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Nach dem Abgang von Sahra WagenknechtNeuer Soundtrack für die Linkspartei

Der Vorsitzende der Linken hat einen fragwürdigen Musikgeschmack. Ein paar Song-Vorschläge für den nächsten Wahlabend der Partei.

Ein bisschen von gestern: Alexandra, Roy Black, Vicky Leandros und Rex Gildo beim Filmball 1969 in Mainz Foto: Peter Hillebrecht/ap

W er glaubte, in Sachen Linkspartei könne ihn gar nichts mehr überraschen, hat sich geirrt. Nein, gemeint ist nicht der Austritt von Sahra Wagenknecht und ihren Jüngern, der war überfällig. Sondern das Interview, das Parteichef Martin Schirdewan anschließend dieser Zeitung gab.

Auf die Frage, welches Lied die aktuelle Lage der Partei beschreibe, sagte Schirdewan: Vicky Leandros, „Ich liebe das Leben“.

Ich erwarte ja von der Linkspartei keine popkulturelle Avantgarde, aber dass ihr Vorsitzender einen deutschen Schlager von 1975 heranzieht, hätte ich auch nicht gedacht. Zumindest eins hat Schirdewan erreicht: Den Vorwurf von Wagenknecht, die Linkspartei habe sich einer „Lifestyle-Linken“ an den Hals geschmissen, hat er entkräftet.

Dabei gibt es viel passendere Lieder, die die Lage der Partei erklären und beim nächsten Parteitag oder Wahlabend laufen könnten – oder bei der Trauerfeier.

99 Problems (Jay-Z) – aber Sahra ist keins mehr davon. So viele Probleme hat die Linkspartei jetzt zu lösen, mindestens. Bisher konnte sie sich hinter Wagenknecht verstecken und sie für alle Probleme verantwortlich machen.

Die Internationale Linke zerfällt

Dabei ist etwa die außenpolitische Haltung der Partei in Sachen Russland auch ohne die friedensbewegte Wagenknecht widersprüchlich bis ungeklärt. Man verurteilt den russischen Krieg in der Ukraine, unterstützt das Selbstverteidigungsrecht des Landes, will aber keine Waffen liefern. Wie das zusammengeht, ist unverständlich.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und dann gibt es ja noch 98 andere Probleme für die Partei: Die Verankerung in den Gewerkschaften fehlt, die Mitgliedschaft ist disparat – im Osten sehr alt und traditionell-sozialistisch, im Westen jung und bewegungsorientiert. Problem Nummer 96 bekommt ein eigenes Lied:

Die Internationale: Das ist zwar ausnahmsweise nicht die Schuld der Linkspartei, aber die Internationale zerfällt. Der Krieg in der Ukraine hatte den Anfang gemacht, nun gibt der Krieg in Nahost der internationalen Solidarität den Rest. Postkoloniale Linke haben teilweise Probleme damit, die Massaker der Hamas unmissverständlich zu verurteilen. Und Linke in Deutschland tun sich schwer damit, zu verstehen, dass man die Welt aus dem globalen Süden anders sieht, als sie das tun.

Das wird die Linke hierzulande noch lange beschäftigen. Fridays for Future wird sich von dem Zerwürfnis zwischen ihrer deutschen Fraktion und den internationalen Ablegern kaum erholen können. Und je schwächer die Bewegung, desto schlechter ist das für die Partei, die der Klimabewegung längst näher steht als die Grünen.

Ohne Wagenknecht fehlt der Linken ein Gesicht

Sie ist weg (Fanta 4): Ohne Sahra Wagenknecht fehlt der Linken etwas Entscheidendes zum Erfolg, nämlich Charisma, Prominenz, Köpfe. In der Linken, auch außerhalb der Partei, wird gern bestritten, dass so etwas Banales wie Popularität wichtig ist, man will ja schließlich kollektiv erfolgreich und egalitär sein. Aber wer die Partei in eine goldene Zukunft führen könnte, kann man sich beim aktuellen Spitzenpersonal nicht vorstellen: etwa der alte Gysi?

I will survive: Okay, das ist auch nicht gerade ein zeitgenössisches Lied, aber was erwarten Sie von einem Kolumnisten, der vor allem Kinderlieder von der Toniebox hört? Es ist immerhin kein Schlager, und die kämpferische Gloria Gaynor zeigt der Linkspartei, wie es gehen könnte: „Anfangs hatte ich Angst; ich war wie versteinert / Dachte ich könnte nicht leben ohne dich an meiner Seite / Aber dann hab ich so viele Nächte damit verbracht, darüber nachzudenken, wie falsch du mich behandelt hast / Und ich wurde stark.“

Es wäre nicht nur der Linken zu wünschen, dass Gaynor Recht behält.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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12 Kommentare

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  • Kollege Schirdewan hat immerhin direkt einen Wahlkreis gewonnen. Da kann er sich Musike erlauben, welche er will. 😊



    Und sich über seinen Musikgeschmack lustig zu machen, ist wahrscheinlich bereits (Alters-)Diskriminierung im Sinne des AGG. 😉

    • @Nansen:

      Ach was. Das Direktmandat hat ja der Pellmann. Ich bin alt. 😁

      • @Nansen:

        Ist doch egal. Jedenfalls hat die Linke noch weiteres Potenzial für Wählerverluste. 🤪

  • Der Artikel von Herrn Augustin gefällt mir gut: wie er den "Schlagerball" von Herrn Schirdewan aufnimmt und anhand eigener Songvorschläge die überbordenden Probleme und Wiedersprüche der Linkspartei treffend aufzeigt.

    Das Lied von Vicky Leandros hatte ich mir neulich nach dem Interview nach langer Zeit angehört und muss zugeben, dass ich es gar nicht mehr so fürchterlich wie in meiner Teenagerzeit finde.

    Inzwischen ist die optimistische Melodei und der Text für mich persönlich bedeutsamer als das von den Mitforisten weiter unten vorgeschlagene Lied "The End" der Doors.

    Im Laufe des Lebens ändern sich in einigen Dingen die Ansichten.

  • Finde 70er-Jahre-Schlager für die Partei ausgesprochen passend, stilecht, ja erwartbar und das ist nicht unbedingt abschätzig gemeint. Ist einfach Tatsache, retro total, aus der Zeit gefallen oder von mir aus zeitlos, verstaubt, auf ihre Weise auch immer etwas spiessig. Vor allen Dingen aber gewollt harmlos, und ungewollt angepasst. Wie Schlagermusik in den 70ern. Einem guten Teil der Wählerschaft wenigstens im Osten wird es was sagen, auch darum geht's, und vielleicht kennt Schirdewan noch bessere Lieder aber ist in so'ner Situation dann auch noch zu unsicher als da jetzt ausgerechnet was aus den vorgeblich verhassten USA zu nennen, wie sieht das denn aus? Also es hätte sicher nicht schlechter ausgesehen als Kollegen, die sich innerhalb einer Woche für Pflichtarbeit für Asylbewerber ins Zeug werfen und mit Rage Against the Machine assoziieren lassen wollen. Wenn Schirdewan das unterbietet, kriegt er ne Schallplatte geschenkt.

  • Immer wieder witzig wie sich vermeintlich linksprogressive Menschen über klassische deutsche Schlager aufregen können, das war ja irgendwie immer schon so.



    Dabei ist allein schon der Titel „Ich liebe das Leben“ ein zukunftsfähiger, lebensfroher Ansatz für eine fortschrittliche linke Politik. Und sollte nicht gerade die Linke sich wieder mehr auf die abgehängten prekären Bevölkerungsschichten konzentrieren, also vor allem auch auf traditionelles Arbeitermilieu, jetzt oft als Rentner*innen in Altersarmut lebend? Unter diesen wird sich schon der und die eine oder andere Vicky-Leandros-Fan finden…ich höre solche alte Schlager übrigens auch recht gerne, und das als gerade mal 47 Jahre alter grünenaffiner Öko.

  • Ein sehr einseitiger Artikel, aber narzisstische Personen wie Wagenknecht haben immer Fans!



    Und das wirklich Originelle, ja geradezu Popkulturelle an der Musikauswahl vermag der Autor auch nicht zu schätzen.



    Und wie respektlos:..."etwa der alte Gysi"!?



    Er ist der weltläufigste und klügste Politiker der Linken, einen so weiten Horizont wünschte man so manchem anderen - Altersdiskriminierung! Wer hat das nötig!?



    Gysi thematisiert sein Alter selbst!

  • Der Artikel offenbart einiges mehr! Dies Selbstverständnis einer geeinten linken sowie die neuen aber dennoch exklusiven Standards, durch sozial begrenzte Individuen ist alles teil des problems, die Linkspartei sowie alle sozialen Reformkräfte zu benennen und zu organisieren. Die linke ist nur ein teil der Reformkräfte! Es gibt seit 200 Jahren unzählige Reformkräfte die nie geeint worden sind. Internationale und regionale Bündnisse sind oft extrem abhängig von lokal begrenzten Phänomene. Dh sie halten sich auf Grund der rasanten progression nicht lange und müssen In einem weiteren Kontext gedacht werden. Dieser weitere Kontext ist so ziemlich das Hauptproblem. Sahra w. Ist doch nicht die einzige reaktionäre!



    Diese soziale Begrenzung ist auf eine gefährlich oberflächliche bildungskultur und Kultur allgemein zurückzuführen. Die Gründe für diese oberflâchlichkeit als auch die rasante soziale Progression sind längst bekannt. Doch nur wenige sind kompetent und eklektisch genug, um das umzusetzen.

    Die linke ist ein anachronistischer Traum der längst seinen Zenit Überschriften hat.



    Die permanente selbstklassifizierung als oberste oder einzige linke kraft, ist hybris und reaktionär!

    Die internationale gibt es, nur anders und mit weit mehr reformakteure als manche das meinen.

    Der Zeitgeist ist noch massiv geprägt von umbewusstsein, Verdrängung, ungenaue Emotionen und Halbwahrheiten.



    Während die sozialen Ideologien noch längst nicht konsolidiert sind auf Grund all dieser sozialen Ineffizienz.

    Ein lied zu finden was das alles ausdrückt ist schwierig und es brauch wahrscheinlich mehr als eins.



    Und für wen soll es sein, für alle oder nur für Insider?



    Bevor also ein neues Lied, wie wäre es mit nem neuen Namen? Das würde jedenfalls zeigen, das die selbstreflektion und Neuerfindung dort am stärksten ist.



    Schluss mit der selbstbegrenzung und der Spaltung aller - denn so wird das mit der internationalen und allem anderen sehr schwer!



    Song:



    SIA - space between

  • "Auf die Frage, welches Lied die aktuelle Lage der Partei beschreibe, sagte Schirdewan: Vicky Leandros, „Ich liebe das Leben“."

    Der Song "The End" von den Doors trifft es wohl besser!

  • Ja, das mit den Waffen.

    Ich kann dennoch nicht einen Anflug von Übelkeit unterdrücken, wenn ich lese, dass bei den Waffenschmieden angesichts des laufenden Konflikts am Gaza-Streifen die Sektkorken knallen [1]. In typischer "Abteilung Öffentlichkeitsarbeit"-Manier sagen sie jaja, das sei alles ganz schrecklich, aber die Aktien.

    Mit diesem Ruf nach Waffen füttern wir ein Monster, das sich strikt weigern wird, danach zu schrumpfen (in den USA gibt es einen ganzen Rudel von Lobbyisten, die für die militärische Unterstützung der Ukraine werben. Das machen die umsonst, wie lieb von denen. Was machen sie beruflich? Na, für die Waffenlobby arbeiten [2]!).

    Ich bin froh, dass eine Partei ein Auge darauf hat, wenn das schwierige Auseinandersetzungen sind. Denn: keine Waffen hinschicken ist in der jetzigen Zeit wohl auch keine gute Option.

    [1] www.theguardian.co...e-israel-hamas-war



    [2] www.theguardian.co...n-defense-industry

  • Das einzige Lied, das die noch brauchen: The End von den Doors.