Reproduktive Rechte und Feminismus: Von Männern, Frauen und Menschen
Manche Menschen können schwanger werden, andere nicht. Lässt sich das nur mit den Kategorien „Mann“ und „Frau“ erklären?
Welche Rechte haben Menschen, die schwanger werden? Können sie abtreiben, wenn sie das möchten? Und wenn nicht, bekommen sie Geld und Unterstützung? Von wem und wie viel? Verlieren sie aufgrund ihrer Schwangerschaft Möglichkeiten, werden sie stigmatisiert? Können andere gegen ihren Willen über das von ihnen geborene Kind verfügen?
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Reproduktive Gerechtigkeit ist viel mehr als nur die Möglichkeit zur Abtreibung. Es geht um die Frage, wie wir gerechte Verhältnisse schaffen, wenn der entscheidende Maßstab für Gerechtigkeit, nämlich Gleichheit, nicht gegeben ist. Menschen ohne Uterus haben leicht reden, wenn sie ein Verbot der Abtreibung fordern – sie können nicht ungewollt schwanger werden. Menschen mit Uterus haben wiederum leicht reden, wenn sie Leihmutterschaft verbieten wollen, sie können ihre Kinder ja selbst zur Welt bringen.
Es ist nicht möglich, reproduktive Gerechtigkeit herzustellen, indem man „alle Menschen gleichbehandelt“, wie wir es normalerweise gewohnt sind. Denn im Hinblick auf ihre reproduktiven Fähigkeiten sind die Menschen nun mal nicht gleich.
Patriarchale Gesellschaften lösen dieses Problem bekanntlich über das Konzept Geschlecht: Neugeborene, von denen man aufgrund ihrer Genitalien annehmen kann, dass sie später einmal schwanger werden können, werden in eine eigene Kategorie namens „Frau“ gesteckt, für die die Rechte der normalen Menschen alias „Mann“ (in vielen Sprachen dasselbe Wort) nicht gelten. Auf diese Weise haben Menschen ohne Uterus über Jahrtausende die Schwangerschaften anderer kontrolliert und reglementiert.
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Keine Rückschlüsse auf den Körper
Dank des Feminismus gehen diese Zeiten zu Ende. Die „Frauen“ haben sich organisiert, gegen ihre Diskriminierung gekämpft, sich Zugang zu materiellen Ressourcen und Einflussmöglichkeiten erstritten. Heute stellt sich nun die Frage, ob konsequenterweise nicht auch die Zuordnung von Geschlecht und Biologie selbst aufgelöst werden muss.
Darüber sind Feminist:innen derzeit allerdings heillos zerstritten. Die einen gehen davon aus, dass jede Kategorisierung von Menschen aufgrund der reproduktiven Differenz inhärent herrschaftsförmig ist. Sie fordern, Männlichkeit, Weiblichkeit sowie andere geschlechtliche Identitäten als Selbstbezeichnungen zu verstehen, die keinerlei Rückschlüsse auf den Körper der betreffenden Person zulassen. Andere hingegen sind überzeugt, dass ein an die Gebärfähigkeit gebundenes politisches Subjekt namens „Frau“ weiterhin notwendig ist, um die Freiheit von Menschen, die schwanger werden können, zu erkämpfen beziehungsweise zu erhalten.
Tatsächlich ist die Zuordnung von reproduktiver Differenz (kann schwanger werden oder nicht) zur Geschlechterdifferenz (weiblich, männlich, nicht binär) uneindeutig. Auch viele „Frauen“ können ja nicht schwanger werden, wobei das Schwangerwerdenkönnen prinzipiell immer eine Potenzialität ist: Nicht alle Frauen haben einen Uterus, nicht alle Personen mit Uterus können schwanger werden, nicht alle Personen, die schwanger werden können, werden es auch, nicht alle Personen, die schwanger werden, führen die Schwangerschaft auch zu Ende.
Eine neue symbolische Ordnung
Der Verweis auf die Uneindeutigkeit von Biologie ist aber ein schwaches Argument gegen binäre Geschlechterkonzepte. Selbst wenn man nämlich die Kriterien für „korrekte“ Chromosomen, Genitalien und Hormone äußerst streng definiert, fallen immer noch über 98 Prozent aller Neugeborenen exakt in eine von zwei reproduktiven Varianten. Biologische Intersexualität existiert natürlich, aber sie ist nicht der Grund, warum die traditionelle Geschlechterordnung hinterfragt wird. Die allermeisten Menschen, die sich als trans und/oder nicht binär verstehen, tun das, obwohl ihre Körper in reproduktiver Hinsicht vollkommen eindeutig sind.
Eine neue symbolische Ordnung der Geschlechterdifferenzen ist vielmehr notwendig geworden, weil die traditionelle patriarchale Ordnung ihre Legitimität verloren hat. Wenn Frauen individuelle Rechte haben, homosexuelle Paare Familien gründen, In-Vitro-Fertilisation Schwangerschaften ohne Sex ermöglicht und Kinder drei biologische Elternteile haben können, muss zwangsläufig genauer hingeschaut werden: Wovon ist in einem bestimmten Kontext die Rede? Geht es um Frauen? Geht es um Menschen, die schwanger werden können/wollen/waren? Geht es um Menschen, die menstruieren? Geht es um Feminist:innen, also um Menschen, die patriarchale Strukturen bekämpfen? Geht es um „FLINTs“, um Frauen-Lesben-Inter-Nonbinäre-Trans-Personen, also um Menschen, die etwas anderes als traditionelle cis Männlichkeit verkörpern?
Es ist sinnlos, sich darüber zu streiten, welcher dieser Begriffe besser oder schlechter ist, denn die Frage ist: Worüber will ich sprechen und welcher Begriff ist in diesem Kontext der zutreffende? Dass die Begriffe sich vervielfältigen, mit denen wir über das Themenfeld Gender, Geschlechterverhältnisse und Reproduktion sprechen, zerstört nicht etwa das politische Subjekt „Frauen“, wie manche befürchten. Ganz im Gegenteil: Es ist ein Zeichen dafür, dass die Themen, die Feminist:innen am Herzen liegen, in der politischen Debatte inzwischen einen Grad an Komplexität erreicht haben, der ein differenzierteres Vokabular erfordert als das klassische „Frau-Mann“-Schema, in das die Realität früher gepresst wurde.
Auf eine Frage zuspitzen
„Feminism is the radical notion that women are people“, heißt ein beliebter feministischer Spruch, und das gilt eben – trotz aller biologischen Unterschiede – auch für die Reproduktion: Dass Frauen schwanger werden können, heißt nichts anderes, als dass Menschen schwanger werden können, wenn auch nicht alle.
Erst wenn wir das verstanden haben, können wir reproduktive Gerechtigkeit neu definieren. Indem wir sie dann nämlich auf die Frage zuspitzen, ob die Verhältnisse so sind, dass ein gutes Leben auch für Menschen garantiert ist, die schwanger werden. Denn eine biologische Wahrheit ist ganz unabhängig von sozialen und politischen Veränderungen sicher: Wir alle verdanken unsere Existenz der Tatsache, dass eine andere Person den Embryo, aus dem wir entstanden sind, viele Monate lang in ihrem Uterus zur Reife gebracht hat. Und das ist keine Marginalie.
Leser*innenkommentare
hessebub
Was die Autorin hier beschreibt ist primär die Steilvorlage für's progressive Lager sich selbst zu zerlegen. Im Übrigen ist Diversität die neoliberale Norm und daher wäre es höchste Zeit, dass sich die fluide Linke Gedanken drüber macht, was an ihren Ideen zur Diversität eigentlich noch links und radikal ist, und was nur bequemer Konformismus mit radikaler Fassade, das Update des ewigen narzisstischen Flügelkampfes linker Grüppchen, serviert zum Flat White im Café Elfenbeinturm.
cazzimma
@hessebub Scherz beiseite.
Muss sagen, dass ich anhand solcher Artikel auch langsam aussteige, auch wenn ich mich nach wie vor als Feministin bezeichne.
Halte es wie "Running Man" weiter oben: bitte jeder nach seiner/* ihrer Facon, und bitte Respekt als Grundlage des Umgangs miteinander.
Diese mit- ohne-Uterus- mit -xx-Chromosom-ohne, darf's ein bisschen weniger sein etc. - Diskussion nimmt neurotische Züge an.
Running Man
Tja, mich macht speziell diese Diskussion ratlos: "Nicht alle Frauen haben einen Uterus, nicht alle Personen mit Uterus können schwanger werden, nicht alle Personen, die schwanger werden können, werden es auch, nicht alle Personen, die schwanger werden, führen die Schwangerschaft auch zu Ende." Richtig. Trotzdem gilt auch: Alle Personen, die schwanger werden können, haben einen Uterus. Und diese biologische Tatsache ist wiederum unmittelbar an das Vorhandensein eines zweiten X-Chromosoms gebunden. Trotzdem ist es ja sinnvoll das biologisches Geschlecht von Gender zu unterscheiden! Das verstehe sogar ich, obwohl ich nur ein alter weißer cis Mann bin. Was ich nicht verstehe, ist der heilige Furor und die Verbissenheit, mit der diese Debatte geführt wird. Wir leben doch längst in einer Welt des "anything goes". Begegnet mir eine Schwangere, will ich, dass ihre Rechte gewahrt werden. Begegnet mir eine Person, die sich nicht in die binäre Form pressen lassen will, spreche ich ihn, sie, * so an, wie er, sie, * es will. Ich habe damit null Problem. Rennt man bei mir aber ständig offene Türen ein, fühle mich an Shakespeare erinnert: Viel Lärm um Nichts.
Arne Babenhauserheide
@Running Man Nein, nicht alle Leute, die einen Uterus haben, haben ein zweites X-Chromosom: de.wikipedia.org/wiki/XY-Frau
Beispiel zu XY-Menschen mit Gebärmutter: de.wikipedia.org/w...sche_Erscheinungen
4813 (Profil gelöscht)
Gast
@Arne Babenhauserheide Okay, den Gendefekt kann man bestimmt bald behandeln.
Und - nur ein Uterus macht keine Schwangerschaft, dazu gehören noch die Eierstöcke.
petronius_arbiter
"Manche Menschen können schwanger werden, andere nicht. Lässt sich das nur mit den Kategorien „Mann“ und „Frau“ erklären?"
ja - weil das biologische definitionen sind
daß manche diese begriffe auch anders als biologisch besetzen wollen, ändert daran ja nichts
Stefan L.
@petronius_arbiter Exakt.
Wahrscheinlich wollen sich auch 90% aller Menschen explizit als "Mann" oder "Frau" bezeichnen. Deshalb finde ich es grenzwertig, diese Bezeichnungen zu stigmatisieren. Wer sich eher "divers" sieht, kann und soll das selbstverständlich machen. Ich möchte aber von niemanden vorgeschrieben bekommen, ob ich mein Geschlecht in Frage stellen soll.
Aber da kommt bestimmt gleich wieder die Privilegien-Keule.
Arne Babenhauserheide
@petronius_arbiter Der Artikel beschreibt deutlich, dass Schwanger werden können eben nicht eindeutig mit Frau sein zusammenhängt. Auch nicht biologisch.
Werden Frauen zu Männern, sobald sie in die Wechseljahre kommen?
4813 (Profil gelöscht)
Gast
@Arne Babenhauserheide Ach glauben sie doch weiter an den Klapperstorch.
Uranus
@4813 (Profil gelöscht) Was soll dieser spöttische Kommentar?! Lesen Sie doch noch mal den Artikel und den Kommentar von Arne Babenhauserheide.
Hampelstielz
@Uranus Pseudowissenschaften muss man, sofern sie auch noch mit stolz-empörtem Naserümpfen vorgetragen werden, bestimmt nicht höflich gutieren.
4813 (Profil gelöscht)
Gast
@Uranus Unterstellen sie mir, das ich nicht lesen kann? Wenn sie und Herr Arne allerdings eine alternative Realität aufbauen, in der man nicht Frau sein muss, um schwanger zu werden, dann kann ich auch mit Legenden und Märchen antworten.
Das ganze erinnert doch an die Gründung einer neuen Religion. Dogmen werden wider jede Realität aufgestellt und in Kreuzzügen verteidigt.
Nein, hier muss der gesunde Menschenverstand widersprechen. Nagelt mich an euer Kreuz, ich kann nicht anders.
marusja meyer
was für ein aufgeblasener unsinn. männer können nicht schwanger werden - weil sie eben keine frauen sind. punkt.frauen als menschen mit uterus zu bezeichnen ist der gipfel der frauenfeindlichkeit - unsäglich.
Uranus
@marusja meyer Vielleicht noch mal in den Diskurs um Trans und Queer hineinlesen. Es gibt bspw. Trans Personen, die sich als Männer verstehen und einen Uterus haben ...
Stefan L.
@Uranus "Vielleicht noch mal in den Diskurs um Trans und Queer hineinlesen. Es gibt bspw. Trans Personen, die sich als Männer verstehen und einen Uterus haben ..."
Und? Von welchem Prozentsatz der Bevölkerung reden wir da, also Trans Personen, die sich als Männer verstehen und einen Uterus haben???
Die dürfen sich selbstverständlich sehen und definieren, wie sie wollen aber deren Existenz ist kein Grund, die Identität von Frauen und Männern, die sich nur als solche sehen, in Frage zu stellen.