Ökozid im Krieg: Tödliche Schallwellen im Meer
Im Schwarzen Meer sterben unzählige Delfine. Schuld daran sind die Bombenangriffe, die zu akustischen Traumata bei den Meeressäugern führen.
E ndlich kann ich wieder am Meer spazieren gehen. Mit Beginn des Herbstes wurden die Tafeln mit der Aufschrift „Vorsicht, Minen!“ an vielen Stränden Odessas abgenommen. Der Zugang zum Wasser ist damit wieder möglich. Richtig schwimmen zu gehen ist zwar nach wie vor gefährlich, aber die Odessiten sind schon froh, dass sie einfach nur die Hand wieder ins Meer tauchen können.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Auf einem Spaziergang an einem meiner Lieblingsstrände machte ich einen schrecklichen Fund. Ein toter Delfin war ans Ufer gespült worden. Ich rief einen mir bekannten Ökologen an, der innerhalb einer Stunde mit seinen Kollegen am Strand eintraf. Das Tier zu drehen oder auch nur anzufassen war bis zum Eintreffen der Fachleute streng verboten. Der Grund: Die Ökologen mussten zuerst die Todesursache klären.
Vor dem Krieg starben Delfine vor allem durch Netze von Wilderern. Das erkennt man an charakteristischen Flossenverletzungen. Der von mir gefundene Delfin hatte keine Wunden oder andere Verletzungen, die zu seinem Tod hätten geführt haben können. Nach Meinung der Ökologen war er aufgrund von Explosionen auf See und der Sonartechnik der Kriegsschiffe gestorben. In den Gewässern des Schwarzen Meeres ist seit Kriegsbeginn ein Dutzend russischer Schiffe im Einsatz. Die auf ihnen befindlichen Sonarsensoren senden starke Schallwellen aus.
Bereits 5000 tote Delfine
Delfine gelangen in die Bereiche, in die diese Geräte ausstrahlen, und dann versagen ihre eigenen Navigations- und Echoortungsorgane. Das bedeutet, dass Delfine und andere walähnliche Meeressäuger im Schwarzen Meer sehr starke akustische Traumata erleiden, die zu ihrem Tod führen.
Ich war unglaublich traurig, als ich erfuhr, dass derartige Funde in der Ukraine häufig vorkommen. Die Ökologen berichten von einem echten Ökozid und nennen schreckliche Zahlen. Vor Odessa wurden seit Kriegsbeginn 44 tote Delfine gefunden.
Ivan Rusev, promovierter Biologe des Nationalen Naturparks Tuslyer Limane, berichtete, dass in den Gewässern des Schwarzen Meeres schon 5.000 tote Delfine gefunden wurden. Nur etwa 5 Prozent aller getöteten Tiere werden überhaupt an Land gespült. Die übrigen 95 Prozent sinken auf den Meeresgrund und können vom Ufer aus gar nicht entdeckt werden.
Nach Angaben von Ökologen beläuft sich die ungefähre Todeszahl dreier walähnlicher Meeressäugerarten im Schwarzen Meer auf 50.000. Zum Vergleich: Bis zu Beginn des Krieges wurden in einem ähnlichen Zeitraum höchstens 4 durch Wilderer getötete Delfine gefunden.
Die Strafverfolgungsbehörden in Odessa eröffnen Verfahren wegen des Massensterbens von Schwarzmeerdelfinen und anderen walähnlichen Meeresäugern. Doch nur ein Ende des Krieges und der Abzug russischer Kriegsschiffe kann die Bewohner des Schwarzen Meeres retten.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Die taz Panter Stiftung stellt das Projekt „Krieg und Frieden – Ein Tagebuch“ und ihre Kampagne zur Unterstützung unabhängiger Medien in Osteuropa vor. Wann? Am Dienstag, 6. Dezember, 19 Uhr im Theaterhaus Stuttgart
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen