piwik no script img

Neue Regierung in ItalienRoms Gruselkabinett

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

So seriös sie sich geben mag – die Wahl ihrer MinisterInnen enthüllt Melonis Absichten. Frauen, Queers und Flüchtenden stehen harte Zeiten bevor.

Auf zur ersten Kabinettssitzung: Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Chigi-Palast Foto: Guglielmo Mangiapane/reuters

G iorgia Meloni ist am Ziel. Die neue Ministerpräsidentin Italiens übernahm am Sonntag die Amtsgeschäfte von ihrem Vorgänger Mario Draghi. Es ist eine radikale Wende: Nach Draghi, dem Chef einer von fast allen Parteien getragenen Notstandsregierung, der Person gewordenen Garantie für die Zuverlässigkeit Italiens in Europa, kommt jetzt die Anführerin einer stramm rechten Koalition, die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) ans Ruder.

Doch trotz ihres Triumphs, trotz des klaren Wahlsiegs vor vier Wochen und der dann erfolgten schnellen Regierungsbildung, vermeidet Meloni jedes Triumphgeheul. Auf ihrem Spielplan steht nicht die Inszenierung einer radikal rechten Wende, sondern ein vor allem für das internationale Publikum, für Europa, für die Finanzmärkte komponiertes Stück: Rom bleibt seriös und zuverlässig.

Zwar scheiterte Meloni mit ihrem Ansinnen, Schlüsselpositionen wie das Außen- und das Finanzministerium an parteilose Technokraten mit internationalem Renommée zu vergeben – niemand ihrer Wunschkandidaten fand sich bereit; stattdessen kamen ihre Koalitionspartner von Forza Italia und der Lega in den beiden Ressorts zum Zug.

Doch anders als sein Parteichef Silvio Berlusconi ist der neue Außenminister Antonio Tajani ein Mann, der sich – als früherer EU-Kommissar und EP-Präsident – den Ruf erarbeitete, klar proeuropäisch und in der Ukrainekrise antirussisch positioniert zu sein.

Alphamännchen in die Schranken gewiesen

Auch der neue Finanzminister Giancarlo Giorgetti von der Lega kann geradezu als Gegenentwurf zu seinem Parteichef Matteo Salvini gelten: als Politiker nicht des harten, ja hetzenden Auftritts, sondern als immer den Kompromiss suchender Mann der leisen Töne, der sich nicht umsonst seiner Freundschaft zu Mario Draghi rühmt.

Erfolgreich war Meloni auch damit, ihre beiden Koalitionspartner, die Alphamännchen Berlusconi und Salvini, in die Schranken zu weisen. Berlusconi wollte seiner Partei den Zugriff aufs Justiz- und aufs Wirtschaftsministerium sichern. Die Justiz interessiert ihn, weil immer noch Prozesse gegen ihn laufen, die Wirtschaft, weil das Ressort auch für die Medien – und damit für sein TV- und Verlagsimperium zuständig ist. Berlusconi ging leer aus.

Nicht gut lief es auch für Salvini, der gern das Innenministerium ergattert hätte, um aus dieser Position das Revival seiner Politik der „geschlossenen Häfen“ gegen Flüchtlinge und NGOs zu bringen, die er schon in seiner Zeit als Innenminister in den Jahren 2018-19 umgesetzt hatte. Stattdessen wird mit dem Präfekten Matteo Piantedosi jetzt ein Technokrat Chef des Innenressorts.

Kein Grund sich zu entspannen

Den Ball flach halten: Dies scheint, wie schon im Wahlkampf und direkt nach dem Wahlsieg jetzt auch bei der Kabinettsbildung Melonis Richtschnur zu sein. Radikal rechte Akzente setzt sie jedoch auch – dort, wo keine unmittelbare Gefahr für Italiens Stabilität droht. So berief sie Eugenia Roccella zur Ministerin für „Familie, Geburten, Gleichstellung“.

Die stramme Katholikin fiel vor allem mit ihrem Kampf gegen eingetragene Lebenspartnerschaften und gegen die legale Abtreibung – in ihren Worten: „Abtreibung ist kein Recht“ – auf. Die LBGTQI-Verbände sind entsetzt. Auch der neue Bildungsminister Giuseppe Valditara verfolgt einen allzu klaren Kurs. Auf sich aufmerksam machte er als Autor von Büchern wie „Immigration – die große humanitäre Farce“ oder: „Das römische Reich, zerstört von den Immigranten“.

Kein Grund also, sich entspannt zurückzulehnen: Giorgia Meloni mag auf Samtpfoten daher kommen, sie mag eisern entschlossen sein, international Schäden zu vermeiden, doch ihre reaktionäre Agenda bleibt intakt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Es ändert sich in Italien nichts wesentliches - es findet nur eine "Regression" ins (italienische) Stammesleben statt.

  • Wenn man wirklich wählen könnte, hätten die Faschisten keine Chance.



    Aber die Vorgängerregierungen haben versagt, bis zur offenen Lüge.



    Also treibt die Verzweiflung die Leute in die Arme der Melonen.



    Unsere Nazis haben damals als erstes Wahlen verboten.



    Weil sie wussten die meisten Menschen wollen keinen Krieg.



    Das wirds in Italien nicht geben, ein Wahlverbot. Aber einen Ersatz.



    Krieg gegen Einwanderer, verordnete Armut für viele.



    Wir, die "Guten" der "Westen" befinden uns im Abschwung.



    Ein Rezept der Herrschenden dagegen war und ist der Faschismus.



    Scheint aber nicht schlimm zu sein für Europa. Scholz twittert "congratulazione".

  • Vielen Dank für diesen, wie ich finde, sehr guten und objektiv gehaltenen Artikel, der die aktuelle politische Situation Italiens verständlich wiedergibt.

  • Die Regierung eines EU Landes hat kaum Spielraum bei zentralen wirtschaftlichen Themen.Das weiß auch Frau Meloni. Die Bereiche, wo rechte Politik umgesetzt wird sind zur Zeit Flüchtlinge und Kircheneinfluss. Da ist die Zivilgesellschaft gefragt - und da gibt es auch in Italien genug aktive Leute.

  • "Nicht gut lief es auch für Salvini" ? Die Fotos der letzten Tage sprechen eine andere Sprache.

    Matteo Salvini wurde zwar als Minister für Infrastruktur eingesetzt, erhielt aber zusätzlich die Zuständigkeit für die Küstenwache. 2018 ging die italienische Justiz noch gegen ihn vor, wegen seiner persönlichen Anweisungen als Innenminister an die Küstenwache. Unter der neuen Regierung dürfte derartiges Geschichte sein.

    Frau Meloni sieht die Küstenwache also bei der Infrastruktur gut angesiedelt. Das könnte ein Vorzeichen auf einen Um/Aufbau der Küstenwache sein. Dieser Aufgabe wird sich Matteo Salvini mit Hingabe und Freude widmen. Viele Italiener werden seine Aktivitäten mit Wohlwollen begleiten - auch wenn die italienische Landwirtschaft ohne die schwarzen Hilfskräfte kollabieren würde.

    Giorgia Meloni blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück. In den letzten Monaten konnte alle ihr politisches Geschick verfolgen.

    • @Sancho:

      Die Küstenwache dürfte v.a. wieder dabei an Bedeutung gewinnen, den international agierenden Schlepperbanden Einhalt zu gebieten.

      • @Nikolai Nikitin:

        Warum haben die wohl was zu schleppen? Über die Gründe will der hiesige Spießbürger nicht nachdenken...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Es gibt kaum Gründe gegen eine gesteuerte Zuwanderung, wohl auch nicht für den 'spießigen' Bürger ... Sollen sich die Schlepper die Taschen voll machen ? Kluge Arbeitsmigration dagegen ist klar erwünscht.

  • Sie wurde durch Volkes Stimme gewählt.



    Das ist es was mir mehr Angst macht.



    Rutscht Wuropa nun endgültig wieder nach Rechts ab? Die AfD aktuell bei 16%, auch das macht mir Angst.

    • @Rudi Hamm:

      Eine Minderheit hatte rechts gewählt, viele sind erst gar nicht zu Wahl gegangen. Bei aller Verschiedenheit hatten sich die Rechtsparteien in einer Liste zusammengeschlossen und vom Wahlsystem profitiert. Matteo Renzi attakiert Giuseppe Conte, der scheint für ihn ein einfacheres Ziel als Giorgia Meloni zu sein. Wenn eine Wiederwahl dieser Regierung verhindert werden sollte, müsste eine nachhaltige politische Auseinandersetzung mit ihr aufgenommen werden.

      Angst sollte nicht lähmen, sondern aktivieren.

    • @Rudi Hamm:

      Die 16% für die AfD sind eine direkte Folge der massiven Unentschlossenheit in Kooperation mit unerklärlicher Kommunikationsverweigerung des Kanzlers Olaf Scholz.

  • Deutschland hat es in der Hand.

    Für die meisten Flüchtlinge, die über die Mittelmeerroute nach Italien kommen, ist Italien nicht das gewünschte Zielland. Darum liegt es jetzt an Deutschland, wie es i Zukunft weitergehen wird. Deutschland muss in Zukunft dafür sorgen, dass die Menschen schnell in Italien an Land gehen dürfen und dann sofort die Weiterreise per Flieger/Bahn nach Deutschland antreten können. Dagegen wird die neue Regierung in Italien nichts haben und das humanitäre Problem wäre gelöst. Es liegt also in der Hand der Ampel, stellt sie für Flüchtlinge endlich auf grün.

    • @V M:

      Vor allem wo die EU jetzt den relativ sicheren Weg über Serbien verhindern möchte. So konnte man per Flugzeug von Tunesien über die Türkei nach Serbien fliegen und von da relativ einfach in die EU gelangen. Frau Fäser spricht aber da von illegalen Einreisen.



      Allerdings ist der Weg sich mittels eines nicht seetüchtigen Schlauchbootes von einem NGO Schiff aufnehmen zu lassen und so auf eine italienische Insel zu gelangen weitaus dramatischer und erfüllt auch nicht den Tatbestand der illegalen Einreise. Allerdings ist die Aktion für die Immigranten relativ gefährlich.

    • @V M:

      "...und dann sofort die Weiterreise per Flieger/Bahn nach Deutschland antreten können"



      Wieso sollte das so sein? Sollten Flüchtlinge nicht nach einem gerechten Schlüssel in allen Ländern der EU verteilt werden?



      Wenn nein, warum nicht?

    • @V M:

      Ne Verteilung wäre angebrachter. Verstehe nicht, warum Deutschland da alles aufnehmen sollte, andere Länder aber nicht

      • @Louis Glatt:

        Ganz einfach, weil die anderen EU-Staaten nicht mitmachen.

        • @V M:

          ...dann sollten Sie vielleicht mal Ihren Fokus auf die anderen EU Staaten legen und vergleichen , was Deutschland da im Vergleich alles leistet.

    • @V M:

      Die AfD könnte nicht besser gefördert werden.

  • In Italien hat sich noch keine Regierung lange gehalten, das wird diesmal nicht anders sein. Wir dürfen also gespannt sein, wie lange Meloni und ihre Truppe brauchen, um sich so richtig in die Haare zu geraten. Vermutlich werden schon Wetten darauf abgeschlossen.

    • @Felis:

      Gewagte These, denn die Regierung hat eine fette Mehrheit und die Opposition ist total zerstritten. Ich glaube, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass in Europa ein Staat nach dem anderen nach rechts kippt. Schrecklich! Das einzige was die EU noch zusammenhält ist das Geld aus Brüssel. Ich persönlich setze auf Macron und seine Ideen für Europa

  • Das liest sich fast so, als wäre der Kommentator etwas enttäuscht, dass die Regierungsübernahme so langweilig verläuft. Irgendwie war da kein richtiger Ansatz zu finden, um sich - wie anscheinend geplant - aufzuregen.

  • Was macht eine Ministerin für Geburten? Alle neun Monate ein Kind kriegen?

  • "Nach Draghi, dem Chef einer von fast allen Parteien getragenen Notstandsregierung, der Person gewordenen Garantie für die Zuverlässigkeit Italiens in Europa"

    Herr Braun, ich kann diese Lobhudelei über Draghi nicht verstehen. Nennen sie EINEN Grund, weshalb Draghi als Garant der Zuverlässigkeit galt?



    Er hat lediglich dafür gesorgt, dass die EU Gelder an die (für das Establishement) "richtigen" Gruppen ging. Ansonsten wollte er eigentlich nur Präsident werden.

  • Man muss schon sehr unzufrieden sein in Italien wenn man diese Parteien wählt. Da müssen die Italiener aber jetzt durch bis zur nächsten Wahl in 15 Monaten.