Wackelige Zukunft der Linkspartei: Kein totes Pferd reiten

Wie geht es weiter nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht? Trotz aller Abgesänge treten nun teils prominente neue Mitglieder ein.

Ines Schwerdtner ist blond, trägt Mantel und lehnt an einer Steinmauer und schaut nach oben

Will ins EU-Parlament: Ines Schwerdtner Foto: Christoph Busse

ALTENBURG taz | Rotes Lastenfahrrad, rote Kugelschreiber, selbst die Kaffeekannen sind rot. Am Marktplatz von Altenburg, Thüringen, suchen drei Linke aus dem Kreisverband und die Europa-Kandidatin Ines Schwerdtner am Donnerstag nach Menschen, die Probleme haben. „Wohnen“, „Wärme“, „Offenes Ohr“, lauten die Überschriften auf dem roten Flyer, den sie verteilen. Doch das erste Pro­blem, das im Gespräch mit einem älteren Mann aufkommt, betrifft die Linkspartei selbst: „Was ist denn nun mit der Wagenknecht?“

Ines Schwerdtner ist erst wenige Wochen vor dem Austritt von Sahra Wagenknecht in die Linkspartei eingetreten. Jetzt kandidiert sie für die Europawahl, am liebsten würde sie den einigermaßen aussichtsreichen fünften Listenplatz der Partei erreichen.

In der Woche nach Wagenknechts Abgang meldete die Linkspartei über 400 teils prominente Eintritte. Dabei steht sie in Umfragen weiterhin bei 4 bis 5 Prozent, viele Beobachter gehen davon aus, dass die Partei ohne ihre bekannteste Vertreterin keine Zukunft mehr hat. Warum schließen sich jetzt trotzdem Menschen der Linken an?

Am Dienstag hatte Dietmar Bartsch, jetzt alleiniger Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, für die kommende Woche die „Liquidation“ seiner Fraktion angekündigt. Liquidation. Ein hartes Wort, das aber schlicht aus dem Abgeordnetengesetz stammt.

Letzte Liquidation vor 63 Jahren

Es ist nicht geläufig, weil so etwas wie der Parteiaustritt Sahra Wagenknechts und neun weiterer Bundestagsabgeordneter Ende Oktober so noch nie vorkam. Vergleichbar wäre höchstens das Schicksal der Deutschen Partei, deren Abtrünnige sich aber teils bestehenden Parteien anschlossen. Die Liquidation der rechten Bundestagsfraktion liegt auch schon 63 Jahre zurück.

Die linken Abgeordneten – wie auch die Wagenknecht-Leute – können nach der Auflösung der Fraktion den Status als parlamentarische Gruppe im Bundestag beantragen. Doch als Gruppe werden die 28 übrig gebliebenen Linke-Abgeordneten an parlamentarischen Rechten verlieren, an Redezeit und Geldern. Über 100 Fraktionsmitarbeitende werden ihre Jobs verlieren. „Man kann nach Aufbruch rufen, aber so einfach ist das nun mal nicht“, sagte die Linke-Abgeordnete Gesine Lötzsch der Frankfurter Rundschau. Auch, weil mit Wagenkecht ja nicht die Richtungsfragen verschwunden sind.

Eine Strategieerklärung der Parteispitze soll einen „Neustart der Linken“ markieren, besonders mit Blick auf die im Juni 2024 anstehenden EU-Wahlen und die Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Zentrales Wort, das man aus der Partei nun immer wieder hört: „Geschlossenheit“.

Vier Menschen heben ein rotes Wahlkampf-Lastenrad der Linken eine Treppe hoch

Einfach mal anpacken: Beim Treppenhochtragen des Wahlkampfrads klappt das in Altenburg schon Foto: Christoph Busse

Am kommenden Wochenende auf dem Bundesparteitag in Augsburg wird es einen ersten Hinweis darauf geben, ob die Partei diese Geschlossenheit durchhalten kann. Dort wird über das Programm und die Kan­di­da­t:in­nen­lis­te zur Europawahl abgestimmt.

Stammklientel droht fremdzugehen

Mit Wagenknechts Abgang und bewegungsnahen Europa-Kandidat:innen wie der Seenotretterin und Klimaaktivistin Carola Rackete habe die Linke möglicherweise die Chance, „als wirklich progressive Kraft“ Neumitglieder oder Stimmen aus dem studentischen Milieu zu gewinnen, sagt der Parteienforscher Benjamin Höhne im Gespräch mit der taz. Doch drohten auch, gerade im Osten, die Stamm­wäh­le­r:in­nen der Linken fremdzugehen.

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In Altenburg sind die Genossen froh, dass zumindest die Hängepartie vorbei ist. Auch wenn sie auf ihrer Bürgertour noch immer über Wagenknecht sprechen müssen. Schwerdtner und ihre Genossen sagen dann, Wagenknecht sei eine Millionärin, die in einer Villa im Saarland sitze und für Sozialpolitik und die Probleme vor Ort nicht viel übrig habe. Um dann schnell das Thema zu wechseln.

Die Linke bringen sie als Kümmererpartei in Stellung. Viele junge Leute ziehen aus Altenburg weg, Leerstand ist in der Stadt ein Problem. „DDR-Softeis aus originalen Maschinen“, steht an einem Laden, auch die Erinnerung, dass die Stadt früher zu Sachsen gehörte, ist noch wach. Es habe in die Linksjugend im Kreis mehrere Eintritte gegeben, seitdem Wagenknecht weg ist, erzählt Leon Walter aus dem Kreisvorstand. Und nur einen einzigen Austritt.

Walter hat Ines Schwerdtner zu ihrer Tour durch Altenburg eingeladen, die Europa-Kandidatin, die ihnen hier zusagt. Die 34-Jährige war bis Juli Chefredakteurin des linken Magazins Jacobin. Als solche wollte sie das Wagenknecht-Lager eher integrieren. Wie auch Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Ein Fehler? „Wagenknecht konnte man schon lange aufgeben, aber nicht ihre Leute“, sagt Schwerdtner. „Es gibt viele ältere Genossen, die hadern. Man muss zumindest versuchen zu verstehen, was sie an Wagenknecht finden, und sie integrieren.“

Zwischen Wagenknecht und Bewegungslinken

Zum Beispiel beim Thema Migration, wo Wagenknecht rechte Posi­tio­nen vertrete. Schwerdtner will den Leuten klarmachen: „Nicht Migration ist die Mutter aller Probleme, sondern das finanzielle Austrocknen der Kommunen.“

Schwerdtner ist im sächsischen Werdau geboren, ihre Eltern haben nach der Wende ihre Jobs verloren und sind nach Hamburg gezogen. Heute lebt sie in Berlin. „Streiten für den Osten“, hat sie über ihre Kandidatur geschrieben, die vom linken Landesverband Sachsen-Anhalt unterstützt wird. Sie tourt durch west-, aber vor allem auch durch ostdeutsche Bundesländer. Die Partei setzt ihr zu sehr auf die junge, aktivistische Klientel.

„Ich habe keine Vorbehalte gegen alte weiße Männer“, sagt sie am Rand der Bürgergespräche in den Altenburger Straßen. Das gehe im Osten gar nicht anders. Ein Regenbogenaufkleber auf dem Lastenrad der Altenburger Linken zeigt aber auch, dass man hier von Wagenknechts Polemik gegen „Lifestylelinke“ und „skurrile Minderheiten“ nichts hält.

Wer die Linke nach dem Abgang von Wagenknecht beobachtet, trifft auf Aktive und Kandidat:innen, die mit viel Idealismus unterwegs sind – und sich genau anschauen, mit welchen Rezepten linke Parteien in anderen Ländern erfolgreich sind. Der Blick auf Jean-Luc Mélenchon in Frankreich zeigt ihnen, dass Hetzen gegen Geflüchtete und Klimaschutz nicht auf das Konto einer linken Massenbewegung einzahlt. Von der belgischen Partei der Arbeit und der Kommunistischen Partei Österreichs wollen sie eine soziale Bürgernähe übernehmen.

Neue Bürgernähe

Ines Schwerdtner will im Fall eines Einzugs ins EU-Parlament von ihrer Abgeordnetendiät nur den Lohn eines Facharbeiters behalten, wie es unter ihren Genossen in Belgien und Österreich üblich ist. Auch Daphne ­Weber, Schwerdt­ners Konkurrentin um Listenplatz 5 für die Europa-Liste, deren Kandidatur von der Parteispitze unterstützt wird, will sich auf den deutschen Durchschnittslohn beschränken. Das übrige Geld solle in einen Sozialfonds fließen.

Parteienforscher Benjamin Höhne sieht das skeptisch. „Ich habe Bedenken, dass das eine Deprofessionalisierung bedeuten kann.“ Ohnehin würden linke Man­dats­trä­ge­r:in­nen im Vergleich zu den anderen Parteien mehr Geld an ihre Partei abgeben. Und Brüssel sei teuer. Ein klassischer linker Ansatz gebe keine Almosen, sondern spreche über Strukturen. „Diese Abgaben haben ein populistisches Moment. Fraglich ist, ob sie neben Symbolpolitik viel bewirken können.“

Inge Hannemann, 55, findet den Sozialfonds dagegen genau den richtigen Ansatz. Sie ist bekannt geworden, weil sie sich als frühere Mitarbeiterin eines Hamburger Jobcenters kritisch zu den Hartz-IV-Sanktionen geäußert hat. 2015 ging sie als Linke-Abgeordnete in die Hamburgische Bürgerschaft, 2017 legte sie ihr Mandat nieder, 2020 trat sie aus der Linken aus, weil die Partei die Klassenfrage über der Identitätspolitik vernachlässigt habe. Eine Kritik, die auch Wagenknecht vertritt.

Doch Hannemann folgt jetzt nicht Wagenknecht, sondern ist wieder in die Linkspartei eingetreten. „Ich setze nicht auf ein totes Pferd“, sagt sie. „Wir brauchen eine starke Linke, denn die Rechten werden immer stärker.“ Es sei kein Wiedereintritt mit Wow-Gefühl, „aber auch Menschen, die nicht mehr können, müssen einfach in der Politik vorkommen“. Und was ist mit der Kritik an Identitätspolitik? „Es geht um soziale Gerechtigkeit für alle. Damit sind auch alle gemeint.“

Hannemann sagt, sie überlege jetzt mit ihrem Kreisverband, wie sie sich in ihre neu-alte Partei einbringen könne. „Meine Stärke ist das Schreiben und Auseinanderpflücken von Statistiken.“

In Altenburg geht es zeitgleich mit der Europawahl im kommenden Juni um die Kommunal- und Kreistagswahlen. Im September darauf geht es bei den Landtagswahlen darum, dass die Partei im einzigen Land mit linkem Ministerpräsidenten nicht abstürzt. Ein älterer weißer Mann biegt um die Ecke, der frühere Landrat von der CDU. Es gibt ein großes Hallo, scherzend unterhalten sich die Genossen von der Linken mit ihm. Zumindest von ihrer Seite gibt es da keine Berührungsängste.

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