piwik no script img

Nahost-KonfliktTiefe Wurzeln eines Krieges

Nach dem Überfall der Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt wieder neu aufgeflammt. Dabei hat der Zwist eine lange Vorgeschichte.

Israel, 22.10.2023: im Kibbutz Be'eri steht eine Mann vor den Trümmern eines Haus, das beim Überfall der Hamas zerstört wurde Foto: Ariel Schalit/ap

Beirut taz | Der jüngst neu aufgeflammte Konflikt zwischen Israel und den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen hat eine lange Vorgeschichte. Zwischen 1872 und 1917 war der Distrikt Palästina Teil des Osmanischen Reichs. 85 Prozent der Ein­woh­ne­r*in­nen waren muslimischen, 10 Prozent christlichen und 5 Prozent jüdischen Glaubens. Mit dem Konzept der Nationalstaaten und Nationalbewegungen gegen die Osmanen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen sich als Ara­be­r*in­nen zu identifizieren. Von Anfang des 20. Jahrhunderts an betrachteten Ara­be­r*in­nen in Palästina dann Palästina als ihr Heimatland.

Ebenfalls entstand eine jüdische Nationalbewegung, die für Jü­d*in­nen den Status einer eigenen Nation mit dem Recht auf ein eigenes Staatsgebiet beanspruchte: der Zionismus. Dessen Begründer war Theodor Herzl. Weil die Jü­d*in­nen der Bedrohung des Antisemitismus ausgesetzt waren, obwohl sie versuchten, sich an die Umgebung zu assimilieren, sei die einzige Lösung die Gründung eines „Judenstaates“. In der gleichnamigen programmatischen Schrift aus dem Jahr 1896 entwarf Herzl Pläne zu Aufbau, Masseneinwanderung, Finanzierung und Gemeinwesen dieses Staates. Dabei schlug er als mögliches Territorium Argentinien oder Palästina vor.

Zwischen 1904 und 1914 flohen 30.000 Jü­d*in­nen aus Osteuropa, Russland, Rumänien und Jemen nach Palästina, weil sie durch Massenmorde und Pogrome vertrieben wurden. In Bauernkollektiven wollten die Zio­nis­t*in­nen sozialistische Utopien von Freiheit und Gleichheit verwirklichen – das waren die Anfänge der Kibuzzim. Zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1920, fiel Palästina unter britisches Mandat. Am 2. November 1917 schrieb der britische Außenminister Arthur James Balfour einen Brief an den britischen Zionisten Lionel Walter Rothschild: „Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird größte Anstrengungen unternehmen, die Erreichung dieses Zieles zu fördern.“ Die Balfour-Deklaration gilt als Wegbereiter für einen jüdischen Staat.

1948 endete das britische Mandat über Palästina

Durch den Zweiten Weltkrieg und den natio­nalsozialistischen Völkermord an rund sechs Millionen Jüd*innen, der Schoah (Katastrophe), wurde das spätere und heutige Israel zum wichtigsten Zufluchtsort für Jüd*innen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde deutlich, dass ein friedliches Zusammenleben in Palästina kaum möglich war – Großbritannien wollte die Kosten der Mandatsherrschaft nicht mehr tragen.

Die Briten übergaben an die Vereinten Nationen, die eine Teilung des Landes vorschlugen. Der 1947 veröffentlichte UN-Teilungsplan sah die Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates vor, der mehr als die Hälfte des Mandatsgebiets ausmachen sollte. Die arabischen UN-Mitglieder lehnten den Plan ab. Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina, am selben Tag wurde der Staat Israel ausgerufen.

Im Jahr 1945 lebten etwa eine Million Jü­d*in­nen in den verschiedenen arabischen Staaten, doch sie hatten nicht dieselben Rechte wie ihre muslimischen Mitbürger*innen. Sie mussten extra Steuern zahlen und hatten mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen wie in Europa. Teilweise mussten sie in Ghettos leben. Bereits vor 1948 gab es antijüdische Pogrome, wie beispielsweise 1941 in Bagdad.

Als die Araber die Entscheidung der Vereinten Nationen, Palästina zu teilen und einen jüdischen Staat zu gründen, ablehnten, wurden die Jü­d*in­nen der arabischen Länder zur Zielscheibe der antizionistischen Haltung ihrer eigenen Regierungen. In den Jahren 1947 und 1948 wurden sie in Algerien, Ägypten, Irak, Libyen, Marokko, Syrien und Jemen verfolgt, ihr Eigentum und ihre Habseligkeiten wurden beschlagnahmt und sie wurden Opfer schwerer antijüdischer Ausschreitungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • "Tiefe Wurzeln eines Krieges

    Ähm, ... Da wurden wohl einige Wurzeln des Nahostkonflikts vor Artikelerstellung gerodet.

    Nach dem Artikel ist die Vertreibung hunderttausender Palästinenser, die mittlerweile 70 Jahre andauernde Besetzung palästinensischer Gebiete außerhalb Israels und die staatlich unterstützte illegale Besiedlung der besetzten Gebiete durch die rechte Siedlerbewegung völlig bedeutungslos als weitere Ursache für den Konflikt.

  • Der Teilungsplan der Vereinten Nationen wurde auch von Israel nicht eingehalten: commons.wikimedia....tina_1947–1950.svg

  • Nicht zu vergessen: Das besondere ökonomische Interesse der westlichen Demokratien: Gute (auch Waffen-)Geschäfte mit einem reichen, gepamperten Israel, die mit den kaum geförderten Palästinensern nicht lohneswert waren (nur ein Fall für die Wohlfahrt...). Menschenrechte spielen da kaum eine Rolle (Dubai, Qatar, Türkei) . Arme fallen hinten runter oder werden für Terrormassnahmen von Dritten 'ausgebildet'.

  • Mir gefällt dieser Artikel und ich wünsche mir, auch etwas aus der Zeit (lange, sehr lange) vor 1872 zu lesen.

    Immer noch bin ich, angetrieben dadurch, herauszufinden, wem das Land gehört, wer die gerechtfertigteren, älteren Rechte hat. Vermutlich, um meinen inneren Spannungszustand zu lösen.

  • "Im Jahr 1945 lebten etwa eine Million Jü­d*in­nen in den verschiedenen arabischen Staaten, doch sie hatten nicht dieselben Rechte wie ihre muslimischen Mitbürger*innen. Sie mussten extra Steuern zahlen und hatten mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen wie in Europa. Teilweise mussten sie in Ghettos leben. Bereits vor 1948 gab es antijüdische Pogrome, wie beispielsweise 1941 in Bagdad."

    Die Judenfeindschaft im nahen Osten begründet sich auf europäische Einflüsse, so auch im Irak:

    "Die irakischen Juden mussten schon im Osmanischen Reich die Dominanz der einheimischen Muslime erdulden. Bis in die 30er-Jahre hinein lebten sie jedoch mehr oder weniger unbehelligt. Viele berichten von Freundschaften zu Muslimen, von guter Nachbarschaft. Judenfeindlichkeit kam mit dem europäischen Nationalismus ins Land. Sie erreichte 1941 ihren vorläufigen grausamen Höhepunkt. Damals ergriff in Bagdad kurzzeitig eine nazifreundliche Regierung die Macht. Anfang Juni kam es zum Farhoud, zu zweitägigen Pogromen gegen Juden."

    Quelle: www.deutschlandfun...:article_id=234196

    Wenn man die "tiefen Wurzeln" des Konflikts Israel-Palästina beschreiben möchte, ist es wichtig, sich mit dem kolonialen Einfluss der Briten aber auch mit der Propaganda der deutschen Nazis im nahen Osten zu beschäftigen. Auch solche Schriften wie "Die Weisen von Zion", von denen die Hamas beeinflusst ist, sind ja letzten Endes europäische "Kulturgüter".

  • Empfehle 2 Bücher



    A/



    Palästina und die Palästinenser: Eine Geschichte von der Nakba bis zur Gegenwart (Beck Paperback) Taschenbuch – 21. März 2022

    Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.11.2021

    Der rezensierende Historiker Rene Wildangel sieht in dem Buch der Nahostexpertin Muriel Asseburg ein wichtiges Standardwerk. Die Autorin schließt eine Lücke, meint er, wenn sie sachlich die palästinensische Gesellschaft vorstellt, Klischees und Verdachtsmomente ausräumt, ohne den Akteursstatus der Palästinenser im Konflikt mit Israel außer Acht zu lassen. Kompetent und nuanciert findet Wildangel die Darstellung der palästinensischen Geschichte im Buch, von Hintergründen zur BDS-Bewegung und von innerpalästinensischen Perspektiven. Porträts und ein Literaturverzeichnis runden das Buch ab, das für den Rezensenten gern noch etwas mehr über palästinensische Kunst und Kultur hätte vermitteln dürfen.

    B/



    Buch von > Gideon Levy (1953* in Tel Aviv) ist ein israelischer Journalist und Mitglied des Herausgeberkreises der Tageszeitung Haaretz.

    Schrei, geliebtes Land: Leben und Tod unter israelischer Besatzung ( 2014)

  • Das ist mal ein hilfreicher Beitrag. Man ahnt nun schon, wie es kommen wird: Schaltet sich die UNO ein, sofern sich zwei gleich starke Staaten streiten, dann verschwindet der Konflikt, streiten sich ein großes und ein kleines Land, dann verschwindet das kleine. Die Hamas hat nun über 16 Jahre mit ungeheurer und stetig zunehmender Verve und Todesverachtung klargemacht, dass Israel mit einem von ihr regierten Gazastreifen schlicht nicht (über-)leben kann. Was wird wohl das Ergebnis dieser Erkenntnis sein?

  • Lange Vorgeschichte, und dann hört der Artikel in 1948 auf? Kommen da noch Teil zwei und drei und vier??

    Ich muss Ihnen hier Geschichtsverzerrung vorwerfen, wenn ein Absatz mit „am selben Tag wurde der Staat Israel ausgerufen“ endet, und danach nur (!) die Judenpogrome in den arabischen Staaten erwähnt werden.

    Kein Wort zum Palästinakrieg, der am Tag danach ausbrach, und der den Beginn der massenhaften Vertreibungen von Palästinensern über Jahrzehnte hinweg markiert. Dies wohlgemerkt sowohl durch Israelis als auch arabische Mächte, welche die Palästinenser als Volk zu einem politisch-militärischen Spielball degradiert haben.

    Erst dieser Zusammenhang erklärt überhaupt, wie eine Terror-Organisation wie die Hamas so erstarken konnte.

    Dazu alle nachfolgenden Konflikte wie Friedensverhandlungen von 1950 bis heute einfach komplett unerwähnt bleiben, ist, als würde man die „lange Vorgeschichte“ der Bundesrepublik Deutschland mit der Erwähnung der Revolution 1848/49 beenden.

    • @Steffen I:

      Das Erstarken der Hamas ist in erster Linie dem direkten Geldgeber IRAN geschuldet. Ohne den IRAN im Hintergrund würden Palästinenser und Israelis friedlich zusammenleben.