Nachrichten zur Ampel-Koalition: Özdemir wird Landwirtschaftsminister
Die Grünen haben ihre Minister*innen benannt. Robert Habeck wird Vizekanzler. Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt gehen leer aus.
Ergebnis nach stundenlangen Beratungen
Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir soll in einer künftigen Bundesregierung mit SPD und FDP Agrarminister werden. Das teilten die Grünen nach stundenlangen Beratungen im Vorstand am Donnerstagabend mit. Vorausgegangen war ein erbittertes Ringen zwischen Realos und linkem Flügel um die Verteilung der Kabinettsposten.
Der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter vom linken Flügel ist nicht Teil des Personaltableaus an Spitzenämtern, über das die 125.000 Grünen-Mitglieder ab diesem Freitag gemeinsam mit dem Koalitionsvertrag abstimmen sollen. Er galt eigentlich als gesetzt, fällt nun aber zugunsten Özdemirs aus. Auch Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ist nicht Teil der Aufstellung.
Grünen-Chef Robert Habeck wird Vizekanzler sowie Klima- und Energieminister. Co-Chefin Annalena Baerbock wird wie erwartet Außenministerin. Das Umweltministerium soll die frühere Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke übernehmen. Die rheinland-pfälzische Klimaministerin Anne Spiegel soll Familienministerin werden – ein Amt, das sie zuvor auf Landesebene ebenfalls schon inne hatte. Die aktuelle Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth soll Staatsministerin für Kultur und Medien werden. (dpa)
Ringen um Minister*innenposten
Die Nominierung der Grünen-Minister in der künftigen Ampel-Regierung verzögert sich. Die Namen wurden zunächst noch nicht wie ursprünglich erwartet auf dem Bund-Länder-Forum genannt, das am Donnerstag in Berlin begann. Parteichef Robert Habeck sagte auf der Veranstaltung, die entsprechende Liste solle erst am Freitag bekanntgegeben werden.
Es wurde in der Partei aber auch für möglich gehalten, dass die Namen doch noch im Laufe des Donnerstags veröffentlicht werden. Habeck machte deutlich, dass seine Ko-Parteichefin Annalena Baerbock „mit großer Wahrscheinlichkeit“ das Auswärtige Amt übernehmen werde.
Habeck selbst ist für das Amt des Ministers für Klimaschutz und Wirtschaft im Gespräch und soll außerdem Vizekanzler werden. Ansonsten bekommen die Grünen noch die Ressorts für Umwelt und Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie Familie, nicht jedoch für das von ihnen erhoffte Verkehrsressort. Dieses soll die FDP übernehmen. „Wir hätten gerne ein paar Ministerien mehr gehabt, aber die anderen müssen ja auch etwas haben“, sagte Habeck.
Die zuständigen Gremien sollten nach dem Bund-Länder-Forum weiter beraten, um die Personalfragen zu klären. Habeck appellierte an die Grünen-Mitglieder, bei der bevorstehenden Urabstimmung für den mit SPD und FDP ausgehandelten Koalitionsvertrag zu stimmen. „Lasst uns Deutschland regieren“, sagte der Parteichef.
Zuvor hatte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zu den ausstehenden Personalentscheidungen gesagt: „Die Beratungen dauern noch an“, Ergebnisse seien „im Laufe des Tages zu erwarten“. Es gebe noch „gründliche Beratungen“.
Die Personalentscheidungen, die vom Bundesvorstand sowie dann vom Parteirat der Grünen getroffen werden sollen, seien „eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe“, sagte Kellner. Zu Details wollte er sich jedoch nicht äußern. Die Gremien hätten ihre Beratungen für das bis 17.30 angesetzte Bund-Länder-Treffen unterbrochen, sollten danach aber erneut zusammentreten. (afp)
Kritik aus Journalist*innensicht
Aus Sicht des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) weist der von den Ampelparteien vorgelegte Koalitionsvertrag einige Lücken im Bereich Journalismus und Medien auf. So mangele es an klaren Aussagen zur Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, kritisierte die Gewerkschaft am Donnerstag in Berlin. Zudem fehle in dem Papier die Einführung eines Verbandsklagerechts zur Durchsetzung von Urheberrechten.
SPD, Grüne und FDP versprechen in dem am Mittwoch veröffentlichen Koalitionsvertrag unter anderem bessere Auskunftsansprüche für die Presse auf Bundesebene. Die Einführung eines einheitlichen Presseauskunftsrechts auf Bundesebene war bereits Teil des Koalitionsvertrages der amtierenden Regierung, scheiterte aber am Widerstand aus der Union.
Darüber hinaus versprechen die künftigen Koalitionäre, Fördermöglichkeiten zu prüfen, um eine „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“ zu gewährleisten. Ferner heißt es: „Den erfolgreichen Ausbau der Deutschen Welle und der Deutsche-Welle-Akademie setzen wir fort.“ Zudem will sich die Ampel-Koalition für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten einsetzen und Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus schaffen.
Der DJV sprach sich zusätzlich für eine Neuauflage der ursprünglich von der noch geschäftsführenden Regierung geplanten Presseförderung in Höhe von 220 Millionen Euro aus. Diese war im April gescheitert. Laut Gewerkschaft sollten bei einer solchen Förderung journalistische Qualitätskriterien im Mittelpunkt stehen.
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hatte bereits am Mittwoch an die künftigen Regierungsparteien appelliert, die im gescheiterten Förderpaket enthaltene Zustellförderung für Zeitungen in Angriff zu nehmen. In anderen europäischen Ländern werde dies bereits seit Jahren praktiziert. (epd)
Wohnungslose begrüßen Bauprogramm der Ampel-Koalition
Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen begrüßt den Plan der Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen, nach dem jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollen. Davon sollen 100.000 als geförderte Sozialwohnungen entstehen. Außerdem soll die Mietpreisbremse verlängert werden. Allerdings müsse rechtlich mehr getan werden, forderte am Donnerstag die Initiative im niedersächsischen Freistatt.
So müsse der Paragraph 13 im Grundgesetz durch den Satz ergänzt werden: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine Wohnung.“ Überdies forderte die Selbstvertretung eine dauerhafte Sozialbindung von Wohnraum. Außerdem müsse eine Zwangsräumung in die Wohnungslosigkeit gesetzlich ausgeschlossen werden. In den Bauvorhaben der öffentlichen Hand müssten wohnungslose Menschen stärker einbezogen werden. Hilfen für Obdachlose müsse die neue Koalition bundesweit einheitlich organisieren und außerdem einen Obdachlosenbeauftragten einsetzen.
In Deutschland leben nach Angaben der Selbstvertretung 678.000 Menschen ohne eine eigene Wohnung, davon 19.000 Kinder. 11,7 Prozent der Menschen ohne Wohnung hätten einen Job. Der Anteil habe sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Erwerbstätige Frauen seien häufiger von Wohnungslosigkeit betroffen als erwerbstätige Männer. Dabei seien häufig prekäre Arbeitsverhältnisse der Ausgangspunkt für Mietschulden und Wohnungslosigkeit.
Die Ampel strebt laut Koalitionsvertrag einen „Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“ an. Das Bauen und Wohnen der Zukunft solle „bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und mit lebendigen öffentlichen Räumen“ gestaltet werden. Um diese Ziele zu verfolgen, soll ein eigenes Bauministerium eingerichtet werden. (epd)
Grüne Jugend: Klimapolitik geht besser
Der Bundessprecher der Grünen Jugend Timon Dzienus blickt „mit gemischten Gefühlen“ auf den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. „Nach 16 Jahren Stillstandspolitik der Union kommen wir an vielen Stellen voran und es gibt einen klaren gesellschaftspolitischen Aufbruch, beispielsweise durch die Abschaffung des Paragrafen 219a, durch die Cannabis-Legalisierung und die Abschaffung des Transsexuellen-Gesetzes“, sagte Dzienus im phoenix-Interview. In der Klima- und Sozialpolitik habe er allerdings mehr erwartet. Gerade mit Blick auf die Paris-Ziele gebe es viele Fragezeichen: “Für uns ist ganz wichtig, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird und im Zweifelsfall auch über den Koalitionsvertrag hinaus nachgeschärft wird. Denn diese Klimaziele müssen wir jetzt unbedingt erreichen“, so Dzienus.
Die neue Ampel-Koalition bezeichnete der Grüne Jugend-Sprecher als eine Koalition der Kompromisse. „Aber klar muss sein, mit dem Klima kann man nicht einfach so Kompromisse machen. Alles CO2 das ausgestoßen ist, das ist ausgestoßen und wird dafür sorgen, dass das Klima sich weiter erhitzt.“ Besondere Sorge bereite ihm der Verkehrsbereich. “Der Umstieg auf die E-Mobilität ist notwendig, gerade mit Blick auf die ländliche Region, aber das ist keine Verkehrswende“, so der Grüne Jugend-Sprecher und forderte „mutige Investitionen in Bus, Bahn und Fahrradinfrastruktur“.
Viele Dinge seien noch offen formuliert, “da werden wir natürlich auch über die nächsten Jahre Druck machen, auch gerade mit der Zivilgesellschaft und den vielen Initiativen vor Ort, dass sich da endlich etwas bewegt und auch im Verkehrsbereich die Klimaziele eingehalten werden“. Die Verkehrspolitik stelle immer noch die Bedürfnisse von Autos in den Mittelpunkt. “Wir werden dafür streiten, dass endlich die Bedürfnisse von Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, dass wir eine klimagerechte, sozialgerechte Verkehrswende schaffen, wo alle Leute mobil sind, auch auf dem Land“, so Dzienus. Die Menschen müssten für sich den Vorteil erkennen auf Bus, Bahn und Fahrrad umzusteigen. (ots)
Lufthansa hat positives Feedback für die Ampel
Die Lufthansa begrüßt einige Punkte im Koalitionsvertrag. Der Airline-Gruppe ist besonders wichtig, dass sie im Wettbewerb mit nicht-europäischen Airlines nicht durch die geplanten strengeren Klimaschutzregeln in der EU benachteiligt wird. „Die neue Bundesregierung stellt auch beim Luftverkehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz ins Zentrum, bekennt sich aber klar zu wettbewerbsneutralen Konzepten und strebt internationale Regulierungen an. Das ist richtig. Denn im global agierenden Luftverkehr nutzen auch der Umwelt Regelungen nichts, die heimische Unternehmen einseitig belasten. Der Koalitionsvertrag enthält wichtige Weichenstellungen für Zukunftstechnologien im Luftverkehr. Positiv ist, dass die Mittel aus der Luftverkehrsteuer künftig in die Förderung nachhaltiger Flugkraftstoffe fließen sollen. Das ist ein echter Beitrag zum Klimaschutz. Damit werden Abgaben, die Passagiere und Unternehmen im Luftverkehr aufbringen, zielgerichtet für die Transformation der Branche eingesetzt.“ (rtr)
Haseloff kritisiert Kohleausstieg
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat den geplanten vorzeitigen Kohleausstieg im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP im Bund kritisiert. Haseloff sagte dem MDR am Donnerstag, die Passage, wonach der Kohleausstieg idealerweise bis 2030 erfolgen solle, sei für die Menschen enttäuschend und verunsichernd. „Das ist ein Signal an die Menschen, dass man Politik nur bedingt trauen kann.“
Beim Ausbau erneuerbarer Energien habe Sachsen-Anhalt seine Ziele vor vielen anderen Ländern erreicht, betonte der Ministerpräsident. „Es hängen gerade die Länder, die im Süden sind, hinterher – unter anderem Baden-Württemberg, das grün regiert wird. Und da hat sich in den letzten Jahren so gut wie nichts getan“, kritisierte der CDU-Politiker. „Beim Ausbau der Windenergie sind mal die dran, die noch erheblichen Nachholebedarf haben.“
Haseloff hatte zuletzt mehrfach vor einem vorzeitigen Kohleausstieg gewarnt und dafür geworben, am vereinbarten Ziel 2038 festzuhalten. Ein vorgezogener Kohleausstieg sei derzeit nicht denkbar, es sei denn, man kaufe Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen, sagte der Ministerpräsident.
Grünen-Landeschef Sebastian Striegel verteidigte bei Twitter die Pläne der Ampel-Parteien. „Die einen gestalten den Aufbruch. Die anderen verbreiten den Mehltau der Vergangenheit. Ich glaube an dieses Land und seine Menschen. Und bin sicher, wir schaffen den Neuanfang“, sagte Striegel. (dpa)
Brinkhaus sieht fehlendes Finanzkonzept
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus wirft den Ampel-Parteien vor, sie hätten ihren Koalitionsvertrag nicht finanziell untermauert. Im Deutschlandfunk sagt der CDU-Politiker, er frage sich, wo die Mittel herkommen sollen für Rentenversprechen, Bürgergeld, Kindergrundsicherung sowie mehr Geld für Bildung, Forschung und Investitionen. Es fehle in dem Koalitionsvertrag ein seriöses Finanztableau. „Das halte ich für fahrlässig.“ Zudem kritisiert Brinkhaus „diese brutale Offenheit im Bereich Migration“. Er habe große Sorge, dass das ein. (rtr)
Verband Bitkom sieht FDP als geeignet an
Der Bundesverband für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) begrüßt, dass das Ressort Digitalisierung an die FDP gehen soll, als die Partei, “die sich mit einer umfassenden Digital-Kompetenz ausgestattet und das Thema im Wahlkampf am stärksten gemacht hat“, so der Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder bei phoenix. “Was wir uns erwarten, ist, dass der neue, der künftige Minister für Digitalisierung auch eine starke Position und Rolle in der neuen Bundesregierung hat und mit den Rechten und Ressourcen ausgestattet wird, die er braucht, um auch die anderen Ressorts digital zu aktivieren, zu motivieren und zu einem gemeinsamen Ziel zu führen“, so Rohleder. Er sei überzeugt, dass von der künftigen Ampel-Regierung ein wichtiger Schub für die Digitalisierung im Land ausgehen könne. Die Ampel-Koalition habe sich etwa bei der Beschleunigung von Verwaltungsverfahren,die bisher ein großes Hemmis darstellten, sehr ambitionierte Ziele gesetzt, sagte Rohleder. “Diese Verfahren sollen beschleunigt werden, sie sollen halbiert werden, und wenn das gelingt, kommen wir auch mit der Digitalisierung sehr viel schneller voran“, so Rohleder. Auch die vorgesehene Verschlankung des Datenschutzrechts, von 18 verschiedenen Datenschutzaufsichtsstellen auf ein zentrales Datenschutzrecht könne ein weiteres Hemmnis beseitigen.
Von zentraler Bedeutung sei auch, dass dort, wo Politik die größte Gestaltungsmacht habe, in der Verwaltung und den Schulen, jetzt deutlich beschleunigt würde. “Dafür gibt es jetzt gute Ansätze, auch mit einem Dgital-Pakt-2 für die Schulen. Wenn es der Bundesregierung gelingt, die Ziele, die sie sich jetzt setzt, auch kurzfristig umzusetzen, spätestens innerhalb der ersten zwei Jahre, dann glaube ich, reden wir hier in zwei Jahren über ganz andere Themen als nur über die Versäumnisse, über die wir uns gerade unterhalten müssen“, so Rohleder. (ots)
Wirtschaft lobt Koalitionsvertrag
Aus der Wirtschaft kommt viel Lob für den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP – und auch so manche Kritik. Vieles weise in die richtige Richtung, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger am Mittwoch. Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel verlangten allerdings Antworten und einen „großen Wurf“, so Dulger. „Dieser ist leider nicht durchgängig im Koalitionsvertrag erkennbar.“
Unter anderem lobte der BDA-Präsident den Verzicht der Ampel auf Steuererhöhungen und das Festhalten an der Schuldenbremse. „Leider hat der Ampel aber der Mut gefehlt, über den Status Quo hinaus neue Freiheiten für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen und Eigenverantwortung zu stärken.“
Positiv äußerte sich auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Die völlig neue Regierungskoalition habe die Chance, einen Ruck durch das Land gehen zu lassen, sagte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. „Wir finden nicht jedes Vorhaben notwendig, nicht jeden gewählten Ansatz erfolgversprechend und manches fehlt vielleicht auch – aber in Summe haben die Koalitionäre die Chance genutzt.“
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann begrüßte, dass sich die künftige Regierung der großen Herausforderung unserer Zeit stelle – der sozial-ökologischen Transformation. Zudem würden wichtige Themen etwa auf den Feldern Industriepolitik, aktiver Arbeitsmarktpolitik und Bildung angegangen. Zu kurz gedacht seien allerdings die Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung. Und die große offene Frage laute: „Wieviel zusätzliche öffentliche Investitionen sind notwendig und wie sieht ihre Finanzierung aus? Auf Konkretisierung durch Regierungsrealität sind wir gespannt“, sagte der Gewerkschaftschef.
Verhaltene Kritik kam aus der deutschen Industrie. Insgesamt enthalte der Vertrag zu viele vage Absichtserklärungen, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Hier bleibt der Löwenanteil der Arbeit noch zu tun.“ Positiv bewertete Russwurm unter anderem das Ziel eines modernen Staates. Wichtig sei aber, die Umsetzung „mit großem Ehrgeiz“ voranzutreiben: „Das angekündigte Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen muss Realität werden.“
Der Koalitionsvertrag sei zwar „von konstruktivem Zukunftsgeist geprägt“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Für die unternehmerische Praxis gebe es jedoch noch Unsicherheiten. Kritisch sei vor allem „die unklare Finanzierungsfrage vieler Vorhaben“. (dpa)
Urabstimmung der Grünen startet
Nach der Einigung der Spitzen von SPD, Grünen und FDP auf einen Koalitionsvertrag zur Bildung der ersten bundesweiten Ampel-Koalition sind nun Mitglieder und Delegierte am Zuge. Die Grünen starten dazu bereits an diesem Donnerstag eine Urabstimmung. Ihre 125 000 Mitglieder sollen nicht nur über die Vereinbarungen der potenziellen Regierungspartner abstimmen, sondern auch über das Personaltableau der Grünen für das künftige Kabinett. Die personelle Aufstellung soll zum Start der Urabstimmung bekanntgegeben werden. Bei SPD und FDP sollen Anfang Dezember Parteitage den Vertrag absegnen.
Obwohl in den Koalitionsverhandlungen alle Parteien Abstriche von ihren Positionen machen und Kompromisse eingehen mussten, geht der designierte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) davon aus, dass der Vertrag von allen Parteien gebilligt werden wird. „Ich bin da sehr zuversichtlich. Es ist ein gutes Ergebnis aus der Sicht aller drei Parteien“, sagte er am Mittwochabend in einem ARD-„Brennpunkt“. Scholz stellte zudem in Aussicht, dass das künftige Kabinett zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besetzt sein wird. „Ich habe immer gesagt, dass es mir darum geht, dass die Parität auch im Kabinett gilt. Und ich halte mich an meine Worte.“
Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte. Deutschland steht vor einer politischen Zäsur.
Den Auftakt der Urabstimmung bei den Grünen bildet am Nachmittag (ab 16.00 Uhr) ein Bund-Länder-Forum in Berlin, bei dem die Ergebnisse diskutiert werden. Die Urabstimmung soll zehn Tage dauern und digital oder per Brief möglich sein. Für die Annahme des Koalitionsvertrags und die Zustimmung zum Personaltableau sei eine einfache Mehrheit notwendig. Ein Quorum gebe es nicht, hieß es. Interessant wird sein, ob die Mitglieder insbesondere die Vereinbarungen zum Klimaschutz als ausreichend erachten oder nicht.
SPD, Grüne und FDP hatten am Mittwoch die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag abgeschlossen. Zwei Monate nach der Bundestagswahl legten sie damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung. „Die Ampel steht“, sagte Scholz in Berlin. „Uns eint der Wille, das Land besser zu machen“, betonte er. Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, „sondern um eine Politik der großen Wirkung“, sagte Scholz. „Wir wollen mehr Fortschritt wagen.“
Als ein „Dokument des Mutes und der Zuversicht“ bezeichnete der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck den Koalitionsvertrag. „Das Leitbild dieser Regierung ist eine handelnde Gesellschaft, ein investierender Staat und ein Deutschland, das schlichtweg funktioniert.“ FDP-Chef Christian Lindner betonte: „Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt.“
Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem Folgendes festgeschrieben: Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent. Stromkunden sollen entlastet werden, indem zum 1. Januar 2023 die EEG-Umlage abgeschafft wird. In der Finanzpolitik vereinbarten SPD, Grüne und FDP, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten.
Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden. Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden. In der Asylpolitik wurde vereinbart, dass mehr Flüchtlinge künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können.
Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP von jetzt 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Sie verständigten sich zudem auf die Bildung eines neuen Bundesministeriums für Bauen. Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel-Parteien wollen den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen.
Auch über die Verteilung der Ressorts verständigten sich SPD, Grüne und FDP. Die SPD wird mit Olaf Scholz künftig den Kanzler stellen und das Innen- und Verteidigungsministerium, ein neu geschaffenes Bauministerium, und die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit übernehmen. Auch der Chef des Kanzleramts kommt von der SPD. An die Grünen gehen ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium, das Außenministerium sowie die Ressorts Umwelt/Verbraucher, Agrar/Ernährung und Familie. Die FDP bekommt das Finanz-, Verkehrs-, Bildungs- und das Justizministerium.
Der FDP-Bundesvorstand benannte dafür Parteichef Lindner (Finanzen), Generalsekretär Volker Wissing (Verkehr), den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann (Justiz) und die Parlamentarische Geschäftsführerin Bettina Stark-Watzinger (Bildung).
Der Bund der Steuerzahler begrüßte die Ankündigung, die Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten und Prioritäten im Bundeshaushalt zu setzen. Sein Präsident Reiner Holznagen sagte: „Das sind vielversprechende Ansätze, denen die Ampel in den nächsten vier Jahren gerecht werden muss. Bei wohlklingenden Überschriften darf es aber nicht bleiben.“ Holznagel vermisste allerdings ein klares Bekenntnis, dass die Verschwendung von Steuergeld konsequent verfolgt und bestraft werden solle. (dpa)
Esken rechnet mit Zustimmung der SPD
Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken rechnet mit einer klaren Mehrheit des außerordentlichen SPD-Parteitags zum neuen Koalitionsvertrag. „Ich gehe davon aus, dass die Zustimmung sehr groß sein wird“, sagt sie im Deutschlandfunk. Man werde auch darüber diskutieren, wer für die SPD im Kabinett sitzen soll, fügt Esken hinzu, die wieder als SPD-Chefin kandidiert. Die Vorsitzenden der SPD und der Grünen, die nicht in der Regierung vertreten sein werden, würden ihren Einfluss etwa über die Koalitionsausschüsse ausüben.
Klimakritik von der CDU
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kritisiert die Pläne der künftigen Ampel-Koalition beim Klimaschutz. Die Vorhaben hätten nur noch wenig mit dem Programm der Grünen vor der Wahl zu tun, sagt Ziemiak sagte der Zeitung „Rheinische Post“. „In Wahrheit führt die Ampel vieles fort, was die letzte Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.“ Der Koalitionsvertrag scheine eher „ein finanziell nicht gedecktes Thesenpapier als ein Regierungsprogramm“ zu sein. Auch sei bei der Ressortverteilung von SPD, Grüne und FDP ein Aufbruch nicht zu sehen. „Viele fragen sich: Wo ist das Digitalministerium geblieben? Offenbar sieht die Ampel dort keine Priorität.“ (rtr)
Kritik an den Bildungsplänen – auch von der CDU
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP eine zu wenig ambitionierte Bildungspolitik vorgehalten. „Der Gordische Knoten der Bildungsfinanzierung wird beschrieben, aber nicht durchschlagen“ sagte Prien der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich hätte mir mehr Mut gewünscht und hatte gehofft, dass, wer mehr Fortschritt wagen will, sich auch an die notwendige Grundgesetzänderung herantraut.“ Die Finanzen und Strukturen zwischen Bund, Ländern und Kommunen müssten neu geordnet werden. „Doppelstrukturen und Programme an den Bedarfen in den Ländern vorbei sind nicht zielführend.“
Der Ampel-Koalitionsvertrag bleibe im Bereich Bildung „bei abstrakten und unambitionierten Floskeln“, kritisierte Prien. Die Chance, den massiven Innovationsschub und die Veränderungen in der Bildungslandschaft, die durch die Coronapandemie ausgelöst worden sei, in eine langfristige Strategie zu überführen, sei vertan worden.
So werde etwa bei der Digitalisierung der Fokus auf Geräte und zu wenig auf Pädagogik gelegt. Es sollten bestehende Projekte und Programme fortgeführt werden. Das reiche nicht aus. Insbesondere die Digitalen Kompetenzzentren müssten jetzt schnell kommen, um Lehrerprofessionalisierung und Entwicklung von Lernumgebungen auf die Beine zu stellen. Auch der Schulbau müsse bundesweit und flächendeckend gefördert werden. „Schulen brauchen das größte Investitionsprogramm, dass diese Republik seit der Wiedervereinigung gesehen hat“, sagte Prien. (dpa)
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