Linken-Politiker über Europapolitik: „Das ist eine sehr deutsche Debatte“
Fabio De Masi gehört zu den EU-Skeptikern der Linkspartei. Von den Plänen seiner Genossen für eine „Republik Europa“ hält er nicht viel.
taz: Herr De Masi, Sie haben kürzlich mit Ulrike Guérot im Berliner Ensemble diskutiert. Frau Guérot will eine Republik Europa, die die Nationalstaaten überwinden soll. Ist das deutscher Idealismus, so zu denken – große Entwürfe zu machen und zu hoffen, dadurch alle Probleme zu lösen?
Fabio De Masi: Ja, das ist eine sehr deutsche Debatte. Eine europäische Regierung hatten wir in der Eurokrise. Sie hat in Griechenland durchregiert und Löhne und Renten gekürzt. Die EU hat mehr Kompetenzen als früher, aber die Le Pens sind stärker geworden und der Brexit kommt. Ich befürchte, eine europäische Republik würde Nationalismus stärken, nicht schwächen.
Aber Guérots Vorstellung ist: Es gibt dann ein Europaparlament mit europaweiten Listen, das alles entscheidet.
Das hieße: one person, one vote. Dann wären kleinere Länder nicht mehr im EU-Parlament vertreten, weil ihre Bevölkerungszahl zu klein ist. Deutschland wäre mächtiger. Eine Republik hieße auch ein EU-Haushalt, der nationale Haushalte ersetzt. Da Deutschland aber die größte Volkswirtschaft ist, würden deutsche Finanzminister Italien oder Griechenland regieren. Aber Italiener oder Griechen haben Angela Merkel oder Olaf Scholz nicht gewählt.
Deutschland gäbe es dann ja vielleicht gar nicht mehr.
Die Interessen von BMW und Deutsche Bank sind nicht weg, nur weil Brüssel entscheidet. Es geht um Demokratie, nicht um Deutschland. Die Wallonie könnte bei Konzernschutzabkommen wie Ceta kein Sand ins Getriebe streuen und der Bundestag nicht mehr über Militäreinsätze befinden.
Nun hat das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) Ihrer Partei für den Europaparteitag am Wochenende einen Änderungsantrag eingereicht, der eine Republik der europäischen Regionen fordert, ähnlich wie Guérot. Will das FDS polarisieren?
Wir brauchen Debatten. Parteitage müssen große Fragen diskutieren. Alles andere wäre langweilig.
ist Vize-Fraktionschef der Bundestags-Linken und war im Europaparlament.
Viele Mitglieder der Linken sind EU-skeptisch, jetzt soll plötzlich das Bekenntnis zur Republik Europa im Europawahlprogramm stehen.
Solche Anträge sind Lametta, um die eigenen Kandidaten auf die Liste zu bekommen. Das muss man sportlich nehmen.
Wie finden Sie die FDS-Vorschläge inhaltlich?
Die meinen das ja nicht ernst. Einige lehnen im Unterschied zu mir die Forderung nach neuen EU-Verträgen ab. Wie soll dann eine Republik Europa gehen? Olaf Scholz hat kürzlich gesagt, wer eine echte Finanztransaktionsteuer fordere, sei ein Nationalist. Er wolle eine europäische Einigung – weshalb er sich mit Frankreich auf die Mini-Aktiensteuer einigte. Dabei hatte die Bundesregierung versprochen, notfalls alleine voranzugehen. Ein guter Europäer ist, wer Interessen von 500 Millionen EU Bürgern vertritt und nicht die Interessen der Pariser Börse. Das ist doch die Debatte, nicht mehr Europa.
Das FDS möchte auch den Satz „Die nationalstaatlichen Egoismen sind nach wie vor ungebrochen, und in ihrem Drang nach Dominanz sehen wir die Wurzel des Übels“ ins Wahlprogramm geschrieben haben. Stimmen Sie dem zu?
Es geht um oben und unten. Das portugiesische Verfassungsgericht hat die Rentenkürzung der Troika kassiert. Das war Notwehr, kein Nationalismus! Oder umgekehrt: Die Bundesregierung sagt „Europe United“ bedeute, man könne in einem Binnenmarkt nicht die nationalen Verbote von Rüstungsexporten an Saudi-Arabien durchsetzen. Man kann eine Europafahne auf den Panzer stecken, es bleibt ein Panzer.
Aber die deutsche Dominanz in Europa wollen Sie doch auch beenden.
Ja, aber ich will ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa. Der deutsche Wirtschaftsnationalismus wurde im Euro sogar stärker. Man überwindet die deutsche Macht in der EU nicht automatisch, indem man Brüssel über Löhne, Renten und Sozialsysteme entscheiden lässt. Beim Eurobudget sagen deutsche Finanzminister: Geld gibt es nur, wenn ihr die Löhne oder Renten kürzt. Italien sagt, wir wollen kein Geld aus Brüssel, sondern uns mehr Geld am Finanzmarkt leihen dürfen, um mehr zu investieren. Deutschland ist bereit, Italien Geld zu geben, will aber nicht, dass sich Italien woanders Geld leiht. Warum? Weil Deutschland nur so Lohn- und Rentenkürzungen durchsetzen kann.
Wie würden Sie Ihre europapolitische Linie beschreiben?
Die EU kritisieren, weil ich überzeugter Europäer bin. In der Steuerpolitik brauchen wir mehr Europa. Aber wir müssen die kommunale Infrastruktur gegen den EU-Binnenmarkt genauso verteidigen wie bei den Protesten gegen Ceta. Das ist kein Widerspruch. In den drei Jahren, in denen ich im EU-Parlament war, haben mir Kollegen der anderen Fraktionen nie vorgeworfen, dass ich Europagegner sei.
Im Gegensatz zu Parteikollegen?
Entschieden wird auf dem Platz. Konkret: bei der Reform der Eurozone, der Durchsetzung von Steuergerechtigkeit, der Reform des Wettbewerbsrechts oder der Finanzierung von Investitionen über die EZB bzw. die Investitionsbank, um Klimawandel und Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Was geht da nur mit, und was geht da ohne Änderung der EU-Verträge? Da höre ich wenig.
Mir sagen Kollegen, die Republik Europa sei wenigstens eine Vision. Was ist Ihre?
Meine Visionen sind konkret, um das Leben der Europäer zu verbessern. Eine europäische Bankentrennung statt eine Fusion von Zombies wie Deutsche Bank und Commerzbank, die Steuerzahler in der Krise wieder erpressen. Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen, damit Amazon und Google nicht weiter Steuern in der EU drücken. So könnten Deutschland und Frankreich schon heute Mindeststeuern für Konzerne durchsetzen. Abrüstung und einen Green New Deal statt Aufrüstung, die neue Fluchtursachen schafft. Schutz von Tariflöhnen, egal woher das Unternehmen kommt. Soziale Rechte müssen vor den Freiheiten der Unternehmen im Binnenmarkt stehen. Die Menschen in Frankreich demonstrieren gegen einen Präsidenten der Reichen, nicht für die Republik Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich