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Nachruf auf Hans-Jochen VogelUnerschütterlicher Parteisoldat

Am Sonntag ist der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel im Alter von 94 Jahren gestorben. Er galt als moralisches Gewissen seiner Partei.

Geprägt von Pflichtbewusstsein: der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel Foto: Michael Jung/dpa

Dass es ruhig um ihn geworden wäre, lässt sich über Hans-Jochen Vogel wirklich nicht sagen. Auch wenn seine politische Karriere schon lange beendet war, und trotz stark angegriffener Gesundheit. In seinen letzten Jahren beschäftigte er sich mit Inbrunst mit einem Thema, das ihn schon in seiner Zeit als Münchner Oberbürgermeister und Bundeswohnungsbauminister bewegt hatte: die ausufernde Bodenspekulation, die einen gewichtigen Anteil an der Mietpreisexplosion in vielen Großstädten hat.

Noch im vergangenen Herbst veröffentlichte Vogel ein flammendes Manifest für eine neue Bodenordnung. „Mehr Gerechtigkeit!“ lautete der programmatische Titel seiner Streitschrift. „Die Tatsache, dass der Grund und Boden bis heute den Marktregeln und eben nicht den Vorgaben des Allgemeinwohls entspricht, hat zu schweren Fehlentwicklungen geführt“, konstatiert darin der sozialdemokratische Altvordere.

Damit schloss sich ein Kreis. Denn obwohl stets auf dem rechten Flügel seiner Partei zu Hause, verdankte es sich der Ini­tiative Vogels, dass die SPD vor der Bundestagswahl 1972 die Bodenspekulation zu einem ihrer Wahlkampfthemen gemacht hatte. Die ambitionierten Pläne scheiterten letztlich am Koali­tions­partner FDP und am Widerstand der Union im Bundesrat. Danach verlor die SPD zum Leidwesen Vogels für Jahrzehnte das Interesse an dem Thema.

Der Name Vogels ist eng mit dem Aufstieg, aber auch mit dem Niedergang der SPD verbunden. Seine politische Kar­rie­re begann geradezu kometenhaft. Zehn Jahre zuvor in die SPD eingetreten, wurde der Sohn eines Professors und einer Hausfrau 1960 mit nur 34 Jahren zum Oberbürgermeister Münchens gewählt. 1966 wurde der Einserjurist mit 78 Prozent der Stimmen eindrucksvoll wiedergewählt. Vogel war beliebt in der Bevölkerung. Insgesamt blieb er 12 Jahre im Amt.

Höhepunkt und gleichzeitig Tiefpunkt seiner Münchener Zeit waren die Olympischen Spiele in der bayrischen Landeshauptstadt, für die sich Vogel vehement wie erfolgreich eingesetzt hatte. Überschattet wurde das Sportevent aber von der Terroraktion des palästinensischen Kommandos Schwarzer September auf die israelische Olympiamannschaft, die in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1972 mit der Ermordung der elf israelischen Geiseln sowie dem Tod von fünf Geiselnehmern und eines Polizisten endete. Vogel begleite die Särge nach Israel.

Die Olympischen Spiele hatte er schon nicht mehr als Stadtoberhaupt, sondern nur noch als Vizepräsident des Organisationskomitees miterlebt. Entnervt von zahlreichen Scharmützeln mit Parteilinken und aufmüpfigen Jusos war er ein halbes Jahr zuvor auf die Bundesebene entflohen: Willy Brandt machte ihn zum Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Unter Helmut Schmidt wurde er dann 1974 Bundesjustizminister.

Nach dem Scheitern der sozialliberalen Koalition und dem Abgang Helmut Schmidts erklärte sich Vogel bereit, ohne wirkliche Chance gegen Helmut Kohl als SPD-Kanzlerkandidat anzutreten. Zuvor war er bereits 1974 erfolglos als SPD-Ministerpräsidentenkandidat in Bayern angetreten. Ebenso vergeblich ließ er sich 1981 als Feuerlöscher von der skandalgeschüttelten Berliner SPD engagieren und amtierte bis zur absehbaren Wahlniederlage vier Monate als Regierender Bürgermeister. Keine Frage: Wahlpolitisch war sein jüngerer christdemokratischer Bruder Bernhard Vogel, der es zum Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz und in Thüringen gebracht hat, erfolgreicher.

Von 1983 bis 1991 führte Hans-Jochen Vogel in der Nachfolge Herbert Wehners mit straffer Hand die SPD-Bundestagsfraktion. Nach dem überraschenden Rücktritt Willy Brandts übernahm der gläubige Katholik 1987 auch noch den SPD-Vorsitz – was ebenfalls seinem unerschütterlichen Parteisoldatentum geschuldet war. Seinen politischen Zenit hatte der „Oberlehrer“, so sein Spitzname in der Partei, da allerdings schon längst überschritten.

Sein Naturell war von eiserner Disziplin und Pflichtbewusstsein geprägt – gepaart mit einem Faible fürs Bürokratische und einem für Sozialdemokraten traditioneller Provenienz nicht untypischen Hang zu einem autoritären Führungsstil. Bis 1991 stand Vogel an der Spitze der Partei. 1994 zog er sich auch aus dem Bundestag zurück. Sein Rat in der SPD blieb allerdings gefragt. Er galt als große Respektsperson und moralische Instanz – und war dabei stets loyal.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Hans-Jochen ­Vogel gemeinsam mit seiner Ehefrau Liselotte in einem Seniorenheim in München. Am Sonntagmorgen ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.

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19 Kommentare

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  • "...ohne wirkliche Chance gegen Helmut Kohl..."

    Das sah Springer damals anders. Ich zitiere Michael Spreng (www.sprengsatz.de/?p=3586):

    "Im Februar 1983 startete die “Bild am Sonntag” eine Schmutzkampagne gegen den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Hans Jochen Vogel. Die Zeitung “enthüllte” auf Seite 1 die “NS-Vergangenheit des Kanzlerkandidaten Dr.Vogel”. Er sei “ehemaliger NS-Kulturbeauftragter”. Schnell stellte sich heraus, dass die angebliche NS-Vergangenheit des SPD-Politikers daraus bestand, dass er mit 16 Scharführer der Hitlerjugend war. Gesteuert wurde die sogenannte Enthüllung direkt aus dem Büro Axel Springers in Berlin..."

    • @s0r:

      Dank für den link - Das Unterhosenblatt

      “ Ich war zu dieser Zeit Büroleiter von BILD in Bonn und damit auch für die Hauptstadtberichterstattung der BamS zuständig. Direkt nach Erscheinen protestierte ich öffentlich (in einer Erklärung gegenüber dpa) gegen die “Schmutzkampagne, die an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten ist”. Die übrigen BILD- und BamS-Redakteure warteten ab, weil sie – im Gegensatz zu mir – nicht schon einen neuen Arbeitgeber (“Express”) in Aussicht hatten. Dann aber raffte sich die Redaktion auf und 125 BILD-Redakteure verurteilten in einem offenen Brief die “journalistische Unanständigkeit”. Verleger-Intimus Matthias Walden dagegen verteidigte den Bericht als “in Form und Inhalt korrekt”.







      Vogel bedankte sich bei mir für meine öffentliche Distanzierung. 1989, als ich selbst BamS-Chef wurde, profitierte die Zeitung von meinem guten Verhältnis zu Vogel, indem er den bis dahin geltenden SPD-Boykott gegen Springer (Vorstandsbeschluss) durchbrach und mir ein Interview gab.“ - ebenda -

      unterm—— btw but not only -



      Wegen solcher x-fach ähnlicher Widerlichkeiten der Spingerpresse -



      Bekomme ich regelmäßig das - 🤮 - wg



      Der dummdreisten Ranwanzereien des



      Immergriiens Bayernkurier aka taz - & vice versa.



      Etwa so: “…Heute geht es um die Zukunft der ganzen Branche. Dennoch sollten wir genauso wenig nach dem Staat rufen, wie es die taz vor 25 Jahren getan hat. In der Phase der Transformation benötigt die Verlagsbranche stattdessen neben wirtschaftlichem und intellektuellem Wettbewerb Einigkeit in den ganz grundsätzlichen medienpolitischen Fragen. Einigkeit, die sicherstellt, dass künftig weiter gestritten werden kann. Im Wettbewerb und vor allem in der gesellschaftlichen und politischen Debatte. Und da, ja, liebe taz-Genossen, sind sogar Allianzen zwischen taz und Bild denkbar. MATHIAS DÖPFNER



      —— Ach was!



      taz.de/-Vor-25-Jah...ile2=1591488000000

      • @Lowandorder:

        Es fehlt schlicht der Anstand.

        Statt in den Kneipen&Bars am Gendarmenmarkt et al. rumzuhängen - schlicht die Straßenseite wechseln - wennste sojet Schmierlapp Sackjeseechter ansichtig wirst!



        Kommt euch nicht in den Sinn.



        Nö. Da lügt ihr euch lieber - Gaahrp - in die Tasche.

        Aber - Danke für den Assist hier.



        Der‘s mal wieder schön deutlich macht.



        Widerlich & “Ach herm.“ - 👹 -

        • @Lowandorder:

          Michael Spreng ist an diesem Dienstag im Alter von 72 Jahren verstorben...



          War Wahlkampfmanager des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber und natürlich ewig lange bei Springer. Trotzdem ewige Mahnung, dass auch Rechte nicht immer dumm und manchmal sogar anständig sein können.



          RIP

  • Hans Jochen Vogel - ein Linker, der sein Linkssein mit seinem Christsein und christlichen Werten verband und darin keinen Widerspruch sah. Im Gegenteil, für ihn war das sogar zwingend logisch.

  • 0G
    04105 (Profil gelöscht)

    Eigentlich hatte ich nicht vor, hier weiter zu kommentieren (die Gründe sind an dieser Stelle irrelevant), aber ich kann nicht anders: Eine ganz kurze Anekdote, die diesen Mann charakterisiert:



    Es ist schon einige Jahre her, auf dem Flughafen Köln-Bonn hatte ich Herrn Vogel erkannt. Wie ich wartete er auf das Boarding zum Flug nach Berlin. Er saß im Wartebereich und las.



    Ich hatte ihn als Politiker immer geschätzt, auch wenn ich teilweise abweichender Meinung war. Es war mir auch irgendwie etwas unangenehm, ihn zu stören, aber irgendwie wollte ich ihn begrüßen, gleichzeitig aber nicht in eine Art Starkult verfallen. Deswegen erwähnte ich unmittelbar nach dem Gruß die Differenzen.



    Herr Vogel legte sofort sein Buch beiseite und diskutierte mit mir - bestimmt eine halbe Stunde lang.



    Natürlich wurden unsere Differenzen wurden nicht wegdiskutiert, aber ich durfte einen unglaublich intelligenten und "open minded" Menschen erleben. Trotz der unterschiedlichen Positionen ermutigte er mich, weiter politisch zu agieren.



    Die Erinnerung an diesen Tag erlaubt es mir vielleicht zu sagen, dass nun ein großer Mensch, ein sehr menschlicher Mensch, gegangen ist.

    • @04105 (Profil gelöscht):

      genau solche Menschen fehlen heute - auch als Vorbilder. Dunja Hayali geht ein bisschen in diese Richtung, wenn sie wirklich versucht, mit jedem zu sprechen, aber viele Namen fallen mir nicht ein.

    • @04105 (Profil gelöscht):

      Danke. anschließe mich aufgrund ähnlicher Erfahrungen - nicht zu vergessen - sein feiner Humor.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - gibt Kante:

    “ - "(Partei)Soldat als moralisches Gewissen..." So geht Dissen.



    Von SPD-Politikern interessieren doch sowieso nur Niederlagen.“

    kurz - Korrekt.



    &



    Da platzt schon mal der Kragen.



    Zu recht. Naja - Jungdemokratischer Grüner - Jung verlaufen im Dschungel.



    Die Creme de la Creme di Journaile’stas - halt.

    Na Mahlzeit

  • R.I.P.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Mein Vater blieb immer Sozi. Ich war nie einer, wiewohl ich vor Intelligenz immer Respekt hatte.

    Leb wohl, Du warst ein Guter.

  • Hans-Jochen Vogel war trotz seiner Steifheit ein wirklicher Intellektueller in der SPD, gegenüber seinem verklemmten Bruder, den man nur recycelt hat als Ministerpräsident, weil kein anderer CDU-Bonze greifbar war. Letzterer hat Thüringten ausnehmen lassen wie eine Weihnachtsgans und ist heute noch stolz, dass er aus Thüringen ein Billiglohnland machte und für die erdrückende Stärke der AFD-Nazis gleich mitsorgte.

    Sein Bruder hätte anders gehandelt, aber die SPD hat ja auch der Intelligenz entsagt und deshalb war er bis zuletzt ein Leuchtturm einer Partei, die nur noch auf geistiger Sparflamme vor sich hinfunzelt.

    Friede seiner Asche - die SPD ist ihm in die ewigen Koalitionsgründe schon vorausgegangen.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Ich habe den Artikel nicht gelesen!



    Weil: einen so verdienten Mann mit Parteisoldat zu titeln - da bedarf es schon einiger abgefakter und vorgefertigter Textbausteine im entsprechenden Programm für die Routine-Journalisten-Arbeit.

    • @82286 (Profil gelöscht):

      Das ist sehr nachvollziehbar. Ich frage mich wer eigentlich die zunehmend blödsinnigen, klischeehaften und plakativen Überschriften hier zu verantworten hat? Immer öfter liest man hier Titel und Untertitel, die wenig Niederschlag im dann folgenden Text finden oder dort jedenfalls nicht expliziert thematisiert und hinterfragt werden. Vogel als Parteisoldaten zu charakterisieren ist entweder banal und damit überflüssig oder aber höchst spannend, dann nämlich, wenn man über einen Politiker oder eine Generation nachdenkt, für den oder für die die Partei vielleicht wirklich zuerst kam. Ebenso wird niemand widersprechen, wenn man jemanden wie Vogel als "moralisches Gewissen" bezeichnet, nur ist das eigentlich bestensfalls völlig leer. Eher noch ist es falsch, denn Vogel war zwar sicherlich ein Mensch mit moralischen Grundsätzen und von hoher persönlicher Integrität, aber eben doch auch vor allem ein am Machbaren orientierter Politiker. "Parteisoldat" und "Gewissen", da ist doch ein Widerspruch, jedenfalls eine gewisse Schwervereinbarkeit, möglicherweise aber auch etwas Typisches für Menschen die den Krieg noch erlebt haben, jedenfalls aus heutiger Sicht etwas überaus Interessantes.

    • @82286 (Profil gelöscht):

      anschließe mich.

  • Sein Scheitern gegen Kohl fand ich damals enttäuschend -- nicht weil ich so ein Vogel-Fan gewesen wäre, sondern weil er eine gewisse Richtung der Sozialdemokratie vertrat (eben diszipliniert, pragmatisch, bürokratisch und sozial korrekt), die dringend notwendig gewesen wäre und diesem Land sehr gut getan hätte, gegen den Stimmungskanzler Kohl aber chancenlos war.

    Vogel war für mich immer jemand, der etwas glanzlos und lehrerhaft das Beste vertreten hat, das man nüchtern betrachtet aus der SPD herausquetschen konnte. Später waren Leute wie Schröder nur noch das genaue Gegenteil davon. Das vorläufige Endergebnis dieses Irrwegs kann man heute bei den Umfragewerten und Wahlergebnissen der SPD bestaunen.

    Ich glaube, die SPD hat völlig unterschätzt, wie sehr viele Leute genau diese staubtrockene, aber verlässliche und regelhafte Art der Politik an der SPD geschätzt haben. Vogel war der letzte Kandidat der SPD, der noch irgendwie sozialdemokratisch war. Schon Scharping war dann mehr Schein als Sein (was auch nicht viel geholfen hat). Bei Schröder hat dann noch mehr Schein erstmal geholfen, aber das Ergebnis hat viele Leute die SPD endgültig hassen gelehrt.

    So long, Hans-Jochen. So long, SPD.

    • @Mustardman:

      passt gut.....

  • Quel homme. Danke für alles.

    Gute Reise Hans-Jochen Vogel

    unterm—— entre nous — Mbg/Lahn -



    “Sind Sie mit 17 nicht etwas jung für die Universität?“



    “Für die Wehrmacht hat‘s gelangt - Herr Professor!“



    “Auch wieder wahr.“

    • @Lowandorder:

      Sorry. Dös mit dem - Headliner -



      “ Ein unerschütterlicher Parteisoldat“



      Is a Schmarrn. Auch wenn er bei “Der Verrat“ von Sebastian Haffner - rote Flecken kriegte.



      (Grünschnäbel - ahnungslose.)



      Als er nichts mehr werden wollte - war der steife Kühlschrankeffekt weg & er ein beweglicher kluger Kopf.



      & Nö.



      “Einserjurist“ - war - auch wenn dies der Widerling&Kriegsrichter Wien - Prof. Erich Schwinge - StRProf. Mbg. über ihn & seinen Bruder einst immer behauptete nicht .



      “Reschny-Fall. Grauenhaft. Mensch - Da hatten wir damals doch keine Ahnung von. Aber Einserjurist - Nein! (& Däh!;)



      Aber Platz 1 im 2. Examen! Das ja“



      (Feine Eitelkeit zur bayrischen Variante = alle Wege stehen offen!;)) & So kam‘s denn ja auch.



      &



      Reminiszenz - Verfassungskommission - post Wende - ein big-gun-Weggefährte:



      “Unfaßbar der Mann. Der einzige - der immer & zu jeder anstehenden Frage -Problematik etc - druckreife variable Lösungsansätze - Lösungen & Alternativen am Start hatte.



      Schlicht souverän!“

      Soweit mal