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NeuwahlenBeunruhigende Aussichten

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

In normalen Zeiten wäre eine Große Koalition mit der SPD als sozialem Korrektiv nicht schlimm. Aber die Zeiten sind nicht normal.

Am Ende könnte eine Große Koa­lition stehen – mit Merz (r.) als Kanzler und Boris Pistorius (l.) als Vizekanzler Foto: imago

N ach dem Ampel-Kollaps drängen sich drei Fragen auf: Ist die deutsche Demokratie widerstandsfähig gegen feindliche Übernahmen, wie sie Trump in den USA probt? Hat eine Mitte-links-Partei wie die SPD eine Antwort auf den rechten Zeitgeist? Und welche Regierung bekommen wir?

In dem kleinteiligen Gezerre um den Wahltermin ist eine wichtige Nachricht fast untergegangen: Die Union hat der Versuchung widerstanden, die taumelnde Ampel-Restregierung zu demütigen, indem sie etwa die Unterstützung der AfD in Kauf nimmt. Wohl aus Überzeugung. Dafür spricht, dass die Union allem Theaterdonner zum Trotz mit Rot-Grün noch ein Gesetz verabschieden will, dass das Bundesverfassungsgericht vor rechtsextremen Angriffen schützt.

Die Bundesrepublik verfügt über austarierte checks and balances. Das föderale System ist robust, jedenfalls so lange niemand der AfD die Tür zur Macht öffnet. Ja, die Demokratie steht unter Druck. Doch für Alarmismus gibt es keinen Grund. Der Zeitgeist aber ist solide rechts, der Raum für Fortschritt und solidarische Lösungen eng. Dass Mi­granten uns bedrohen, dass Bürgergeldempfänger Faulenzer sind, die uns ausbeuten, und der klimaneutrale Umbau ein wokes Elitenprojekt ist – all das sind keine rechten Stereotype mehr. Sie sind in den Mainstream eingesickert und klingen bei Union, AfD und Springer-Verlag mitunter ähnlich.

Für Mitte-links-Parteien wie die SPD ist diese Lage ungünstig, um das Mindeste zu sagen. Sollen sie radikal und populistisch auf Anti-Eliten-Affekte setzen? Oder lieber brav mittig sein? Wenn man nach Österreich und Großbritannien schaut, scheint sogar diese Frage müßig zu sein.

In Deutschland wird es, anders als 2021, keinen Gerechtigkeits-, sondern einen Sicherheits­wahlkampf geben

Beides kann derzeit scheitern. In Österreich ist SPÖ-Mann Andreas Babler mit einem entschlossen linken Programm bei den Wahlen untergegangen. In Großbritannien hat Keir Starmer die Wahl gewonnen. Aber nach drei Monaten im Amt weiß niemand, was Starmer mit der Macht eigentlich will. Kurzum: Radikal gewinnt man keine Wahl. Aber mittig sein ist auch keine Antwort.

In Deutschland wird es, anders als 2021, keinen Gerechtigkeits-, sondern einen Sicherheitswahlkampf geben. Viele fürchten die Zukunft und flüchten vor dem Veränderungsdruck in aggressive Nostalgie. Die Wahl 2025 wird gewinnen, wer Stärke, Härte, Stabilität ausstrahlt. Was kann die SPD in dieser Lage tun? Sich anpassen? Entschlossen auf Gerechtigkeit pochen? Die SPD wirkt ratlos. Sie wird wohl mit Olaf Scholz, dem erprobten Krisenmanager, antreten.

Friedrich Merz, so das Kalkül, hat keine Regierungserfahrung und wirkt oft unberechenbar. Doch bloß auf Fehltritte des Konservativen zu hoffen, ist zu wenig. Dass Merz der SPD den Gefallen tut, als arroganter Ex-Black-Rock-Manager aufzutreten, der nur die Besserverdiener im Sinn hat, ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Die SPD bräuchte im Wahlkampf keinen Technokraten wie Scholz, sondern jemand mit frischer Leidenschaft und frei vom Trümmerimage der Ampel. Den wird kaum geben.

Konsensrepublik Deutschland

Deutschland ist noch immer eine Konsensrepublik. Das Verhältniswahlrecht prämiert, anders als in den USA, die Mitte. Wie oft in Krisenzeiten kann am Ende eine Große Koa­lition stehen – mit Merz als Kanzler und Boris Pistorius als Vizekanzler. Das wäre gut, weil es mit der SPD keinen radikalen Sozialstaatsabbau geben wird. Und trotzdem ist diese Aussicht beunruhigend. Dass die Groko, die früher im Ruf stand, die Extreme zu fördern, nun eine Trutzburg gegen die AfD sein soll, ist eine fragwürdige Vorstellung. Außerdem herrscht erstaunliche Amnesie. Vor gerade einmal dreieinhalb Jahren warfen sich SPD und Union in der Regierung noch gegenseitig Knüppel zwischen die Beine. Alle, auch SPD und Union, waren froh, als diese Stillstandskoalition endlich vorbei war.

In normalen Zeiten wäre eine Groko nicht so schlimm. Aber die Zeiten sind nicht normal. Das deutsche Modell steht unter extremem Stress: Die Exportindustrie schwächelt, Trump droht mit höheren Zöllen. Dieser Deglobalisierungsschub wird Deutschland hart treffen. Gerade jetzt braucht man einen entschlossenen, interventionistischen Staat, der wie die USA und China die digitalen und klimaneutralen Schlüsselindustrien mit viel Geld fördert. Doch Merz will nur vielleicht die Schuldenbremse ein wenig lockern, AKWs wieder in Betrieb nehmen und erneuerbare Energien und Elektromobilität eindampfen. Vorwärts in die 90er Jahre – die Kluft zwischen dem, was nötig, und dem, was möglich ist, würde in der Groko sehr groß sein.

Viele haben sich das Aus der Ampel gewünscht, weil sie ein Ende mit Schrecken wollten. Das kann eine Täuschung sein. Der Schrecken liegt nicht hinter, er liegt eher vor uns.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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7 Kommentare

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  • Ganz schön dystopisch hier alles, Die Dämonen sind überall. In den Parteien, im Souverän, in Putin, in Trump. Ich empfehle besonders dem Autor, sich einzugraben.Dort unten in der Dunkelheit liegt sie gut, die schreckliche Zukunft.

  • Bitte nicht schon wieder eine GroKo!

    Das hat insgesamt nur dazu geführt, dass langfristig beide großen Volksparteien nicht nur an Zuspruch, sondern vor allem an klarem politischem Profil verloren haben.

    Merz ist gerade wieder dabei, die CDU in die bürgerlich-konservative Richtung zurückzuführen, die SPD hat offenbar immer noch nicht zu sich selbst gefunden, was angesichts eines Olaf Scholz als Kanzler nicht verwundert, denn der betreibt ja nichts anderes als dieselbe Politik, die er schon von "Mama Merkel" kannte, nämlich ein behäbiges Dümpeln in der Mitte und bloß keine klaren Aussagen, sozusagen Regieren auf Sicht. In ereignislosen Zeiten mag das funktionieren, in unruhigen Zeiten wie diesen klappt das nicht.

    Wir stehen angesichts des Kriegs in der Ukraine und dem drohenden Ausfall der USA als verlässlicher Bündnispartner in Europa vor Bedrohungen, denen ein Zögerer und Zauderer wie Scholz nicht gewachsen ist, weil der die Führungsqualitäten eines Buchhalters oder Finanzbeamten, aber nicht die eines Bundeskanzlers hat.

    Fazit: Wir brauchen einen besseren Kanzler als Scholz und jedes Bündnis ist besser als eine Neuauflage der GroKo!

  • Ja. Es wird nicht einfach. Vermutlich muss es wirklich eine GroKo (hoffentlich - denn sicher ist das nicht) richten. Aber anstatt auf andere zu zeigen, muss sich die demokratische Linke an die eigene Nase fassen. Man hat es nicht geschafft, den Otto-Normalbürger (Kleinbürger, 50+, alte weiße Männer, Hausfrauen in Steuerklasse 5) auch nur ein wenig zu begeistern, sondern sich statt dessen zum Hassobjekt gemacht. Für die "reine Lehre", für das Gefühl der intellektuellen Überheblichkeit, für den "besten Gendersprech". Ein bisschen Demut wäre angezeigt. Und bitte die Feinde nicht dort suchen, wo sie nicht sind (Mitte-Mitte links, moderat rechts "aufgeklärte Konservative"), sondern eher im eigenen Lager schauen, wo man es aufgrund von Dogmatismus "verkaxxt" hat. Die Oma und der Opa müssen "mitgenommen" werden. Die stellen ja auch die Mehrheit der Wählenden.

  • In der letzten GroKo war von einer "sozialen Korrektur" seitens der SPD nicht viel zu merken. Ein reaktionärer Friedrich Merz wird das auch bei einer möglichen zweiten Groko nicht zulassen. Soziale Politik und SPD gehen schon seit Gasgerd Schröder nicht mehr zusammen. Deutsche wählen zuverlässig immer den gleichen Zirkus, nur ein paar Affen werden ausgetauscht. Bloß nichts Neues wagen.

    • @Minelle:

      In den ersten Merkeljahren (2005 bis 2009 und 2009 bis 2013) wurden die Koalitionspartner zuverlässig an die Wand gedrückt, so daß sich deren Wahlergebnisse am Ende der Legislatur gegenüber dem Beginn dramatisch reduzierten. Die SPD fiel damals von 34 auf 23 Prozent. Danach koalierte Merkel mit der FDP, die ausgehend von knapp 15 Prozent sogar aus dem Parlament flog. Von 2013 bis 2017 fiel die SPD von knapp 26 auf reichlich 20 Prozent, die CDU aber auch von 42 auf 33 Prozent.

      Von dieser Erfahrung ausgehend muß man konstatieren, daß Koalitionen von Parteien mit stark unterschiedlichen Programmatiken nicht allen Beteiligten gleichermaßen bekommen, mitunter keinem. Das trifft jetzt auch auf die FDP zu. War die 2021 noch zweistellig (mit einer nur leichten Steigerung gegenüber 2017), droht ihr nun erneut der Abstieg aus dem Parlament.



      Kaum anzunehmen, daß eine neuerliche Koalition zwischen Union und SPD grundsätzlich anders ausginge. Nur dürfte sich die SPD dieses Abenteuer, deckten sich die derzeitigen Umfragen mit dem Wahlergebnis, eigentlich gar nicht mehr leisten.

      de.wikipedia.org/w...ctions_diagram.svg

  • Ich bin doch etwas erstaunt, das in dem von Reinecke durchaus richtig skizzierten Krisenszenario die allergrößte Bedrohung gänzlich unerwähnt bleibt.

    Gelingt Putins Eroberungsfeldzug, weil Trump findet, dass Amerika die Ukraine nichts angeht, die Europäer doch selber sehen sollen, wie sie klarkommen und Putin eigentlich doch ein ganz patenter Typ ist, dann ist die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur nicht auf das höchste gefährdet, sondern dann droht reale Kriegsgefahr. Dann wird man sich möglicherweise nostalgisch an jene Zeiten zurückerinnern, in denen man sich noch darüber zankte, ob Deutschland nun 2% seines BIP für die Verteidigung ausgeben solle.

    • @Schalamow:

      Hundertprozentige Zustimmung. Der Historiker Karl Schlögel hat jüngst wieder auf diese Gefahr hingewiesen und dazu angemerkt, dass wir uns in den Vorkriegsjahren befinden, aber keiner es so richtig wahrhaben will.

      Es könnte ein böses Erwachen geben, wenn es nicht gelingt in den nächsten 5 Jahren die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr herzustellen und eine emanzipierte europäische Sicherheitarchitektur auf die Füße zu stellen.

      Aber die deutschen Provinzler arbeiten sich anscheinend lieber an der Schuldenbremse ab.

      Erinnert mich an die Schilderung von Christopher Clark in seinem Buch "Die Schlafwandler". Auch damals hat man es verdrängt, dass es in Europa zum Ausbruch eines kontinentalen kriegerischen Konfliktes kommen könnte. Und während sich die Herrschenden noch auf dem Argument des Kräfteausgleichs ausruhten und die Zeichen übersahen, befanden sie sich schon auf dem Weg in einen Weltkrieg.