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Macron-Rede vor EU-GipfelFrankreichs nuklearer Schirm für Europa

In einem dramatischen Appell hat der französische Staatschef vor der „russischen Bedrohung“ gewarnt. Er fordert ein Umdenken in der Sicherheitspolitik.

Macrons Rede an die Nation Foto: Ludovic marin/afp/dpa

Paris taz | Achtung, die Russen kommen! Am Mittwochabend hat Präsident Emmanuel Macron im französischen Fernsehen eindringlicher denn je vor einer „Bedrohung Europas“ gewarnt, die keine Grenzen respektiert. Da es „Wahnsinn wäre, bloß (passiver) Zuschauer dieser Welt voller Gefahren zu sein“, müssten Frankreich und Europa rasch reagieren.

Schärfer als zuvor verurteilte Macron auch die Aggressionen: „Das Russland von Präsident Putin verletzt unsere Grenzen, um Oppositionelle (im Exil) zu töten oder Wahlen in Rumänien und Moldawien zu manipulieren, oder mit Cyberattacken das Funktionieren unserer Krankenhäuser zu verhindern.“

Auf die strategische Kehrtwende der USA antwortend, sagte Macron, die Ukraine fallen zu lassen, sei kein Weg, der zum Frieden führe, denn der Frieden könne nicht „ein russisches Diktat“ sein. Die Fersehansprache fiel auf den Vorabend des EU-Sondergipfels zur Ukraine am Donnerstag.

Vehement sind die sofortigen Reaktionen aus Moskau: Als „völlig wirklichkeitsfremd“ bezeichnete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Macron Aussage, Russland stelle eine Bedrohung dar. Macron selber stelle eine Gefahr dar, „da er eine Sitzung der Generalstabschefs der EU und Großbritanniens einberuft und sagt, es sei notwendig, sich auf die Verwendung der Atomwaffen gegen Russland vorzubereiten“, erklärte Außenminister Sergei Lawrow.

Hohe Einschaltquoten

Eine Rekordzahl von mehr als 15 Millionen Zuschauern hat am Mittwochabend die Rede von Präsident Macron und seinen Appell an den Patriotismus am Fernsehen verfolgt. Laut Umfrage für den Sender TF1 teilen 68 Prozent dessen Analyse einer Bedrohung aus Russland. 61% sind dafür, dass Frankreichs atomarer Schutzschirm auch auf Europa ausgebreitet wird. Nur 35% wären für die Entsendung von Bodentruppen zur Sicherung eines Friedensabkommens in der Ukraine. Nur noch 39% betrachten die USA als befreundeten Alliierten, und 65% wären bereit, amerikanische Produkte zu boykottieren.

Macron beansprucht Führungsrolle

In seiner Ansprache sagte Macron auch, er wolle seine „legitimerweise besorgten“ Landsleute darauf vorbereiten, dass sich nun auch in ihrem Alltag und ihren Gepflogenheiten so manches ändern werde. „Die Lösungen für die Probleme morgen sind nicht die Gewohnheiten von gestern“, lautete eine seiner Mahnungen. Diese Maxime war wohl nicht nur für das französische Fernsehpublikum gedacht, sondern auch für die befreundeten europäischen Nationen, die gemeinsam mit Frankreich der „neuen Ära“ begegnen müssen.

Präsident Macron wollte sich darauf berufen, dass er nicht zum ersten Mal den Franzosen und Französinnen, aber auch den EU-Mitgliedern, sagt, dass sich die Zeiten geändert hätten. Von einer gemeinsamen europäischen Verteidigung sprach er bereits mehrfach, von einer stärkeren Autonomie der europäischen Sicherheitspolitik ebenfalls. Und auch – damit verbunden – von der Notwendigkeit gemeinsamer Investitionen in die Rüstungsindustrie, um die allzu starke Abhängigkeit von den USA zu verringern.

Rückblickend, meint der französische Staatschef, habe er nur zu sehr Recht gehabt mit seinen Forderungen. Darauf stützt er, ohne dies explizit zu sagen, seinen Anspruch auf Führung der Europäer, die sich von der neuen amerikanischen Staatsführung im Stich gelassen fühlen. Auch die anderen EU-Staaten sollen sich darauf einstellen, dass ihre bisherigen Gewohnheiten nicht mehr der aktuellen Weltlage entsprechen.

Diese Botschaft geht ganz besonders in Richtung Berlin, weil sich Frankreich mit seinem Wunsch nach mehr europäischer „strategischer Souveränität“ dort stets auf Bedenken stieß. Deutschland bevorzugte bisher den Nato-Schutzschirm unter amerikanischer Leitung, außerdem wurde in der Gesellschaft eine Politik der Wiederbewaffnung eher abgelehnt. Friedrich Merz steht Macron nun näher als Olaf Scholz.

Investitionen und atomare Abschreckung

Für die Verwirklichung von Macrons Europapolitik ist die von Donald Trump provozierter Krise im atlantischen Bündnis zugleich eine Chance und eine Bewährungsprobe. Um diese bestehen zu können, wäre nicht nur ein Umdenken, sondern für Macron auch eine enorme finanzielle Anstrengung nötig, die in den Staatshalten schwer ins Gewicht fallen dürfte und damit Opfer erfordert.

In welchem Umfang dies eintreten wird, konnte Macron nicht sagen, aber er gab mit einer Grafik auf dem Fernsehbildschirm eine Vorstellung davon, wie aggressiv Russland sich in den kommenden Jahren militärisch aufrüsten würde. Als Antwort darauf seien zusätzliche, massive Ausgaben notwendig. Und da die Steuern nicht erhöht werden sollen, müssten in der Haushaltspolitik neue Prioritäten gesetzt werden. Dass Frankreich während seiner Präsidentschaft den Rüstungsetat rund verdoppelt habe, reicht demnach nicht.

Im Kern setzt Macron vor allem auf nukleare Abschreckung, die nicht allein der Sicherheit Frankreichs, sondern auch jener der europäischen Bündnispartner dienen soll. Zu diesem Thema möchte Macron mit diesen eine „strategische Debatte eröffnen“. Er versicherte aber, die Entscheidung (über den Einsatz der Atomwaffen) werde weiterhin ausschließlich in der Hand des französischen Präsidenten bleiben.

Inwieweit aber nicht nur die britische Atomstreitkraft, sondern auch die französische „Force de frappe“ bisher von einer engen technologischen Kooperation mit den USA abhängt, sagte Macron in diesem Kontext nicht.

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