Nach Kritik an Essener Tafel: Mit bunten Karten gegen die Armut
Die „Tafeln“ in Deutschland haben ausgeklügelte Verteilungssysteme. Der Tafel-Chef in Essen droht mit Rücktritt.
Vielleicht ist der Vorwurf des „Rassismus“ zu einfach, zumindest erklärt er die Problematik nicht allein. Jörg Sartor, ehrenamtlicher Chef der Essener Tafel, fühlt sich ungerecht behandelt. „Ich bin kurz davor, hinzuschmeißen“, sagte Sartor der Bild-Zeitung.
Sein Tafelverein hatte verfügt, dass ab sofort als Neukunden nur noch Leute mit deutschem Personalausweis (den man ja auch mit Migrationshintergrund haben kann; der Säzzer) zugelassen werden. 75 Prozent der Kunden seien inzwischen Migranten, darunter viele Flüchtlinge, hatte sich Sartor beklagt.
Deutsche RentnerInnen und Alleinerziehende würden dadurch schleichend verdrängt. Am heutigen Dienstag will der Vereinsvorstand der „Tafel“ in Essen nochmal über dieses Vorgehen debattieren. Eine Presseerklärung ist angekündigt.
Der Bundesvorstand der Tafeln hat sich vom Ausschluss der Migranten in Essen distanziert, desgleichen viele PolitikerInnen. Viele Ausgabestellen kennen aber das Problem, den Andrang der Kunden in den Lebensmittelausgaben zu bewältigen. 1,5 Millionen Menschen werden regelmäßig von den Tafeln mit gespendeten Lebensmittel versorgt. Die 2.500 Ausgabestellen entwickeln dabei ihre eigene Logistik.
Farbkarten helfen bei der Verteilung
In Berlin etwa bekommen die Kunden mancher Ausgabestellen Farbkarten zugeteilt für die wöchentliche Verteilung. Jeden Monat ist dann eine von vier Farben als erste dran. Dieses System rotiert. Ist die eigene Farbe in einem Monat als letzte der vier Gruppen dran, lohnt es sich oft gar nicht, hinzugehen, sagt Susanne G., Kundin bei der Tafel in Charlottenburg, „dann ist da kaum noch was übrig“.
Um Gedränge und Geschubse zu vermeiden, ziehen die Anstehenden in manchen Ausgabestellen Lose, deren Nummern über die Wartezeit entscheiden.
Weil das lange Warten vielen Kunden schwerfällt, gibt es zudem in Köln in manchen Ausgabestellen rote Karten etwa für Gebrechliche oder Alleinerziehende mit Baby, deren BesitzerInnen dann schneller drankommen, berichtet Karin Fürhaupter, Vorsitzende der Kölner Tafel. Ältere Menschen würden sich an Ausgabestellen mit vielen jüngeren Migranten manchmal „fremd“ fühlen. „Das hat mit Rassismus aber nichts zu tun“, betont die Kölner Vorsitzende. In Köln-Sülz existiert neuerdings eine Ausgabestelle, die nur an Menschen über 65 Jahren Lebensmittel verteilt, selbstverständlich auch an ältere MigrantInnen, so Fürhaupter.
In den meisten Ausgabestellen wird jeder Besuch eines registrierten Kunden vermerkt. Wer mehrfach nicht erscheint, wird unter Umständen von der Teilnehmerliste gestrichen. Der Ausweis verfällt – Leute von den Wartelisten können nachrücken.
Hoher Druck bei den Tafeln
Vielerorts gibt es Aufnahmestopps für Neukunden, wegen Überlastung. Die Ausgabestellen werden oft von kirchlichen Gruppen oder gemeinnützigen Vereinen betrieben, die Leute arbeiten ehrenamtlich.
Die Neueröffnung von Flüchtlingsunterkünften wurde für manche Ausgabestelle in der Nachbarschaft zum Problem. „Es gab mal einen Versuch einer Ausgabestelle, neben der ein Flüchtlingsheim mit vielen Menschen eröffnet hatte, für die Heimbewohner dann einen besonderen Tag in der Woche einzurichten, wo die Ausgabe nur für sie offen hat. Doch davon ist man wieder abgekommen, weil man sagte, das ist so ein Zwei-Klassen-System. Das wollte man dann doch nicht“, erklärt Jan-Henrik Hellwege, Fahrdienstleiter bei der Hamburger Tafel.
Die Heime werden leerer, aber die Armut und der Andrang bleiben. Durch das Agieren in Essen wird der Druck deutlich, unter dem die örtlichen „Tafeln“ stehen. Das kann nur gut sein.
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