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Neues Buch „Schwangerwerdenkönnen“Allein die Möglichkeit

Welche Rechte und Pflichten ergeben sich aus der Fähigkeit Kinder zu gebären? Dem widmet sich Antje Schrupp in ihrem Essay „Schwangerwerdenkönnen“.

Schrupp plädiert dafür, „weibliche Erfahrungen als allgemein menschliche zu qualifizieren“ Foto: Daniel Reche/Pexels

Es gibt eine Metapher für den Umstand, dass ein Tabu oder eine Leerstelle existiert, aber von niemandem angesprochen wird: Es heißt, ein Elefant stünde im Raum. Antje Schrupp, feministische Bloggerin und Autorin, nutzt diese Metapher, um zu beschreiben, wie wir mit der Möglichkeit eines Menschen umgehen, schwanger werden zu können.

„Im Alltag vieler Menschen, vor allem aber in dem von Frauen, spielt das Schwangerwerdenkönnen (…) eine bedeutende Rolle“, schreibt sie in einem Essay, der entsprechend „Schwangerwerdenkönnen“ heißt. Doch in der Politik, der Philosophie und den Sozialwissenschaften herrscht darüber diskursive Leere.

Was Schrupp meint und was diese Leerstelle eigentlich ausmacht, wird einem als LeserIn erst bei der Lektüre klar. Es gibt Personen, die potenziell schwanger werden können – und andere eben nicht. Diese „reproduktive Differenz“, wie Schrupp das sperrig, aber exakt benennt, die nicht nur anhand der Dichotomie Mann/Frau geführt werden kann, führe zu einem „Stachel im Fleisch“ einer Gesellschaft wie der unseren, die immer mehr Wert auf Gleichstellung legt.

Dabei müsse das Schwangerwerdenkönnen nicht nur als Bestandteil einzelner Diskurse wie Familien-, Arbeits- oder Sozialrecht betrachtet werden, sondern als eigenständige analytische Größe, die all diesen Diskursen zugrunde liegt. Folgerichtig legt Schrupp Schicht für Schicht frei, was Schwangerwerdenkönnen eigentlich bedeutet: „Über Jahrtausende wurden Frauen aufgrund ihrer Fähigkeit zum Schwangerwerden unterdrückt, reglementiert, benachteiligt.“

Karrierenachteile für Schwangere

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Frauen in Europa zehn Mal oder öfter schwanger, und das bei einer Lebenserwartung von 52 Jahren. Heute hat sich zumindest das völlig verändert: Das Alter, in dem Frauen schwanger werden, steigt, und die Anzahl der Kinder, die eine Frau bekommt, ist gesunken. Doch obwohl oder gerade weil sich die Geschlechterordnung neu sortiert, bedeutet oft schon die Möglichkeit, schwanger werden zu können, Karrierenachteile, Einkommensverluste sowie Konflikte in Paarbeziehungen.

Das Buch

Antje Schrupp: „Schwangerwerdenkönnen: Essay über Körper, Geschlecht und Politik“. Ulrike Helmer Verlag, Roßdorf 2019, 192 Seiten, 17 Euro

Schrupp beschreibt das, wie sie auch ihren Blog schreibt: pragmatisch, bissig und humorvoll. Aus dezidiert feministischer Perspektive klopft sie aktuelle Geschlechterdiskurse sowie (queer)feministische ­Theorien auf ihren Zusammenhang mit dem Schwangerwerdenkönnen ab und navigiert souverän durch dieses Gewirr der widerstreitenden Positionen.

Sollte zum Beispiel von Menschen oder von Frauen die Rede sein, die schwanger werden können? Schrupp entscheidet sich dafür, von Menschen zu schreiben, um „neue, freiheitlichere Narrative“ zum Schwangerwerdenkönnen entwickeln zu können.

Man kann den „Essay über Körper, Geschlecht und Politik“, so der Untertitel des Buchs, als Beitrag zu verschiedensten aktuellen Debatten lesen: denen um Geburtshilfe, Schwangerschaftsabbrüche oder Familienformen etwa, denen um Zweigeschlechtlichkeit, ums ­Patriarchat oder um die sich rasant entwickelnde Reproduk­tionsmedizin.

Theorie des Schwangerwerdenkönnen

Je weiter Schrupp all dies auffächert, desto greifbarer wird aber zugleich die diagnostizierte Leerstelle, die nach und nach mit einer eigenen Theorie des Schwanger­werden­könnens gefüllt wird. Dadurch, dass Schrupp die Regeln, die wir in Politik und Gesellschaft beispielsweise zur Unterstützung Schwangerer, aber auch zu Väterrechten oder Leihmutterschaft getroffen haben, in ihre Bestandteile zerlegt, fällt klar ins Auge, wie sehr unsere Regelungen all dieser Themen nur Möglichkeiten unter vielen sind.

Noch immer, schreibt Schrupp, sei es dabei „fast nicht möglich, Erfahrungen, die vorwiegend Frauen machen, als Erfahrungen zu beschreiben, die von allgemeinem Interesse sind“. Ihr Anliegen ist deshalb grundlegend: Es ist an der Zeit, „weibliche Erfahrungen als allgemein menschliche Erfahrungen zu qualifizieren“.

Das würde unter anderem zu einem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung führen und bedeuten, dass Menschen, die schwanger werden können, „sowohl in ihrer Sexualität als auch in Bezug auf eine Fortführung oder Beendigung einer Schwangerschaft frei sind, und dass sie selbst nach der Geburt eines Kindes entscheiden können, wie es nun weiter geht“, wer sich kümmert, wie gelebt wird. Nichts weniger als eine neue symbolische Ordnung anstelle der gegenwärtigen patriarchalen wäre, was daraus folgen würde.

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6 Kommentare

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  • "Es ist an der Zeit, „weibliche Erfahrungen als allgemein menschliche Erfahrungen zu qualifizieren“."



    Wenn das gelänge, wäre es ein riesiger Fortschritt.



    Ganz ohne (männliche) Relativierung, ganz gleichberechtigt in Macht- und Wirtschaftsfragen, sowie in Lebensführungsfragen.

  • Ok, Perspektivwecheel.



    Nichtsdestotrotz können lediglich Menschen schwanger werden, die über eine Uterus und Eierdtöcke verfügen. Zu 99,x% sind dies Frauen.

    Zum andrrn habe ich in diesem Artikel nichts über Rechte oder Pflichten von Menschen, die schwanger werden können, lesen können. Der Subtitel verspricht da mehr.

  • Wow, klingt horizonterweiternd. So als hätte es das Zeug zu einer Kulturrevolution! Leider sind wir Menschen Gewohnheitstiere, die Angst vor Neuem haben. Man müsste ja eventuell sich selbst und sein Weltbild ändern, hui!

  • Es gibt um das gesamte Thema der Sexualität - nicht bezogen auf Frauen - Leerstellen.

    Der obige Artikel reproduziert diese Leerstellen in Teilen.

    Etwa im letzten Absatz, wenn es um reproduktive Selbstbestimmung geht: Die Freiheit der Fortführung oder der Beendigung des Kinderkriegens betrifft ja meistens/mindestens zwei Personen. Und "in diesem Patriarchat" sind die gesetzlichen Regelungen derart, dass es die Frau ist, die entscheidet, ob ein Mann Vater wird: Und zwar biologisch, sozial, und wirtschaftlich.

    Es ist die Frau die z.B. im Fall eines geplatzten Kondoms entscheidet, ob sie die Schwangerschaft fortführen will und es ist die Frau, die alleine entscheidet, ob sie mit dem Mann auch das Sorgerecht teilen möchte. Ersteres ist vielleicht selbstverständlich - es geht schliesslich um den Körper der Frau! -, letzteres nicht.



    Und weil der biologische Vater in unserem Rechtssystem in jedem Fall zahlen darf - und zwar für Mutter und Kind und auch wenn er das Sorgerecht nicht bekommt - trifft die Frau mit der Entscheidung für oder gegen das Kind immer auch eine Entscheidung über die emotionale, soziale, wirtschaftliche und letztlich auch körperliche Zukunft, d.h. über die Freiheit des betroffenen Mannes.

    Das ist eine der Leerstellen des Diskurses über Sexualität, die dieser Artikel reproduziert.

    Es gibt natürlich noch mehr solcher Leerstellen: Das Nicht-Schwangerwerdenkönnen der Männer hat "in diesem Patriarchat" über Jahrhunderte dazu geführt, dass Männer - vornehmlich Unter- und Mittelschichtenmänner übrigens - zum Krieg führen herangezogen wurden: inklusive Fronturlaub für Verheiratete und Verlobte, nicht zur Erholung, oder gar um ihre Kinder zu sehen und aufzuziehen, sondern damit sie ihre reproduktiven Funktionen erfüllen konnten. Der Sold wurde nach Hause an die Familie geschickt. Die Kontinuitäten zu der oben geschilderten Gesetzeslage was das Sorgerecht betrifft sind natürlich nur zufällig ...

    • @Hanno Homie:

      Btw: Wenn wir schon genetische (Eizelle), biologische (gebärend), soziale wie rechtliche Mutter unterscheiden, gibt es keinen biologischen Vater.



      Exakt das ist die reproduktive Differenz: Er kann nicht schwanger werden, er ist biologisch nicht beteiligt.

    • @Hanno Homie:

      Die "Leerstelle" für Menschen, die nicht schwanger werden können, heißt soziale Elternschaft oder Sorge/Care.



      Und nicht eine Neuauflage der Bestimmungsrechte über Menschen, die schwanger werden können.

      Das würde im gesellschaftlichen Diskurs zB. zu einer Kindergrundsicherung führen, weil man einsähe, das Vaterpflichten offenbar immer wieder zum Greifen nach Rechten über Mütter führen, obwohl da nach dem "schwanger werden können" eben kein Recht besteht, wenn man keine Unterordnung zulassen will.

      Abstammungsrecht (was bzgl Vätern letztlich ein nicht selten nicht funktionierendes Konstrukt ist) wäre damit genetisch obsolet und von einem biologisch/sozialen Sorgerecht ersetzt.