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Neues InfektionsschutzgesetzEntmachtete Länder

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Ausgerechnet jetzt will die neue Ampel den Bundesländern Lockdown-Maßnahmen verbieten. Das ist verantwortungslos.

Neue und alte Coronapolitik – Lindner und Spahn im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

E s wirkt absurd: Ausgerechnet jetzt, wo die Pandemie-Zahlen in nie gekannte Höhen steigen, will die Bundespolitik den Ländern die Instrumente wegnehmen, mit denen die letzte Welle der Pandemie gebrochen wurde. Das ist verantwortungslos. Es soll keine Shutdowns für Gastronomie, Kultur und Sport mehr geben, keine Schulschließungen, keine Ausgangsbeschränkungen und erst recht keine Ausgangssperren.

Zwar sind jetzt rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft, aber es gibt auch weniger Intensivbetten als voriges Jahr, weil viele Pfle­ge­r:in­nen ausgebrannt gekündigt haben. Was also ist neu? Jetzt bestimmt die FDP die Richtlinien der Corona-Politik, während sie vor einem Jahr noch in der Opposition war.

Dabei versteckt sich das von der FDP getriebene Ampelbündnis bei seinem Gesetzentwurf hinter wenig überzeugenden juristischen Argumenten. Angeblich sei es mit rechtlichen Risiken behaftet, die epidemische Lage zu verlängern, die den Ländern Shutdowns ermöglicht.

Die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen sind aber weder blöd noch verantwortungslos. Wenn jetzt schon 300 von bundesweit 1.600 Intensivstationen ihren Betrieb einschränken müssen und die Zahlen weiter steigen, dann ist es natürlich nicht verfassungswidrig, wenn der Bundestag die “epidemische Lage nationaler Tragweite“ erneut feststellt.

Außerdem löst diese Feststellung keinen Automatismus aus. Es sind immer noch die Bundesländer, die entscheiden, welche Maßnahmen sie vor Ort für notwendig halten. Ob ein Lockdown unverhältnismäßig ist, bestimmt sich nach der konkreten Situation im jeweiligen Bundesland.

Ideologischer Zentralismus

Wenn die FDP sich partout damit brüsten will, dass sie den Status der „epidemischen Lage“ auf Bundesebene beseitigt hat, sollte sie es wenigstens den Ländern erlauben, in eigener Verantwortung eine „epidemische Lage“ in ihrem Bundesland festzustellen. Bisher war dies im Infektionsschutzgesetz vorgesehen, doch die von der FDP gesteuerte Ampel will dies in ihrem Gesetzentwurf abschaffen. Das ist der Gipfel des ideologischen Zentralismus.

Immerhin ist der Ampel zuzugestehen, dass sie den Ländern die Möglichkeit zu radikalen 2G-Konzepten lässt. Wo es nötig ist, könnten Ungeimpfte flächendeckend aus Gaststätten, Kultur- und Sporteinrichtungen ausgesperrt werden – obwohl die FDP das eigentlich auch ablehnt.

Die Länder müssen nun schnell entscheiden, ob ihnen die 2G-Möglichkeiten ausreichend erscheinen oder ob sie auch die Option behalten wollen, ganze Branchen und viele öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Hochschulen präventiv dicht machen zu können. Letztlich sitzen die Länder am längeren Hebel, denn ohne die Zustimmung des Bundesrats wird die von der Ampel eingebrachte Änderung des Infektionsschutzgesetzes nicht in Kraft treten. Die Länderkammer entscheidet darüber auf einer Sondersitzung – einen Tag nach dem Bundestag am 19. November.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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16 Kommentare

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  • @RESTO:

    Recherchieren Sie mal über die EIKE [1] Connections der FDP, oder zur Klimawandelleugnung durch Nicola Beer (nicht gerade ein Niemand in der FDP).

    Werfen Sie mal "Students for Liberty" und FDP mal in eine Suchmaschine. "Students for Liberty", die sich aus denselben Koch[2]töpfen



    ernähren wie die Tea Party und die Bannoniade.

    Liegt alles viel näher beieinander als es den Anschein haben mag.

    Schliesslich hat auch Coca-Cola einen leicht anderen Geschmack je nach Weltregion.

    Produktregionalisierung ist heutzutage grundlegendes Marketingwissen.

    [1] de.wikipedia.org/wiki/EIKE



    [2] en.wikipedia.org/wiki/Koch_brothers

  • Wie kommt ihr auf die Idee, dass 2G einen positiven Einfluss auf das Infektionsgeschehen hätte? Wenn sich mehr Ungetestete tummeln, dann gibt es mehr, nicht weniger Infektionen.

  • Freiheit sollte immer auch die Freiheit der Länder und Kommunen sein zu tun was sie denken das sie tun müssen.

    Wenn die FDP Länder und Kommunen gängeln will sollten SPD & Grüne mal fragen wofür das F steht...

  • Vielleicht sollte die FDP wieder zu ihrer alten Linie finden: besser gar nicht regieren als falsch.



    Wie kann es nur sein, dass sich die Mehrheit in dieser anstehenden Koalition aber auch alles von dem Wurmfortsatz FDP diktieren lässt?

  • "Das ist der Gipfel des ideologischen Zentralismus"

    Da zeigt sich die ideologische Fratze der FDP. Von wegen gegen Verbote.



    Wie kann man ideologisch nur so borniert und verblendet sein.

    Lindner ist ungefähr mein Jahrgang. Wir sind verwöhnt aufgewachsen mit einer unfassbaren Anspruchsmentalität (Fun Fact: ja das gibt's gerade auch bei liberalen Schnösel) bei gleichzeitigen von Sabine Christiansen antrainierten Schaum vorm Mund wenn es um Solidarität und Soziales geht.



    Jetzt wird mal not-WENDigerweise, der Schnuller weggenommen und es offenbart sich, dass es null Frustrationstoleranz gibt, wenn der Konsum mal nicht so läuft.

    Aber "man ist halt Mensch" - gell Herr Lindner?

    Von den oberpeinlichen Grünen als Juniorpartner unter einem Bundeskanzler Lindner rede ich lieber nicht...

  • Die FDP ist ein Papiertiger. Ohne die Länder kann sie absolut nichts beschließen und in den Bundeländern ist sie kaum noch in Regierungen vertreten, nach der NRW-Wahl dann noch weniger. Es wird langsam überdeutlich, dass Lindners "Besser-Nicht-Regieren" der FDP ein Segen für das Land war und die Ampel eine echte Katastrophe wird, weil man sich die Daueropposition und totale Blockade ins Kabinett holt.

  • 2G ist nur eine weitere Scheinmaßnahme, die nichts bringen wird. Die Ungeimpften auszuschließen, damit sie sich nicht infizieren, bringt absolut nichts, wenn die Inzidenzen unter den Ungeimpften ja eh schon erheblich höher sind. Die infizieren sich gegenseitig. Mal ganz davon abgesehen, dass das kaum zu kontrollieren ist.

    Wir werden noch vor Weihnachten in einer Situation sein, in der die Gesundheitssysteme kollabieren, und in der die Bundesregierung nichts tun will und die Länder nichts tun dürfen.

    Das wächst sich zu einer massiven Krise aus, weil hier von oben bis unten nur gestümpert und gestritten wird, anstatt einfach angemessen zu handeln.

    • @Mustardman:

      Ich denke allerdings nicht, dass 2G eine Scheinmaßnahme ist. 2G taugt durchaus, um die Impfquote zu erhöhen, dass hat die Entwicklung in Spanien und Frankreich gezeigt. Das Problem ist nur, dass es jetzt zu spät ist, den massiven Anstieg noch alleine damit zu stoppen. Da gibt es gar nicht mehr viele Optionen, und die, die es gibt, sind unpopulär - auch weil die Politik den Ernst der Lage nicht geradeheraus benennt.

      Wenn man wissen will, wie die Aussichten sind, muss man sich die diversen Modelle der Epidemiologen für die nächsten Monate ansehen. Und die sind - bei aller Unsicherheit über zukünftiges kollektives Verhalten, das sich kaum vorhersagen lässt - furchterregend.

    • @Mustardman:

      So ist es. Die Lage ist außer Kontrolle.

      Wenn man aus dem letztem Winter etwas gelernt hätte, würde es umgehend einen Lockdown geben, und anschließend Lockerungen nur noch auf 2G Basis.

      Die bisherigen Mittel reichen aufgrund der Delta Variante nicht mehr, da diese eine Basisreproduktionszahl R0 von 8 hat. Selbst wenn die Impfung perfekt schützen würde, kann die Impfung von 70% der Bevölkerung alleine den mittleren R-Wert nur von 8 auf etwa zwischen 2.5 und 3 reduzieren - das ist immer noch viel zu hoch, es braucht zumindest über den Winter weitere Maßnahmen.

      Für die Leute ohne Impfung ist es ein perfekter Sturm: Nicht nur werden sie sich die allermeisten in den nächsten drei Monaten infizieren, sie werden auch auf ein völlig überlastetes Gesundheitssystem treffen - und eine Mehrheitsbevölkerung, die einfach keine Lust mehr hat auf irgendwelche Solidarität mit ihnen, die sich ausgenutzt fühlt.

      • @jox:

        Ja, wenn das nicht ein Wunder geschieht, werden wir in den nächsten Monaten in eine Krise ersten Ranges laufen. Die FDP sperrt sich gegen alle Maßnahmen, die etwas bringen würden, und auch wenn das auf Dauer nicht gehen wird, wird das die Lage soweit eskalieren lassen, dass hier im Januar alle Räder stillstehen werden. Oder man geht wirklich über Leichen, während Länder mit besserer Impfquote sich das nur mitleidig mitansehen werden (und das sind fast alle Länder in Westeuropa, Deutschland und Österreich liegen da an letzter Stelle vor den osteuropäischen Ländern, in denen die Bevölkerung aus wohl gutem Grund traditionell dem Staat zutiefst misstraut).

        Der letzte Winter war schon hart, aber immerhin sanken nach dem Shutdown die Zahlen rapide ab. Ohne Shutdown wird das dieses Jahr nicht passieren, darauf werden wir dann bis zum Frühjahr warten müssen - vorausgesetzt bis dahin gibt es keine neue Variante.

        Abgesehen von einer Periode ganz am Anfang der Pandemie war ich noch nie so pessimistisch wie jetzt. Das wird so richtig Scheiße werden diesen Winter. Ich kann nur allen (und mir auch) wünschen, dass sie so bald keine Behandlung im Krankenhaus brauchen werden, das wird nämlich nicht mehr so leicht zu bekommen sein.

  • Die FDP war ein ganz tiefer Griff ins Klo.

    War ich am Anfang nach der Wahl noch verhalten optimistisch, so würde ich jetzt, wäre ich Mitglied bei den Grünen, sehr stark für den Abbruch der Verhandlungen plädieren.

    Die FDP verbreitet genau dieselbe giftige Gülle, die von den Libertären über die Tea Party den Brocken Trump nach oben gespült hat.

    Sie tragen nur Anzug, und haben die richtige Medienagentur mit dem Bedienen neuer "sozialer" Netwerke betraut. Wenn ein unrasierter, verschwitzter Bannon besser zieht als ein smarter Lindner, dann schicken letzteren schon in Rente.

    • @tomás zerolo:

      > Wenn ein unrasierter, verschwitzter Bannon besser zieht als ein smarter Lindner, dann schicken letzteren schon in Rente.

      Ja, ich habe da mittlerweile auch so eine Art persönliche Hufeisentheorie: Warum eigentlich ist das, was Nazis wie Bannon propagieren, nur noch hauchdünn entfernt von dem, was marktradikale und ultraneoliberale Parteien in der Praxis machen?

    • @tomás zerolo:

      Da kenne Sie aber die Tea Party und die Trump Fans nicht. Die haben nichts mit den Inhalten der FDP gemein. Bei solchen Vergleichen tut man der FDP unrecht.

    • @tomás zerolo:

      Ja, so ist das wohl - ist eine wirklich blöde Situation. Die Frage ist nur, was passieren würde, würden die Grünen die Verhandlungen abbrechen. Im Zuge einer Schadensbegrenzung ist es vielleicht dann doch wieder ok, wenn die Ampel am Ende doch regiert. Ein Traumbündnis darf man keinesfalls erwarten - Vieles wird sicher furchtbar.

      • @Axel Donning:

        Man sollte das immer im Kontext der Alternativen betrachten. Wäre Jamaika oder eine neue GroKo besser? Ich bezweifle es stark.

        Die Position des Autors zu den Maßnahmen kann ich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn wir dieses Jahr bei knapp 70% geimpften wieder in den Lockdown gehen können wir das auch gleich jedes Jahr so machen.



        Daher halte ich es für vernünftig wenn der Bund den Ländern hier Richtliniem setzt innerhalb derer sie dann agieren können.

    • @tomás zerolo:

      Aber das war die FDP doch schon immer. Egal wann sie mitregierte, die FDP hat immer nur neoliberale Maßgaben gefordert während man nebenbei schön Klientelpolitik betrieben hat (siehe Mövenpick).

      Nur werden die Grünen nicht abbrechen, außer die Basis zwingt sie dazu. Die Grüne Spitze will an die Macht. Da geht es um Posten und Karrieren. Ansonsten wäre Baerbock doch nach dieser massiven Niederlage zurückgetreten. Der Anstand hätte es ja gefordert. So will sie jetzt Außenministerin - ein reiner Prestigejob der für die grünen Themen wenig bis keine Bedeutung hat.