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Neue Corona-ÜberbrückungshilfenMilliarden für den Einzelhandel

Die Bundesregierung grätscht ins Weihnachtsgeschäft, will aber die Rolle der Kund*innen übernehmen. Wann die Hilfe ankommt, ist noch ungewiss.

Eine wichtige Handreichung: Markus Söder und Olf Scholz nach dem Coroangipfel am Sonntag Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa-Pool/dpa

Berlin taz | Ein neuer Lockdown, ein neues Unterstützungspaket: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat am Sonntag die Hilfen umrissen, mit denen der Staat die wirtschaftlichen Folgen der neuen Geschäftsschließungen abfedern will. Der Fokus liegt diesmal auf dem Einzelhandel, weil sich für Gastronomie und Kultur der Lockdown einfach verlängert, während die Läden nun überraschend den Endspurt des Weihnachtsgeschäfts verlieren.

„Es geht hier um Existenzen, um Frauen und Männer, die sich über Jahre ein Geschäft aufgebaut haben und sich nun sorgen, dass ihre Lebensleistung innerhalb weniger Wochen einfach verschwindet“, sagte Scholz in Berlin. Er rechne damit, dass die neuen Hilfen rund 11 Milliarden Euro pro Monat kosten. Unklar bleibt jedoch, wann diese bei den Betroffenen ankommen würden.

Die bestehende Überbrückungshilfe, die Scholz bereits über den Januar hinaus ausgedeht hatte, erhält nun einen Nachfolger. Bei diesem Instrument handelt es sich im Kern um die ursprünglichen Coronamaßnahmen vom März: Je nach Höhe des Umsatzeinbruchs ersetzt der Staat den Unternehmen bis zu 90 Prozent der Fixkosten. Dabei handelt es sich um Posten wie Miete, Gehälter, Strom oder Zinsen für Kredite. Im laufenden Programm waren dafür Zahlungen bis 50.000 Euro pro Monat möglich, mit der Ankündigung vom Sonntag hat Scholz die Summe auf 500.000 verzehnfacht.

Einzelhandler*innen sind unglücklich

Da viele Selbstständige und Kleinunternehmen nur wenig Fixkosten haben, hatte die Bundesregierung mit den Novemberhilfen im vergangenen Monat begonnen, auch Umsätze zu ersetzen. Sie hilft also nicht nur, die laufenden Kosten zu bezahlen, sondern sie gleicht die sinkenden Einnahmen aus – und übernimmt damit quasi die finanzielle Rolle der Kunden. Das hilft besonders Selbstständigen und Kleinunternehmen, die wenig Fixkosten haben. Auch diese Hilfen laufen weiter, solange der Lockdown anhält. Das gilt auch für den Umsatzausgleich für Restaurants, Kinos oder etwa Friseure, die nun ganz schließen müssen.

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Nun soll es auch besondere Hilfen für Einzelhändler geben. Das wichtigste Instrument dazu ist das Steuerrecht. Der Offline-Einzelhandel bleibt vermutlich auf einem Haufen von Waren sitzen, die er jetzt nicht mehr vor Weihnachten zum vollen Preis verkaufen kann. Deren Wertverlust soll nun unbürokratisch durch Teilabschreibungen aufgefangen werden können, wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet am Sonntag bestätigte. Das heißt, die Geschäfte können den Verlust durch den sinkenden Preis der gelagerten Waren von der Steuer absetzen.

Die Einzelhandelsverbände sind dennoch höchst unglücklich mit der Schließung. „Das Weihnachtsgeschäft 2020 ist für die meisten Innenstadthändler verloren“, sagte Stefan Genth, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Mehr als die Hälfte der Läden befürchtet, für immer schließen zu müssen. „Wenn jetzt Geschäftsschließungen als notwendig angesehen werden, darf die Bundesregierung die Branche nicht im Regen stehen lassen“, forderte Genth. Was bisher vorgesehen sei, reiche nicht, um eine Pleitewelle zu verhindern.

Der Handelsverband hat bereits ausgerechnet, was der neue Lockdown für die Branche bedeutet. Im Vergleich zu einem normalen Dezember – dem für die Branche wichtigsten Monat des Jahres – werde der Umsatz um 60 Prozent sinken. Damit schrumpften die Einnahmen um 12 Milliarden Euro. Betroffen seien 200.000 Unternehmen, von denen fast alle kleine Läden oder allenfalls mittelständische Firmen seien. In Deutschland hängen nach Verbandsangaben 600.000 Arbeitsplätze von den Läden in den Innenstädten ab.

Scholz zeigte am Sonntag jedoch, dass ihm das alles bewusst sei. „Wir wollen den Unternehmen und Geschäften helfen, die jetzt getroffen sind“, versprach der Finanzminister. Es stehe genug Geld zur Verfügung, um ihr Überleben in den kommenden Monaten zu sichern. Eine ähnliche Ankündigung gab es jedoch schon Ende Oktober vor dem Teillockdown. Die Auszahlung, die „schnell und unbürokratisch“ erfolgen sollte, zieht sich jedoch länger hin als versprochen – weil die Behörden eben doch mehr Details prüfen müssen, als ihre Minister sich bei der Ankündigung vorstellen konnten.

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9 Kommentare

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  • Dass irgendwann im Winter ein zweiter Lockdown kommt, war schon im Sommer nicht unwahrscheinlich, dass sich der Einzelhandel zunehmend von den Einkauszentren, Gewerbegebieten und Innenstädten ins Internet verlagert ist schon seit Jahren abzusehen. Was haben denn die Einzelhändler, die jetzt Probleme haben, selbst getan, um auf diese erwartbaren Entwicklungen zu reagieren? Soll der Staat wirklich Geschäftsmodelle künstlich am Leben erhalten, die auch unabhängig von Corona gar nicht mehr zeitgemäß sind? Wäre es nicht besser, das Gekd dafür zu verwenden, diesen Unternehmern zu helfen, in die digitale Zukunft zu gelangen?

  • Willkommen in der Lobbykratie. Im Frühjahr hat die Regierung im wesentlichen einen gesunden Menschenverstand und Ratschläge von Experten als Grundlage für Entscheidungen genutzt.



    Leider haben die Lobbyisten - im Gegensatz zur Regierung - den Sommer bestens genutzt, um sich für den Winter in Stellung zu bringen.



    Zum einen wird nicht mehr geschlossen, was das Virus zurück drängt. Geschlossen wird, was man ohne großen Widerstand zu machen kann. Vereine, Kultur - und die Gastronomie mit Entschädigungen, die so machen Gastronomen wohl auf einen Lockdown bis Pfingsten hoffen lassen.



    Die Forderungen des Einzelhandels sind schlichtweg unverschämt. Gerade im Einzelhandel sind die Margen nicht so, dass man Umsatz mit Gewinn gleichsetzen kann. Zumal der Einzelhandel die T-Shirts und die Waschmaschinen, die um Weihnachten nicht verkauft werden, ja durchaus im Frühjahr verkaufen kann.



    Wie wäre es also, wenn die Lobbyisten des Handels noch mal gut nachrechnen, wo es wirklich Probleme geben könnte. Und dann über gezielte Unterstützung verhandeln für Geschäfte, die tatsächlich in Schwierigkeiten kommen könnten. Anstatt zu versuchen, sich mit Maximalforderungen den Zwangsurlaub zu vergolden, auf Kosten der Allgemeinheit.

    • @Peter_:

      Hallo Peter_,



      ich bin Einzelhändler in Berlin . Und das seit 42 Jahren. Ich kann Dir sicher sagen, dass wir Einzelhändler definitiv keine Lobby haben!



      Woher hast Du Deine Informationen?

  • Mir reichts. Mit diesen ganzen Milliarden sollte man lieber eine Fabrik für FFP II Masken bauen und erstmal 83 Millionen davon produzieren. Dann 170 Millionen eine viertel, eine halbe Milliarde. Ein Jahr haben wir schon verschenkt. Beim Impfstoff wird alles gegeben um den auf die Straße zu bringen. Die einfache "analoge" Lösung einer Maske die schützt und für jeden schnell verfügbar ist wird einfach nicht angestrebt.



    Dabei erfüllt eine Maske die mich und somit auch andere schützt den gleichen Zweck wie eine Impfung. Ohne Körperverletzung und mit wesentlich geringeren gesellschaftlichen Nebenwirkungen, schon weil es sehr viel schneller geht als alle zu impfen. Zumal wir mit dem impfen niemals fertig werden. Es wird nicht die ganze Weltbevölkerung auf einmal geimpft. Der Impfschutz geht nach einiger zeit verloren. Die natürliche Immunität nach durchgestandener Infektion ist gering. Wir werden uns also alle immerwieder mit Corona anstecken können. Immer und überall. Das lässt sich nur bei flächendeckender Nutzung von SCHUTZ Masken verhindern.

  • "Deren Wertverlust soll nun unbürokratisch durch Teilabschreibungen aufgefangen werden können..."



    Wieso können? Ein Wertverlust MUSS abgeschrieben werden.

  • Ah ja! Steuervorteile!

    Das ist ja optimal - denn wer keine Umsätze mehr macht, macht auch keine Gewinne, zahlt auch keine Steuern und hat davon nichts.

    Aber ich kann mir gut vorstellen, dass grade die großen, mixfinanzierten Ketten schon ein Konzept haben wie die steuerliche "Förderung" optimal in Anspruch genommen werden kann.

    In der Vergangenheit haben sich unsere Polits ja schon einige Male als völlig unfähig erwiesen.

    Aktuelle Beispiele dafür sind Cum-Ex, Wirecard und die Mehrwertsteuerkarusselle der jüngesten Vergangenheit.

  • Warme Worte wegen der Lebensleistung. Hatten wir doch neulich schon mal bei der Rente.



    Abschreibungen auf Waren. Um was abschreiben zu können brauche ich aber mal so etwas wie einen Gewinn. Wer hat den denn dieses Jahr? Die Politik stolpert weiter durch die Krise, will von anderen Ländern nix lernen und meint durch Geld der Steuerzahler die Steuerzahler mit “wir kommen gut durch die Krise“ zu beruhigen.



    Wir werden keine Rezession durch den lockdown bekommen, höre ich soeben von Herrn Altmeier im Radio. Ja dann hat er ja alles im Griff. Ein Elend derlei Sprüche.



    Die Leidtragenden und die Schwachen der Gesellschaft bilden sich da wohl Vieles nur ein. Lebensleistung muss man sich wohl erst erarbeiten, egal ob man mit 90 im überlasteten Altenheim oder KKH liegt.

    • @Tom Farmer:

      Das es auch anders hätte sein können zeigt Palmer in Tübingen:

      "Während die Todesfälle und Infektionszahlen bundesweit in die Höhe schnellen, sieht es in den Tübinger Pflegeeinrichtungen anders aus.

      Seit Beginn der zweiten Corona-Welle gibt es hier keinen Todesfall, nur ein Heimbewohner hat sich bisher mit dem Virus infiziert. Auch die Ansteckungsraten innerhalb der Risikogruppe sind gering, nur ein Zehntel der Corona-Infizierten in Tübingen ist aktuell (Stand 11.12.2020) älter als 65 Jahre." www.zdf.de/nachric...tuebingen-100.html

      • @Rudolf Fissner:

        Tübingen macht da vieles richtig.



        Z.B. Schutz der Bewohner von Altenheimen durch Tests der Besucher oder individueller Verkehr bei den Öffis.



        Das wäre aber genau der Weg zum Efolg: Nicht nur auf Bundesniveau einheitlich agieren und auf Impfstoff setzen sondern vor Ort dichte Kontrollen und je nach Anforderung individuelle Maßnahmen. Das würde an so vielen Stellen gehen. Lockdown für alle und dann mit Mrd irgendwas versprechen auszugleichen ist nur noch langweilig und auch noch wenig effizient.