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Massengräber im GazastreifenMit gefesselten Händen

Der Palästinensische Zivilschutz spricht nach dem Fund von Massengräbern in Gaza von Hinweisen auf Hinrichtungen. Israel hat eine andere Version.

Palästinensisches Gesundheitspersonal gräbt am 21.04. die Leichen von Palästinensern aus, die auf dem Nasser-Krankenhaus begraben wurden Foto: Omar Naaman/dpa

Berlin taz | Mehr als 300 Leichen sollen insgesamt in verschiedenen Massengräbern in Chan Junis im Gazastreifen gefunden worden sein. Einige der Leichen seien mit Fesseln an Armen und Fußgelenken gefunden worden, berichtet der US-Fernsehsender CNN unter Berufung auf den Direktor des Zivilschutzes in Chan Junis, Yamen Abu Suleiman. Es gebe, so Suleiman, Hinweise, dass einige Menschen hingerichtet worden seien. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Vor zwei Wochen hatte das israelische Militär die meisten Truppen aus dem Gazastreifen abgezogen, auch aus der südlichen Stadt Chan Junis. Kurz nach dem Abzug der Sol­da­t*in­nen kehrten Tausende, die zuvor ins wenige Kilometer entfernte Rafah geflohen waren, in ihre Heimatstadt zurück.

Was sie sahen, war für viele ein Schock: Rund 55 Prozent der Gebäude – etwa 45.000 – sollen entweder schwer beschädigt oder völlig zerstört sein. Am Samstag gab es dann die ersten Berichte über ein gefundenes Massengrab.

Ein CNN-Mitarbeiter sagte, dass die im Januar auf dem Krankenhausgelände Getöteten von Ga­za­ne­r*in­nen provisorisch begraben worden wären. Die Rück­keh­re­r*in­nen hätten im April dann die Leichen exhumiert vorgefunden. Dem Mitarbeiter zufolge seien die Leichen nach der Exhumierung von den Sol­da­t*in­nen in ein Sammelgrab gelegt worden.

Mögliche Menschenrechtsverstöße müssen untersucht werden

Die israelische Armee weist die Vorwürfe zurück. Die Truppen hätten während ihres Einsatzes in der Gegend des Nasser-Krankenhauses in den letzten Monaten Leichen untersucht, die von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen auf dem Gelände des medizinischen Zentrums vergraben worden seien, „als Teil der Bemühungen, Geiseln zu finden“.

Die Untersuchungen seien in einer geordneten Art und Weise durchgeführt worden und unter Wahrung der Würde der Verstorbenen, hieß es in einer Antwort der israelischen Armee auf eine entsprechende Anfrage. Die Leichen seien „in geordneter und angemessener Weise an ihren Platz zurückgebracht“ worden.

Eine Sprecherin des Hohen Kommissars für Menschenrechte, Volker Türk, sagte, dass mögliche Menschenrechtsverstöße, auf die die gefesselten Hände hinwiesen, untersucht werden müssten.

Derweil häufen sich Hinweise darauf, dass eine Offensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten bevorsteht. Satellitenbilder zeigen der Nachrichtenagentur AP zufolge wohl neu aufgebaute Zelte östlich von Rafah, wo seit Monaten mehr als eine Million Menschen Zuflucht suchen.

Medienberichten zufolge soll das israelische Verteidigungsministerium vor knapp zwei Wochen in Vorbereitung auf die Evakuierung von Rafah 40.000 Zelte gekauft haben. Das Wall Street Journal berichtete am Montag unter Berufung auf ägyptische Beamte, dass die Evakuierungsaktion zwei bis drei Wochen dauern und in Abstimmung mit den USA, Ägypten und anderen arabischen Ländern durchgeführt werde.

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18 Kommentare

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  • Das muss sofort polizeilich und international untersucht werden! Aber leider hört von dem Thema schon jetzt nichts mehr, das ist entsetzlich! Und noch ein Wort zu der Verunstaltung "Gazaerinnen" Dieses Wortungetüm ist dem Ernst der Lage überhaupt nicht angemessen!

  • Da die Regierung Netanyahu spätestens seit Dezember 2023 die volle Kontrolle über den nördlichen Teil Gazas übernommen hatte, ist sie FÜR ALLES, was dort passiert, voll verantwortlich. Es ist ein Versagen -auch 'westlicher' Politik- diesem Treiben keinen Einhalt geboten zu haben. Es muss doch allen klar sein, dass der Staat Israel ohne ein Friedensabkommen aller Beteiligten nur mit militärischen Mitteln aufrecht erhalten kann, Nachbarschaft funktioniert so nicht mehr. Es ist bedauerlich, dass dieser Umstand hierzulande insbesondere von den jüdischen Mitmenschen nicht erkannt wird und sie sich mit dem rechten Lager in der israelischen Regierung verbunden sehen, obwohl der Protest der Bevölkerung vor Ort schon den Geheimdienstchef zum Rücktritt gezwungen hat (als Bauernopfer ?).

    • @Dietmar Rauter:

      „Es ist bedauerlich, dass dieser Umstand hierzulande insbesondere von den jüdischen Mitmenschen nicht erkannt wird und sie sich mit dem rechten Lager in der israelischen Regierung verbunden sehen,..“

      Juden und Jüdinnen in Deutschland und weltweit automatisch mit der israelischen Regierung in Verbindung zu bringen ist eine verallgemeinernde und diskriminierende Unterstellung.

      Genauso absurd ist es, Israel für alles verantwortlich zu machen, was im Gaza Streifen passiert.

      • @Karla Columna:

        Eigentlich müsste es im Interesse sich jüdisch fühlenden Mitmenschen sein, diejenigen BürgerInnen Israels zu unterstützen, die unbedingt ein friedliches Zusammenleben auch mit palästinensischen Menschen und ohne eine Hamas wünschen und die willkürlichen Enteignungen durch Siedler im Westjordanland kritisieren. Da liessen sich hierzulande schnell Gemeinsamkeiten finden, die nicht zuletzt auch die Haltung der Bundesregierung in Frage stellt.

        • @Dietmar Rauter:

          Wenn Sie die Demonstrationen in Israel wahrnehmen, dann merken Sie, dass dort auch sehr viele gegen die Regierung aktiv sind, genauso sind Juden und Jüdinnen in Deutschland und auch in der ganzen Welt gegenüber der israelischen Regierung kritisch.

          Andersherum wäre es wünschenswert, wenn es mehr palästinensisches Engagement für Frieden, friedliche Lösungen und gegen die Hamas und alle anderen islamistisch gesteuerten Organisationen gäbe.

  • Interessant finde ich bei diesem ganzen Themenkomplex, dass sich weder die Hamas dazu geäußert zu haben scheint, noch dass irgendjemand in Erwägung zieht, die Hamas habe diese Menschen auf dem Gewissen.



    Wie kommt das?

    • @Encantado:

      Könnte es sein, dass der Gazastreifen von der IdF dem Erdboden gleichgemacht und die Zivilbevölkerung ausgehungert wird?

    • @Encantado:

      Diese Frage habe ich mir auch gestellt.



      Man weiss nichts, zeigt aber schon mit dem Finger auf Israel.

  • Jeder Krieg ist eine Menschenrechtsverletzung. Mit der Führung eines Krieges ist eine Grenze überschritten, die weitere Grenzüberschreitung nach sich zieht: Massenvergewaltigungen, Exekutionen,… Die einzige Antwort auf Kriege kann nur sein: nie wieder Kriege. Es gibt keinen guten Krieg, es gibt keine guten Toten, und es gibt auch keine guten Mörder. Krieg ist Staatlich legitimiertes Töten.

  • Bei CNN kann man lesen, dass Einwohner von Gaza berichten, dass diese Gräber bereits vor der israelischen Offensive von Gazas Einwohnern genutzt wurden, dass Leichname zwar exhumiert und untersucht, aber tatsächlich auch zurückgebracht wurden, sobald sich herausgestellt habe, dass es nicht um eine Person aus dem Kreis der nach wie vor festgehaltenen Geiseln handelte.



    Deutsche Presse kann offenbar nur so oder so. Zwischentöne sind wohl unmöglich.

  • "Die Untersuchungen seien in einer geordneten Art und Weise durchgeführt worden und unter Wahrung der Würde der Verstorbenen"- "The IDF has said it has removed dozens of bodies from Gaza for DNA tests in Israel, before returning the remains in containers. " das steht auch in dem CNN Report und auch die Zeugenaussagen in dem Report deuten doch auf etwas anderes hin. Dort geben mehrere Personen an, das sie nach ihren Angehörigen suchen, die sie im Januar dort begraben haben und die sich scheinbar nicht mehr an Ort und Stelle befinden. Es sollte auch untersucht werden ob dies nicht gegen Genfer Konventionen verstößt (ICRC: Rule 115. - ihl-databases.icrc...ry-ihl/v1/rule115)



    Des Weiteren wird nach 400 weiteren vermissten Personen gesucht. Es braucht hier dringend eine unabhängige Untersuchung mit internationalen Ermittlern nicht nur was diesen Fall angeht.

  • Untersuchung ja, Vorverurteilungen nein.

  • "Der Palästinensische Zivilschutz spricht nach dem Fund von Massengräbern in Gaza von Hinweisen auf Hinrichtungen."

    Ich hoffe, die toten Menschen können von unabhängiger Seite untersucht werden.

    "Eine Sprecherin des Hohen Kommissars für Menschenrechte, Volker Türk, sagte, dass mögliche Menschenrechtsverstöße, auf die die gefesselten Hände hinwiesen, untersucht werden müssten."

    Finde ich gut und hoffe, dass die Sprecherin des Hohen Kommissars für Menschenrechte auch die Fälle untersucht, in denen es um Menschenrechtsverstöße der Gaza-Hamas-palästinensischen Seite geht. Ebenso ist es mir wichtig, dass die Untersuchungen von Fachleuten durchgeführt werden, die auch Manipulationen etc. erkennen.



    (Nicht, dass die Untersuchungen/Überprüfungen so wie bei dem Bericht der unabhängigen Kommission der UN bezüglich Verstrickung UNRWA abläuft und nach kürzester Zeit festgestellt wird, dass die 30.000 Mitarbeiter der UNRWA nahezu keine Verbindungen zu der politischen und militärischen Führung in Gaza haben oder in der Vergangenheit hatten.)

    "Die Leichen seien „in geordneter und angemessener Weise an ihren Platz zurückgebracht“ worden."

    Ob das so stimmt, wissen weder ich noch andere hier. Ich wünsche mir, die gegnerische Gaza-Hamas-palästinensische Kriegspartei würde der jüdischen/Israel-Seite "wenigstens" die getöteten Geiseln übergeben. In der jüdischen Religion scheint es wichtig zu sein, dass tote Menschen schnellstmöglichst und vollständig bestattet werden. Der Mutter von u.a. Shani Nicole Louk war das nicht möglich.

    Im Islam ebenso wie im Judentum gibt es wichtige Details bei Bestattungen, die der jeweils gegnerischen Kriegspartei bekannt sind und ich rechne es der jüdischen/Israel-Seite hoch an, dass sie im Gegensatz zu der Gaza-Hamas-palästinensischen Seite darauf verzichtet, den Schmerz der Angehörigen ins Unermessliche zu steigern.

    • @*Sabine*:

      Es gibt keine homogene jüdische „Seite“, die gleichbedeutend ist, mit dem ethnisch überwiegend jüdischem Staatsvolk Israels oder seiner Regierung. Israel ist nicht, repräsentiert nicht und steht nicht für die Gesamtheit des Judentums oder eine „jüdische Seite“. Die Gleichsetzung Israels mit dem Judentum wird von vielen nichtzionistischen Juden und Jüdinin abgelehnt, die Vereinnahmung durch den Staat Israel zunehmend als unangenehm und bedrohlich empfunden.

      • @Erni:

        Sie haben recht, das ist mir bekannt. Ich möchte die beiden Begriffe auch nicht als Gleichsetzung verstanden wissen, sondern verwende sie, um eine möglichst große Gruppe zu umfassen. Ich "meine" auch Atheisten und muslimische Israelis mit, ebenso wie in Deutschland/Europa lebende jüdische Menschen.

        Es ist nicht präzise, aber mir fiel bisher keine umfassendere Bezeichnung ein.

  • Es muss eine unabhängige Untersuchungskommission her, die herausfindet, wer, wann, wo was gemacht hat. Sollten extremistische israelische Militärs für die Exekutionen verantwortlich sein, wird das auch den Intern. Gerichtshof in Den Haag bei seiner Völkermord- Untersuchung interessieren.

    • @Rinaldo:

      Massengräber mit gefesselten Opfern ist eher der Stil der Hamas als der israelischen Armee.