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Micha Brumlik über Juden und Muslime„Problematische Pauschalurteile“

Die Äußerungen Josef Schusters über arabische Kultur hält Micha Brumlik für schwierig. Und die Debatte über Obergrenzen für Flüchtlinge findet er schrecklich.

„Muss ich befürchten, dass sie bei der nächsten Wahl AfD wählen?“ Flüchtlinge beim Gebet in einer Unterkunft in Thüringen. Foto: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Herr Brumlik, der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, hat mit seinen Äußerungen über Flüchtlinge aus Syrien den Vorwurf auf sich gezogen, rassistische Ressentiments zumindest zu bedienen. Wie sehen Sie das?

Micha Brumlik: Ich finde es problematisch, dass Josef Schuster ein Pauschalurteil über das abgegeben hat, was er für arabische Kultur hält – also über einen Raum, der immerhin vom Atlantik bis an den Indischen Ozean reicht.

Seine Äußerungen werfen die Frage auf, wie verbreitet solche Einstellungen in der jüdischen Gemeinde in Deutschland sind. Sind sie symptomatisch?

Ich vermute, ja. Die jüdische Gemeinschaft heute besteht ja zu etwa 90 Prozent aus Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion. Nun wissen wir aus soliden soziologischen Untersuchungen, etwa den Untersuchungen der an der Bar-Ilan-Universität lehrenden Soziologin Larissa Remenik, dass die Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion die politische Landschaft Israels tatsächlich – in einer wenn auch säkularen Weise – nach rechts verschoben haben. So darf man daraus schließen, dass dies in den jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht wesentlich anders sein wird.

Im Wortlaut

Viele Flüchtlinge entstammten „Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“, hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kürzlich der Welt gesagt, und hinzugefügt, man könne „zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches“. Dass er zudem über eine Asyl-„Obergrenze“ sinnierte, hat ihm viel Protest eingebracht:Vergangenen Dienstag demonstrierten in Berlin etwa 70 Menschen unter dem Motto „Nicht in unserem Namen – Juden gegen Rassismus“ gegen die Äußerungen. (bx)

Einige der Wortführer des anti­muslimischen Diskurses in Europa sind jüdischer Herkunft – aber allesamt keine Einwanderer aus der Sowjetunion, sondern alteingesessen. Dazu zählen in Deutschland etwa Henryk M. Broder und der verstorbene Ralph ­Giordano, Leon de Winter in den Niederlanden oder Éric Zemmour und Alain Finkielkraut in Frankreich. Geht das Problem nicht doch tiefer?

Das ist richtig. Aber das sind doch mehr oder weniger Einzelstimmen, die nicht die Meinung jüdischer Gemeinden und Gemeinschaften repräsentieren. Ich will auch darauf hinweisen, dass Josef Schuster ausdrücklich zwischen dem Islam als Religion und dem, was er für arabische Kultur hält, unterschieden hat. Mit Leuten wie Ralph Giordano habe ich mich in den letzten Jahren heftig gestritten. Er glaubte auf seine alten Tage ein weiteres Mal, gegen etwas Faschistoides ankämpfen zu müssen, und war weder bereit noch willens, zwischen Islam als Religion und Islamismus als politischer Ideologie zu unterscheiden. Darin liegt letzten Endes das Problem. Das ist so, als würde man nicht unterscheiden wollen zwischen dem Christentum und dem Franco-Faschismus – oder zwischen Judentum und dem, was die Siedler im Westjordanland betreiben.

Früher haben sich prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde wie Ignatz Bubis, Michel Friedman und Stephan Kramer offensiv für den Dialog mit den Muslimen eingesetzt. Sind diese Stimmen in der Defensive?

Das sehe ich nicht so. Michel Friedman setzt sich in Wort und Tat und im Fernsehen immer noch für diesen Dialog ein, und jüngere Kräfte aus der jüdischen Gemeinschaft in Berlin wie etwa die Gruppe Salaam-Schalom tun das auf ihre Weise auch heute. Es könnte aber sein, dass die alten Kämpen etwas müde geworden sind.

Der islamistische Terror – Toulouse, Brüssel und jetzt Paris – verunsichert viele Juden in Europa. Berichte über antisemitische Slogans bei Demonstrationen oder Übergriffe von arabischstämmigen Jugendlichen verstärken das noch. Sind Ängste und Vorbehalte da nicht verständlich?

Bild: imago/Christian Ditsch
Im Interview: 

68, Publizist und emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften. Er war von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, einem Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust in Frankfurt am Main. Am 24. November beteiligte er sich an der Protestkundgebung in Berlin unter dem Motto „Nicht in unserem Namen – Juden gegen Rassismus“.

Die sind verständlich. Sie zeugen aber auch davon, dass man nicht genau hinschaut. Ich habe mir regelmäßig diese antiisraelischen Al-Quds-Demonstrationen in Berlin angesehen, auch die letzte im Juni dieses Jahres. Da waren, wenn ich das richtig geschätzt habe, etwa 1.300 Leute, und zwar aus dem gesamten Bundesgebiet. Demgegenüber wohnen allein in Berlin, wenn ich richtig informiert bin, über 200.000 Muslime, darunter auch sehr viel mehr Menschen aus dem arabischen Raum. Gemessen daran besteht kein großer Grund zur Beunruhigung – selbst dann, wenn wir uns nur auf die arabischen Migranten konzentrieren. Und wenn man sich ansieht, in welchen Stadtteilen in Berlin antisemitische Vorfälle zu verzeichnen sind, hat im Sommer sogar die Bild-Zeitung vermeldet, dass die meisten Vorkommnisse in bürgerlichen Vierteln wie Charlottenburg und Wilmersdorf verzeichnet wurden – und nicht etwa in Einwandererbezirken wie Neukölln.

Wie kann man einer wachsenden Entfremdung und zunehmendem Misstrauen zwischen Juden und Muslimen entgegenwirken? Welche positiven Entwicklungen sehen Sie?

Ich sehe positive Entwicklungen bei Gruppen wie der erwähnten Initiative Salaam-Schalom. Und zweitens in der menschlichen Begegnung. Zumindest die Synagoge, die ich in Berlin besuche, hat regelmäßig muslimische Besucherinnen und Besucher. Und umgekehrt lädt auch so manche Moschee nichtmuslimische und jüdische Besucher ein und sucht den Dialog. Mein Gefühl ist, dass die Medien vielleicht mehr über diese positiven Entwicklungen berichten sollten als über das, was uns besorgt.

In Israel ist die Gesellschaft nach rechts gerückt, aus der rechten Regierungskoalition kommen durchaus rassistische Töne. Wie wirkt das auf die jüdischen Gemeinden in Europa und den USA?

In Deutschland war es bislang immer so, dass sich die jüdische Gemeinschaft daran orientiert hat, wie sich die jeweilige israelische Regierung verhalten hat. Eine Distanzierung gibt es hier nicht. In den USA ist es etwas anders: Dort ist die jüdische Bevölkerung immer stärker gespalten, was ihre Haltung zu Israel und seiner Politik angeht. Dort wächst die Kritik, und auch dort gibt es einen Generationenkonflikt. Die ältere Generation um die sechzig liegt sehr auf Regierungslinie, während jüngere Leute eher auf Distanz gehen und versuchen, einen eigenen, kritischen Standpunkt zu vertreten.

Sehen Sie die Gefahr, dass diese Kulturkampf-Rhetorik der israelischen Rechten auch auf die jüdischen Gemeinden in Europa abfärbt?

Ja, das ist ein Problem. Einerseits lehnen die Gemeinden es völlig zu Recht ab, für die israelische Politik in Haftung genommen zu werden. Andererseits fühlen sie sich im Zweifelsfall doch eher gedrängt, diese Politik in irgendeiner Weise zu verteidigen oder richtigzustellen. Andererseits fällt nun auf, dass sich insbesondere rechtspopulistisch gestimmte Kreise neuerdings massiv für Israel einsetzen oder zumindest so tun, als ob. Bei mancher Pegida-Demonstration waren Israel-Fahnen zu sehen. Politiker der FPÖ in Österreich fahren dann und wann in die besetzten Gebiete und in die Siedlungen. Und neuerdings gibt sich sogar Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, der früher einmal antisemitisch war, sehr israelfreundlich.

Haben Sie selbst gar keine ­Befürchtungen, dass sich durch die Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan bestehende Konflikte verschärfen könnten?

Nein. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass wenig bis ungebildete junge Männer die Mehrheit bilden, wie oft gesagt wird – wenn die irgendwann mal Deutsch können und irgendwo mehr oder weniger gut entlohnt arbeiten, was soll da passieren? Muss ich befürchten, dass sie bei der nächsten Wahl AfD wählen? Oder dass hier in Deutschland eine islamistische Partei entsteht, die in die Parlamente kommt? Dazu fehlt es mir an Fantasie, das sehe ich überhaupt nicht. Der Antisemitismus, den es in Deutschland zweifelsohne gibt, hat übrigens mit den schon lange hier lebenden palästinensischen Jugendlichen und mit den Asylbewerbern aus dem ­Libanon qualitativ und quantitativ vergleichsweise wenig zu tun. Die spielen da eigentlich keine Rolle, wie wir durch die Sozialforschung wissen.

Sie sind selbst ein Kind von Flüchtlingen. Wie finden Sie die Debatte über Obergrenzen fürs Asyl?

Ziemlich schrecklich. Meine Mutter verdankt ihr Leben dreierlei verschiedenen Gruppen von Menschen, die ihr geholfen haben: einmal französischen Nachbarn, die sie 1942 in Paris nicht der Polizei preisgegeben haben. Dann einem syrischen Studenten, der meiner Mutter und Schwester bei der Flucht aus Paris in die Schweiz geholfen hat. Und schließlich Schweizer Polizisten im Kanton Genf, die meine Mutter nicht zurückgeschickt haben. Deshalb unterstütze ich Angela Merkel voll und ganz, wenn es darum geht, großzügig Flüchtlinge aufzunehmen.

Die CDU plant jetzt, eine gesetzliche Integrationspflicht einzuführen, um Einwanderer unter anderem zu verpflichten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Was halten Sie davon?

Das ist ein völlig sinnloser Vorschlag. Um das effektiv überprüfen zu können, müsste man etwa nach erfolgter Einbürgerung das Wahlgeheimnis aufheben. Außerdem wäre diese Pflicht, nachdem die Einwanderer deutsche Bürger geworden sind, verfassungswidrig, da Deutsche ja auch nicht getestet werden. Man könnte natürlich, wie das in den USA praktiziert wird, dem Einbürgerungsakt eine Prüfung vorschalten, in der die Einwanderer zeigen müssen, dass sie die deutsche Verfassung kennen. Bei Nichtbestehen dieser Prüfung würde die Einbürgerung eben nicht stattfinden. Diese Prüfung sollte aber ebenso wiederholt werden können wie die Führerscheinprüfung.

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35 Kommentare

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  • "[Giordano] war weder bereit noch willens, zwischen Islam als Religion und Islamismus als politischer Ideologie zu unterscheiden."

     

    Das liegt daran, dass die Koransuren nicht inhaltlich geordnet wurden, sondern der länge nach (die 2. Sure ist die längste).

    Der Kenner weiß jedoch, dass die späteren, medinensischen Suren die politischen Inhalte des Islams transportieren: Ehe- Scheidungs- Erb- und Strafrecht sind aus diesen Suren abgeleitet.

     

    Das politische im Islam zu unterbinden würde daher nichts anderes bedeuten, als die medinensischen Suren als Volksverhetzung zu verbieten.

    • @Jens Frisch:

      grundgütiger!

      mit der begründung ließe sich bis auf shir ha'shirim der gesamte tanach verbieten!

  • "...dass die Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion die politische Landschaft Israels tatsächlich – in einer wenn auch säkularen Weise – nach rechts verschoben haben. So darf man daraus schließen, dass dies in den jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht wesentlich anders sein wird."

     

    Dass ein "Wisenschaftler" einen derart kurzsichtigen Schluss ziehen kann, wundert mich. Jetzt sind also nicht die arabischen Muslime per se israelfeindlich aber die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Juden per se rechts, oder was?

     

    Nur zur Erinnerung: Deutschland ist nicht Israel - vor allem nicht aus Sicht eines auswanderungswilligen russischen Juden Glaubens. Wer sich da gegen Israel und für Deutschland entscheidet, gibt schon allein desahalb Anlass, politisch nicht über denselben Kamm geschoren zu werden.

  • eine angenehme tour d'horizon

    nun giltete es, zu vertiefen...

  • Haha.

    Wie kann man stereotype anmahnen

     

    "Ich finde es problematisch, dass Josef Schuster ein Pauschalurteil [das viele Muslime aus dem Nahen Osten antisemitisch sind] über das abgegeben hat"

     

    und die Verbreitete Existenz mit einem Stereotyp begrünen?

     

    "Die jüdische Gemeinschaft heute besteht ja zu etwa 90 Prozent aus Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion. [und diese sind rechts]"

     

    lol. - Facepalm

    • @Tim Leuther:

      @ Tim Leuther

      @ BKONF

       

      Nun ja ...

       

      Micha Brumlik bezieht sich hier explizit auf "solide soziologische Untersuchungen" zum Einfluss von Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion auf die politische Landschaft Israels. Die Bezugnahme auf Ergebnisse einer empirisch basierten Untersuchung ist etwas anderes als eine bloße Meinungsäußerung bzw. ein 'Pauschalurteil'.

       

      Man kann Brumlik nun folgen - oder eben auch nicht - wenn er im Anschluss an die Israel-Studie ähnliches für die deutsch-jüdischen Gemeinden "vermutet". Inwieweit die im Interview genannte Bezifferung von "90%" tatsächlich eine (exakte) empirische Zahl darstellt, kann ich nicht sagen, aber: im Zuge der Immigration hat es in den deutsch-jüdischen Gemeinden ähnliche Verschiebungen gegeben - zumindest hinsichtlich der Ausrichtungen 'liberale' vs. konservative' Gemeinden. (...)

       

      Fazit: Brumliks Äußerungen am von Ihnen genannten Beispiel als "Stereotyp" zu charakterisieren scheint mir IMHO nicht den Kern der Sache zu treffen.

       

      Daher: kein lol & Facepalm von mir ...

       

      (Sorry für den Doppelpost; aber ohne Adressaten und Antwortposition erschien mein Text ziemlich kontextlos ... bitte den ersten Post löschen, danke).

      • @sam0611:

        Ich würde widersprechen und genau diese Vermutung (bzw. die dahinter stehende Unterstellung einer Kausalität zwischen russisch-jüdischer Herkunft und rechter Einstellung) für vollkommen unwissenschaftlich halten.

         

        Was Herr Brumlik anführt, sind zunächst mal nur Koinzidenzen (rechts eingestellte Einwanderer, russische Herkunft derselben), die keinen Schluss auf kausale Zusammenhänge zulassen. Dafür müssten alle anderen Koinzidenzen zunächst mal nicht signifiokant ausgeschlossen werden. Könnte es zum Beispiel sein, dass viele russischstämmige Einwanderer in Israel gleichzeitg auch Siedler in den besetzten Gebieten sind und daher ein ganz persönliches Interesse an einem wenig verständnisvollen Umgang mit den Gefühlen der arabischen Nachbarn haben?

         

        Im Gegenteil gibt es aus meiner Sicht gute Gründe für die Annahme, dass sich die politische Einstellung von russischstämmigen Juden in Deutschland von denen in Israel unterscheidet - zu alleroberst, dass sie ausgerechnet nach Deutschland und nicht nach Israel ausgewandert sind.

    • @Tim Leuther:

      indem man für dieses argument einen beleg anführt?

       

      in diesem sinne ,

      doppel lol facepalm und so

  • Komisch, neulich las ich, dass der Zentralrat der Muslime ebenso eine solche Obergrenze gefordert hat. Ist das nicht auch "problematisch" und "rassistisch"?

    • @Nicky Arnstein:

      das fordern einer obergrenze für asylsuchende/flüchtlinge ist immer "problematisch" und "rassistisch".

      ich tät es anders sagen: wer das tut, schrammt heftig am rand der verfassung und der GFK entlang. und zwar egal, wer.

      • @christine rölke-sommer:

        Ja - Milde ausgedrückt!

        • @Lowandorder:

          nun, es kann sich doch jeder selbst drüber klarwerden, auf welcher seite das schrammt.

          wie sich auch jeder selbst drüber klarwerden kann, dass kultur, ethnie, religion oder gesinnung in asyl+flüchtlingsrecht kein maßstab für was auch immer sind.

  • Hurra, da sind wir ja schon zwei! Auch "mein Gefühl ist, dass die Medien vielleicht mehr über [...] positiven Entwicklungen berichten sollten als über das, was [sie] besorgt". Einfach deswegen, weil sie ja durchaus eine Wirkung haben, auch wenn es sich nicht unbedingt immer so anfühlt für sie.

     

    Ich verstehe die Frustration gestandener Journalisten und Publizisten. Nach Jahren größten Engagements müssen sie 2015 immer noch berichten über all die kleinen und großen Missstände auf der Welt. Jeder neue Krieg, jede neuen Flüchtlingswelle, jeder abgeschlachtete Wal und jedes Grad mehr auf der Weltklimaskala fühlt es sich vermutlich wie persönliches Versagen an, wenn man zu lang im Geschäft ist. Und dabei wollte man doch etwas Positives tun! Nun scheint es fast, als würde alles täglich immer schlimmer werden.

     

    Ich weiß, dass dieser Eindruck täuscht. Es handelt sich hier um ein Phänomen, das durch zu große Nähe zum Objekt entsteht und die Realität gewaltig verzerren kann. Man nennt es Perspektive.

     

    Keine Frage, Menschen können sich hineinsteigern in ihre Sorgen, das ist psychologisch belegt. Die Frage ist, ob sie es sollten. Wenn Oma Else oder Opa Heinz es tun, ist das in erster Linie ihr Problem - und vielleicht noch das der Kinder oder Enkel. Wenn sich Journalisten im Namen der Auflage nur noch den Schlechtigkeiten dieser Welt widmen, dann hat das Folgen für die Gesellschaft insgesamt. Auch, wenn DIE Gesellschaft sich zumindest partiell zu schützen weiß. Dadurch, dass sie ganz einfach abschaltet oder sonst irgendwie den Konsum verweigert.

     

    Wer Tag für Tag für Tag aus sämtlichen Medien mit Schreckensmeldungen zugeschüttet wird, sieht irgendwann nicht mehr, dass es voran geht oder lohnt, sich irgendwo zu engagieren. Der resigniert - oder wird aggressiv. Zu viel gute Nachrichten haben deutlich weniger böse Nebenwirkungen. Die Angst davor ist also vielleicht doch nicht so berechtigt, wie es manchem scheinen mag. Man muss ja nicht gleich hofberichterstatten.

    • @mowgli:

      Frustrationen haben nur jene unter den Journalisten, die es nicht geschaft haben eine politische Karriere aufzubauen. Der Rest macht mehr oder weniger zufrieden das tägliche Handwerk: Menschen korrekt und gut zu informieren.

  • Zwei in einem klug-differenzierten

    Frage-Antwort-Gespräch.

    Chapeau.

    Das läßt nicht nur fü die taz - Hoffen.

    Danke.

     

    (ps. Ralph Giordano -

    Das hier dazu in der Sache Gesagte -

    Ja - so ist das wohl zu sehen!

    R.G. -> wenn kein Mikro in der Nähe -

    Kriegte der alte Wutbuckel sich dann doch step by step - öh a weng ein;)

    • @Lowandorder:

      Hoffnung bei „schwierig und schrecklich“, also irgendwie unangenehm? Ist das nicht eher sehr schwammig?

       

      Die Behauptung etwa, man sei „im Zweifelsfall doch eher gedrängt, diese Politik in irgendeiner Weise zu verteidigen oder richtigzustellen“, gemeint ist die des Staates Israel, ist unangemessen.

       

      Dieser “Zweifelsfall“ erscheint, wenn ich ihn z.B. der Jüdischen Allgemeinen entnehmen soll, eher der Dauerzustand zu sein und dort findet man umfangreich wieder, wie und was Verbände und Gemeinden von sich geben. Diesen Zweifelsfall würde ich auch nicht als Richtigstellung oder Verteidigung, sondern als weitgehende Übernahme von direkt aus Israel stammender staatlicher Propaganda und (verzerrter) Sicht bezeichnen.

       

      Sie tritt auch jedes Mal eindeutig in Erscheinung, sei es jüngst beim Golanwein, oder beim KaDeWe hierzulande, oder in den Stellungnahmen über die gegenwärtigen Ereignisse in Nah-Ost. Jede deutlich davon abweichende Stimme in der bundesdeutschen Politik, wird sodann aufs heftigste, oft mit der Unterstellung antisemitischer Neigungen, kritisiert.

      Immerhin nahm man bei der J-A auch Notiz von einer Veranstaltung mit Brumliks Beteiligung, dies sei eingestanden

       

      Weiter unten ist zu alledem unter "Antisemitismus - verzweifelt gesucht", einiges zu finden.

      • @Georg Lydda:

        Vielleicht hilft das ja weiter ->

        "…Jeder Manichäer - ist auch ein Grobian" - wußte schon der

        Alte aus Wiedensahl;)

        • @Lowandorder:

          ich setze darauf, mich als Grobian und dann hoffentlich auch, als einen wider Willen zu ertappen

      • @Georg Lydda:

        "… Hoffnung bei „schwierig und schrecklich“, also irgendwie unangenehm? Ist das nicht eher sehr schwammig?…"

         

        Versteh nicht so recht - was Sie mir sagen wollen.

        Daß ich mit Herrn Brumlik häufig in den Bewertungen/Einschätzungen "nicht aus einem Dorf bin" und

        Herr Bax - wie die taz zunehmend -

        Mir a weng engschädlig ist - das -

        Das ist das eine.

         

        Dieses Interview aber hebt sich davon für mich hoffnungsvoll ab;

        Luft nach oben - wie bei uns allen -

        Inbegriffen;)

        That's it.

        • @Lowandorder:

          Sie machten Hoffnung wegen des Interviews aus – „nicht nur für die Taz“, und es soll klug differenziert worden sein. Ich aber war vom Interview nicht so angetan.

           

          Brumlik befand zu Schusters Äußerungen sie seien „problematisch“, mit zu den Äußerungen Schusters gehörte die Obergrenze, da sagt Brumlik nur i. W. nur „schrecklich“ (die Obergrenze, nicht Schuster).

           

          Ich blickte viel mehr auf das, was mir eine Rede um den heißen Brei und schönfärberisch erschien.

          Fragen, die dies hätten behandeln wollen, wurden nicht gestellt. Deswegen hatte mich überrascht, dass Sie Hoffnung ausmachten.

          Nicht nur den ZdJD habe ich in 2014 so erlebt, die Proteste gegen den Gazakrieg anzugreifen und sie hauptsächlich als antisemitische Auswüchse abzutun. Das kam vielen hierzulande gut gelegen, denn es brauchte die Frage nach der Untätigkeit der Regierung nicht gestellt werden, wenn doch anderes im Vordergrund gestellt wurde, als wurde da mitgemacht.

           

          Beispiel von gestern: http://www.tagesschau.de/inland/merkel-antisemitismus-103.html

           

          In diesem Zusammenhang hätte im Interview mindestens die Gleichsetzung von Judentum und Israel durch den Staat Israel selbst und seine Vertreter gehört, die hierzulande stets und ständig auch in fast allen Parteien, wie auch vom ZdJD und seinen Organen voll und ganz betrieben wird. Das kann weder Brumlik noch Dax unbekannt sein.

          Ich nehme für diese Gleichsetzung mal ein mild erscheinendes Beispiel: „Israel als Land der Holocaustopfer“, manchmal sogar wie selbstverständlich die Behauptung, es sei von diesen Opfern gegründet worden.

           

          Die insbesondere im Nahen-Osten von Israel ausgehende Gleichsetzung von Juden = Israel wird immer wieder herangezogen, wenn sie von Menschen aus dem Nahen-Osten übernommen wird, denen und nicht Israel aber als Vorwurf zur Last gelegt.

  • Mein Vorschlag zur Güte: Können wir mal für einige Minuten auf die Substantive "Rassismus", "Antisemitismus", "Faschismus" und "Antifaschismus" samt deren Adjektiven und Adverbien verzichten. Kleine Diät sozusagen. Ich glaube, das wäre sehr hilfreich für den notwendigen Dialog. Zu häufig werden für meinen Geschmack Begriffe, die eigentlich analytisch sein sollen und immer nur heuristisch sind, vorläufige Begriffe, zur Beschimpfung verwendet und das inflationär. Schubladendenken durch Halbbildung statt Bildung und Aufklärung - die Gefahr sehe ich. Aber vielleicht empfinde ich das nur so.

    • @Martin Korol:

      Kluge Worte, vielen Dank.

    • @Martin Korol:

      Das Wort Rassismus nicht mehr zu verwenden, ist gelebter Antirassismus.

      /s

       

      Ich habe ja nichts gegen Juden, aber Israel...

      • @Nase Weis:

        Israel ist ja nicht das jüdische Volk. Es sei denn, Sie vertreten die These nationalistischer Israelis, nach der jeder Jude auch Israeli zu sein hat, ob er will oder nicht.

  • Ich arbeite in einem streng muslimischen Land mit all den Seltsamkeiten. Die Palästinenser werden dort durchwegs als Opfer gesehen. Eine rigide Ideologie fördert nicht das Denken. Bei spätestens 5 oder 10 Millionen Flüchtlingen müsste man eine Obergrenzen setzen. Es gibt 45 Millionen Flüchtlinge au der Welt.

  • Die Realität: viele Juden verlassen Frankreich. Warum ? Wegen der Antisemitismus der Muslime . In Syrien, Irak und Afghanistan Antisemitismus ist das tägliche Brot.

  • Rassismus ist Rassismus - egal ob Jude oder Deutscher.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Es gibt durchaus einen Unterschied im Rassismus. Systemimmanenter Rassismus in einer Machtstruktur funktioniert anders als einer mit wenig Macht.

      D.h. Deutsche sind in Deutschland die Mehrheit und besetzen die meisten Machtpositionen. Juden dagegen sind eine Minderheit mit relativ wenig Macht.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Sie wissen aber schon, dass diese Unterscheidung auf den NS-Rassegesetzen beruht und Ausdruck rassistischen Denkens ist, oder?

      • @Nicky Arnstein:

        Sie merken auch gar alles.

         

        Aber ich halte mich lieber an die Logik moderner Mathematik als an den Irrsinn historischer Justiz.

        Mengenlehre: Die Feststellung der Existenz zweier Mengen schließt die Existenz einer Schnittmenge nicht aus.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Jude ODER Deutscher also. Beides kann und darf nicht sein, scheint mir.

      Manche Dinge ändern sich halt nie,

      in good old Dschörmenie

      • @Dorothea Pauli:

        Natürlich gilt das auch für deutsche Juden, jüdische Deutsche, deutschtsämmige Juden und jüdischstämmige Deutsche sowie alle weiteren davon abzuleitenden Derivate.

  • Bei einem kürzlich abgehaltenen Vortragsabend der von Micha Brumlik genannten Salaam-Shalom Initiative war ich (partiell) anwesend; nicht zuletzt wegen dem zustimmend zur Kenntnis genommenen Beitrag von Armin Langer hier bei der taz.

     

    Was dort und insbesondere von dem eingangs vortragenden Peter Ullrich, via dessen Studie dann zu hören, nachzulesen war, das ist schon als

     

    "Antisemitismus - verzweifelt gesucht"

     

    zu bezeichnen. Mein Eindruck, einschließlich der (mittlerweile sechs) doch recht aktuellen Nachträge und gern via diesem Link zu verfolgen:

    http://www.termiten.net/node/315