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Linksparteitag in AugsburgUngewohnte Harmonie

Linken-Chef Schirdewan fordert zu Geschlossenheit auf. Mit Erfolg. Wirbel gibt es nur um eine Äußerung von Carola Rackete – und beim Thema Gazakrieg.

Linken-Chef Schirdewan macht seiner Partei Mut. Am ersten Kongresstag scheint das gelungen zu sein Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Augsburg taz | Am ersten Tag sorgt Carola Rackete für Wirbel. Zwar wird sie auf dem Parteitag erst an diesem Samstag reden, wenn die Linkspartei über ihre Liste für die Europawahl abstimmt. Am Freitag sieht man sie nur mit Freunden durch die Hallen streifen. Aber in einem Zeitungsinterview, das zum Parteitag erscheint, hat sie der Partei, die sie nominieren soll, lapidar vorgeschlagen, doch besser einen anderen Namen zu wählen und sich „konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren“.

Das war etwas ungeschickt, und so bemüht sich die 35-jährige Klimaaktivistin und Seenotretterin kurz darauf, den Schaden zu begrenzen. Auf X (ehemals Twitter) bedauert sie noch am Freitag ihre „unbedachte Äußerung“ und bekennt, zu wenig über die durch die Linkspartei schon erfolgte Aufarbeitung der SED-Vergangenheit gewusst zu haben.

Rackete ist parteilos, soll aber an diesem Wochenende in Augsburg auf Platz 2 zu einer Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl im Juni 2024 gekürt werden. Es ist der erste Parteitag, seit Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter im Oktober die Partei verlassen haben. Und er findet statt, kurz nachdem die Linksfraktion im Bundestag deshalb beschlossen hat, sich wegen dieses Abgangs am 6. Dezember notgedrungen aufzulösen.

Von außen wirkt es, als sei die Linke damit am Tiefpunkt angelangt. Doch der Parteitag soll ein Signal des Neustarts senden, daran haben die Verantwortlichen hart gearbeitet. Ab jetzt wird nach vorne geschaut, so die Botschaft, die von diesem Event ausgehen soll.

Einige namhafte Neumitglieder und Mitstreiter werden sich auf dem Parteitag vorstellen – prominente Namen aus dem sozialen und künstlerischen Bereich. Doppelt so viele Menschen treten derzeit ein, wie austreten würden, rechnet die Parteivorsitzende Janine Wissler vor.

Um Einigkeit bemüht

Außerdem stellten sie und ihr Co-Chef Schirdewan zu Beginn des Parteitags ein neues Logo vor, dass das Erscheinungsbild der Partei erneuern soll. Das Kapitel Wagenknecht sei „abgeschlossen“, gibt Wissler als Losung aus, und das sagt auch Schirdewan. Ansonsten fällt der Name der einstigen Linksfraktionsvorsitzenden und Neuparteigründerin nur noch in Gesprächen am Rande.

Die Atmosphäre ist insgesamt ungewohnt harmonisch für einen Parteitag der Linken. Schirdewans Rede am Freitagmittag markiert den Höhepunkt des ersten Tages. Tatsächlich schafft er es, so etwas wie Aufbruchstimmung zu verbreiten. Besonders viel Applaus erhält der 48-jährige Thüringer, als er an die Delegierten appelliert, Geschlossenheit zu demonstrieren und respektvoll im Umgang miteinander zu bleiben

Viel Beifall erhält er auch für seine Forderung, Haltung zu zeigen und „zwischen allen Geschlechtern, zwischen Ost und West, mit Minderheiten und nicht zuletzt mit Menschen in Not“ solidarisch zu sein – ein kleiner Seitenhieb gegen Wagenknecht. Selbstkritisch räumt Schirdewan ein, man habe Fehler gemacht. Selbstbewusst proklamiert er, man bleibe „die Partei der Hoffnung“, und sagt: „Wenn alle nach rechts marschieren, dann bleiben wir links“.

Soziale Fragen stellt er dabei in den Mittelpunkt: Zwanzig Prozent der Bevölkerung seien von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, während deutsche DAX-Konzerne Rekordgewinne machten. Es brauche eine Vermögensabgabe für Milliardäre, eine europäische Initiative für sozialen Wohnungsbau, eine gerechtere Gesundheitsversorgung und ein faires Steuersystem. Es gebe „kein Recht auf Profit“, sondern „auf Wohnen, auf Nahrung und auf Energie“, sagt Schirdewan und verspricht: „Wir legen uns mit den Reichen und Mächtigen an.“

Der Ampelkoalition wirft er vor, sich an einem „Überbietungswettbewerb der Menschenfeindlichkeit“ zu beteiligen. Bei den Europawahlen, den Kommunalwahlen und den drei ostdeutschen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werde die Linke wieder „auf die Erfolgsspur kommen“, macht er Mut. Nach einer Reihe von Niederlagen, zuletzt in Hessen und Bayern, und Umfragewerten unter fünf Prozent bundesweit ist das Musik in den Ohren der rund 470 Delegierten im Saal, die es ihm mit Jubel dankten.

Konfliktthema Gaza-Krieg

Natürlich gebe es noch Konflikte und Streitereien, hatte Schirdewan in seiner Rede eingeräumt. Am späten Freitagabend, als der heikelste inhaltliche Tagesordnungspunkt aufgerufen wird, brechen sie noch einmal auf. Die Linke fordere einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, die Freilassung aller Geiseln und die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus – so steht es in einem Antrag, der auf dem Parteitag kurz vor Mitternacht von einer großen Mehrheit angenommen wird. Und unmissverständlich heißt es in dem Beschluss: „Wir verurteilen die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober.“

Das klingt konsensfähig, und ist es letztlich auch. Doch zuvor treten in einem kurzen, aber hoch emotionalen Schlagabtausch noch einmal die Fronten offen zu Tage. Klaus Lederer, ehemaliger Kultursenator in Berlin, spricht von einer „eliminatorischen Enthemmung“ und „genozidalen Gewaltorgie“ der Hamas und nennt den 7.Oktober eine „Zäsur“, die man als solche klar benennen müsse. Auf der anderen Seite spricht der Offenbacher Linken-Politiker Nick Papak Amoozegar von der „Hamas und anderen Gruppen des palästinensischen Widerstands“, deren Angriff „keinen Völkermord“ rechtfertigen würde, den Israels Regierung im Gazastreifen begehe. „Das ist ein Genozid“, sagt er – und erntet empörte Pfui-Rufe.

Der Konflikt lasse niemanden kalt, bemüht sich der Tagungsleiter, der Berliner Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser, die Wogen zu glätten. Er bitte alle, die „Tonalität“ herunterzufahren und auf die eigene Wortwahl zu achten. „Sind wir in der Lage, diese Debatte sensibel zu führen?“, fragt er – und antwortet selbst: „Wir können das, aber wir müssen es auch wollen.“

Eine große Mehrheit will das offenbar. Nach der Mahnung Meisers tritt Özlem Demirel ans Redepult. „Lasst uns deutlich feststellen, liebe Genossinnen und Genossen: In unserer Partei gibt es keinen Menschen, der Antisemitismus relativiert, es gibt keinen Menschen, der antimuslimischen Rassismus relativiert“, sagt die Kölner Europaabgeordnete unter starkem Beifall. „Es gibt keinen Menschen in unserer Partei, der die Toten in Israel nicht bedauert, und es gibt keinen Menschen in unserer Partei, der die Toten in Gaza nicht bedauert.“ Das sei der linke „Grundsatz, auf den wir uns bitte einigen“.

Das eigentliche Hauptthema, die Europawahl, wird ab diesen Samstag in Augsburg im Fokus stehen. Am Samstagnachmittag beginnt die Kandidatenaufstellung. Parteichef Schirdewan, der auch der Linksfraktion im EU-Parlament vorsteht, und Carola Rackete sollen die Liste anführen. Auf Platz 3, so der Vorschlag der Parteiführung, soll Özlem Demirel folgen, die sich allerdings wohl einer Gegenkandidatin zu erwehren hat. Auch Gerhard Trabert, bekannt als „Arzt der Armen“ und einst Präsidentschaftskandidat der Linken, will als parteiloser Kandidat für die Partei ins Europaparlament. Er ist für Platz 4 nominiert. Schirdewan sprach von einer „Schicksalswahl“. Er meinte das Schicksal Europas. Es gilt aber auch für seine eigene Partei.

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16 Kommentare

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  • Wenn ich mir die Reaktion auf Rachetes Äußerungen betrachte, beschleicht mich das Gefühl, dass sich viele Mitglieder noch lange nicht aus ihren altgewohnten Blasen gelöst haben. Da habe ich so meine Bedenken, was die Zukunftsfähigkeit der Linken betrifft.

  • "...hat sie der Partei, die sie nominieren soll, lapidar vorgeschlagen, doch besser einen anderen Namen zu wählen und sich „konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren“."

    ROFL

    Ist das keine Vorbedingung für Frau Rakete, sondern sich überhaupt nominieren zu lassen.

    Eine Linkspartei, die es nicht hinbekommt, sich konsequent von der Mauerbau-SED zu distanzieren sollte für jeden, der sich für Migranten engagiert nogo sein.

  • Ohne eine Abkehr vom Kapitalismus (oder soziale Marktwirtschaft wie er versüßend in diesem Land genannt wird) bleibt Die Linke eine weitere Mainstream-Partei mit etwas linkerem Flair. Die Mär von der Besteuerung der Reichen bla bla bla wird schon seit Jahrzehnten rauf und runter diskutiert. Das einzige was bis jetzt passierte waren weitere Steuersenkungen für Reiche. Und das macht auch Sinn, weil der Kapitalismus darauf ausgelegt ist die Macht des Geldadels immer weiter zu steigern. Ohne einen Gemeinwohl-ökonomischen, sozialen ansatz, der sich vom Wachstum und der Zentrierung von Macht (Geld) verabschiedet, wird sich nix Grundlegendes ändern. Und grundlegend müsste sich so einiges ändern, um die nahende Klimakatastrophe wenigstens noch abzumildern. #SystemChange

    • @Okti:

      Sie wollen also alle Betriebe verstaatlichen?

    • @Okti:

      Das Problem ist, dass Sie in einer Demokratie Mehrheiten finden müssen um etwas wirklich zu ändern. Davon ist die Linke Lichtjahre entfernt.

      Und ob die Wende im momentanen Klima zum Thema Migration mit Carola Rackete gelingt, glaube ich eher nicht - im Gegenteil.

  • also alleine die Formulierung von Frau Demirel "antimuslimischer Rassismus" ist schon von der Begriflichkeit her schon mal kompletter Schwachsinn.. Soviel zum neuen inhaltlichen Programm der Linken.

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @db203:

      Wenn Sie irgendwas als "kompletten Schwachsinn" bezeichnen müssen Sie schon auch Gründe nennen. Sonst bleibt Ihr Einwurf ja selbst nur - "kompletter Schwachsinn" ;)

    • @db203:

      Eine solche Ausweitung des Rassismus-Begriffs ist aber bereits seit 10 (?) Jahren gang und gäbe.

  • Bei allem Verständnis - die Forderung nach einem "Waffenstillstand" bleibt so lange problematisch, wie nicht auch gesagt wird, was anschließend passieren soll.

    Keine linke Organisation darf sich davor drücken, zu sagen, dass jede Friedensregelung verbunden sein muss mit der vollständigen Entfernung der Hamas aus allen relevanten palästinensischen Strukturen.

    Oder hätten "wir" als Linke 1944 auch einen Waffenstillstand gefordert und die Nazis in Deutschland an der Macht gelassen?

    • @Plewka Jürgen:

      Es ist schon abwegig die Hamas mit den Nazis zu vergleichen. Das machen noch nicht einmal die Israelis.

      • @Frankenjunge:

        Fast schon ironisch, dass das von jemanden kommt der sonst so gerne die Ukraine und deren Bevölkerung gerne ein riesiges Nazi-Problem andichtet. Da wird die russische Propaganda eins zu eins übernommen, obwohl Russland viel mehr Staat ist, der mehr und mehr den Dritten Reich ähnelt.

        Und ja, Israel vergleicht die Hamas durchaus mit den Nazis, denn das Massaker vom 07.10. wird in Medien, Gesellschaft und Politik oft mit den Pogromen und Massenmorden jener Zeit verglichen.



        Deswegen wird es auch keinen dauerhaften Waffenstillstand geben. Die Hamas gehört zerschlagen und dauerhaft aus dem Gazastreifen vertrieben.

    • @Plewka Jürgen:

      Historisch haben viele Konflikte erst geendet, nachdem das gegenseitige Abschlachten so traumatisch war, das keiener mehr die Kraft aufbrachte, weiterzumachen. Ich bevorzuge Lösungen ohne Gewalt. Und ich glaube, wenn alle ihre gerechte Strafe vor Gericht erhalten könnten, wäre das am friedlichsten.

  • Ich wünsche den Linken Erfolg.



    Es wäre allerdings schön, wenn Sie, gerade im Osten, gegen die AfD argumentiert.



    Es hilft Nichts, wenn demokratische Parteien die wohlmeinenden Wählerstimmen unter sich aufteilen .



    Wer eine Brandmauer gegen Rechts will, muss die gemeinsam bauen und dem Maurer nicht die Steine wegnehmen.

    • @Philippo1000:

      Das Problem beim Gegenargumentieren gegen die AfD sowohl im Osten wie auch im Westen erschwert sich aus meiner Sicht gerade beim Thema Migration momentan zusätzlich noch für die Linke hier entsprechende Antworten zu liefern.

      Durch die Aufstellung von Carola Rackede als Kanditatin für das Europaparlament glaube ich da eher nicht das eine Befürworterin/Aktivistin für Flüchlinge in der momentan angespannten Debatte sowohl in der Politik wie auch in der Bevölkerung der Linken mehr Sympathiepunkte im kommenden Wahlkampf einbringen dürfte. Insbesondere da Sara Wagenknecht mit Ihrer Partei bereits angedeut hat das Thema Migration/Zuwanderung konsequenter anzugehen als bisher.

      • @db203:

        Da stimme ich Ihnen zu. Einfach ist es nicht.



        Allerdings ist ein "weiter so" bei der Linken ausgeschlossen.



        Die Partei hat sich gespalten .



        Das sehr einmütige Verhalten beim neuen Programm dürfte auch einer gewissen Schockstarre geschuldet sein.



        "Jetzt hat sie es ( doch) gemacht".



        Eine Neuerfindung einer Partei kann nicht aus Abnicken bestehen.



        Die Linke muss unter Beweis stellen, dass sie die



        " bessere Alternative" ist.



        Sie steht somit im direkten Widerstreit zum Wagenknecht Verein und der AfD, als derzeit größte " Opposition" im Osten.



        Die Hürde Europawahl ist relativ leicht zu nehmen.



        Da wird Frau Rackete besonders im Westen Stimmen ziehen. Um die Wurst geht es bei den ostdeutschen Landtagswahlen.



        Hier auf die Pauke der Ampelkritik zu setzen bringt nichts, das macht die AfD schon .



        Wir müssen uns gesamtgesellschaftlich schon gegen rechts zusammen raufen.



        Ansonsten landen wir ganz rechts außen.



        " Die da Oben sind Alle doof" ist zwar ein Wahlkampfweg, aber kein Weg in eine bessere Zukunft.



        Irgendwie hoffe ich noch, dass die deutliche Entwicklung nach Rechts aufgehalten werden kann.



        Konstruktives liegt mir mehr als Destruktives, Ampel Bashing ist mir zu billig.



        Wir " Linken" können es uns , besonders in der derzeitigen Entwicklung, nicht leisten und zu spalten. Die Suche nach Gemeinsamem muss vor dem Trennenden stehen.

      • @db203:

        Die Linke ist ein Angebot für Leute, die das ganze "wir müssen im großen Stil abschieben"-Geschwafel der letzten Wochen eklig finden. (Für die sich gerade sonst keine Partei zu interessieren scheint)

        Die anderen sollen Sahra Wagenknecht wählen. Das ist die Aufteilung, die hoffentlich allen gut tut.

        Insofern sehe ich das Problem (noch) nicht.