piwik no script img

Nukleare DrohungenAngst ist ein lautes Gefühl

Luisa Faust
Kommentar von Luisa Faust

Raketen fliegen, viele haben Angst. Und trotzdem müssen wir sie aushalten und nicht auf die erstbesten Idioten reinfallen, die Sicherheit versprechen.

Ein Angstmacher Foto: imago

D as erste Mal ist mir die Angst vor einem Atomkrieg auf einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine begegnet. Das ist schon fast drei Jahre her. Russland hatte da gerade seinen Angriff auf die Ukraine ausgeweitet, die Bilder in den Nachrichten waren bestimmt von vorrückenden Panzern. „Zeitenwende“, Sondervermögen, Schützengraben, Helme – große Wörter und Angst überall.

Die Freundin, die mit mir zwischen all den Menschen am Brandenburger Tor stand, fragte auf dem Heimweg, ganz leise: „Und was ist, wenn Putin jetzt wirklich eine Atombombe wirft?“ Ich versuchte, ihre Sorge zu entkräften, durch Argumente, die mir rational erschienen: „Niemand hat Interesse an einer nuklearen Eskalation, das wäre doch vollkommen wahnsinnig. Das ist nur Drohgebärde.“

Diese Gewissheit ist in den letzten Jahren, Monaten und Wochen geschrumpft. Die Angst vor einer weiteren globalen Eskalation, die Furcht vor einem dritten Weltkrieg, vor einer nuklearen Selbstzerstörung der Menschheit, die spüren immer mehr Menschen. Und sie wird geschürt, von Putin bewusst eingesetzt, um uns einzuschüchtern.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine bewegt sich von einer Eskalationsstufe in die nächste: nordkoreanische Soldaten und eine neue Nukleardoktrin, amerikanische Langstreckenraketen, russische Interkontinentalraketen.

Unsere Angst ist nichts gegen die Angst der Ukrai­ne­r*in­nen

Die Angst vor einer weiteren Eskalation, die wir hier empfinden, in unseren beheizten Wohnungen und mit unseren vollen Supermarktregalen, ist selbstverständlich nichts gegen die Angst, die Ukrai­ne­r*in­nen spüren müssen, während Bomben auf ihre Häuser fallen. Aber Angst verstummt durch solche Vergleiche nicht. Niemand hat jemals seine Angst verloren, weil man ihm sagte, sie sei unbegründet oder lächerlich.

Jetzt Angst zu haben ist sogar vernünftig: Die vergangenen Jahre und Monate haben gezeigt, dass Krisen wahrscheinlich sind. Die Klimakrise sorgt für immer mehr Naturkatastrophen. Die Coronapandemie hat bleibende Brüche, viele Tote und dauerhaft Kranke hinterlassen. Amerika hat erneut den autoritären Trump gewählt, die Ampelregierung ist geplatzt, die politische Zukunft Deutschlands ist ungewiss. Die AfD wird in Umfragen immer stärker.

Angst ist ein lautes Gefühl, sie lässt sich schwer ignorieren. Das hat einen Zweck. Sie soll uns davor schützen, dass wir uns in Gefahr begeben. Sie soll uns dazu zwingen, uns vorzubereiten. Aber wir können sie bewältigen, wenn wir sie anerkennen, innehalten, nachdenken und Handlungsoptionen abwägen. Wenn wir das nicht machen, wird Angst zur Panik und bei Panik helfen nur noch schnelle Lösungen, einfache Wege.

Rechte Po­pu­lis­t*in­nen bieten solche einfachen Lösungen, versprechen Sicherheit, auch wenn sie keine geben können. Die Wahrheit ist, dass niemand weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Wir wissen nicht, wie Putin sich verhalten wird, ob mehr oder weniger Waffenlieferungen an die Ukraine noch mehr Eskalation wirklich verhindern können.

Wie wird es uns in fünf Jahren gehen?

Genauso wenig wissen wir, wie es uns persönlich in fünf Jahren geht. Werden wir eine schwere Krankheit kriegen? Wird unsere Ehe geschieden? Wird unser Mietvertrag gekündigt? Werden wir arbeitslos?

Unsere Angst vor dem Unheil und unsere Angst davor, das Falsche zu tun, entlässt uns nicht aus der Verantwortung, schwere Abwägungsprozesse zu durchlaufen, zu schauen, welches die beste Lösung sein könnte, und sich darauf vorzubereiten, dass auch alles ganz anders kommen könnte als wir es uns vorgestellt haben.

Es gilt die Unsicherheit auszuhalten. Vielleicht gelingt das besser, wenn wir in die Vergangenheit schauen: Im September 1983 findet eine Anhörung im US-Repräsentantenhaus statt. Die Welt ist da gerade, ausgelöst durch einen Fehlalarm, knapp an einem umfassenden Atomkrieg zwischen der Sowjet­union und dem Westen vorbeigeschlittert.

Im Kongress sind als Zeu­g*in­nen Kinder und Jugendliche geladen, um über ihre Angst vor einem Atomkrieg zu sprechen. Ein zwölfjähriger Junge sagt: „Ich denke fast jeden Tag über die Bombe nach. Es macht mich traurig und niedergeschlagen, wenn ich darüber nachdenke, dass sie abgeworfen wird. Ich hoffe, ich werde bei meiner Familie sein, ich möchte nicht alleine sterben.“

Der Zwölfjährige ist heute wahrscheinlich ein 53-jähriger Mann. Seine Angst, an einer Atombombe zu sterben, ist nicht wahr geworden. Der nuklearen Aufrüstung im Kalten Krieg folgten Jahre der Abrüstung, neue Atommächte kamen hinzu, es gab weitere Kriege, Finanzkrisen, eine Pandemie. Wahrscheinlich wurde das Leben dieses Mannes letztendlich von anderen Sorgen bestimmt – um seine Kinder, seine Ehe, seinen Job.

Wahrscheinlich ist auch, dass seine Kinder heute die gleichen Ängste haben wie er damals. So fatalistisch das klingt: mit Angst müssen wir leben. Und wir können das.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Luisa Faust
Volontärin bei der wochentaz
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ich habe diese Angst überhaupt nicht. Abgesehen davon wäre mir ein kurzes atomares Inferno lieber als ein quälend langer konventioneller Kriegs. Bums und Weg. Das Leben wird überleben, und dann wird es weitergehen.

  • Warum konnte der Westen Russland nicht isolieren?

    Obwohl Russland mit dem Angriff auf die Ukraine eindeutig gegen das Völkerrecht verstoßen hat, scheint Russland auf der internationalen Bühne nicht isoliert zu sein – im Gegenteil: Der Westen wirkt zunehmend isoliert. Aber warum? Die Antwort ist simpel: Die Welt hat genug von der Heuchlerei des Westens. Begriffe wie Menschenrechte, Demokratie und Frauenrechte werden oft als Werkzeuge benutzt, um politische Interessen durchzusetzen, anstatt wirklich universelle Werte zu vertreten.

    Das sieht man ganz klar im Palästina-Konflikt: Wenn dort hunderte oder gar zweihundert Menschen täglich getötet werden, schafft es kaum eine Schlagzeile in die westlichen Medien. Aber wenn in der Ukraine fünf Menschen sterben, ist es überall eine Top-Schlagzeile. So schlimm das Leid in der Ukraine auch ist, der Rest der Welt hat zunehmend das Gefühl, dass für den Westen ein weißes Leben mehr zählt als ein nicht-weißes.

    • @India:

      Genauso werden wir uns rasch einigen: Lieber die US-Amerikaner oder die Europäer als Putin oder Xi.



      Angst als Warnung wahrzunehmen, ihr aber nicht die Leitung zu übertragen, hilft wohl auch hier.



      Ansonsten bin ich sofort dabei, an Westsahara, Sudan, Palästina genauso wie an die Ukraine zu denken. Netanyahu sogar noch zu unterstützen gerade kann es jedenfalls nicht sein.

    • @India:

      Es vergeht doch kein Tag ohne eine Nachricht über den Nahostkonflikt?

      Und die Menschenrechte im Westen sind nicht perfekt, aber seien Sie doch mal homosexuell in Russland oder in Palästina.



      Oder eine Frauenrechtlerin im Iran. Oder eine Frau bei der Taliban. Oder Uigure bei den Chinesen.

      Und beurteilen Sie nach diesen Erfahrungen noch einmal die "Heuchelei des Westens"...

  • In Bezug auf P. glaube ich, dass hinter der Fassade des "starken Mannes" ursächlich Angstgetriebenheit steckt. Unsere Ängste und Konflikte der Vielen werden durch/in ein demokratisches System eingehegt, das auch, systemimmanent, Chancen bietet mit Widrigkeiten umzugehen. P. bewegt sich mit seinen Ängsten in einem diktatorischen System, welches in hohem Maß Unberechenbarkeit in sämtliche Richtungen aufweist, zumal er, diktatorisch betrachtet, allein ist. Wer hat nun die größere Angst, und wie kommt man, statt zerstörerisch, aufbauend hinter die Angst? Vielleicht sollten viel mehr psychologische und pädagogische Fachleute in die Politik.

  • Raketen fliegen, viele haben Angst. Und trotzdem müssen wir sie aushalten und nicht auf die erstbesten Idioten reinfallen, die Sicherheit versprechen.



    -----



    Komme aus einer Generation, die Kubakrise, Nato-Doppelbeschluss usw. bewusst miterlebt hat!



    Der Unterschied zu heute war/ist, dass da auf beiden Seiten relativ "rationale" Politiker handelten, die KEINEN Atomkrieg wollten!



    Heute sehe ich auf beiden Seiten unkalkulierbare Egomahnen!

    Btw. Das aber die o.a. nicht selbst einen Atomkrieg starten können, da zu eine Befehlskette bis zum einfachen Soldaten nötig ist....

    .... rechne ich ziemlich FEST damit, dass auf den "Unteren Ebenen" recht schnell ein STOPP passiert, denn ich kann nicht annehmen, dass es auf beiden Seiten nur "Vasallen" gibt, die ohne zu denken Befehle ausführen!

    Militärs gerade in hohen Positionen sind fast immer "REALISTEN", die wissen, was ihre Waffen anrichten können! :-(

    • @Sikasuu:

      Interessant wie unterschiedlich die Wahrnehmung ist. Ich habe das Gefühl, dass die entscheidenen Politiker so rational wie im kalten Krieg1.0 handeln.



      Biden wird deswegen Putin nicht an den Rand einer Niederlage bringen und Putin nicht die Nato angreifen. Das Problem ist eher die Öffentlichkeit die vielfach komplexze Zusammenhänge nicht mehr versteht bzw verstehen möchte.

  • Das ist sicher richtig. Wir werden sterben, unsere Nächsten werden sterben, wir wissen nicht wann. Jederzeit kann etwas völlig Unvorhergesehenes eintreffen, im Großen wie im Kleinen.



    .



    Dennoch können wir Risiken minimieren. Wer mit 200 km/h auf der Überholspur rast, stellt ein höheres Risiko für sich und andere dar, als jemand, der das nicht tut. Der Raser ist vielleicht angstfrei, aber vor allem verantwortungslos.



    .



    Wer immer mehr und immer schwerere Waffen in einen regionalen Konflikt schickt, der nimmt ein höheres Risiko einer Kriegsausweitung in Kauf als jemand, der das nicht tut. ...



    .



    Angst kann zudem nicht nur depressiv, sondern auch aggressiv machen. Es gibt unter Vier- und Zweibeinern auch sogenannte "Angstbeißer". Auch auf die internationalen Beziehungen lässt sich das vielleicht übertragen. Eigentlich wollten alle nur knurren und keiner beißen, am Ende sind doch alle tot.

    • @Kohlrabi:

      Wie wollen Sie den gefährlichen Raser Putin denn auf den Seitenstreifen zum Halten bekommen?



      Ohne ihm Paroli zu bieten?

    • @Kohlrabi:

      Immer wieder erfrischend moderate Kommentare zu lesen bzw zu hören. Leider hört man oft nur noch extreme Stimmen (übrigens egal von welcher Seite, bloss das eine Seite immer etwas lauter ist).

  • Natürlich wünschen wir uns alle Frieden. Aber ein unterwürfiger Frieden Putin gegenüber verringert ja die Kriegsgefahr nicht.

    • @Marmot:

      Sehr richtig. Nur sieht das grob die Hälfte der Bevölkerung leider nicht ein.

  • Sehr interessanter Artikel! Trotzdem teile ich die Hauptaussage nicht. Es gibt berechtigte Angst und irrationale Angst. Die Angst vor einem Atomkrieg ist berechtigt, jedoch nicht zum jetzigen Zeitpunkt, aber mittelfristig durchaus.



    Vieles spricht dafür, dass Putin eine Niederlage nicht akzeptieren würde und in diesem Fall nuklear eskalieren würde. Bisher hat der amerikanische Geheimdienst vor und während des Krieges ja meistens richtig gelegen:



    www.fr.de/politik/...g-zr-93353317.html



    Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine Us-regierung dieses Risiko eingehen wird, auch wenn es bei unter 50% liegen sollte, ist nicht wahrscheinlich.