Nix mit Solarenergie made in Germany: Gute Zelle, schlechte Zelle
Vor einem Jahr ging der letzte große deutsche Hersteller von Solarzellen pleite. Warum in Deutschland ein ganzer Industriezweig zusammenbrach.
Zellen sind nicht so das Ding der deutschen Wirtschaft: Bei Solarzellen hat sie aufgegeben, bei Batteriezellen hinkt sie hinterher. In einem Industriegebiet im thüringischen Arnstadt unmittelbar am Kreuz Erfurt lässt sich das zurzeit exemplarisch beobachten: Dort demütigt der chinesische Batteriezellenhersteller Catl gerade die deutschen Industriepolitik.
Frankreich und Deutschland haben gemeinsam 1,7 Milliarden Euro Förderung ausgelobt für mutige Unternehmen, die sich aufmachen, die Dominanz von China, Japan und Südkorea in Sachen Batterieherstellung zu brechen. Europäische Hersteller sollen Batterien für deutsche und französische Elektroautos in Deutschland und Frankreich bauen. Zahlreiche Unternehmen von VW bis BASF sollen Interesse an den Staatsgeldern haben. Doch der Markt ist unberechenbar: Der Preis von Lithium-Ionen Batterien ist laut Finanznachrichtendienst Bloomberg seit 2010 um 85 Prozent gefallen.
Die Batteriezellen sind heute das, was die Solarzellen in den Nullerjahren waren. Der Staat förderte damals, bekannte Unternehmen wie Siemens und Bosch stiegen ein und – scheiterten. Bosch verkaufte 2014 sein Werk in Arnstadt an Solarworld. Der letzte große deutsche Hersteller von Solarzellen, der 2018 pleite ging.
Jetzt hat der chinesische Batteriezellenhersteller Catl den Standort mit einem Verkehrswert von 40 Millionen Euro gekauft, wie die taz von Solarworld-Insolvenzverwalter Christoph Niering erfuhr. Der Ort ist perfekt. Direkt daneben hat Catl im vergangenen Jahr Land für seine Batteriefabrik gekauft. Damit dort die Produktion möglichst groß ausfallen kann, kommen in die einstige Solarfabrik nebenan Logistik, Lager und Verwaltung, also wahrscheinlich die Europazentrale von Catl. 2022 sollen die Bänder anlaufen, BMW ist einer der Kunden.
Einstiger Solar-Weltmeister
Während sich also die Bundesregierung müht, im Batteriekampf gegen China Terrain gutzumachen, setzt ein chinesischer Hersteller den Deutschen eine Batteriezellenfabrik ins eigene Land. Genau dahin, wo zuvor Solarhersteller an chinesischer Konkurrenz scheiterten. Die Geschichte der Solarindustrie zeigt: China fördert Zukunftstechnik länger, aggressiver und konsequenter.
Dabei befruchten sich die beiden Zukunftstechnologien Solarenergie und Elektrofahrzeuge gegenseitig: Wegen der Elektroautos werden Batterien massenweise gebaut und dadurch billiger, was auch Speicher für Sonnenstrom günstiger macht. Das hilft der Solarenergie, die wiederum den grünen Strom für die Elektroautos liefert. Der Mix ergibt eine Revolution im Energie- und Transportsektor gleichzeitig. Will Europa dabei in der Batterietechnik ein Desaster wie bei den Solarzellen vermeiden, muss es dazulernen.
Solarworld-Insolvenzverwalter Niering kann einige Lektionen beitragen. Seit dem 28. März 2018, der zweiten und endgültigen Insolvenz von Solarworld, hat er erlebt, was es heißt, eine von der Politik vergessene Branche retten zu wollen. „Ich habe noch nie so viel Hochtechnologie zu Grabe tragen müssen“, sagt Niering der taz. Seine Kanzlei hat über 10.000 Konkurs- und Insolvenzverfahren betreut.
Vision und Hybris
Einst war die deutsche Solarbranche Weltspitze. Solarworld mit seinem exzentrischen Chef Frank Asbeck stand für Vision und Hybris: Er besaß zwei Schlösser am Rhein, wollte vor seinem Bonner Büro ein Wildgehege mit Löwen anlegen lassen und versuchte während der Finanzkrise den Autobauer Opel von General Motors zu kaufen.
Von den 133.000 Arbeitsplätzen in der Branche im Jahr 2010 sind heute noch rund 33.000 übrig. Aber es gibt Hoffnung: Start-ups wie NexWafe in Freiburg oder das britische Oxford PV mit einem Standort in Brandenburg an der Havel arbeiten an Zellen mit höherer Stromausbeute und weniger Materialbedarf. Mit einer Massenfertigung könnten Solarzellen der nächsten Generation in Europa wieder konkurrenzfähig werden, glaubt Andreas Bett, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme. „In der Photovoltaik steht die nächste Welle an Innovationen an“, sagt er und ergänzt: „Das Thema Solarindustrie ist in Deutschland allerdings politisch verbrannt.“
Der 130-Milliarden-Dollar Weltmarkt für Solarkraftwerke interessiert die deutsche Politik tatsächlich nicht mehr. Niering etwa wollte Solarworld erhalten und hielt den Betrieb in den Fabriken bis zum Herbst 2018 aufrecht. Eine laufende Fabrik lässt sich schließlich besser verkaufen. Er hatte allerdings keine Chance. „Wir haben Solarworld weltweit zum Kauf angeboten. In China, den USA, im asiatischen und arabischen Raum, alle haben abgesagt“, sagt Niering. Niemand wollte die fünf Standorte als Paket kaufen.
Bundesregierung zeigt kein Interesse
„Es gab eine Reihe von Interessenten, die von der Zukunft der Solartechnologie in Europa überzeugt waren, aber diesen fehlten die finanziellen Mittel“, sagt Niering. Der Schweizer Solarmanager Marc Berthout widerspricht, er wollte einen Teil der Produktion in Hilbersdorf erhalten, Niering lehnte das Angebot ab. Gegenüber der taz sprach Berthout von einem extrem intransparenten Insolvenzverfahren. Niering weist das von sich: Berthouts Finanzierung habe nicht komplett gestanden.
Doch selbst wenn ein Mutiger zum Zug gekommen wäre, hätte er sich auf einen Markt eingelassen, der kaum berechenbar ist. Allein zwischen April 2018 und März 2019 fielen die Preise für die am häufigsten produzierten monokristallinen Solarzellen um ein Drittel auf 16 Dollarcent pro Watt Leistung – 2008, als die deutsche Solarindustrie noch Spitze war, kosteten die Zellen noch 19-mal so viel. Ein Preisverfall, ähnlich radikal wie bei den Batterien.
Niering versuchte deshalb, wenigstens eine Forschungsfabrik in Deutschland zu erhalten – als Keimzelle für eine neue deutsche Solarproduktion mit neuer Technologie. Er hoffte auf Unterstützung aus der Politik, aber in der Bundesregierung interessierte sich niemand. Niering erzählt, er habe mit seinem Konzept das Bundesumweltministerium, das Bundesforschungsministerium und das Bundeswirtschaftsministerium angeschrieben – schließlich reagierte Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nussbaum im Juni 2018 auf das dritte Schreiben des Insolvenzverwalters.
Viel zu viel zu tun
Er bat um Entschuldigung für die Verzögerung, Minister Altmaier habe in den ersten Wochen seiner Amtszeit viel zu tun gehabt. Die Bundesregierung setze sich mit einer Vielzahl von Förderungen für Industriearbeitsplätze ein, davon profitierten auch Solarforschung und Solarindustrie. „Wenn ein Wirtschaftszweig wie die Solarzellenproduktion, dessen Erhalt grundsätzlich wünschenswert erscheint, von Deutschland aus im weltweiten Wettbewerb trotz dieser Angebote nur mehr schwer bestehen kann, stellt sich die Frage, ob die Ursachen mit vertretbaren politischen Instrumenten beseitigt werden können“, schreibt Nussbaum am 12. Juli 2018. Das allerdings sei mit Hinblick auf die Wettbewerbssituation der Branche nicht ohne Weiteres zu bejahen.
Die Folge war ein kompletter Ausverkauf der Solarworld samt Technologien. Ein Paket Patente ging an Hanwha Q Cells nach Südkorea. Noor Solar Technology aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kaufte Maschinen für 4,5 Millionen Euro. Einzig ein Standort könnte erhalten bleiben: Ein deutscher Hersteller von Solarmodulen steht nach taz-Informationen kurz vor dem Kauf des Solarworld-Standorts im sächsischen Freiberg. Bis zu 200 Arbeitsplätze könnten so wieder entstehen. Allerdings werden dort keine Solarzellen hergestellt. Die werden aus Asien importiert und in Deutschland zu Modulen zusammengesetzt.
Wer bei der Insolvenz fein raus sein dürfte, ist der einstige Solarworld-Chef Asbeck. Der hat zwar viel Geld idealistischer Kleinanleger aus Deutschland verbrannt, wird selbst aber trotz Insolvenz nicht mit leeren Händen dastehen. Nach der ersten Insolvenz der Solarworld AG kaufte er seine eigene Firma zusammen mit Geldgebern aus Katar auf und ist so einen Haufen Gläubiger los. Die neue Firma heißt SolarWorld Industries GmbH, die Ansprüche der noch verbliebenen Gläubiger werden durch den Verkauf der Maschinen, Gebäude und Patente laut Bericht des Insolvenzverwalters wahrscheinlich komplett bedient. Der Überschuss geht dann an: Katar und Frank Asbeck.
Mit dem Ende seiner Firma ist auch die Gründergeneration der Solarindustrie am Ende. Deutschland verabschiedet sich mit der Solarzellenproduktion von einer Technologie, die global noch genauso am Anfang steht wie die Batteriezellen, deren Markt sich nach einer Bloomberg-Analyse bis 2030 vervierzehnfachen könnte. Beim Sonnenstrom sieht es ähnlich aus. Der ist mittlerweile so billig, dass optimistische Szenarien von einer Verzwanzigfachung der weltweiten Produktion bis 2030 ausgehen.
Andreas Bett vom Fraunhofer-Institut hat deshalb eine Allianz gegründet, damit in Europa wieder Solarzellen in großem Stile gefertigt werden. „Es gibt potenzielle Investoren, aber noch keinen, der richtig tiefe Taschen hätte“, sagt er. Es traue sich niemand, weil eben auch die politische Rahmenbedingungen fehlten. Etwa eine klare Ansage aus Berlin oder Brüssel: Wir bauen Solarenergie massiv aus, weil Klimaschutz. Wirtschaftsminister Altmaier allerdings hat in seiner kürzlich vorgestellten Nationalen Industriestrategie 2030 Solarenergie mit keinem Wort erwähnt, dafür aber viel über Batterien geschrieben.
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