerecht finde ich eher die verallgemeinernde Bezeichnung "Menschen mit Nazi-Hintergrund" in diesem Zusammenhang. Ich sage das als jemand, der selbst nichts unerträglicher findet als die immer lauter werdenden Rufe nach einem "Schlussstrich" unter die deutsche Vergangenheit. Ja, insbesondere als Deutscher spüre ich das Gewicht der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus niemals vergessen werden. Die zitierte Bezeichnung hilft hier aber nicht weiter. Das Gespräch im DLF fand ich übrigens sehr konstruktiv, die kritisierte emotionale Reaktion Herrn Blumes wurde m.E. aus dem Zusammenhang gerissen. Herrn Blume frech "Augen auf bei der Berufswahl" zuzurufen finde ich völlig daneben in Anbetracht seines kontinuierlichen und mutigen Engagements und seiner Beiträge zum Thema.

  • Selbstgerechtigkeit und Geschichtsverklärung, se trifft es gut. Und einen Song zu dem Thema brauche ich nun wirklich nicht.

  • Nach der Lektüre der Kommentare, bin ich etwas stutzig, wie sehr hier mit rassistischen Kategorien, wie die Juden, die Araber, die Deutschen hantiert wird, so als gäbe es keine Menschen, sondern nur Gruppen und alle Menschen dieser Gruppe sind gleich, weil sie das selbe "Blut" haben, unterstellt wird dass ihr Handeln durch Ihre Kategorie bestimmt wird, so als gäbe es keine Regierung, keine Mächtigen und keine Un-mächtigen, so als wäre die Hamas wie alle Palästinensern als wäre es Palästinenser unmöglich keinen Judenhass zu verspüren, so als wären die Israelis alle wie die Netanjahu-Regierung. Wie kann man gegen Rassismus sein und genau diese Kategorien benutzen?



    Das ist das ganze Gegenteil von links. Anstatt die Machtstrukturen zu erkennen und zu kritisieren, wird auf ethnische Konstrukte zurückgegriffen, so als ob Ethnizität irgendetwas erklären würde, Ethnizität als Versuch die Welt zu erklären verschleiert den Blick. Menschen anhand ihrer Gruppenzuordnung zu kategorisieren ist Rassismus.

  • „Wer die Verbrechen der Hamas gutheißt oder die Grauen der israelischen Angriffswellen ohne Wenn und Aber rechtfertigt, hat an seiner Seele Schaden genommen.“



    richtig!



    "Deutsche mit Nazi-Hintergrund" "Doch die deutsche Schuld ist nicht zu tilgen."



    das Konzept der Erbschuld ist sehr bedenklich, gar gefährlich. Nicht weil es hier um Deutsche geht, sondern weil damit schon immer irgendwelche Völker in Generalhaftung genommen wurden, dass was sich hier richtig anfühlt, weil es uns betrifft, lässt sich sehr leicht umkehren und pervertieren.



    "Der Kampf gegen Antisemitimus ergibt sich als Notwendigkeit aus dieser Schuld,"



    richtig. Es ist unsere Pflicht dagegen anzugehen. Aber wegen der unserer Geschichte, nicht wegen einer Erbschuld.



    ", aber er wird sie niemals beseitigen."



    das ist sehr gefährlich. Die Taten unserer Vorfahren werden nie ungeschehen, richtig. Aber die Schuld wird nicht vererbt. Da wird ein Postulat erstellt, dass Schuld durch Blut vererbbar sei, das nicht das Individuum und sein Handeln zählt, sondern das Blut. Aber genau davon müssen wir weg, gerade wenn wir Antisemitismus bekämpfen wollen. Es zählt das individuelle Handeln und nicht das, was das Konstrukt Nationalität jedem einzelnen anhängt. Tun wir das, fällt es uns auf der anderen Seite wieder auf die Füße.



    "Sie müssten aber mindestens zugeben, dass ihre Worte eine Zweideutigkeit zugelassen haben,"



    es gibt immer 2 Interpretationen und zwar jeder Äußerung. Es gibt nicht nur den Sender (mit seiner Intention), es gibt auch einen Empfänger ( mit seiner gefilterten Wahrnehmung). Das ist immer so. Vlt wollte Her Blume, darauf hinweisen, dass wir das Konzept einer Gruppenidentität / -schuld nicht auf der einen Seite ablehnen können und es auf der anderen Seite benutzen können, nur weil es gerade passt? Ich kenne Herrn Blumes Absichten nicht, aber das wäre zumindest denkbar.

  • Ich hoffe die Israelis werden die Hamas und die LQBT-feindlichen Unterstützer im Iran dauerhaft besiegen. Leider befürchte ich eine extreme Eskalation die viele Millionen Tote bedeutet, Juden und Araber.

  • Ich hab’s mir vorhin angehört und fand es ein bisschen zu gewollt. Die von der Autorin aufgeworfenen Kritikpunkte kann ich aber auch nicht nachvollziehen, der Text ist doch eigentlich fast ein bisschen zu „ on the nose“ und daher klar, wer mit „Nachfahren der Judenvergaser“ gemeint ist.

    Auch die angesprochene Debatte über Menschen (oder Deutsche) „mit Nazihintergrund“ finde ich ein bisschen schwierig wiedergegeben. Solche Etikettierungen sind ungenau und fragwürdig, ich würde mich jedenfalls auch gegen eine solche Etikettierung wehren, da ich nicht aus einer Nazifamilie komme, es aber auch Leuten, in deren Vorfahrenschaft es Nazi-Mitglieder und -Mitläufer gab, nicht vorhalten wollen würde. Es kommt wohl eher darauf an, wie sie damit umgehen und es für sich reflektiert haben.

    • @Karla Columna:

      Da sind sich wohl die „Künstler“ mit der rechtsradikalen Szene einig, dass nur Blut und Herkunft einen Deutschen ausmachen.

      • @Abraham Abrahamovic:

        Was diese Frage angeht, macht es schon etwas aus. Sie werden einer Person mit türkischem Migrationshintergrund, die in der dritten Generation hier lebt, kaum Vorwerfen können "Nachfahre der Judenvergaser" zu sein, auch wenn die Person Deutsche/r ist.

        So schwer ist es wirklich nicht.

  • Die These von der Schuld, die alle Deutschen gleichermaßen betrifft, finde ich etwas abenteuerlich. Der Vater meines Vaters war im KZ Sachsenhausen und hat nach der Befreiung VdN-Rente bezogen. Er war kein Jude sondern wie seine Frau überzeugter Kommunist. Mein Vater kann lebhaft berichten, wie bedrückend die Stimmung zu Hause war, wenn sein Vater mit anderen ehemaligen Insassen im heimischen Wohnzimmer saß und sie gemeinsam zur Bewältigung immer und immer wieder die Lagergeschichten referierten.

    Soll man diese Leute ernsthaft für die Verbrechen des NS-Regimes in die Haftung nehmen?

    • @wintermute:

      Ja.

      Diese Haftung nennt sich Erbschuld. Sogar, wenn dein Vater nicht an den Nazi-Verbrechen beteiligt war, so ist es eine Pflicht, an die grausamen Taten zu erinnern, sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ganz besonders, sie niemals wiederholen zu lassen.

      Und mit der Erzählung von Lagergeschichten wird ein guter Teil der Erbschuld eingelöst.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Nomen est omen

      • @Troll Eulenspiegel:

        holla die waldfee, sie wollen Rassismus, der Menschen anhand ihrer vermeintlichen Herkunft in Kategorien einteilt und bewertet mit dem Konzept der Erbschuld bekämpfen? Da wird ein X zu einem U gemacht, das ist der gleiche Wein in einem anderen Schlauch, nur weil es gerade passt.



        Wenn es Ernst ist mit Antirassismus, dann sollten wir die Finger von solchen Erb und Blut-unfug lassen!

        • @nutzer:

          Rassismus gehört immer bekämpft und viele Mittel sind dazu recht. Aber eine Erinnerungskultur und eine uneingeschränkte Solidarität gegenüber benachteiligten Menschen über Generationen weiterzugeben und weiterzuleben sollte nun keine große Kraftanstrengung sein. Es sollte selbstverständlich sein.

          Das hat in Deutschland leider nicht geklappt. Freie Religionsausübung des Judentums leider nur in den eigenen vier Wänden, statt sichtbar auf der Straße.

          • @Troll Eulenspiegel:

            „ Das hat in Deutschland leider nicht geklappt. Freie Religionsausübung des Judentums leider nur in den eigenen vier Wänden, statt sichtbar auf der Straße“



            Das ist kein deutsches Phänomen, es passiert leider fast überall auf der Welt.

  • Der reflexhafte - weil offensichtlich kaum einmal durchdachte - Vorwurf die Antilopen-Gang (ernsthaft?!) würde in dem Text versuchen, entweder den Holocaust zu relativieren oder Antisemitismus auf Muslime/Araber abwälzen, sagt mehr über das Reizreaktionsmuster, die politische Gesinnung und die mangelnde Fähigkeit zur sprachsensiblen Lektüre der Autorin, denn über den Liedtext aus. Wer "Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser" nicht als Referenz, auf die schon in der ersten Strophe besungene, links-deutsche Hamasapologie erkennen kann oder will, wird auch die doppelte Wahrheit dieser Zeile nicht begreifen wollen, dass nämlich Hamas und Hisbollah als Proxy des Irans heute tatsächlich das Programm der Judenvergaser fertigstellen wollen. Vielleicht setzt sich die Erkenntnis, dass beides zutreffen kann, erst beim zweiten Anhören so richtig durch...

    • @Hersh_Mendel:

      Das gleiche habe ich auch gedacht....

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    mensch lea … ist echt doof, wenn aus linkem kulturkontext mal klar gegen antisemetismus stellung bezogen wird … kann man feiern ( … wenn man eher die linken solidaritätsbekundungen pro hamas, terror und die vernichtung allen jüdischen lebens geil findet, kann man halt auch schlechtfundierte textexegese betreiben, in der wenig korrespondiert. a) zehntausende tote zivilisten ist nicht deckungsgleich mit ‚zivilisten in gaza sind schutzschild der hamas‘. b) bei den nachfahr‘n der juden-vergaser ist für mich klar von den ‚gedanklichen‘ nachfahr‘n auszugehen. könnte man mit ein wenig milde auch sehen, den die realen sind ja wir.

    und wie oft sollen die antilopen denn noch konstatieren, bei wem sie die schuld verorten?

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Zumal Koljah von der Antilopen Gang vor gar nicht so langer Zeit, 2021, auch das Lied "Nazis rein" gemacht hat, in dem die die Ablehnung dieser Idee des geläuterten Deutschlands" ("Antifaschismus als die Suche nach den wahren Deutschen") sehr eindeutig formuliert wird.

  • Es gibt hier offensichtlich eine Menge Antilopen-Fans, die den Artikel zum Schutz ihrer Lieblinge bewusst missverstehen.



    Es geht nicht darum, was die Antilopen vielleicht gemeint haben könnten oder nicht, sondern was sie tatsächlich sagen. Sie wären nicht die ersten, die etwas raushauen, ohne sich der inhaltlichen Dimension bewusst zu sein. Falls doch, wäre es eindeutig eine offene Relativierung des Holocaust.



    Frau Fauth weist völlig zu Recht auf die zunehmende Selbstgerechtigkeit und Geschichtsklitterung hin.

    • @waigelghost:

      Unabhängig vom Inhalt ist es schlicht nicht möglich, festzustellen, was die Antilopengang tatsächlich sagt. Sollte eigentlich aus dem Deutschunterricht bekannt sein.

    • @waigelghost:

      Frau Fauth spricht sicher ein legitimes Anliegen. Allerdings eignet sich dieses Lied gar nicht als Beispiel dafür. Sie wirft der Antilopengang hier etwas vor, und stützt sich maßgeblich auf die Zeile mit den "Nachfahren der Judenvergaser". In dieser Zeile sind völlig eindeutig die deutschen Linken Hamasapologethen gemeint, das ganze Lied geht nur um diese Leute.

      "gemeint haben könnte": Da erkenne ich überhaupt keinen Interpretationsspielraum und daher verstehe ich auch, das Fans und wie ich nicht-fans sich darüber ärgern. Bisher habe ich auch keinen Kommentar gelesen, der das Anliegen der Autorin missbilligt, sondern lediglich ihr gewähltes Beispiel.

    • @waigelghost:

      Sehr korrekt und treffend. Danke!

  • 1. Die „Reduzierung Zehntausender Toter auf die Funktion eines Schutzschildes“ ist kein bloßes rhetorisches Stilmittel der Antilopen Gang: die Palästinenser werden von der Hamas tatsächlich auf Schutzschilde reduziert. Ganz real. Der Skandal besteht in dem, was die Hamas tut, und nicht in der Pietätlosigkeit von denen, die das aussprechen. Sich auf den Überbringer der schlechten Botschaft zu stürzen, war noch nie eine gute Idee, in diesem Fall erst recht nicht.

    2. „Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ bezieht sich gerade auf Deutsche mit Nazihintergrund, die „free palestine from german guilt“ skandieren und damit die Palästinenser als Schutzschild für ihre Schuldabwehr missbrauchen. Angesprochen ist hier also die psychologische Funktion der Palästinenser für Antisemiten. Und das ist auch keine Holocaust-Verharmlosung.

    3. Wenn man das derart missversteht und glaubt, dass sich „Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ auf die Hamas bezieht, dann ist es durchaus möglich, dass die reale Verbindung der palästinensischen Nationalbewegung zum Dritten Reich bei dem Missverständnis eine Rolle spielt. Wenn dies der Fall ist, dann gehört das aber auch explizit angesprochen, auch deshalb, weil man davon ausgehen muss, dass diese Dinge nicht allen Lesern bekannt sind.

  • In anderen Zeitungen habe ich da schon tiefschürfendere Analysen des Textes gelesen.

    Kleine Anregung zur Lektüre: Die Rolle des Mufti von Jerusalem sollte von der Autorin mal rechercheriert werden. Das könnte den Horizont erweitern.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Ja, ein schlimmer Nazi und eine gerne ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellte historische Figur, aus der viel "Araber = Nazis" rausgepresst wird. Ich werde diese historische Figur nicht verteidigen, nur darauf hinweisen, dass sie in einer Zeit lebte, in der sich in der südlichen Levante konkurrierende Nationalismen heißliefen (sah auch Ben Gurion so). Als Vertreter des arabischen Nationalismus, der eine seit 50 Jahren anhaltende Einwanderungswelle von Jüd*innen erlebte, die Ansprüche auf das Gebiet geltend machten und von der britischen Mandatsmacht in seinen Augen bevorzugt wurden (Balfour-Deklaration), war er anfällig für Der-Feind-meines-Feindes-Dynamiken. Ähnlich: Subhash Chandra Bose in Indien, der mit der Indischen Legion für Nazi-Deutschland kämpfte. Was ich sagen will, ist, dass es in der Tat horizonterweiternd ist, sich genauer genauer mit den Totschlagargumenten im eigenen Arsenal und in dem der Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Also in etwa das zu tun, was der Meinungsbeitrag vorschlägt.

      • @My Sharona:

        Eine gute Beziehung zu deutschen Nazis hatte nicht nur der Mufti. Auch die PLO ermöglichte in den 1980er Jahren der faschistischen Wehrsportgruppe Hoffmann Trainingsaufenthalte in Lagern im Libanon. Linke haben wahrscheinlich nur die Gastfreundschaft der PLO gegenüber den linken Terroristen in Erinnerung. Die Verbindung der PLO mit den Faschisten wird gern verdrängt.

  • Das ist eine Analyse, die leider über die Grenzen der deutschen Blase nicht hinauskommt; die Bezüge der Massaker vom 7. Oktober zum Holocaust kamen nämlich nicht aus dem hiesigen Diskurs, sondern aus Israel. Wer, wenn nicht die Jüdinnen und Juden des Staates, der in der Folge des Holocausts (wieder-) gegründet wurde, könnte diese Beurteilung treffen? Und genau darüber sollten wir uns nicht erheben, auch nicht in wohlmeinenden Kommentaren. Das geht, wie man hier sieht, schief.

    • @Markus Wendt:

      Das ist eine unterverständliche gehirnakrobatische Volte! Selbst wenn es in Israel Leute gibt, die Geschehnisse des 07.Oktober mit der Erinnerung an Geschehnisse während des Holocaust vergleichen, wird der Holocaust damit für uns Deutsche nicht relativiert!



      Die Autorin dieses Artikels hat vollkommen recht. Denn der Holocaust stellt in seiner Bösartigkeit und Vernichtungswut ein singuläres historisches Ereignis dar. Das bleibt. Für immer.

      • @maria2:

        Damit gebe ich Dir völlig Recht. Das meinte ich auch mit den verschiedenen Verortungen. Aber die Antilopen Gang ist wohl weit entfernt davon, den Holocaust relativieren zu wollen.

      • @maria2:

        Aber jetzt mal ehrlich, Sie gehen doch nicht wirklich davon aus dass die Antilopen Gang den Holocaust in irgendeiner Form relativieren wollte? Ich habe das Lied mehrfach gehört, und da gibt es Null Tendenzen in diese Richtung.

        Eigentlich sollte dieses Lied die linke Kulturszene mal wachrütteln.

  • Ist ja was dran an der Kritik.

    Dennoch möchte ich zu bedenken geben, dass dieser Track die erste und meines Wissens einzige Kulturproduktion überhaupt, die sich kritisch mit dem Schweigen und dem Versagen vor allem des Kulturbetriebs auseinandersetzt.

    Das will schon was heißen

  • Ne, sorry. Das hat nicht so gut geklappt. Song gehört, Text nicht verstanden. Passiert schon mal.



    Die deutsche Schuld ist superpräsent bei den Antilopen. Das Schutzschild für die Nachfahren der Vergaser heißt, dass wir Deutschen die toten Palästinenser:innen missbrauchen, um darüber Israelkritik und darüber sekundären Antisemitismus zu legitimieren. Etwa: Die Israelis (und damit in dieser Lesart alle Jüd:innen) sind ja genauso schlimm, wie die Deutschen damals, ergo Holocaust war doch nicht so schlimm.



    Genau diese Relativierung und Verharmlosung der deutschen Schuld und er Shoah prangert der Song doch an.

    • @anachronist:

      Danke, warum scheint es so schwer zu sein das Offensichtliche zu rezipueren und stattdessen eine Relativierung zu konstruieren, die ich weder im Song noch im Gesamtwerk der Antilopen Gang jemals gefunden habe.

    • @anachronist:

      Habe ich ganz genauso verstanden. Ich war wirklich irritiert von der hier vorgestellten Interpretation.

    • @anachronist:

      Ich denke auch, genau darauf läuft es hinaus.

    • @anachronist:

      Genau so habe ich den Text auch verstanden, zumal die kritisierte Stelle eindeutig eine Aufzählung ist: Schutzschild



      - der Hamas



      - der Nachfahren der Juden-Vergaser



      - der „sonst immer so mutigen „Bla bla, nie wieder bla bla“-auf-Instagram-Sager

    • @anachronist:

      @Anachronist: Genau so ist es. "Nachfahren der Juden-Vergaser" ist ein Synonym für "Menschen mit Nazi-Hintergrund". Also insbesondere für "Deutsche", aber auch für die Nachfahren des Mufti von Jerusalem und anderen Kollaborateur:innen. Die "Zivilisten in Gaza" dienen zwei verschieden Gruppen als Schutzschild.

      Nun hat die Autorin selbst diesen Satz geschrieben: "Die „Nachfahr'n der Juden Vergaser“ – sorry für den Spoiler – sind in erster Linie Deutsche." Es fragt sich daher, warum sie sich bei der Interpretation des Texts nicht an ihr eigenes Wissen hält. "Dubios" ist nicht die Zeile der Antilopen Gang, sondern dass der Autorin die naheliegende Deutung nicht einfällt. Denn es gibt ja noch genügend Hinweise im Text, dass es so gemeint ist. Insbesondere die beiden von ihr nicht zitierten Zeilen direkt danach: "Schutzschild der sonst immer so Mutigen / „Blabla, nie wieder Blabla“-auf-Instagram-Sager". Denn die "sonst immer so Mutigen" und die "nie wieder-Instagram-Sager" sind ja gar nicht mehr mit Hamas assoziierbar. Es handelt sich also um eine Aufzählung mehrerer Gruppen, die sich mit dem Verweis auf die Zivilbevölkerung vor etwas schützen wollen. Die einen vor der gegnerischen Armee, und die anderen vor der Wahrnehmung des antisemitischen Hasses.

  • Bis auf den Satz mit den Nachfahren, den ich ehrlich gesagt einfach nicht verstehe wenn über Palästinenser gesprochen wird, kann ich alles was im Lied vorkommt unterschreiben.



    Was haben die Israelis für eine Wahl? Zivile Opfer in Gaza sind auf ein Minimum zu halten, aber die Hamas macht das unmöglich indems sie sie als Schutzschilde benutzt. Trotzdem tun mit die Menschen in Gaza leid, von denen ein sehr großer Teil (nicht alle natürlich) allerdings auch gerne ihre "Märtyrer" bejubelt. Auch Netanjahu ist ein Verbrecher, trotzdem muss die Hamas vernichtet werden wenn sich der 7.10. nicht wiederholen soll. Mitgefühl scheint vielen abhanden gekommen zu sein. Wer es aushält soll sich Videos vom 7.10. anschauen dann versteht man warum Gaza gerade in Grund und Boden gebombt wurde. Nicht das das gut wäre, aber leider wohl auch unvermeidlich wenn Israelis in Frieden leben wollen. Gleichzeitig müssen die Siedler gestoppt werden und eine zwei Staatenlösung als einzig friedenstiftende Maßnahme wieder auf den Tisch!

  • Ich vermute, ob die Antilopen Gang meint nicht die biologischen Nachfahren der Nazis, sondern die geistigen Nachfahren.

    Was viele Hamas Mitglieder machen würden, wenn Sie einmal dürfen, hat man im November gesehen.

    So interpretiere ich den im Artikel angesprochenen Inhalt.

    • @Müller Christian:

      Zustimmung. Dass sich das Nazi-Reich in Gaza und Ramallah eines - vorsichtig ausgedrückt - nicht ausschließlich historisch motivierten Interesses erfreut, ist ja nichts Neues, vergleich hier im keineswegs der Parteinahme für Israel verdächtigen DLF: www.deutschlandfun...alaestina-100.html

      Das passt halt nicht so gut ins einseitige Täter-Opfer-Narrativ.

  • Gerade beim Nahostkonflikt fällt mir auf, das immer wenn man in irgendeinen Text zuviel hineinpacken will, geht es schief, weil das gesamte Terrain mit Narrativminen gepflastert ist.

    Manchmal stapeln die Feinde ihre Minen sogar übereinander.

    Von daher konnte das nur schiefgehen. Insbesondere wenn man dann noch so fehlerhaft assoziierte Sätze reimt wie "Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ für die Hamas. Da hätte ich von Danger Dan mehr Genauigkeit erwartet.

    Die Hamas wollen Israel zwar beseitigen, aber es gibt da auch einen echten (militärisch begründeten) Konflikt als Grundlage. Den gab's bei den Nazis und den Juden nicht.

    Aber das ist jetzt vermutlich schon wieder zu viel geschrieben. (s.o.)

    • 8G
      81283 (Profil gelöscht)
      @Sonntagssegler:

      „Die Hamas wollen Israel zwar beseitigen, aber es gibt da auch einen echten (militärisch begründeten) Konflikt als Grundlage.“

      Das ist ja lässig. Whataboutism hoch irrlicht.

    • @Sonntagssegler:

      Es geht nicht um biologischen Nachfahren der Nazis, sondern die geistigen. Es gibt kein Kontext, der das vergewaltigen von Frauen oder die Tötung von Säuglingen legitimiert. Weder auf israelischer, noch auf palästinensischer Seite.

      Die Hamas möcht die Auslöschung des Judentums in der arabischen Welt, wenn nicht auf der ganzen Welt und entmenschlicht jüdische Menschen. Mehr Nazi kann man nicht sein.

  • Eine sehr richtige und wichtige Einordnung, die ihr Artikel vornimmt! So unsäglich der Vergleich der Hamas mit Nazideutschland ist, so sehr schadet die Gleichsetzung Israels mit dem Judentum Menschen jüdischen Glaubens weltweit. Das eine grenzt an Holocaustverfälschung und Übertragung deutscher Schuld, das andere an Antisemitismus. Beides entspringt oft einer islamophoben Grundhaltung. Ist also in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Beides wird in Deutschland oft sogar von offizieller Seite aus, als Ausdruck deutscher Staatsräson, falsch verstanden. Dieser Irrsinn muss endlich offen debattiert und entsprechend zurückgewiesen werden. Gerade Deutschland hat hier eine deutlich größere Verantwortung als einfach der Formel "bedingungloser und uneingeschränkter Solidarität mit Israel" zu folgen. Heute ist die erste Anhörung im Prozess gegen Deutschland wegen Begünstigung eines möglichen Völkermords. Deutschland mit seiner "Verpflichtung zum "Nie wieder" gibt aktuell Anlass zur Besorgnis und ein zutiefst beschämendes Bild ab.

    • @Erni:

      Mit der "bedingunglosen und uneingeschränkten Solidarität mit Israel" und der Verpflichtung zum "Nie wieder" als das Existenzrecht des Staates Israel, als Staatsziel, vor unserer Geschichte finde ich richtig.



      Die Politik der jeweiligen Regierungen Israels darf und wird hier häufig seriös kritisiert, ohne des Antisemitismus verdächtig zu sein, finde ich richtig.



      Die Klage, eines autoritär regierten Staates vor dem IGH, der ansonsten nichts für die Rechte der Palästinenser tut, beschämt mich nicht und erscheint mir von anderen Interessen geleitet.

    • @Erni:

      "So unsäglich der Vergleich der Hamas mit Nazideutschland ist"

      Wieso ist der Vergleich unsäglich? 1200 Tote (die meisten Juden) am Tag und die Art des Todes haben durchaus Nazi-Qualität. Mit noch mehr "Freiheitskämpfern" hätte die Hamas durchaus die Zahlen von Babyn Jar erreicht. Der Wille dazu ist vorhanden; schriftlich, mündlich und in Taten dokumentiert. Die Rücksichtslosigkeit im Umgang mit der eigenen Bevölkerung, das erklärte Ziel Juden abzuschlachten, wo immer es nur geht - da ist der Vergleich mit Nazideutschland durchaus sinnvoll.

      Ich finde es eher unsäglich, die Parallelen zu leugnen.

    • 8G
      81283 (Profil gelöscht)
      @Erni:

      Hamas, Terror, Geiseln …

  • Die Musiker haben sich in der Vergangenheit mehr als genug politisch positioniert, um eine klare Interpretation für eine unsichere Hörerschaft zu ermöglichen. Und wieso wird die Ausladung von Nancy Fraser von einer Ehrenprofessur mit der Antilopen Gang in Verbindung gesetzt? Das wirkt schon sehr herbeikonstruiert und hat nichts mit dem Song zu tun. Fraser hat zudem mit ihrer Unterschrift stellvertretend zum akademischen und kulturellen Boykott aufgerufen und regt sich in Artikeln über Cancel Culture auf – die Antilopen Gang kritisiert mit einem Song die aktuellen Zustände und spiegelt das Gefühl vieler Betroffener wider. Aber sie haben scheinbar einen sehr wunden Punkt getroffen, wenn so viele Artikel zum Thema verfasst werden.