Linkspartei vor der Wahl in Bremen: Die letzte Chance
Im Bund ein Trauerspiel, im rot-grün-roten Bremen läuft es besser. Ein mieses Wahlergebnis wäre für die Linkspartei dramatisch.
K ristina Vogt steht auf der Bühne und blinzelt ins Scheinwerferlicht. Ein Abend in Bremerhaven, es sind noch neun Tage bis zur Wahl am 14. Mai. Vogt ist Wirtschaftssenatorin in Bremen und Spitzenkandidatin der Linkspartei. Auch Gregor Gysi ist in die Aula der ehemaligen Schule gekommen, Parteichefin Janine Wissler ebenfalls. Das ist viel Prominenz für Bremerhaven, den kleineren, unansehnlicheren Teil des Bundeslands. Ein Drittel der Menschen gilt hier als arm, so viele wie sonst nirgends in Deutschland.
Die Linkspartei ist im Bund in kläglichem Zustand. Sahra Wagenknecht droht mit Spaltung, Tausende sind seit dem Ukrainekrieg ausgetreten. Manche, weil sie das Nein der GenossInnen zu Waffenlieferungen für die Ukraine falsch finden, andere weil sie das Ja zu Sanktionen gegen Russland zu viel finden. Die Stimmung ist finster. Nur Bremen ist ein Lichtblick. Meine Partei, sagt Gysi, „braucht dringend ein Erfolgserlebnis“.
Dafür soll Kristina Vogt sorgen. Als sie zu reden beginnt, steht sie erst mal knapp neben dem Lichtkegel. Wie jemand, der Rampenlicht nicht so recht gewohnt ist. Hinter Vogt ist „dasneuerot“ zu lesen, der Wahlslogan der Linkspartei in Bremen. Alles kleingeschrieben.
Das mag assoziativ nahelegen, dass die SPD, die hier seit 77 Jahren regiert, das alte Rot ist. Aber auch das ist Florett, kein Degen. Politik ohne Großbuchstaben und mit einem gewissen Fremdeln vor Scheinwerfern – ist das das Erfolgsrezept der GenossInnen in Bremen?
Unverwüstliche Street Credibility
Vogt (57) hat lange im ärmeren, migrantischen Bremer Westen gewohnt, ist alleinerziehende Mutter, Fußballfan, war früher Kneipenwirtin und ist insofern mit einer unverwüstlichen Street Credibility ausgestattet. „Wir haben in der Krise schnell Maßnahmen ergriffen, die es sonst so nicht gab“, sagt sie vor gut 100 GenossInnen in Bremerhaven.
Sie fordert „ein Recht auf Qualifizierungsanspruch“ und lobt, dass wir „den Mindestlohn an den TV-L gekoppelt haben“. TV-L heißt Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder. Dass der Mindestlohn in Bremen für öffentliche Aufträge über 12 Euro liegt, könnte man auch ein bisschen knalliger formulieren. Vogt tut das nicht.
Die Rede ähnelt eher einem Rechenschaftsbericht als einer Wahlkampfrede. Auch wenn man die regionaltypische norddeutsche Kühle abzieht – die völlige Abwesenheit von rhetorischer Zuspitzung ist verblüffend. Oppositionsbashing? Das Klimaschutzpaket mit 2,5 Milliarden Euro, das Bremen bis 2038 klimaneutral machen soll, „würde es mit CDU und FDP nicht geben“, sagt sie. Mehr nicht. Kein Gut-Böse.
Die Linkspartei war in Bremen schon immer etwas Besonderes. Ein Labor. Hier zog 2007 die erste linke Fraktion in ein westdeutsches Landesparlament ein. Seit 2019 regieren die GenossInnen zusammen mit SPD und Grünen. Es ist die einzige Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Westen. Und die Bremer Linke ist der einzige Landesverband, der sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat. 70 Prozent, schätzt ein linker Funktionär, tragen den Pro-Waffenlieferungen-Kurs mit.
Nach der Veranstaltung steht Vogt im Türrahmen zum Hof. Draußen nieselt es, sie muss jetzt erst mal eine rauchen. Die FAZ hat sie mal „Super-Realo“ genannt. Ist das so? „Die Hybris, mit der ich in den 80er Jahren den Menschen die Welt erklären wollte, habe ich nicht mehr“, sagt sie. Und legt den Kopf schief. Der Gradmesser für ihre Politik seien ihre Nachbarn, Leiharbeiter, Verkäufer, Krankenschwestern. Die müssten trotz Inflation Perspektiven haben. „Wir haben den Blick der Leute, die wenig Geld haben.“ Deshalb habe man das Sozialticket auf Wohngeldbezieher ausgeweitet. Und den Ausbildungsfonds beschlossen.
Das klingt simpel, ist es aber nicht. Es fußt auf der Analyse, dass Angst und Wut für Linke keine brauchbaren Aggregatzustände sind, die Aussichten auf Verbesserung hingegen schon. Und die seien trotz Armut für den Nordwesten eigentlich günstig, sagt Vogt. Künftig würden hier der Strom der Offshore-Windparks und die Tanker mit Wasserstoff anlanden – und jede Menge Jobs entstehen. „Wenn die Leute Angst haben, werden sie wütend“, sagt sie. Dagegen helfen nur kleine, konkrete Schritte. Keine Fensterreden. Weiter kann man von der Empörungsbewirtschaftung à la Wagenknecht kaum entfernt sein.
Kristina Vogt, linke Spitzenkandidatin
Vogt und die linke Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard sind laut Umfragen hinter dem populären SPD-Regierungschef Andreas Bovenschulte und dem SPD-Fraktionschef die beliebtesten Politikerinnen in Bremen – vor den grünen SenatorInnen. Das verdankt sich einer Kombination aus Zufall und Können. Das Wirtschaftsressort rückte wegen der explodierenden Energiepreise ins Zentrum. Und als Bernhard 2019 das eher unbeliebte Gesundheitsressort übernahm, ahnte niemand, dass Corona anrollen würde.
Die Bremer Coronapolitik ist viel gelobt worden. Anstatt Ressentiment-Debatten über impfunwillige MigrantInnen abzuwehren, schickte man hier früh mobile Teams in ärmere Viertel. Das Ergebnis: Bremen lag im bundesweiten Vergleich bei der Impfquote ganz vorn. Ein eher ungewohntes Gefühl für die Hansestadt, die bei Bundesländervergleichen selten oben landet.
Bernhard, 62, sitzt nach der Veranstaltung in Bremerhaven auf einem Holzstuhl in einem Gang der ehemaligen Schule und sagt: „Wegen der Pandemie konnten wir Ressourcen herauskämpfen, die Gesundheit vorher nicht hatte. Zum Beispiel über 70 Stellen mehr im Gesundheitsamt.“ In Bremen kam viel zusammen, um die Krise zu bewältigen – bürgerschaftlicher Gemeinschaftsgeist und eben auch eine aktive Senatorin, die handfeste Lösungen wollte.
Fast überschwänglich klingt das Zeugnis, dass Matthias Fonger, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, der linken Gesundheitssenatorin ausstellt. Die habe „die Idee der Wirtschaft aufgegriffen, ein großes Impfzentrum einzurichten: Das war bundesweit einmalig.“ Das Krisenmanagement sei „völlig unkompliziert gewesen“, die Coronapolitik in Bremen „überdurchschnittlich gut“.
Dabei war der Start für Bernhard schwierig. Das Gesundheitsressort wurde 2019 neu zugeschnitten, Teile des Zentralbereichs fehlten. „Am Anfang bin ich durch leere Flure gelaufen“, sagt sie. Und manche in ihrer Partei waren auf die Senatorin anfangs auch nicht gut zu sprechen. Beim Parteitag 2021 attestieren ihr GenossInnen „rechte Politik“. Denn Bernhard wollte gut 400 Stellen in vier städtischen Krankenhäusern des Verbunds Gesundheit Nord (GeNo) streichen. Sie solle sich „schämen“, Personal im Gesundheitssystem abzubauen, hieß es.
Bernhard focht das nicht an. Man müsse den „exorbitanten Personalüberhang in der Verwaltung“ beseitigen. Es helfe nichts, „ein falsch strukturiertes System jährlich mit Millionen Euro zu schützen“. Damit würden die städtischen Krankenhäuser nur zur „reifen Frucht für eine Privatisierung“, sagt Bernhard.
Annette Düring war von 2009 bis Ende 2022 DGB-Chefin in Bremen. Ein wenig hat ihr in den vergangenen vier Jahren die oppositionelle Linksfraktion gefehlt, die sie bitten konnte, DGB-Anliegen in der Bürgerschaft einzubringen. Andererseits gibt es jetzt den Ausbildungsfonds, den die Gewerkschaften so lange gefordert hatten. Die SPD war nicht wirklich dafür, die Grünen eher dagegen. „Eine Zwangsumlage helfe nicht“, so die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen 2019.
Jetzt gibt es die Umlage: Sie ist als Fonds organisiert, der die Kosten der Berufsausbildung auf die Unternehmen im Land gerecht verteilen soll. Einzahlen müssen alle. Teuer wird das für Firmen, die, gemessen an ihrer Größe, nur wenige Azubis aufnehmen. Wer dagegen überproportional viel ausbildet, profitiert, so die Idee. Das soll gegen den Fachkräftemangel helfen und die Ausbildungsquote steigern.
„Unsinnig“, sagt Matthias Fonger, der für die Handelskammer spricht. Die Wirtschaft sei „geschlossen dagegen“. Es gebe eine vergleichsweise hohe Ausbildungsquote, und viele unbesetzte Lehrstellen. Das Konzept stamme aus einer Zeit, als es viele BewerberInnen für wenige Lehrstellen gab. Doch jenseits dieser Umlage fällt auch Fonger nur Gutes ein. Die Wirtschaftssenatorin sei „pragmatisch und anpackend“. Das habe „auch viele unserer Mitglieder überrascht, die eine ideologisierte Wirtschaftspolitik erwartet hatten“, sagt er.
Überhöhte Erwartungen
Der Zuspruch von DGB und Handelskammer mag gut tun. Aber Linke, die regieren, haben oft ein anderes Problem als mangelnde Akzeptanz. Sie scheitern häufig daran, nicht klarmachen zu können, was sie wollen, was sie können und was sie – Sachzwang – eben nicht können. Und an überhöhten Erwartungen der eigenen Klientel, die mitunter quer zum pragmatischen Regierungsgeschäft stehen.
In Bremen gab es neben der GeNo zwei, drei solcher Punkte. Kleine Punkte. Auf der Deichkrone sollen Platanen aus Gründen des Hochwasserschutzes gefällt werden. Eine Bürgerinitiative wehrt sich dagegen. Die Linkspartei, früher eher Verbündete solcher Bürgerinitiativen, vertritt den Regierungskurs.
Ähnliches gilt für den Streit über die Ansiedlung einer Bahnwerkstatt auf dem Gelände eines Gräberfelds von sowjetischen Kriegsgefangenen. Der Friedhof hätte 1948 aufgelöst, die Leichen umgebettet werden sollen – doch das geschah nur unvollkommen. Deshalb wehrt sich eine Initiative gegen die Ansiedlung der Bahnwerkstatt in ihrem ohnehin mit Schadstoffen und Lärm belasteten Stadtteil. Die Initiative will auf der Brache keinen Industriebetrieb, sondern eine Gedenkstätte. Allerdings lehnen das russische und das ukrainische Konsulat eine Gedenkstätte ab – und bevorzugen „eine würdige Umbettung“. Die Linkspartei ist für die Bahnwerkstatt.
Olaf Zimmer, Linkspartei-Abgeordneter in der Bürgerschaft, findet das falsch. „In der Regierung sind wir für diese Initiativen nicht mehr Verbündete, sondern Teil des Problems“, sagt er. Die einzige Opposition sei dann die CDU. „Das ist fatal.“ Zimmer, der sich auf Wahlplakaten als „unangepasst, kämpferisch, antikapitalistisch“ präsentiert, ist die Verkörperung der innerparteilichen Opposition. Er ist strikt gegen Waffenlieferungen, und, wie Wagenknecht, gegen Sanktionen.
Allerdings verdichtet sich die Kritik, dass die Linkspartei aus Koalitionsraison Ideale sausen lässt, nicht zu einer brauchbaren Verratsgeschichte. Gefällte Platanen taugen nicht als Sündenfall. Auch der linksoppositionelle Zimmer sagt kein böses Wort über die Regierungs-Linken. „Unsere Senatorinnen haben im Rahmen des Möglichen gute Arbeit gemacht. “
Zimmer hat, obwohl auf aussichtslosem Listenplatz gelandet, Chancen wieder in die Bürgerschaft zu kommen. Denn in Bremen haben die WählerInnen fünf Stimmen, mit denen sie auch Kandidatinnen nach vorn befördern können, die deren Parteien nicht unbedingt im Parlament sehen. Allerdings bereitet auch das den linken Realos in der Hansestadt keine schlaflosen Nächte. Eine Bremer Linken-Politikerin sagt, sie fände es eher besorgniserregend, wenn gar niemand mehr Kritik üben würde.
Wer solche Luxussorgen hat, muss um die innerparteiliche Geschlossenheit nicht fürchten. Ein ziemlich exotische Situation in der ansonsten zerstrittenen Bundes-Linken. Die Zweifel, ob sich das Experiment Regierung gelohnt hat, halten sich in Bremen in Grenzen. 78,5 Prozent der GenossInnen haben 2019 für den Koalitionsvertrag gestimmt. Anna Fischer, Co-Chefin der Bremer Linken, vermutet, es sind „eher noch mehr geworden“. Regieren fühle sich „ganz normal an“. Senatorin Bernhard hält das auch für einen Effekt der Erfahrung, die die GenossInnen auf der Straße am Infostand gemacht haben. Da hätten viele „von Passanten gehört, was eure linken Senatorinnen machen sei ja toll“. Das habe gewirkt.
Nützlich war auch, dass Rot-Grün-Rot passabel zusammengearbeitet hat. Der grüne Finanzsenator Dietmar Strehl fand die Linken „unproblematisch“. Obwohl man beim Geld weit auseinander ist. Die Grünen führten in Bremen eine besonders rigide Schuldenbremse ein, Linksparteichef Christoph Spehr attestierte ihnen damals ein „religiöses Verhältnis zur schwarzen Null“.
Die Verhandlungen um Finanzierungen der nötigen Coronahilfen war, so klagen manche Linke, zäh. Die linke Gesundheitssenatorin riet Klinikbeschäftigten, die vor ihrer Behörde demonstrierten, doch besser einmal vor dem Sitz des Finanzressorts zu protestieren. Ein kurzer Aufreger – nebst öffentlicher Entschuldigung danach. Dauerstreit wie bei der Bundesampel gab es nicht. „Beim Geldausgeben habe ich eine andere Grundhaltung als die Linken“, sagt Strehl. Doch mit den Linken, „mit denen ich in meinem Bereich politisch zusammengearbeitet habe, kann man reden“, so der grüne Senator.
Und die Linkspartei im Bund? Ihr letztes bekanntes Gesicht ist Gregor Gysi. Mit 75 und hat noch immer etwas Jungenhaftes an sich. Er gibt in Bremerhaven noch immer den pfiffigen Clown, der der Macht eine Nase dreht. Er spricht über den Ukrainekrieg, die Inflation, die Ampel und sagt: „Es gibt nur eine Regierung, die nicht überfordert wäre – eine unter meiner Leitung.“ Er streut Anekdoten aus seinem Leben ein und schafft irgendwie eine wärmende, familiäre Atmosphäre. Gysi ist wie ein alter Rock ’n’ Roller. Man hört die alten Hits gern noch mal. Aber so wie früher ist es nicht mehr.
Für Gysis Verurteilung von Putins Krieg gibt es viel Applaus, für den Satz, dass „die Grünen nichts anderes kennen als Verbote“ (früher Copyright FDP) weniger. Gysi war immer der Zentrist, der Versöhner. Wo er war, war die Mitte der Partei. Er ist noch da, die Mitte nicht mehr.
Als Janine Wissler ans Mikro tritt, wird es sofort doppelt so laut. Sie fordert eine Vermögensteuer, eine konsequente Klimapolitik, die Kindergrundsicherung, Politik für Geflüchtete und noch einiges mehr. „Wer von Armut redet, darf von Reichtum nicht schweigen“, sagt sie und rudert mit den Armen. Wissler hat mit vielem Recht. Aber sie hat in immer der gleichen Tonart Recht: laute Anklage gegen unfassbare Ungerechtigkeit. Vielleicht ergeben diese beiden Auftritte ein Bild der Krise der Linkspartei im Bund: der verblassende Charme der Opposition von früher, heute ein unpersönlich wirkendes Forderungsstakkato.
Mixtur aus Gefühlspazifismus und Steinzeit-Antiimperialismus
Szenenwechsel, Bürgerhaus Hannover Misburg, acht Tage vor der Wahl. Hier treffen sich rund 240 Wagenknecht-AnhängerInnen. Es ist der Teil der Partei, an dem Gysis Versuch, den Laden doch noch mal notdürftig zusammenzunageln, abprallt. Man liest hier junge Welt. Etwa die Hälfte ist über 70 Jahre, vielleicht ein Viertel ist jung. „Was tun?!“, steht in großen Lettern auf einem Banner. Eine Partei gründen – oder doch nicht?
Fast alle RednerInnen legen nahe, der Ukrainekrieg gehe auf das Konto der USA. Man müsse „zurück zu Marx und Engels, der Kriegspropaganda widerstehen“ und an die Tradition der Arbeiterbewegung erinnern. Das klingt mitunter wie ein DKP-Parteitag, bei dem sich der Raum zwischen der Bedeutungslosigkeit einer 0,1-Prozent-Partei und der Weltgeschichte immer mühelos durch Anrufung einer imaginären Arbeiterklasse überbrücken ließ.
Die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen behauptet, wie 1914 stehe „der Hauptfeind im eigenen Land“. 1914, soll das heißen, hat die SPD die Arbeiterklasse verraten, heute tue das die Linkspartei, die „an die Spitze der Kriegstreiber“ stehe. Die Linkspartei sei, so Ralf Krämer, der strategische Kopf des Ganzen, „der linke Flügel des herrschenden Blocks geworden“.
Die Reden verströmen eine Mixtur aus Gefühlspazifismus, der schon immer zur DNA der Linkspartei gehörte, und einem Steinzeit-Antiimperialismus, der seit dem 24. Februar 2022 in Trümmern liegt. Nur hier im Bürgerhaus Misburg mit Glasbausteinen, Kaffee mit Milch für 2 Euro und ausgehärteten Weltbildern hat er kratzerfrei überlebt.
Wenn man nach ein paar Stunden empörter Reden über Nato und Linkspartei-Verrat kurz die Augen schließt, kann man den Gedanken haben, dass nicht Putin die Ukraine überfallen hat, sondern die Nato Russland. Und Bodo Ramelow, Lieblingsfeind der Wagenknecht-AnhängerInnen, rollt gerade im Panzer nach Moskau.
Diese linke Opposition verbindet drei Ideen. Der Ukrainekonflikt sei ein Stellvertreterkrieg der Nato. Die wahren Bösen sind, egal was passiert, immer die USA. Außerdem setze die Linkspartei auf Identitätspolitik und Moralklimbim anstatt an der Seite der Arbeiterbewegung zu kämpfen. Dass StudentInnen einfach so Kreisvorsitzende werden, sorgt hier für ähnliches Entsetzen wie die Lieferung von Kampfpanzern an Kiew.
Wagenknecht zögert
Zudem hat man – dritter Identitätsmarker – zu Grünen ein frostiges Verhältnis. Das Problem ist: Eine Partei, die Putin für gar nicht so schlimm hält, Wokeness und Grüne verachtet, gibt es bereits. Man braucht schon etwas Fantasie, um sich eine AfD light plus Arbeiterklassenrhetorik plus „demokratischer und ökologischer Sozialismus“ (Ralf Krämer) als Erfolgsmodell vorzustellen.
Am Ende beschließt man, dass man nichts beschließt. Für die neue Partei müsste erst Wagenknecht wollen, aber die zögert und zögert. Dann müssten die 250 GenossInnen überlegen, ob sie auch wollen. Eine One-Woman-Show würde hier auf wenig Gegenliebe stoßen. Mit „mal sehen“ und „würde“ ist noch keine Partei gegründet worden. Klar ist nur: Wenn dies der Nukleus einer neuen Partei wird, hat er graue Haare und klingt nach gestern.
Cornelia Barth, 64, macht vor dem Bürgerhaus Misburg mal kurz Pause. Die Sozialarbeiterin war von 2017 bis 2022 Vorsitzende der Bremer Linken. Keine Berufspolitikerin, betont sie. Auf dem Podium hat sie gerade um fünf Stimmen für Olaf Zimmer geworben, damit einer, der Nein zum Kriegskurs der Linkspartei sagt, wieder in die Bürgerschaft kommt.
Bei der Bremer Linken vermisst sie „eine ehrliche Kommunikation“, und kritisiert, nun ja, die Abholzung der Platanen und die Ansiedlung des Bahnwerks. Und sonst? „Unsere Senatorinnen haben einen super Job gemacht“, sagt sie. Es ist nicht einfach, Bremer Linke zu finden, die sich wenigstens ein bisschen hassen.
Auch wenn man in Bremen GenossInnen nach dem Kampf zwischen Wokeness und Arbeitertraditionalisten fragt, der den Landesverband NRW gerade ruiniert hat, stößt man auf freundliches Desinteresse. Gesinnungsschlacht um das Gendern? Hat man von gehört. Beim neuen Gleichstellungsgesetz und der Berücksichtigung von trans Frauen hat es etwas geknirscht. Aber um daraus einen Kampf Gut gegen Böse zu machen, fehlte es an mit ausreichend Sendungsbewusstsein ausgestattetem Personal.
Was, wenn das nicht hilft?
Man kenne sich und treffe sich zu oft, um sich zu zerlegen, heißt es. Der Bremer Pragmatismus ist eine Haltung, in der auch die ideologischen Dum-Dum-Geschosse, die die Linkspartei derzeit zerfetzen, in Watte landen.
Im Bund liegt die Linke bei Umfragen zwischen 4 und 5 Prozent. In Bremen bei 9 Prozent. 2019 bekamen die Bremer Linken 11,3 Prozent. Das waren damals 4 Prozent mehr als der Bundestrend – und mehr wird schwierig. Kristina Vogt zitiert gern eine Umfrage, der zufolge 40 Prozent der WählerInnen sich nicht für Landespolitik interessieren. In der Straße, in er sie wohnt, wüssten manche nicht, wer Andreas Bovenschulte sei. Da ist es schwer, mit dem Sozialticket für WohngeldempfängerInnen zu glänzen.
Die Bremer Linkspartei hat viel richtig gemacht. Sie ist pragmatisch, aber nicht, wie früher manche PDS-MinisterInnen, vor allem auf Anerkennung durch die Etablierten erpicht. Sondern auf Unterscheidbarkeit. Es nutze nichts, so Landeschef Spehr, nur immer 1 Euro Mindestlohn mehr als die SPD zu fordern. Man müsse, so wie bei der Corona-Impfkampagne, „eine missionsorientierte Politik“ machen. Wendiger, veränderungswilliger als die SPD. Die Bremer Linke zeigt, dass kleinteilige Reformen mehr wert sind als großspurige Rechthaberei. Gregor Gysi sagt, dass man hier sehe, was die Linkspartei „ohne ideologisches Geschwätz“ erreichen kann.
Aber was, wenn all das am Wahlsonntag nicht hilft? Wenn auch Gebrauchswert zu haben und ruinöse Identitätsdebatten zu umschiffen, nichts nutzt? Dann würde sich eine ganz bittere Frage stellen: Wer braucht die Linkspartei noch? Gerade weil Bremen immer ein Labor war.
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