Migrationspolitik der Ampel: Fortschritts­koalition is over

Eine härtere Asylpolitik hilft nicht gegen islamistischen Terror. Doch die Ampel will den Rechten zeigen, dass sie auch etwas gegen Ausländer hat.

Die Bankrotterklärung der Ampelkoalition: gemeinsam gegen Ausländer Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Weil ich ein von der Politik frustrierter Mann bin, verbringe ich viel Zeit im Internet. Dort habe ich ein linkes Manifest gefunden, das mich radikalisiert hat. Da steht: „Migration war und ist schon immer Teil der Geschichte unseres Landes.“ Aber damit nicht genug: „Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird.“

Die AutorInnen waren leichtsinnig und haben Spuren hinterlassen: „Koalitionsvertrag“ steht drauf, Autogramme stehen darunter. Sie schienen sich ihrer Sache sicher zu sein, oder sie dachten: Das Geschwätz interessiert bald eh niemanden mehr.

Drei Jahre später könnte erstmals ein Rechtsextremer eine Landtagswahl gewinnen, und vorher drehen alle durch. Die Bild jagt die Anwältin des Solingen-Attentäters, die Regierung kämpft gegen ihr nahendes Ende, verschärft das Asylrecht und schiebt nach Afghanistan ab. Die Geschwindigkeit lässt einen schwindeln.

Erinnert sich jemand an die größten Demos in der Geschichte der Republik? Ist ewig her, ein halbes Jahr. Damals gingen so viele Menschen wie nie auf die Straße, um gegen das Erstarken des Faschismus zu protestieren und für eine offene Gesellschaft.

Aber für sie macht niemand Politik. Sondern für jene, die am Sonntag eine rechtsextreme Partei wählen wollen. Ihnen wollen die Parteien von Grün bis Schwarz zeigen, dass sie auch etwas gegen Ausländer haben. Asylbewerbern, für die nach den Dublin-Regeln ein anderer Staat zuständig ist, sollen die finanziellen Leistungen komplett gestrichen werden.

Ob das legal ist? Mal sehen. Bett, Brot, Seife – so wird das Prinzip genannt. Das ist genial, weil man mit einem Stück Seife keinen Menschen abstechen kann und allgemein bekannt ist, dass politische Perspektivlosigkeit die beste Prävention gegen Islamismus darstellt.

Erwartungen können nicht erfüllt werden

Es ist verständlich, dass die Bevölkerung nicht nachvollziehen kann, dass der Staat geltendes Recht, in diesem Fall Abschiebungen nach Bulgarien, nicht umsetzt. Dass Deutschland vom Dublin-System eigentlich profitiert, spielt dabei keine Rolle. Wenn der Staat seine eigenen Regeln nicht anwendet, führt das zu einem Vertrauensverlust. Das gilt nicht nur in der Asylpolitik.

Doch statt bestehende Gesetze anzuwenden, werden neue gemacht. Auch die erneute Verschärfung wird nichts daran ändern, was alle wissen: Härtere Asylpolitik hilft nicht gegen­ islamistischen Terror. Indem beides miteinander verbunden wird, schafft der Staat Erwartungen, die er in der europäischen Realität nicht erfüllen kann, stärkt die Frustration und den Populismus.

Und die Grünen? Verweisen auf die Gefahr durch Islamismus und tragen dann jede asylpolitische Verschärfung mit, selbst Abschiebungen nach Afghanistan. Die Taliban werden sich ihre Zustimmung etwas kosten lassen haben. Unterstützung des internationalen Terrorismus, auch so eine Form der Prävention.

Dann nimmt Robert Habeck noch ein pastorales Video auf. Nichts dagegen, dass Politiker ihr Handeln erklären. Aber fortschrittliche Kommunikation bei rückschrittlicher Politik, das hinterlässt einen Geschmack. Habeck sagt: „Für Integration, Sprachkurse und gute Bildungsarbeit muss genügend Geld vorhanden sein“ – also das, woran seine Regierung massiv spart.

Am politischen und moralischen Ende dieser Koalition wird es Geflüchteten schlechter gehen, sie werden weniger integriert und mit einem wachsenden Rassismus konfrontiert, der von dieser Fortschrittskoalition noch verstärkt wird.

So sehr wie in dieser Woche habe ich eine starke Linke lange nicht vermisst.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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