Neue Tierversuche: Nur wenig Glyphosat – trotzdem Krebs
Das meistverkaufte Pestizid löste Forschern zufolge in einem Tierversuch auch in niedrigen Dosen mehrere Krebsarten aus. Muss die EU es verbieten?

Ebenfalls im Vergleich zu Kontrollgruppen aus früheren Versuchen waren die Leukämieraten der Studie zufolge bedeutend höher. Auch etwa in der Haut, Leber oder Niere „wurden statistisch signifikante dosisabhängige erhöhte Trends“ oder Häufigkeiten von gut- und bösartigen Tumoren festgestellt, so die Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen beispielsweise in den USA, Großbritannien und Italien.
Damit widersprechen sie Behauptungen von Befürwortern des weltweit meist verwendeten Pestizidwirkstoffs, dass er in extrem hohen Dosen vielleicht Krebs verursache, aber nicht in den zugelassenen Mengen. Dieser Einwand wurde auch vorgebracht, als die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte.
In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, Bayer/Monsanto, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen. Bayer beruft sich auf Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher bewerten. Das Gift tötet so gut wie alle Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt. Dennoch ließ die EU das Mittel 2023 für weitere 10 Jahre zu.
Aufwendige Untersuchung
Die neue Studie könnte jetzt den Druck erhöhen, diesen Beschluss zu überprüfen. Denn Glyphosatgegner ziehen aus ihr den Schluss, dass das Gesundheitsrisiko durch die Chemikalie größer sei als bisher von den Behörden angenommen. War bisher vor allem von der Krebsart Non-Hodgkin-Lymphom die Rede, rückt die Untersuchung nun auch Leukämie in den Fokus. Dabei fällt auf, dass die daran erkrankten Tiere sehr früh starben. Ungefähr die Hälfte der Ratten mit Leukämie sei schon im Alter von weniger als 1 Jahr ums Leben gekommen, berichten die Forscher. Das könnte daran gelegen haben, dass die Ratten anders als in anderen Versuchen schon als Embryonen über die Mutter und kurz nach der Geburt Glyphosat ausgesetzt waren.
Die Ergebnisse deuten den Wissenschaftlern zufolge auch darauf hin, dass die anderen Inhaltsstoffe von Pestiziden mit Glyphosat das Krebsrisiko „verstärken können, insbesondere im Falle von Leukämie.“ Schließlich seien bei zwei solcher ebenfalls getesteten Handelspräparate mit Glyphosat die Krebsraten erhöht gewesen.
Die Studie der 27 Autoren war aufwendig: 1.020 Ratten wurden dem Artikel in der Fachzeitschrift zufolge in 10 Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe habe über das Trinkwasser Glyphosat pur oder eines der beiden Handelspräparate in jeweils 3 unterschiedlichen Dosen bekommen. Das Wasser der Kontrollgruppe dagegen war demnach frei von den Chemikalien. Im Alter von 104 Wochen seien die dann noch lebenden Tiere getötet und zum Beispiel ihre Gewebe untersucht worden. Zwei nicht an dem Projekt beteiligte Wissenschaftler begutachteten das Manuskript vor Veröffentlichung im Rahmen einer „Peer Review“.
„Die Ergebnisse sind sehr besorgniserregend“, teilte die Umweltorganisation Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN Europe) mit. Die EU müsse jetzt die Zulassung von Glyphosat und ihre Gesetzgebung zu Pestiziden überprüfen.
Die EU-Kommission antwortete darauf, sie werde nun die EU-Behörden für Lebensmittelsicherheit und Chemikalien fragen, ob die Studie „in Verbindung mit allen anderen verfügbaren Informationen ihre früheren Schlussfolgerungen zur Gefahren- oder Risikobewertung von Glyphosat ändern.“ Sollte es nötig sein, „wird die Kommission unverzüglich tätig, um die Zulassung zu ändern oder zu widerrufen“, schrieb die Brüsseler Behörde der taz.
Chemiekonzern kritisiert allgemein Mängel
Bayer erklärte, dass die Studie „signifikante methodische Mängel aufweist.“ Auch auf Nachfrage der taz nannte der Konzern aber keine Begründung für diesen Vorwurf. Wohl um die Glaubwürdigkeit der Studienautoren zu unterminieren, kritisierte das Unternehmen aus Leverkusen jedoch, das Ramazzini-Institut habe bereits in der Vergangenheit „irreführende Behauptungen zur Sicherheit verschiedener Produkte aufgestellt“. Die US-Umweltschutzbehörde EPA habe Risikobewertungen zurückgezogen, die auf Daten des Ramazzini-Instituts zu anderen Substanzen beruhten.
Daniele Mandrioli, Direktor des Krebsforschungszentrums des Instituts, schrieb der taz dazu, „dass die Stoffe, die in unseren Labors als krebserregend identifiziert wurden, sich früher oder später (manchmal Jahrzehnte später) als krebserregend für den Menschen erwiesen haben, zum Beispiel Vynilchlorid, Benzol, Formaldehyd und Asbest.“ In der 50-jährigen Geschichte des Instituts seien seine Untersuchungen zu mehr als 200 chemischen Verbindungen „weltweit routinemäßig zur Gefahren- und Risikobewertung eingesetzt“ worden.
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