Nach dem Bamf-Skandal: Ermittlung gegen Staatsanwälte
Während der Ermittlungen gegen die Bremer Bamf-Leiterin hat die Staatsanwaltschaft sexistische Gerüchte über sie lanciert. Der Chef war mit dabei.
Der Schrägstrich wird von Jurist*innen als „aus“ gelesen: Es ist der erste Fall im Jahr 21, in dem die Generalstaatsanwältin, Kirsten Graalmann-Scheerer und ihr kleiner Stab ermitteln. Sie hat nämlich Mitte April von ihrem Devolutionsrecht Gebrauch gemacht – also der im Gerichtsverfassungsgesetz verankerten Möglichkeit, jeden Fall der ihrer Aufsicht unterstellten Staatsanwaltschaft an sich zu ziehen. „Das überlegt man sich bei 70.000 Verfahren im Jahr sehr gut“, sagt Graalmann-Scheerer der taz. „Das kommt außerordentlich selten vor.“
Hier aber hatte es sich als notwendig erwiesen. Denn kurz vor dem Auftakt des Prozesses über die Vorgänge an der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorm Landgericht Mitte April war endlich herausgekommen, wer im März 2019 an einem rechtswidrigen Gespräch mit einem „Zeit online“-Journalisten teilgenommen hatte. Bei dem Gespräch war die ehemalige Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B. vorverurteilt und durch ehrenrührige Geschichtchen diffamiert worden. Anonym. Trotzdem wurden sie dann von „Zeit online“ ohne Gegenprobe in die Welt geblasen und von Agenturen, Verlaufsmedien und Qualitätspresse ebenso ungeprüft vervielfältigt. Dass der „Zeit online“-Journalist so bedingungslos seiner Quelle traute, ist nachvollziehbar: Kuhn höchstselbst, der Leitende Oberstaatsanwalt, also Chef der Ermittlungsbehörde, war damals mit von der Partie gewesen.
Unzulässig vorverurteilt
Diffamiert ist hier der bessere, weil rechtlich weichere Ausdruck: Ob es sich um Verleumdung – Paragraf 187 des Strafgesetzbuchs – oder um die Verletzung von Privatgeheimnissen nach Paragraf 203 gehandelt hat, müssen die Ermittlungen ja noch klären. „Das wird alles umfassend geprüft“, stellt Graalmann-Scheerer klar. „In jeder in Betracht kommenden Hinsicht.“ Auch bleibt zu untersuchen, ob Kuhn seine Finger im Spiel hatte, als das erste Ermittlungsverfahren gegen die schwatzhaften Staatsanwälte im Dezember 2019 eingestellt worden war – sang-, klang- und komplett ergebnislos.
Der Strafprozess gegen Ulrike B. ist am 20. April gegen Auflage eingestellt worden. Das bedeutet: Sie ist unschuldig im Sinne des Gesetzes, wenn sie eine Geldbuße zahlt, die auf 10.000 Euro festgesetzt wurde.
Anders als 2018 bundesweit als Bamf-Skandal kolportiert hat die Leiterin der Bremer Außenstelle keineswegs massenhaft falsche Asylbescheide ausgestellt. Sie hat vielmehr, entgegen der menschenrechtsfeindlichen, also falschen Gesetzesauslegung ihrer Behördenleitung rechtswidrige Abschiebungen durch neue Bescheide gestoppt. Das war der Auslöser der Ermittlungen gegen sie.
Zutage gebracht haben sie und eine Komplettrevision der 16.000 Bremer Bamf-Akten von 2002 bis 2016, dass Ulrike B.s Außenstelle überdurchschnittlich korrekt und schnell gearbeitet hat. Dass sie dafür materiell Buße tun soll, haben zahlreiche taz-Leser*innen für ungerecht gehalten. Sie haben nun einen Soli-Fonds aufgesetzt, um wenigstens die finanzielle Ungerechtigkeit zu mildern. Er ist unter https://www.betterplace.me/solidaritaet-mit-ulrike-b gehostet.
Als weisungsbefugter Chef der Staatsanwaltschaft kann Kuhn den Umfang der Recherchen seiner Dezernent*innen steuern und auch ihr Ende erzwingen. Zwar muss sich auch ein Staatsanwalt nicht selbst belasten. Wer allerdings verhindert, dass ein anderer für seine Missetaten durch die Justiz belangt wird, macht sich strafbar. „Die strafrechtlichen Ermittlungen sind massiv verschleppt worden“, so der Vorwurf von Ulrike B.’s Anwalt Johannes Eisenberg.
Seine Beschwerde gegen die Einstellung immerhin war erfolgreich gewesen. In der Folge war erneut die von Kuhn geleitete Staatsanwaltschaft dazu verdonnert, nach Schuldigen in ihren eigenen Reihen zu suchen. Denn dass bei dem seltsamen Gespräch aktiv Recht gebrochen wurde, ist unstrittig: Das hatte das Verwaltungsgericht Bremen schon im Mai 2019 erkannt, als es in der Sache von Ulrike B.'s Anwalt angerufen worden war. „Die Äußerungen überschreiten die Grenzen staatsanwaltlicher Äußerungsbefugnisse gegenüber der Presse“, heißt es im Beschluss vom 7. Mai 2019. Die Staatsanwaltschaft hat ihn nicht angefochten. Das heißt, sie hat eingesehen, dass die darin getroffenen Feststellungen zutreffen.
Mit ihren Äußerungen hatten die beteiligten Staatsanwälte laut Verwaltungsgericht „unzulässig in die Privatsphäre“ von Ulrike B. eingegriffen und sie unzulässig vorverurteilt. So hatten sie dem Journalisten gegenüber geprahlt, über „zahlreiche Beweise für eine kriminell kollusive Zusammenarbeit“ zu verfügen und von einer unabwendbaren Haftstrafe geraunt. Insgesamt ging es beim Gespräch laut Verwaltungsgericht darum, „ein ehrenrühriges Bild“ von Ulrike B. zu entwerfen. Demzufolge hätte sie ihre Amtspflichten verletzt, „um einem der beteiligten Anwälte zu gefallen, ohne dass er ihre Zuneigung erwiderte.“
Der plumpe Sexismus dieser Story macht noch immer sprachlos. „Diese Veröffentlichung war noch einmal wie ein Tritt in den Unterleib“, hatte Anwalt Eisenberg am 16. April am ersten Verhandlungstag des Prozesses gegen Ulrike B. an den unsäglichen Vorgang erinnert. Von Gefängnis war da selbst seitens der Anklage gar nicht mehr die Rede. Gar keine Strafe hat das Gericht am Ende verhängt. Eingestellt worden ist das Verfahren, gegen eine empfindliche Geldbuße. Das ist der Preis, den Ulrike B. hat zahlen müssen, um jetzt endlich ihr beamtenrechtliches Verfahren vorantreiben zu können. Und in Ruhe gelassen zu werden.
Erst plaudern, dann schweigen
Richtig ein bisschen sauer wird der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Bremen, Frank P. „Dazu werden Sie hier keinen vors Mikrofon kriegen“, raunzt er auf die Bitte, einen Kontakt zum Leiter der Ermittlungsbehörde Janhenning Kuhn herzustellen. Oder selbst was zu sagen, schließlich ist er ja auch ein Verdächtiger. Nicht mal ein Hintergrundgespräch, ein ganz vertrauliches?
Frank P. lässt den Anrufer kaum ausreden: „Das Verfahren liegt allein bei der Generalstaatsanwältin“, motzt er, und das stimmt. Aber es geht ja nicht um den Stand des Verfahrens. Im Journalismus ist es guter Brauch, auch diejenigen zu befragen, denen vorgeworfen wird, strafbare Handlungen vollzogen zu haben – wie eben ihm, Claudia H., dem Dezernenten mit tragischem Namen, und ihrem Chef, Oberstaatsanwalt Janhenning Kuhn. Was trieb ihn dazu, die Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse so schmählich zu verletzen? Bereut er es heute? Hat er ein Unrechtsbewusstsein entwickelt und Besserung gelobt? Aber da ist close shop. Logisch: Nichts zu sagen, ist die schlaueste Verteidigung. Wie sollen denn die einzelnen Zitate im „Zeit online“-Artikel den einzelnen Beteiligten zugeordnet werden? Und jeder darf schließlich nur für das bestraft werden, was er selbst getan oder unterlassen hat. Aber hätte der Behördenleiter nicht die ganze Chose jederzeit stoppen können?
Noch enthält sich die Justizsenatorin einer politischen Bewertung des peinlichen Vorgangs. „Wir werden laufende Ermittlungen nicht kommentieren“, versichert ihr Sprecher Matthias Koch. Beurlaubt wird keiner der Beschuldigten. Da haben sie es objektiv besser als Ulrike B., die seit drei Jahren nicht arbeiten darf – obwohl bei ihr niemand einen Rechtsbruch festgestellt hat. Generalstaatsanwältin Graalmann-Scheerer rechnet mit einem Ergebnis der Ermittlungen „hoffentlich noch diesen Sommer“, wie sie der taz erklärt.
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