Migrationspläne von Union und SPD: Restriktiver geht es immer
Die Union hat in den Koalitionsverhandlungen zahlreiche Verschärfungen in der Asylpolitik durchgesetzt. Bei den Sozialdemokraten gibt es Kritik.

Beschlossen ist etwa, dass Asylbewerber*innen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen. Das verstößt gegen Europarecht, auch wenn die Rückweisungen „in Abstimmung“ mit Nachbarstaaten stattfinden sollen, wie es im Papier heißt. Ohnehin ist unklar, was genau die Formulierung bedeutet.
Ebenfalls geeinigt haben sich Union und SPD darauf, dass Geflüchtete mit subsidiärem Schutz ihre Familie in den nächsten zwei Jahren nicht herholen dürfen. Auch die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer ist Konsens, etwa der Maghreb-Staaten oder Indien. Darüber soll die Bundesregierung künftig ohne Bundestag und Bundesrat entscheiden dürfen. Wer aus so eingestuften Ländern kommt, erhält fast nie Asyl in Deutschland.
Abschiebungen nach Afghanistan sollen weiterlaufen, die nach Syrien wieder aufgenommen werden, „beginnend mit Straftätern“ – es dürfte bald also auch Unbescholtene treffen. Auch das Aufnahmeprogramm für afghanische Menschenrechtler*innen wird beendet. Und der gerade erst eingeführte Rechtsbeistand für Abzuschiebende wird wieder gestrichen.
Worüber noch gestritten wird
Uneinig sind sich SPD und Union dagegen bei der Frage, ob Asylverfahren in Drittstaaten ausgelagert werden. Die Union ist dafür und will, dass Geflüchtete selbst bei positiven Asylentscheiden dort bleiben. Ohnehin gibt es aber Zweifel, ob das Modell umsetzbar ist.
Auch bei der grundlegenden Funktionsweise der Asylverfahren gibt es Dissens. Die Union möchte im Gegensatz zur SPD den Amtsermittlungsgrundsatz aufheben, der die Behörden verpflichtet, Infos zu beschaffen. Stattdessen sollen die Geflüchteten selbst Beweise liefern, dass ihnen im Herkunftsland Gefahr droht. Das wäre in vielen Fällen wohl unmöglich.
Beim Staatsbürgerrecht fordert die Union zwar nicht mehr, die Reform von 2024 zurückzunehmen. Sie will aber Doppelstaatsbürger den deutschen Pass entziehen, wenn sie „Terrorunterstützer, Antisemiten und Extremisten“ sind. Die SPD ist dagegen, genauso wie gegen leichtere Ausweisungen von Ausländer*innen.
Außerdem lehnt die SPD die Forderung ab, Zeit im humanitären Aufenthalt nicht mehr bei der Einbürgerung zu berücksichtigen. Geflüchtete Ukrainer*innen könnten sich dann etwa nicht nach den fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland einbürgern lassen, die dafür sonst nötig sind. Streit gibt schließlich es auch noch bei den Möglichkeiten für Geduldete, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Während die SPD dafür das Chancenaufenthaltsrecht verlängern will, ist die Union für dessen Ende.
Kritik innerhalb und außerhalb der SPD
All das erregt nicht nur außerhalb der SPD Unmut, auch parteiintern gibt es Kritik. Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt der SPD, sagte der taz: „Das ist hinten und vorne nicht in Ordnung.“ Auch viele der bereits geeinten Punkte seien rechtlich mindestens schwierig, das Ergebnispapier werde „mit jedem Lesen schlimmer“. Die Union überrolle die SPD: „Es sind schon sehr wenige rote Textpassagen.“ Rot markiert sind in dem Dokument die Forderungen der SPD, mit denen die Union bislang nicht einverstanden ist.
Die Rückweisungen an der Grenze findet Bozkurt nicht nur prinzipiell falsch, er beklagt auch, dass sich die Koalitionäre weiter offen lassen, was „in Abstimmung mit den Nachbarstaaten“ genau bedeuten soll. Bozkurt: „Das muss jetzt geklärt werden.“ Zu den von der Union geforderten Asylverfahren in Drittstaaten sagt er: „Sollte auch nur eine Prüfung am Ende im Koalitionsvertrag stehen, wäre das ein nächster Sündenfall für die SPD.“
Er verweist auch darauf, dass solche Pläne laut Expert*innen kaum umsetzbar sind. Laut Medienberichten ist auch das noch SPD-geführte Bundesinnenministerium in einem internen Prüfverfahren zu diesem Schluss gekommen. Allerdings wird der Bericht unter Verschluss gehalten.
Die Opposition im Bundestag ist ohnehin entsetzt von den Plänen von Union und SPD. Die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat sagte der taz: „Ich kann nur an SPD und Union appellieren, dass sie ihren Kompass für Menschlichkeit nicht gänzlich loslassen.“ Zu den Staatsbürgerschafts-Plänen sagte Polat: „SPD und Union laufen Gefahr, das Misstrauen gegenüber eingewanderten Menschen zu verschärfen.“
Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger sagte: „Mit der neuen Koalition droht in der Migrationspolitik eine humanitäre Eiszeit.“ Die SPD solle „sich an ihre Grundsätze erinnern und die absolut maßlosen Forderungen der Union klar zurückweisen, statt sich von ihr über den Tisch ziehen zu lassen“.
Druck auf die Sozialdemokrat*innen macht auch die Pro-Asyl-Rechtsexpertin Wiebke Judith. Sie sagte: „Die SPD muss sich klar gegen den Irrweg stellen, Asylverfahren auszulagern.“ Denn: „Solche Versuche führen zu viel Leid, sind extrem teuer und meist zum Scheitern verurteilt.“
Und auch 13 Bundesdachverbände von Migrant*innenorganisationen positionierten sich am Mittwoch gegen die Pläne von Union und SPD. In einem offenen Brief forderten sie: „Keine Verschärfung des Asylrechts, beim Chancenaufenthaltsgesetz und beim Familiennachzug sowie keine Verschärfung des Staatsangehörigkeitsrechts.“ Sie forderten außerdem eine bessere Einbindung von migrantischen Menschen in politische Entscheidungen, mehr Personen mit Migrationshintergrund im Kabinett und einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung.
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