Minderheiten in den USA: Die Stadt der Muslime
Symptom der Islam-Invasion oder Musterbeispiel für Integration? Hamtramck ist die einzige US-Stadt mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.
Der 59-Jährige sitzt in seinem Büro im Islamic Center Hamtramck, während nebenan im Gebetsraum gerade die Abendandacht zu Ende geht. Dutzende Männer strömen aus der Moschee. Es ist Sonntagabend in Hamtramck, Michigan, und Abdul Motlib unterhält sich mit einem Journalisten von außerhalb – wieder einmal.
Das Islamic Center, das Motlib leitet, ist ein Politikum in den USA. Es geht nicht nur um die Moschee, sondern um die ganze Stadt Hamtramck. Die unauffällige 24.000-Seelen-Gemeinde im Großraum der Stahlmetropole Detroit hat ein Alleinstellungsmerkmal.
Die ehemals von Polen geprägte Kommune ist seit dem Zuzug von Migranten aus Bangladesch, Pakistan und Jemen die einzige Stadt der Vereinigten Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit – und seit 2015 stellen Muslime auch die Mehrheit der Mitglieder des sechsköpfigen Stadtrats.
Seitdem ist Hamtramck regelmäßig in den Schlagzeilen. Den einen gilt die Stadt als Beispiel für das friedliche Zusammenleben der Religionen – für die anderen ist sie das Symbol einer Invasion von Muslimen, wie das auf rechten Blogs heißt. Dort ist Hamtramck zum Ziel von Hetztiraden geworden, besonders seit Donald Trump mit einem islamfeindlichem Wahlkampf Präsident wurde.
Das Stadtbild ändert sich
Viel Aufmerksamkeit für einen kleinen Ort voll Menschen, die eigentlich nicht groß auffallen wollen. Abdul Motlib ist so einer. Er bietet seinen Gästen Essen und Wasser an und erzählt seine fast typische Biografie: Wie viele Bangladescher kam Motlib Ende der achtziger Jahre in die Vereinigten Staaten. Das pursuit of happiness, das Gründungsversprechen der USA, lockte ihn nach Nordamerika. „In Hamtramck gab es Arbeit für uns“, sagt Motlib. „Obwohl wir ungelernt sind.“
Wenige Kilometer von der Moschee entfernt unterhält General Motors eine der letzten großen Autofabriken im Großraum Detroit. Wer hier arbeitet, muss fleißig sein, aber nicht viele Qualifikationen mitbringen. Die heruntergekommenen und kleinen Häuser in Hamtramck kosten häufig nur wenige Tausend Dollar. Und so kamen die Bangladescher in Scharen. Dann kamen die Jemeniten dazu. 43 Prozent der Stadtbevölkerung sind nicht in den Vereinigten Staaten geboren. Und Schritt für Schritt änderte sich das Stadtbild Hamtramcks.
Abdul Motlib, Imam
Wer heute über die Hauptstraße läuft, sieht Halal-Fleischer, islamische Modegeschäfte und natürlich Moscheen. Sie sind das Zentrum des öffentlichen Lebens in einer sonst verlassen wirkenden Stadt. Entlang der Hauptstraße herrscht auch am Nachmittag Stille. Die wenigen offenen Lä den sind fast ausnahmslos muslimisch.
Das Polish Village Cafe ist einer der letzten großen Treffpunkte der polnischen Gemeinde. In dem dunklen Souterrainrestaurant mit seinen holzvertäfelten Wänden ist es schwer, einen Tisch zu finden, Muslime gibt es hier nicht, dafür viele ältere polnischstämmige US-Amerikaner. So wie Greg Kowalski.
Der 66-Jährige mit den sorgsam zurückgekämmten weißen Haaren ist so etwas wie der Historiker von Hamtramck – und leitet deshalb auch das Gemeindemuseum. Er ist in der Stadt geboren und hat hier fast sein ganzes Leben verbracht. Fühlt er sich bedroht von den vielen Muslimen in der Stadt? „Einigen ältere Polen ist die Zuwanderung nicht geheuer“, sagt Kowalski. „Aber ich bin der Meinung: Die Muslime haben unsere Stadt gerettet.“
Niedergang abgewendet
Vor der Zuwanderung aus dem Nahen Osten und aus Südasien sei die Stadt durch die jahrzehntelange Krise im Automobilsektor kurz vor dem Zusammenbruch gewesen. Von ehemals 53.000 Einwohnern waren 1990 18.000 übrig geblieben. Doch dank Zuwanderung lebten jetzt wieder 24.000 Menschen in der Stadt, sagt Kowalski: „Viele Geschäfte werden neu eröffnet, und es gibt wieder eine engagierte Zivilgesellschaft.“
So hätten sich vor einigen Jahren Nachbarn aller Nationen zusammengetan, um gemeinsam die Schlaglöcher in den Straßen auszubessern. Der ständige Wandel gehöre eben zu Hamtramck dazu. „Als wir Polen in den 20er Jahren in die Stadt kamen, wohnten hier fast nur Deutsche. Und damals haben wir uns auch arrangiert.“ Außerdem habe es keine wirkliche Verdrängung gegeben. Viele Polen seien einfach weggezogen, weil es anderswo größere und schönere Häuser gebe.
Wenn es dann doch Konflikte gebe, dann würden sie von außen herangetragen, sagt Kowalski. Als die Gemeinde 2004 darüber abstimmte, ob die Moscheen der Stadt die Gläubigen per Muezzinruf zum Gebet rufen dürften, waren einige Polen zwar besorgt, suchten aber den Dialog mit den Moscheegemeinden. Gleichzeitig karrten rechte Organisationen Busladungen voll Demonstranten nach Hamtramck, um gegen die angebliche Islamisierung der Stadt zu protestieren.
Kowalski erinnert sich: „Da kamen Leute aus Ohio, die noch nie jemand zuvor gesehen hatte, um zu protestieren. Ich bekam Anrufe aus Chicago, ob wir hier Hilfe gegen die Muslime bräuchten. Ich sagte ihnen, dass wir hier sehr gut allein klarkommen.“ Mit knapper Mehrheit entschieden sich die Bewohner damals für den Gebetsruf. Ein Novum in den USA.
Muslimischer Stadtrat
Das zweite Mal kam Hamtramck 2015 in die Schlagzeilen, als Muslime zum ersten Mal die Mehrzahl der sechs Stadtratsmitglieder stellten. Man munkelte in Hamtramck, der Stadtrat würde den örtlichen Kneipen und Spirituosengeschäften die Lizenzen entziehen und die Scharia einführen. Nichts davon geschah. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich der Stadtrat darauf, die desolate Finanzsituation in Ordnung zu bringen. Ein schweres Unterfangen in der chronisch verschuldeten Gemeinde, die schon 14-mal pleiteging.
Nicht nur die Stadtkasse ist leer. Auch die Einwohner Hamtramcks sind arm. Fast die Hälfte der Stadtbevölkerung lebt unter der nationalen Armutsschwelle. Wer kann, zieht – wie viele Polen – weg. Wer bleibt, ist oft auf Hilfe angewiesen – die der Staat gerade in den ärmeren Regionen der USA nur unzureichend leistet. Und so muss die muslimische Zivilgesellschaft einspringen. Zum Beispiel Khalid Iqbal, der aus Pakistan stammt und das Muslim Family Center in Hamtramck leitet.
In seinem weißen Van fährt der 71-Jährige an einem sonnigen Dienstagmittag langsam die Hauptstraße von Hamtramck entlang. Links und rechts stehen Masten mit den Fahnen der Herkunftsländer der Bürger.
Im Laderaum rappeln die Kisten mit gespendeten Lebensmitteln, Khalid Iqbal sucht Menschen in Not. Vor einem Supermarkt, in der prallen Mittagssonne, sitzt ein verwahrloster schwarzer Mann. Seine Hände sind verstümmelt, nur ein Finger an jeder Hand. „Hallo Bruder“, begrüßt Iqbal ihn freundlich. „Hast du Hunger? Ich habe Essen im Laderaum.“
Etwas misstrauisch nähert sich der Mann. „Ich kann das aber nicht bezahlen, und ich habe auch keinen Ort, an dem ich was kochen könnte“, antwortet der Obdachlose. Iqbal: „Dann nimm doch diese Müsliriegel. Du kannst sie alle haben.“ Dankbar nimmt der Beschenkte die Tüte mit Lebensmitteln entgegen. Iqbal verabschiedet sich freundlich und steigt wieder in den Wagen. „Drei von fünf Menschen hier haben keinen Job“, sagt er. „Wir verteilen Möbel und helfen bei der Arbeitssuche.“ Missionieren wolle man aber niemanden.
Neue Zuwanderer aus Syrien
Auch Iqbal hat mitbekommen, dass Hamtramck im Internet zu zweifelhaftem Ruhm gekommen ist. Mit Feindseligkeiten von außen gebe es jedoch keine Probleme, sagt er. Und Trump? „Als er gewählt wurde, haben wir viele aufmunternde Worte von unseren nichtmuslimischen Mitbürgern erhalten“, sagt Iqbal.
Abdul Motlib vom Islamic Center fügt hinzu: „Ich glaube an das System der Checks and Balances. Der Präsident ist zwar Präsident, aber das heißt nicht, dass ihm das Land jetzt allein gehört.“ Der Tenor in der Stadt ist: Hier kommen alle Bevölkerungsgruppen miteinander aus. Wir wollen kein Platzhalter für eure Konflikte sein.
Trotzdem wird auch Motlib aus Hamtramck wegziehen. Ein paar Kilometer weiter nach Starling Heights. Dort gebe es neuere und schönere Häuser. Auch einige andere Bangladescher, die zu Geld kamen, sind schon dorthin gezogen. Nun sind es syrische Flüchtlinge, die nach Hamtramck kommen. Auch sie wird man integrieren. In Hamtramck hat man damit Erfahrung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern