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Nach Karlsruher UrteilHaushaltssperre für Ministerien

Nach dem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds wird der gesamte Haushalt geprüft. Der Finanzminister stoppt Ausgaben – aber nicht im Alleingang.

Finanzminister Lindner: erst mal alle Ausgaben stoppen Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin reuters | Die Bundesregierung schätzt die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds offenbar ernster ein als bisher angenommen. Das Bundesfinanzministerium weitete am Montag die für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verfügte Haushaltssperre auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt aus. Dies geht aus einem Schreiben von Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer hervor, das am Abend vorlag.

Aus dem Finanzministerium hieß es dazu am späten Abend auf Anfrage, Verpflichtungsermächtigungen im laufenden Haushalt würden gestoppt, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden. „Bestehende Verbindlichkeiten werden weiter eingehalten, es dürfen nur keine neuen eingegangen werden“, wurde betont. An anderer Stelle der Regierung wurde ergänzend deutlich gemacht, dass es sich nicht um einen Alleingang von Finanzminister Christian Lindner (FDP) handele: „Es ist abgesprochen und sinnvoll.“

In dem Schreiben Gatzers heißt es: „Um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, beabsichtige ich daher, alle in den Einzelplänen 04 bis 17 und 23 bis 60 des Bundeshaushaltsplans 2023 ausgebrachten und noch verfügbaren Verpflichtungsermächtigungen mit sofortiger Wirkung zu sperren.“ Gatzer verweist auf Paragraf 41 der Bundeshaushaltsordnung, der eine Haushaltssperre regelt.

Mit den genannten Einzelplänen sind die Einzeletats aller Ministerien betroffen. Im Einzelplan 60 sind etwa der Klima- und Transformationsfonds und der 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm zur Dämpfung der Energiepreise angesiedelt. Ausgenommen sind laut der Aufzählung Verfassungsorgane wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.

Gesamter Haushaltsplan soll überprüft werden

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung am Mittwoch 60 Milliarden Euro gestrichen, weil die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klimafonds verfassungswidrig war. Das Geld fehlt der Regierung nun. Hinzu kommen weitere Klarstellungen des Gerichts zur Schuldenbremse im Grundgesetz und zur Rechtmäßigkeit von Krediten, die auch Folgen für den laufenden Haushalt 2023 und den geplanten Haushalt 2024 haben könnten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte noch am Tag der Urteilsverkündung eine Haushaltssperre nur für den Klimafonds verfügen lassen.

Aufgrund des Urteils ergebe sich „für den Bundeshaushalt die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage“, schreibt Gatzer. Eine nach der Haushaltssperre von den Ministerien „begehrte Freigabe von Verpflichtungsermächtigungen (…) in besonderen Einzelfällen kann ich allenfalls im Falle eines schriftlich dargelegten sachlich und zeitlich unabweisbaren Bedarfs in Aussicht stellen“. Es werde dabei „ein besonders strenger Maßstab an den Nachweis eines solchen Bedarfs angelegt“.

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22 Kommentare

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  • Irgendwie scheint es keiner verstehen zu wollen: Euros können nur dann ausgegeben werden, für welch hehres Ziel auch immer, wenn sie irgendwie und irgendwann verdient werden oder von irgendwem verdient worden sind.

    Die Schuldenbremse gibt es aus gutem Grund: Geldausgeben für dies und das und für noch etwas mehr und dann mal noch 50 Mio humanitäre Hilfe hier, mal eine kleine Gaskrise dort und für die marode Bahn bräuchten wir auch mal ein paar hundert Milliarden, da noch reichlich Kohle für was ganz ganz wichtiges, hoppla kein Geld mehr da, egal, holen wir halt neues.

    So soll es halt nicht gehen und deshalb gibt es die Schuldenbremse in der Verfassung.

    Wenn man ehemaliger Finanzminister und jetziger Bundeskanzler gegen die Verfassung verstößt und das auch noch wissentlich und vorsätzlich, und sich das dann erst noch vom Verfassungsgericht vorhalten lassen muss, dann ist es sehr fraglich, ob solch eine Regierung tatsächlich eine Regierung ist, der man als Bürger und Steuerzahler vertrauen sollte.

  • FDP Bashing pur

    Wenn die Finanzierung für ungültig erklärt wurde und das Geld für den geplanten Haushalt nicht da ist, dann muss der Finanzminister eine Haushaltssperre aussprechen, sonst handelt er ungesetzlich.



    Die Koalition muss dann klären, ob durch sparen oder neue Einnahmequellen oder legaler Neuverschuldung (Schuldengrenze ändern) wieder ein gültiger Haushalt möglich ist.



    Viele Kommentatoren hier tun aber so, als ob die FDP einzig am Problem schuld ist. Ist sie aber nicht, die gesamte Koalition (inklusive FDP) hat gemurkst, statt regiert.



    Nein, ich bin kein FDP-Wähler, diese



    Partei kann auch nicht mehr mir Geld umgehen.

    Einen Tipp habe ich: Wenn der kleine Mann kein Geld mehr hat muss er sparen. Wer das nicht tut ersäuft irgendwann in den eigenen Schulden, wie Millionen Bürger beweisen.

    • @Rudi Hamm:

      [...]Einen Tipp habe ich: Wenn der kleine Mann kein Geld mehr hat muss er sparen. Wer das nicht tut ersäuft irgendwann in den eigenen Schulden, wie Millionen Bürger beweisen.[...]

      Lassen wir mal außen vor, dass es zwischen Staatsschulden und privaten Schulden Unterschiede gibt, aber würden die Bürger dieses Landes keine Schulden machen, würde die Wirtschaft innerhalb von 6 Monaten komplett zusammenbrechen.

  • Die Haushaltssperre erscheint mir angemessen. Es muss nun geschaut werden, wie die Problematik aufgefangen werden kann. Den Bürgern werden die Energie-Schutzschirme nicht gestrichen werden können. Das würde die Stimmung im Land weiter aufheizen. Also muss geschaut werden, wie eine neue Lösung konstruiert werden kann, die 60 Mrd. anderweitig abzubilden.

  • ...beim Fußball heißt es bei der roten Karte - ab vom Platz...

  • fefe hat heute darauf hingewiesen, dass das Umweltbundesamt die 60 Mrd. schon längst (vor 2 Jahren nämlich) gefunden hat: Hier ist eine Tabelle mit umweltschädlichen Subventionen. Summe: 65,4 Mrd.

    Link: www.umweltbundesam...liche-subventionen

  • Ich bin eigendlich nur noch fassungslos!



    Die FDP setzt zum Sprung in die Opposition an... Spingt endlich!!!!

    • @KielerSprotte:

      "Besser nicht regieren als schlecht regieren"

      Sie passt nicht zu dieser Koalition und hätte nie mitmachen sollen/dürfen.



      Besser nicht mehr wählen, damit sie es nicht nochmals macht.

  • Wenn ich das richtig sehe, bleiben die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr von der Haushaltssperre unberührt (da im Grundgesetz verankert)

    Lützerath abgebaggert, die Sektorziele für den Klimaschutz gestrichen (für das Verkehrsministerium angeblich nicht einhaltbar (Tempolimit geht gar nicht), das Karlsruher Klimaurteil hin oder her), LNG-Terminals im Wattenmeer (einschließlich neuer Abhängigkeiten, z.B. von Katar), Ausbau der "Festung Europa" (massive, systematischr, teils tödliche Gewalt gegen Geflüchtete)

    Jetzt kein Geld mehr zur Unterstützung und Umsetzung des klimatechnisch unabdingbaren Strukturwandels (und auch für sonst kaum was) - aber 100 Milliarden für Rheinmetall und Co bleiben, in der Verfassung verankert wie die Schuldenbremse...

    Eine ernüchternde, im Wortsinn verheerende Halbzeitbilanz dieser Fortschrittdkoalition.

    • @ke1ner:

      Aber die Abgeordneten, Verfassungsrichter und die Bundeswehr haben nichts zu fürchten. Sie sind ausgenommen.

    • @ke1ner:

      // einschließlich neuer Abhängigkeiten, z.B. von Katar

      Katar liefert erst ab 2025/2026 Flüssiggas und auch sehr wenig. Abhängigkeit gibt’s absolut keine.

  • Der sogenannte Ermöglichungsminister in Aktion. Statt das Geld aufzutreiben, beschäftig er sich lieber damit, sich zu einer verfassungsmäßig nicht vorgesehenen Vetomacht für jeden einzelnen Haushaltsposten aufzuschwingen. Es ist wirklich unglaublich, dass die SPD das alles mitträgt.

    • @Wonko the Sane:

      Was bleibt Lindner denn in der aktuell unsicheren Situation anderes übrig?

      Stand jetzt stehen für 2024 weniger Einnahmen als geplant zur Verfügung, welche die Ausgaben nicht decken. Insofern ist es nur verständlich, dass die Ministerien bis zur Klärung des weiteren Vorgehens keine weiteren Verpflichtungen eingehen dürfen.



      Bestehende Verpflichtungen sind ja (noch) nicht davon betroffen.

      Rechtliche Grundlage die dem Finanzminister eine Haushaltssperre ermöglicht ist im übrigen §41BHO.

      • @stefschu:

        Man könnte sich z.B. mal schleunigst an die im Koalitionsvertrag vereinbarte Überarbeitung der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse setzen. Er hätte aktuell die Gelegenheit, durch weitere konstruktive Vorschläge zu glänzen, wenn er wollte.

        • @Wonko the Sane:

          Die Änderung der Schuldenbremse braucht aber zwingend die Stimmen der Union. Und das war das erste, was Merz am letzten Mittwoch ausgeschlossen hat, war die Änderung der Schuldenbremse.

          Warum sollte Lindner Zeit, Energie und Ressourcen in ein Projekt stecken, welches von vornherein zum scheitern verurteilt ist? Selbst wenn die Anpassung ein Herzensprojekt von Lindner wäre, wäre es Quatsch mit Ansage gegen die Wand zu rennen.

          • @Kriebs:

            Die Änderung der Konjunkturkomponente ist per einfachem Gesetz möglich, dazu ist keine Verfassungsänderung nötig. Und es steht im Koalitionsvertrag. Mit ist klar, dass das trotzdem nicht passieren wird, aber man muss das Lindner jetzt politisch um die Ohren hauen, damit seine destruktive politische Ideologie auffliegt.

            • @Wonko the Sane:

              Der Versuch die Schuldenbremse indirekt über die Konjunkturkomponente auszuhöhlen würde wahrscheinlich vom BVerfG auch wieder kassiert werden.

              Die Haushaltssperre bedeutet ja nicht, dass Lindner sämtliche Konten des Bundes sperren lassen hat und betrifft auch keine genehmigten zukünftigen Projekte.



              Was würden Sie denn dazu sagen, wenn Wissing jetzt noch Verträge zum Autobahnausbau unterzeichnen würde und das Geld dann für andere Projekte fehlt?

            • @Wonko the Sane:

              Sorry, aber die Formulierung im Koalitionsvertrag zur Konjunkturkomponente ist maximal vage:

              "Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag der Schuldenbremse werden wir das



              Konjunkturbereinigungsverfahren basierend auf den in den letzten 10 Jahren gewonnenen



              Erkenntnissen, zum Beispiel durch systemische Krisen, evaluieren und die sich daraus ergebenden



              Bedarfe entsprechend anpassen, ohne die grundgesetzliche Schuldenbremse zu ändern."

              Interessant ist aber auch, dass Folgendes noch auf der selben Seite steht:

              "Um finanzielle Potenziale für Zukunftsinvestitionen zu schaffen, werden wir im Rahmen der



              Haushaltsaufstellungs- und des parlamentarischen Verfahrens auch Ausgabenkürzungen vornehmen



              und Ausgabenreste abbauen."

              Bisher hat die Ampel noch an keiner einzigen Stelle Ausgabenkürzungen vorgenommen, sondern jeden Streit mit Geld zugeschüttet.

              Pointiert gesagt nimmt Lindner - wie von Ihnen gefordert - den Koalitionsvertrag ernst und fängt mit den Ausgabenkürzungen an.

              Schließlich ist das mit der Konjunkturkomponente so eine Sache. Die letzten 10 Jahre lassen sich sicherlich nicht als Normallage festschreiben, sodass eine Abweichung von der Wirtschaftsentwicklung der letzten 10 Jahre schon einen Abschwung kennzeichnet. Wir hatten 10 Jahre Boom und 3 Jahre Krisen. Das ist mitnichten eine Normallage im Sinne des Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG. Eine durchaus kompetente finanzwirtschaftliche Analyse findet sich unter (www.wirtschaftsdie...-und-grenzen.html).

              Das Wachstum der letzten 10 Jahre als Normallage festzuziehen, um dann die derzeitige Stagnation als "Abschwung" zu deklarieren würde wohl in Karlsruhe wieder scheitern.

  • Die jetzt vorgenommene 'Korrektur' bei der Haushaltssperre -nicht nur die Klimamassnahmen, sondern jetzt auch alle anderen noch nicht getätigten Titel zu bremsen, zeigt doch, worum es diesem Lindner in Wahrheit ging: Bei den Klimamassnahmen zu allererst zu bremsen, schliesslich hängt seine ganze parlamentarische Existenz davon ab, alle notwendigen Veränderungen weitgehend verhindern zu können, etwa mit dem wording der vollkommen ineffiezienten e-fuels, der Technologiefreiheit (irgendwann wird uns schon noch etwas einfallen) oder dem Geschwätz vom Wasserstoff aus der Wüste (das wir gar nicht mehr bezahlen können, außerdem ist es viel effizienter für die Globalisten, den Stahl gleich in Dubai zu schmieden, falls es aufgrund der weltweiten Rezession überhaupt noch Abnehmer geben kann). An dieser FDP (und Teilen der Union) zeigt sich, wie unregierbar eine Gesellschaft wird, wenn solche Kandidaten mitbestimmen können. Grüne 'Ideen' stören da nur !

  • Warum wird eigentlich weder der Herr Lindner noch die Regierung wegen offenkundiger Inkompetenz gerügt?



    Weder hier noch sonstwo?



    Ich jedenfalls verstehe das nicht.



    Offen gestanden, glaube ich das auch nicht. bzw. kann es mir nicht vorstellen. Die Rechtslage scheint mir dafür jedenfalls doch ausreichend übersichtlich. (Aber meine Theorie dazu behalte ich mal lieber für mich.)

  • Kyoto Protokoll war 1997. Nun, über 25 Jahre später reden wir über das Aussetzen der Schuldenbremse in 2024 um dieses 'überraschende' Klimathema angehen zu können.



    Man kann nur enttäuscht sein, sowohl über das Zögerliche und Ignorante der Politik seit Jahren, als auch die empörte Art der Argumentation derjenigen, die jetzt so tun als würde die Schuldenbremse die Klimawandelbekämpfung verhindern.... und auch sonst wichtige Zukunftsthemen aushebeln. Ursache und Wirkung, Problem und Lösung.... alles wird wild durcheinandergeworfen um Recht zu behalten.

  • Klima ist ein Gerechtigkeitsthema. Union und FDP haben sich fest vorgenommen, dass es -- wenn überhaupt -- möglichst ungerecht angegangen wird.

    Auch eine Art der Klimawandelleugnung.