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Linkenparteitag in Halle„Wir brauchen eine Phase der Konsolidierung“

Der scheidende Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan will der Partei Zeit zur Reparatur geben – und im Europaparlament gegen den Rechtsruck kämpfen.

Zur Zeit noch Co-Vorsitzender der Linken: Martin Schirdewan Foto: Stefan Boness
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse

taz: Herr Schirdewan, beim Parteitag in Halle geben Sie den Co-Vorsitz der Partei Die Linke ab. Ist dies eine Konsequenz aus den herben Wahlniederlagen der letzten Zeit?

Martin Schirdewan: Es ist vor allem eine Konsequenz aus dem Fakt, dass wir die Erneuerung der Partei weiter vorantreiben müssen. Wir haben in den letzten Jahren, als ich Co-Vorsitzender war, gemeinsam mit Janine Wissler, eine ganz entscheidende Klarheit geschaffen für die Partei – durch die Trennung von Sarah Wagenknecht. Wir haben aber auch deutlich gemacht, wo sich die Partei weiterentwickeln muss. Ich halte das für einen guten Zeitpunkt, dass jetzt andere in der Steuer übernehmen und die Erneuerung vorantreiben.

dpa
Im Interview: Martin Schirdewan

geboren 1975, steht seit dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 gemeinsam mit Janine Wissler an der Spitze der Linkspartei. Im August 2024 kündigte er in diesem Amt seinen Rücktritt für Oktober an. Der in der DDR aufgewachsene Politikwissenschaftler gehört seit 2017 dem EU-Parlament an und ist dort Vorsitzender der Linken-Fraktion. Er gehört zum Reformerlager der Partei.

taz: Nach dem Bruch mit Wagenknecht wollten Sie Die Linke stärken. Stattdessen ist sie in Ostdeutschland halbiert worden – und das BSW profitiert. Was ist schief gegangen?

Schirdewan: Nach der Abspaltung der Personenkulttruppe um Wagenknecht haben wir 12.000 neue Mitglieder gewonnen, die wirklich Lust haben, Politik zu machen – und zwar linke Politik. Dass es aber erstmal nicht die besten Wahlergebnisse geben wird, war allen klar. Wir brauchen eine Phase der Konsolidierung, wir brauchen Zeit um Image und Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, die durch die ewigen Konflikte, die ja vor allem von der Gruppe um Wagenknecht in der Öffentlichkeit geschürt wurden, systematisch kaputtgemacht wurden.

taz: Sehen Sie eine persönliche Mitverantwortung? Eigene Fehler oder Schwächen?

Schirdewan: Ich stand an vorderster Stelle und natürlich bedeutet das auch, dass ich Verantwortung trage für das, was passiert ist. Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit den Wahlergebnissen, die auch Ausdruck von verschiedenen Schwachpunkten sind. Zum Beispiel programmatisch, wo wir Erneuerungsprozesse zu lange auf die lange Bank geschoben haben. Es reicht heute nicht dagegen zu sein. Wir müssen mehr als eine anti-neoliberale Sammlungsbewegung sein, uns glaubwürdig auf Seiten der Demokratie in Europa verorten und als sozialistische Gestaltungspartei für einen sozialen Politikwechsel im Bund eintreten.

taz: Im Europäischen Parlament, dem Sie angehören, sind die Linken nach der Europawahl im Juni zahlreicher geworden. Aber auch zersplitterter und isolierter. Was können Sie in dieser Lage überhaupt machen?

Schirdewan: Tatsächlich sind wir das linke Korrektiv hier im Europäischen Parlament zu dieser ganz großen Koalition, die von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Konservativen reicht – bis hin zu Parteien der Nationalkonservativen oder Rechten um Meloni, die ja alle die von der Leyen-Kommission stellen und tragen werden. Wir verstehen uns als eine Oppositionskraft, die die soziale Frage immer wieder thematisiert und immer wieder deutlich macht, dass zum Beispiel die doppelte Transformation, vor der die europäische Automobilindustrie gerade steht, also Digitalisierung und Nachhaltigkeit, nicht auf Kosten der Arbeitnehmenden gehen kann.

taz: Wie ist denn das Verhältnis zum BSW? Mit Fabio De Masi ist ja ein prominenter Ex-Genosse zurück im Europaparlament. Gibt es da Anknüpfungspunkte?

Schirdewan: Wenige. Im Vorfeld der Europawahl hat das BSW angekündigt, eine Fraktion zu gründen, das haben sie nicht geschafft. Im Ergebnis haben sie hier politisch kaum Einfluss. Inhaltlich gibt es im Moment auch keine Zusammenarbeit – und die muss es auch nicht geben. Heute gab es zum Beispiel Applaus von BSW-Abgeordneten für den Autokraten Viktor Orbán.Das zeigt doch deutlich, wo die politisch inzwischen stehen.

taz: Wie sieht es denn auf der anderen Seite aus – mit der sogenannten Brandmauer gegen rechts? Zuletzt hat die EVP mit den Rechtsradikalen eine Venezuela-Entschließung durchgebracht. Offenbar hält die Mauer nicht…

Schirdewan: Es gibt mehrere Beispiele dieser Art. So moderat und proeuropäisch sich die Konservativen in Deutschland auch darstellen: Die Politik, die hier gerade betrieben wird, ist wirklich eine andere, die im Grunde genommen auf Machttaktik basierend darauf aus ist, immer wieder Mehrheiten zu schmieden – und das eben auch völlig skrupellos mit teilweise offen faschistischen Parteien.

taz: Wie schätzen Sie denn die neue Kommission unter von der Leyen ein?

Schirdewan: Sie rutscht politisch immer weiter nach rechts. Die allermeisten Kommissare kommen aus der EVP. Es gibt keine grünen Kommissare, es gibt keine linken Kommissare und nur wenige Sozialdemokraten. Es sind auch Rechte dabei, wie Raffaele Fitto aus Italien, der von einer postfaschistischen Partei nominiert wurde. Und programmatisch setzt die neue Kommission offenkundig den Schwerpunkt darauf, die Interessen der großen Konzerne und ihrer Aktionäre zu bedienen, während die soziale Frage hinten runterfällt.

taz: Von der Leyen stand selbst gar nicht zur Wahl, versucht jetzt aber, die Macht in der EU vollständig an sich zu ziehen…

Schirdewan: Diese Machtkonzentration ist nicht gut. Wir haben jetzt schon ein Demokratiedefizit in der EU. Ich befürchte, dass sich das in den nächsten fünf Jahren noch vertiefen könnte.

taz: Hauptthema der EU scheint derzeit Migration: Da hört man wenig von Ihnen und der ehemaligen Spitzenkandidatin Carola Rackete. Dabei macht nun auch Deutschland seine Grenzen dicht. Was ist da los?

Schirdewan: Das stimmt nicht, ich habe mich sehr klar gegen die Grenzschließung gestellt, weil ich das für eine reaktionäre Kurzschlussbehandlung halte, die letztendlich eine der wichtigen Errungenschaften der Europäischen Union, die Bewegungsfreiheit auch der Arbeitnehmer, zu zerstören droht. Wir werden uns allerdings auch Fragen zu stellen haben, wie Integration gelingen kann, wie eine Migrationspolitik aussehen kann, die sich nicht immer weiter von rechts treiben lässt und die Menschenrechte achtet, die das Asylrecht nicht auf einen Müllhaufen der Geschichte entsorgt, so wie das ja im Moment alle anderen Parteien betreiben.

taz: Ist das derzeit vielleicht die größte Achillesferse der Linken?

Schirdewan: Nein, auf keinen Fall - es ist wichtig, dass es eine Partei gibt, die Völkerrecht, Menschenrecht und Asylrecht entschieden verteidigt. Aber wir müssen durchaus klarer werden bezüglich der Herausforderungen, die durch Migration entstehen. Die sind real und die kann man auch nicht leugnen: Integration in den Schulalltag und Arbeitsmarkt, die Integration in Kindergärten die Versorgung mit Wohnraum oder die Versorgung im Gesundheitssystem.

Deswegen sage ich, wir brauchen ein Einwanderungs- und Integrationskonzept als Partei, die drei Dinge zusammenbringt: Die Verteidigung des Rechts, andererseits aber auch die Stärkung der Kommunen in der Integration, und drittens die den Arbeitsmarkt öffnet für die Menschen, die zu uns kommen.

taz: Ihr Schwerpunkt liegt im Wirtschaftsausschuss. Die wirtschaftspolitische Debatte wird hier in Brüssel im Moment vom sogenannten Draghi-Bericht geprägt. Der frühere Zentralbankchef Mario Draghi sagt, ohne radikale Reform drohe der EU der Niedergang. Hat er Recht?

Schirdewan: In einem Punkt ja: Wir brauchen Investitionen – und zwar massiv. Er beziffert den Investitionsbedarf auf 800 Milliarden Euro pro Jahr in der gesamten EU. Aber den Weg über eine stärkere Kapitalmarktunion, die nur Riesenbanken und Finanzdienstleistern wie BlackRock dienen wird, und andererseits der Rüstungsindustrie, das wiederum halte ich für eine Schnapsidee. Da wird Draghi meine Unterstützung nicht finden.

taz: Aber die Analyse, dass die EU in einer tiefen Krise steckt und dass sie im Vergleich zu den USA und China zurückfällt, würden Sie teilen?

Schirdewan: Die ist tatsächlich richtig. In der Auseinandersetzung mit den beiden anderen großen industriellen Zentren USA und China fällt die EU gerade wegen des Investitionsstaus seit Jahren zurück und droht den Anschluss zu verlieren. Es droht der Niedergang ganzer Industriezweige, das muss man in aller Klarheit so benennen. An der Stelle hat Draghi recht.

taz: Beim Thema Ukraine wirkt die europäische Linke gespalten. Auch die deutschen Abgeordneten zeigen keine klare Linie.

Schirdewan: Ich bin der Überzeugung, dass eine moderne linke Friedenspolitik sowohl antimilitaristisch und gegen Aufrüstung sein muss und sich klar auf die Seite der Diplomatie stellen sollte. Aber gleichzeitig müssen wir auch das Völkerrecht und die Menschenrechte achten und Putin endlich an den Verhandlungstisch zwingen. Da gibt es aktuell keine einfache Lösung.

taz: Die Stichworte Waffenstillstand, Diplomatie oder gar Frieden hört man in Brüssel überhaupt nicht mehr. Warum treibt die Linke das nicht voran?

Schirdewan: In meinen Reden in den letzten zweieinhalb Jahren habe ich immer über Diplomatie geredet. Ich war auch der erste, der eine gemeinsame Initiative mit China angeregt hat, um zu Frieden zu kommen. Dafür bin ich schwer kritisiert worden. Natürlich muss eine Beendigung des Krieges das oberste Ziel sein.

taz: Das hat das Europaparlament aber nicht gefordert…

Schirdewan: Es ist derzeit keine Mehrheitsposition, sich für eine diplomatische Lösung des Krieges einzusetzen. Das war aber immer unsere Position, und die werden wir auch weiterhin aufrechterhalten, weil es keine militärische Lösung geben wird. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Und wir werden nicht umhinkommen, immer weiter darüber nachzudenken, wie entsprechende diplomatische Initiativen befördert werden können.

taz: Wären das nicht Berührungspunkte mit dem BSW?

Schirdewan: Die können gerne so abstimmen wie wir. Aber sie applaudieren lieber öffentlich Putins Kumpel Orbán und erweisen einer ernstgemeinten Friedenspolitik einen Bärendienst.

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