Mutmaßliche Polizeigewalt in Dessau: Wer hat Hans-Jürgen Rose getötet?
Der Ingenieur Hans-Jürgen Rose starb 1997 unter ungeklärten Umständen in Dessau. Vieles deutet auf Polizeigewalt hin. Die Staatsanwaltschaft lehnt neue Ermittlungen ab.
Wie starb Hans-Jürgen Rose? Auch fast 30 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod im Jahr 1997 in Dessau ist der Fall nicht abschließend aufgeklärt. Im vergangenen Jahr hatte Roses Familie vier Polizisten angezeigt. Sie vermutet, dass diese für den Tod verantwortlich sind. Doch die Staatsanwaltschaft Halle hat eine Wiederaufnahme der Ermittlungen nun abgelehnt.
Sebastian Scharmer, der Rechtsanwalt der Familie Rose, kritisiert die Entscheidung der Staatsanwaltschaft gegenüber der taz: „Da ist ein Mensch zweifelsfrei durch Gewalt zu Tode gekommen, und es gibt noch nicht mal einen Anfangsverdacht?“ Es sei „absurd“, dass die Staatsanwaltschaft die neuen Hinweise auf Polizeigewalt als „Mutmaßungen“ abtue und keinerlei eigene Ermittlungen durchführen wolle.
Die Familie Rose hat deshalb gegen die Einstellung Beschwerde eingelegt und wirft der Generalstaatsanwältin von Sachsen-Anhalt Befangenheit vor. Zudem ist am Donnerstag eine Petition online gegangen, die den öffentlichen Druck erhöhen und der Forderung nach neuen, unabhängigen Ermittlungen Nachdruck verleihen soll.
Hans-Jürgen Rose, Maschinenbauingenieur und Vater dreier Kinder, war im Dezember 1997 von der Polizei nachts auf die Wache gebracht worden, nachdem er betrunken Auto gefahren war. Was danach geschah, ist unklar. Der damals 36-Jährige wurde wenige Stunden später in der Nähe der Polizeiwache gefunden: querschnittsgelähmt, mit schwersten inneren und äußeren Verletzungen und Knochenbrüchen. Er starb wenig später an seinen Verletzungen.
Hat die Polizei Dokumente manipuliert?
Rose ist einer von drei Männern, die innerhalb weniger Jahre zu Tode kamen, während oder nachdem sie auf demselben Revier der Dessauer Polizei waren. 2002 wurde Mario Bichtemann mit einem Schädelbasisbruch in einer Zelle gefunden. 2005 verbrannte Oury Jalloh in derselben Polizeizelle.
Zweimal hat die Justiz die Ermittlungen bereits eingestellt. Es sei „nicht auszuschließen“, dass Rose von Unbekannten getötet wurde oder aus dem Fenster fiel. Doch im vergangenen Jahr wurden neue Fakten öffentlich, die diese Szenarien mindestens unwahrscheinlich machen – und darauf hindeuten, dass Rose durch Polizeigewalt ums Leben kam.
Viele dieser neuen Erkenntnisse gehen auf das Recherche Zentrum zurück, eine Gruppe, die aus der Initiative Gedenken an Oury Jalloh hervorgegangen ist. Sie hat den Fall Rose rekonstruiert und gemeinsam mit der Familie Strafanzeige gestellt. Unter anderem präsentierte das Recherche Zentrum das Gutachten eines Forensikers der Londoner Metropolitan Police.
Dieser kam zu dem Ergebnis, dass das Logbuch, in dem die Polizisten des Dessauer Reviers die Geschehnisse der Tatnacht protokollierten, nachträglich verfälscht worden war. Die Einträge, die Hans-Jürgen Rose betreffen, wurden demnach mit Tipp-Ex verändert. Zudem präsentierte das Recherche Zentrum ein Interview mit der Gerichtsmedizinerin, die nach dem Tod die Leiche von Rose obduziert hatte. Sie stellte fest, dass Rose vor seinem Tod misshandelt wurde, vermutlich mit Schlagstöcken. Seine Verletzungen seien nicht durch einen Fenstersturz zu erklären.
Auch die taz hat im vergangenen Jahr zum Todesfall Rose recherchiert. Der Polizist Michael N. erzählte der taz von den Ereignissen in jener Nacht. Als Rose in der Tatnacht schwer verletzt gefunden wurde, war er als erster Polizist vor Ort. Er gab an, dass zwei seiner Kollegen, die dazukamen, nervös wirkten, und behaupteten, Rose nicht zu erkennen, obwohl sie es waren, die ihn wenige Stunden zuvor auf die Wache gebracht hatten. Zudem sagte N. der taz, dass er am Morgen nach der Tat im Pausenraum der Polizeiwache einen Kollegen gehört habe, der erzählte, er habe jemanden verprügelt.
Generalbundesanwalt sieht sich nicht zuständig
Im Frühjahr 2024 hat die Familie Rose die vier Polizisten beim Generalbundesanwalt angezeigt. Dieser erklärte sich im vergangenen Herbst jedoch für nicht zuständig. Zwar sei die Häufung von Todesfällen im Zusammenhang mit dem Polizeirevier Dessau „in der Tat ungewöhnlich“, was das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Polizei untergraben könne. Doch eine mögliche spontane Tötung durch Polizeibeamte ziele nicht darauf, Verfassungsgrundsätze zu untergraben, sei kein „zielgerichteter Angriff“ auf die Verfassungsordnung.
Der Generalbundesanwalt leitete die Anzeige weiter an die Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt, obwohl die Behörden dort die Ermittlungen bereits mehrfach eingestellt hatten. Nun entschied die Staatsanwaltschaft Halle erneut, keine neuen Ermittlungen aufzunehmen.
Rechtsanwalt Scharmer sagt, er habe zumindest erwartet, dass die Staatsanwaltschaft den Polizisten Michael N. befragt, der gegenüber der taz Angaben zur Tatnacht gemacht hatte. Ein Tod durch einen Sturz aus dem Fenster oder durch zufällige, unbekannte Täter sei völlig unplausibel. Dagegen spreche der Fundort Roses, seine Verletzungen, das manipulierte Logbuch der Polizei und viele weitere Indizien. „Die Staatsanwaltschaft ist offenbar nicht gewillt, die Tat objektiv und unvoreingenommen aufzuklären“.
Die Begründung der Staatsanwaltschaft für ihre Entscheidung liegt der taz vor. Tatsächlich basiert diese fast ausschließlich auf dem Einstellungsvermerk von 2018. Eine Tat durch Unbekannte oder ein Sturz aus dem Fenster, ob Unfall oder Suizid, sei weiterhin nicht auszuschließen. Auf die neuen Erkenntnisse geht die Staatsanwaltschaft kaum ein. Das Gutachten zu Manipulationen im Logbuch der Polizei bezeichnet sie als „Mutmaßungen“. Zu den Aussagen des Polizisten Michael N. gegenüber der taz verweist die Staatsanwaltschaft auf eine Vernehmung des Polizisten im Jahr 2014. Damals hatte Michael N. ausgesagt, er könne sich nicht erinnern. Eine erneute Vernehmung sei „nicht zielführend“.
Familie wirft Staatsanwaltschaft Befangenheit vor
Auf taz-Anfrage weist die Staatsanwaltschaft Halle den Vorwurf, sie wolle den Tod Roses nicht aufklären, zurück. „Die Bearbeitung des Verfahrens erfolgte und erfolgt unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben sowie im klaren Bewusstsein eines überragenden öffentlichen Interesses an vollständiger Aufklärung.“ Das Verfahren sei eingestellt worden, da nach eingehender Prüfung keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Wiederaufnahme strafrechtlicher Ermittlungen festgestellt worden seien.
Familie Rose hat dagegen nun Beschwerde eingereicht. Sie hat zudem Sorge, dass die Staatsanwaltschaft den Fall nicht unvoreingenommen prüft, weil sie Hinweisen auf Polizeigewalt im Komplex rund um die Todesfälle Hans-Jürgen Rose und Oury Jalloh bisher nicht nachgegangen sei. Dies betreffe auch die oberste Staatsanwältin des Bundeslands, Generalstaatsanwältin Heike Geyer. Die Staatsanwaltschaft Halle widersprach auf taz-Anfrage den Befangenheitsbedenken gegenüber der Generalstaatsanwältin. Diesen werde „aus hiesiger Sicht ausdrücklich widersprochen. Für einen entsprechenden Verdacht bestehen keine objektivierbaren Anhaltspunkte.“
Rechtsanwalt Scharmer hat auch deshalb erneut beantragt, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernimmt. Sollte dieser sich weiterhin für nicht zuständig erklären, müsse das Justizministerium in Sachsen-Anhalt veranlassen, dass Staatsanwälte ohne Bezug zu dem Komplex die Ermittlungen übernehmen.
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