Feministin über das Familienrecht: „Familie ist längst vielfältig“

Was ist reproduktive Freiheit? Was bedeutet Ehe? Autorin Antje Schrupp über Verantwortungsgemeinschaften, das kleine Sorgerecht und besorgte Konservative.

Eine Junge Frau mit einem Kind beim Dyke-Marsch in Sanfrancisco, 1985

Teilnehmende beim Dyke-Marsch in San Francisco, 1985 Foto: Bromberger/Hoover Photography/getty images

taz: Frau Schrupp, was bedeutet für Sie der Begriff „Familie“?

Antje Schrupp: Familien sind Lebensgemeinschaften von Menschen, die langfristig füreinander sorgen – mitunter lebenslang. Familie organisiert generationenübergreifende Versorgung und Fürsorge. Insbesondere das Kümmern um Kinder, die das ja noch nicht selber können.

Und entspricht Ihr Bild dem, wie Familie in Deutschland heute rechtlich organisiert ist?

Nein. Was wir als Familie kennen, geht zurück aufs Römische Recht. „Mater semper certa est“: Die Mutter ist immer sicher, also: die Frau, die das Kind geboren hat. Und der Vater ist der Mann, mit dem die Frau verheiratet ist. Darauf baut unser Recht bis heute auf. Allerdings sind historische gewachsene Strukturen nur selten eins zu eins brauchbar, weil sich Verhältnisse nun mal ändern. In der Realität sehen Familien heute längst vielfältiger aus.

In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP zahlreiche Reformen im Familienrecht angekündigt. Noch in diesem Jahr soll die Gleichstellung lesbischer Mütter kommen. Was ist da bisher das Problem?

Bisher muss die Frau, die nicht schwanger ist, das Kind adoptieren, um Co-Elternteil zu sein. In einer Hetero-Ehe hingegen ist der nicht-schwangere Ehepartner das automatisch – unabhängig davon, ob er der genetische Vater ist. Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Eheschließung die Einwilligung ist, gemeinsam eine Familie zu gründen, dann sollten wir aus dieser Gleichung die Geschlechtszugehörigkeit rausnehmen. Ohnehin finde ich es gut, die soziale Co-Elternschaft höher zu werten als die genetische. Dass einem also als Elternteil zuerst die Person in den Sinn kommt, die mit der Mutter verbunden ist, und nicht die, die ihre Keimzellen dazugegeben hat. Denn das kann in Zeiten von Eizell- und Samenspenden ja durchaus eine Person ganz ohne jede persönliche Beziehung zum Kind oder auch zur Mutter sein.

Wenn zwei Frauen ein Kind bekommen und dabei auf eine Samenspende und sogenannte künstliche Befruchtung zurückgreifen, ist das teuer. Finanzielle Unterstützung von Staat und Krankenkasse bekommen bisher aber vor allem mit einem Mann verheiratete Frauen, die nicht ohne Unterstützung schwanger werden können. Ist das diskriminierend?

Auf jeden Fall, denn es bindet die finanzielle Unterstützung an eine bestimmte Art, Sex zu haben oder Familie zu leben. Ich finde, man kann ruhig hinterfragen, ob künstliche Befruchtung überhaupt von der Allgemeinheit finanziert werden soll. Denn kein Kind zu bekommen ist ja keine Krankheit. Aber wenn der Staat sich daran finanziell beteiligt, dann muss das für alle gleich sein. Auch das will die Ampel ändern, und das ist richtig.

Die Ampel will außerdem das Sorgerecht angehen. Künftig sollen neben den rechtlichen Eltern bis zu zwei weitere Erwachsene als „soziale Eltern“ ein „kleines Sorgerecht“ bekommen können. Wieso das denn?

Weil es in der Realität schon längst viel mehr gibt als nur die klassische Hetero-Kleinfamilie. Das ist jetzt der Versuch, das auch juristisch abzubilden. Es ist an der Zeit, auch rechtliche Sorgebeziehungen zu Erwachsenen zu etablieren, die nicht die Eltern sind. Wenn zum Beispiel ein Kind in eine lesbische Beziehung geboren wird und die Person, die den Samen gegeben hat, trotzdem mit für das Kind sorgen kann. Oder wenn Mutter und Kind in einer Wohngemeinschaft leben.

Ist das nicht widersprüchlich? Bei einem lesbischen Ehepaar mit Samenspende aus einer Samenbank soll von vornherein klar sein, dass die Co-Mutter statt des biologischen Vaters Elternteil des Kindes ist – und bei privaten Spenden soll der Spender eine Art Sorgerecht bekommen?

Wir müssen uns davon verabschieden, dass es die eine „richtige“ Familienform gibt, während alles andere bloß Abweichungen sind. Erwachsene und Kinder leben auf vielfältige Weise zusammen, mit unterschiedlichen Wünschen. Wenn jemand privat Samen spendet und es dabei belassen will, ist es gut, dass dieser Spender keine elterlichen Rechte oder Sorgerecht bekommt. Es ist aber auch okay abzumachen, dass der genetische Vater eine Rolle spielt im Leben des Kindes. Aufgabe des Staates sollte sein, alle diese unterschiedlichen Wünsche rechtlich abzusichern und dabei das Kindeswohl im Blick zu haben. Aber es ist nicht seine Aufgabe, Menschen vorzuschreiben, wie sie Familie leben sollen.

Sollte ein privater Samenspender das kleine Sorgerecht auch einklagen können?

Ich bin klar der Meinung, dass genetische Elternschaft allein gar keine Rechte mit sich bringen sollte. Eine Schwangerschaft ist ein so gravierender Prozess, der den Körper für so lange Zeit so sehr beansprucht. Ich halte es für ethisch nicht vertretbar, einer Person, die geboren hat, vorzuschreiben, mit wem sie Elternschaft und Sorgerecht zu teilen hat. Bei Adoption gibt es da eine aus meiner Sicht gute Regelung: Man kann die Elternschaft anderer schon während der Schwangerschaft vereinbaren, rechtskräftig wird sie aber erst acht Wochen nach der Geburt. Bis dahin kann die Gebärende sich noch umentscheiden.

Die Politikwissenschaftlerin

Antje Schrupp, 1964 im hessischen Weilburg geboren, beschäftigte sich in ihrer Promotion mit dem Verhältnis von Marxismus und Feminismus und ist mittlerweile als Journalistin, Bloggerin und Buchautorin bundesweit bekannt. Zuletzt erschienen ihre Bücher „Schwangerwerden­können: Essay über Körper, Geschlecht und Politik“ (Ulrike Helmer Verlag, 2019) und „Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung“ (Unrast, 2022).

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Neben der Ehe soll es das Modell der „Verantwortungsgemeinschaft“ geben: Auch ohne Liebesbeziehung sollen zwei oder mehr Erwachsene rechtlich Verantwortung füreinander übernehmen können. Was wären denn das beispielsweise für Konstellationen?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich finde das sehr sinnvoll, denn das Zusammenbinden von romantischer Liebe und langfristigen, mitunter auch intergenerationellen Sorgebeziehungen ist sowieso heikel und funktioniert wenn überhaupt nur in patriarchalen Strukturen. In den 50er Jahren gab es in der US-amerikanischen Schwulenbewegung zum Beispiel viele Männer, die gerne mit ihren Familien und Kindern weiter zusammenleben, ihre Liebesbeziehungen aber in der Szene ausleben wollten. Oder nehmen wir zwei Schwestern, die zusammenleben und füreinander sorgen wollen. Oder Freund*innen, die sich im Alter beistehen wollen.

Denen verbietet aber doch auch heute niemand die Entscheidung, zusammenzuleben und für einander zu sorgen.

Stimmt. Aber sie haben weder die Pflichten noch die Rechte, die zum Beispiel aus einer Ehe resultieren. Weder das Ehegattensplitting noch die Unterhaltspflicht, falls ei­ne*r in eine materielle Notlage gerät, noch Handhabe im Krankheits- oder Pflegefall. Warum ist dafür denn wichtig, ob sie auch Sex miteinander haben? Ich bin dafür, das zu entkoppeln. Das fällt uns schwer, weil wir uns so sehr daran gewöhnt haben, dass Sorge- und Liebesbeziehungen zusammengehören. Dabei ist ja auch das eigentlich eine neue Erfindung und keineswegs der Ursprung der Ehe. Aber hier liegt auch eins der ganz großen Probleme all dieser Reformvorhaben der Ampel.

Inwiefern?

Für eine progressive Familienpolitik müssten wir erst einmal definieren, was wir eigentlich unter reproduktiver Freiheit und Gerechtigkeit und unter Familie verstehen. Und dann müssten wir die Rechtslage dazu ganz neu auflegen. Das ist in der Realität leider unmöglich, stattdessen kann die Politik nur Modifikationen am bestehenden Rechtssystem vornehmen. Und das ist schwierig, weil dieses System auf symbolischen Grundlagen wie dem romantischen Liebesideal aufbaut, die dafür ungeeignet sind. Die jetzigen Reformen sind überfällig – aber wir müssen noch viele weitere Diskussionen führen.

Hitzige Diskussionen gibt es bereits, zum Beispiel um das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das trans Personen mehr Rechte geben soll. Wird es auch beim Thema Familie Streit geben?

Ich vermute schon. Vor allem, weil Rechte und Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen behaupten, die traditionelle Heterofamilie sei normal, natürlich, gottgewollt und alles davon Abweichende entsprechend unnatürlich. Konservative werden alles versuchen, um die Wellen auch hier hochschlagen zu lassen. Das ist schade, weil man so wichtige Diskussionen gar nicht sachlich führen kann. Zum Beispiel über die Frage, ob wir ein Konstrukt wie die Ehe überhaupt wollen, was Familie für uns bedeutet oder unter welchen Bedingungen wir Reproduktionstechnologien einsetzen wollen. Ich sehe schon die ganzen schrecklichen Talkshows kommen, die den Geist eher verwirren, als Klarheit zu schaffen. Aber Geschlecht und Familie sind eben Themen, die uns alle unmittelbar betreffen – und deswegen hängen wir da auch alle so mit unseren eigenen Emotionen drin.

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