Lötzsch kandidiert nicht mehr: Abrechnung mit Linksparteiführung
Ihr Direktmandat in Berlin-Lichtenberg rettete die Linkspartei davor, aus dem Bundestag zu fliegen. Jetzt kündigt Gesine Lötzsch ihren Abschied an.
Seit 2002 gehört Lötzsch dem Bundestag an. Sechs Mal hintereinander gewann sie ihr Direktmandat im Wahlkreis Berlin-Lichtenberg. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie 2009 mit 47,5 Prozent der Erststimmen, zuletzt waren es 2021 noch 25,8 Prozent. Ihre Entscheidung, nicht erneut anzutreten, habe sie bereits damals getroffen, so Lötzsch in ihrer Erklärung. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sie bekannt zu machen“, schreibt sie.
Die Bekanntgabe ihrer Entscheidung nutzte die studierte Philologin für eine Generalabrechnung mit der Führung der Linken. Ein Grund für das katastrophale Ergebnis bei der Europawahl, bei der die Partei auf 2,7 Prozent abstürzte, sei eine Strategie gewesen, „die unser Parteiprogramm nur in Teilen widerspiegelte“.
Soziale Gerechtigkeit und Frieden seien die beiden Themen gewesen, mit denen die Linke in der Vergangenheit Wahlen gewonnen habe. Doch in diesem Wahlkampf habe der Parteivorstand nicht über Frieden reden wollen, „weil unsere Partei in dieser Frage gespalten wäre“. Seine Aufgabe wäre es jedoch gewesen, für eine gemeinsame Position zu kämpfen. „Wer existenzielle Fragen nicht diskutieren will, der wird abgewählt“, konstatiert Lötzsch.
Entsetzt über Parteivorstand
Auch die Nominierung der parteilosen Klima- und Menschenrechtsaktivistin Carola Rackete zur Spitzenkandidatin an der Seite des Parteivorsitzenden Martin Schirdewan bei der EU-Wahl sei „ein Fehler“ gewesen. Dass Rackete vielen Menschen im Mittelmeer das Leben gerettet hat, sei zwar ihr großes Verdienst. Aber: „Die Partei kannte sie nicht und sie kannte unsere Partei nicht.“
Sie habe in den vergangenen Jahren immer mehr den Eindruck gewonnen, „dass die Parteivorstände neue Wählerinnen und Wähler gewinnen wollen und dabei auf die Stammwählerinnen und -wähler gern verzichten“, schreibt Lötzsch. Das Resultat läge „jetzt auf unserem Tisch“.
Dabei dürfte sie nicht zuletzt ihren eigenen Wahlkreis im Blick haben, wo die Linkspartei bei der EU-Wahl nur noch bei 10 Prozent landete und sich damit mehr als halbierte. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stieg demgegenüber in Lichtenberg auf 15,2 Prozent empor.
Kein Wort der Selbstkritik
Der elektorale Absturz sei auch auf die Spaltung der Linksfraktion im Bundestag zurückzuführen, ist Lötzsch überzeugt. „Ich war entsetzt, wie leichtfertig der Parteivorstand bereit war, die Bundestagsfraktion aufzugeben“, liefert sie eine etwas eigenwillige Interpretation der Geschichte.
Über ihre Mitverantwortung dafür, dass die Ex-Fraktionsvorsitzende Wagenknecht und ihre Anhänger:innen seit dem Erfurter Parteitag 2022 aus der Bundestagsfraktion heraus ungestört die Gründung einer Konkurrenzpartei vorbereiten konnten, verliert Lötzsch hingegen kein Wort. Ebenso wenig gibt sie einen Hinweis darauf, wie sich die Abspaltung hätte verhindern lassen.
Lötzsch ist schon lange im politischen Geschäft. 1984 in die SED eingetreten, gehörte sie zunächst 1990 der Stadtverordnetenversammlung von Ostberlin an, dann von 1991 bis zu ihrem Wechsel in den Bundestag 2002 dem Berliner Abgeordnetenhaus. Von 2010 bis 2012 stand sie gemeinsam mit dem inzwischen zum BSW gewechselten Klaus Ernst an der Spitze der Linken. Zu dieser Zeit erlebte die Partei ihre erste größere Krise.
Damals stand allerdings noch nicht die Existenz auf dem Spiel. Das ist jetzt anders. Lötzsch fordert nun eine deutliche Strategieänderung. „Wir müssen wieder als Friedenspartei erkennbar werden“, schreibt sie mit Blick auf die kommende Bundestagswahl. Der für Oktober geplante Bundesparteitag müsse entsprechend „personell und inhaltlich Grundsatzentscheidungen treffen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend