Nahostkonflikt in Berlin: Palästina abgecancelt
In Berlin werden vermehrt propalästinensische Künstler ausgeladen, Events abgesagt. Selbst muslimische und arabische Kultur steht im Fadenkreuz.
D ie geplante Ausstellung wirkte eigentlich nicht, als könne sie großen Anstoß erregen: Der Charlottenburger Fotograf Raphael Malik sollte zehn Werke im Showroom des Print-Dienstleisters Pixelgrain in Mitte ausstellen. Darin dokumentiert er unterschiedliche Facetten muslimischen Lebens. Doch daraus wird nichts – zumindest vorerst: Pixelgrain zog die Ausstellung wegen der „aktuellen Lage in Nahost“ zurück. Eine „einseitige Präsentation muslimischen Glaubens ohne einen entsprechenden Gegenpol, der beispielsweise jüdisches Leben in Berlin zum Thema hat“, wolle man derzeit nicht zeigen.
Der Fall steht exemplarisch für ein Phänomen, das man in Deutschland und Berlin mit Fug und Recht als antipalästinensische Cancel Culture bezeichnen kann. Ermöglicht wird sie durch ein Klima der kollektiven Schnappatmung und Hypermoralisierung: Nach dem barbarischen Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten reicht heute die kleinste Assoziation mit der palästinensischen Sache, um (mögliche) Sympathisanten in Misskredit zu bringen.
Maliks Fall zeigt, dass die geringste Verbindung zu viel sein kann. Womöglich stört sich Pixelgrain an einem Bild, auf dem Männer die Kufiya tragen, das sogenannte Palästinensertuch. Die Kufiya entwickelte sich in den 1960ern und 70ern zu einem Symbol der Palästinenser, ist aber auch in der weiteren arabischen Kultur verbreitet: Benannt ist es nach der irakischen Stadt Kufa.
Reihenweise Absagen
Um aber von einer Cancel Culture sprechen zu können, darf die Absage kein einzelnes Vorkommnis sein. Tatsächlich bilden hier Berlins Theater die Avantgarde: So lud die Volksbühne jüngst den früheren Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn von einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus. Er habe sich in der Vergangenheit nicht ausreichend von antisemitischen Positionen distanziert. Das Maxim Gorki Theater sagte das Stück „The Situation“ der israelisch-österreichischen Regisseurin Yael Ronen ab. In der Komödie geht es um einen Deutschkurs in Berlin, dessen Schüler teils antiisraelische Positionen vertreten. Die Liste ist weitaus länger.
Ein aktueller Fall sticht besonders hervor: Im Theater TD Berlin hätte diese Woche eigentlich das Soloprogramm „Mein bedrohliches Gedicht“ anlaufen sollen. Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit, dem Fall der palästinensischen Dichterin Dareen Tatour. Wegen eines Gedichts, in dem sie über den Kampf gegen Siedler und Besatzer schreibt, wurde die Lyrikerin in Israel 2018 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – Schriftsteller weltweit protestieren dagegen.
Der entscheidende Punkt ist nicht, ob sich in Tatours Gedicht Zeilen finden, die eventuell anstößig oder „problematisch“ sind. Selbst, wenn dem so ist, wäre das ein Argument mehr, das Stück zu zeigen, damit es eine öffentliche Diskussion anregen kann – gerade in einer Lage wie dieser. Stattdessen verinnerlicht die hiesige Kulturbranche dasselbe repressive Klima, das dieser Tage in Israel herrscht, wo die Regierung israelisch-palästinensische Friedenskundgebungen verbietet und arabische Politiker festnimmt, die das Bombardement Gazas anprangern.
Hinter der Welle von Absagen und Ausladungen steht eine Logik, die Palästinenser kollektiv mit Terrorismus in Verbindung bringt – eine langjährige Strategie rechter israelischer Regierungen, die der palästinensische Kritiker Edward Said schon 1979 benannte. Das ist paradox, waren es doch ebenjene Regierungen, die die Hamas einst mit Geldern als Gegengewicht zur säkularen PLO aufpeppten. Benjamin Netanjahu hieß die islamistische Schreckensherrschaft der Hamas in Gaza gar gut, da sie jede Chance auf einen palästinensischen Staat verunmögliche.
Genau dieses Denken bringt israelische Amtsträger heute dazu, von “human animals“ in Gaza zu sprechen, maximale Zerstörung zur Maxime der Kriegsführung zu erklären und unter dem Schlagwort einer „Gaza-Nakba“ ethnischen Säuberungen das Wort zu reden. Äußerungen und Taten, die aus guten Gründen nicht zu einer Cancelwelle gegen Israelis und Juden führen.
Politik gegen Palästinenser
Dieselbe Logik wirkt in abgeschwächter Form auch hierzulande. Politiker behaupten, gegen den Terrorismus vorzugehen, treffen dabei aber alle Palästinenser. So werden propalästinensische Demonstrationen reihenweise verboten, und die Berliner Bildungssenatorin ermöglicht es Schulen explizit, die Kufiya oder “Free Palestine“-Anstecker zu untersagen. Jede Sympathiebekundung mit den Palästinensern, die seit Jahrzehnten unter israelischer Besatzung leben und in diesem Moment in Gaza ausgebombt werden, wird so verdächtig. Die staatliche Unterstützung macht aus der Cancel Culture Repression.
Im Fall von Raphael Malik mangelt es dagegen wohl auch an Prinzipien und Standhaftigkeit. Pixelgrain ließ verlauten, man wolle keine muslimischen Motive zeigen, um „Konflikte zu vermeiden“. Der Aussteller knickt, mit anderen Worten, bei der kleinsten Brise weg. Wenn Harmonie das Ziel ist, sollten sie es in der nächsten Ausstellung vielleicht mit bukolischen Landschaftsaufnahmen versuchen.
Was bringen also Repression und Abgrenzung? Politik und Kulturbetrieb tun mit Absagen und Demoverboten genau gar nichts für Israel oder für bedrohtes jüdisches Leben. Dafür entfremden sie Teile der palästinensisch- und arabischstämmigen Mitbürger weiter von der Mehrheitsgesellschaft. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.
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