Leistungen für Geflüchtete: Bezahlkarte ausgetrickst
Eine Hamburger Initiative hebelt das Limit bei der Bezahlkarte aus, indem sie Gutscheine gegen Bargeld tauscht. In München ahmt man das bereits nach.
Ihr Konzept ist simpel und legal: Wer eine Bezahlkarte hat, kann bei Supermarkt- oder Drogerieketten Gutscheine kaufen und sie zweimal im Monat im „Café Exil“, einer Beratungsstelle unweit der Hamburger Ausländerbehörde, in Bargeld wechseln. Umgekehrt können alle, die sich mit den Asylsuchenden solidarisieren wollen, bei der Initiative Gutscheine gegen Bargeld tauschen.
Zahra* nutzt diese Möglichkeit regelmäßig. Sie ist aus Afghanistan geflüchtet und lebt in Hamburg. Eine „SocialCard“ steckt in ihrem Geldbeutel, so heißt die Bezahlkarte hier. Sie ähnelt von der Funktionsweise einer Debit-Kreditkarte. Statt Leistungen bar oder auf ein Konto auszuzahlen, bekommen Asylsuchende die Karte, die an die Kreditkartenanbieter Visa oder Mastercard gekoppelt ist.
Die Funktionen der Karte können auf bestimmte Regionen begrenzt werden, Geld abheben kostet Gebühren, für Onlinekäufe ist sie gesperrt und Überweisungen müssen einzeln genehmigt werden oder sind – wie in Hamburg – pauschal nicht möglich. Mit Hamburgs „SocialCard“ kann man zum Beispiel in Geschäften bezahlen, die Visa akzeptieren.
Hamburg als Vorreiterin bei der Bezahlkarte
Die Karte werde aber oft nicht akzeptiert, berichtet Zahra: nicht in kleinen Läden, die afghanische Lebensmittel oder gebrauchte Kleidung anbieten, im Café nicht und auch nicht bei der Post. „Oder ich muss eine Transaktionsgebühr zahlen“, sagt sie. Auch könne sie kein Guthaben auf ihr Handy laden, die wichtigste Brücke zu ihren Angehörigen. Sie geht daher jeden Monat zu einem der zwei Termine ins „Café Exil“, um Supermarktgutscheine gegen Bargeld zu wechseln. Dolmetscherinnen helfen, Flyer auf Arabisch, Farsi und Englisch erklären das Tauschkonzept.
Sprecherin der Hamburg Initiative „Nein zur Bezahlkarte“
Im Rahmen eines Pilotprojekts hat Hamburg im Februar 2024 als erstes Bundesland die Bezahlkarte für Asylsuchende eingeführt. Mehrere Bundesländer zogen nach. Im April hat dann der Bundesrat die gesetzliche Grundlage der Karte gebilligt.
Befürworter*innen versprechen sich von der Karte Bürokratieabbau und die Unterbindung von Zahlungen an Verwandte im Ausland. Belastbare Zahlen, wie viel Geld Asylsuchende tatsächlich ins Ausland verschicken, gibt es nicht. Kritiker*innen sehen in der Karte darum vor allem schikanierende Symbolpolitik.
„Was es braucht, ist vor allem Verbindlichkeit“, erklärt eine Aktivistin der Initiative „Nein zur Bezahlkarte“ auf der Demo in Harburg: Orte und Zeiten, auf die Betroffene sich verlassen können. Und etwas Kulanz vonseiten derer, die ihr Bargeld gegen Gutscheine tauschen: Vielleicht gibt es mal nicht die gewünschte Gutscheinsorte, vielleicht muss man mal zwei Wochen auf den Gutschein warten. Aber insgesamt sei das Prinzip einfach und es funktioniere: „20.000 Euro Bargeld haben wir alleine im August umgetauscht“, verkündet eine Sprecherin der Initiative auf der Demo.
Die Idee stammt von Aktivist:innen
Die Idee zum Tauschkonzept hatte Sadia. Sie ist aus Somalia geflohen und engagiert sich in der Hamburger Gruppe „Nina“ für die Rechte und Lebensbedingungen von Asylsuchenden. Seit Februar berichteten ihr immer mehr Bekannte von Problemen mit der Bezahlkarte: Die Karte sei unpraktisch, das Bargeld reiche nicht. Außerdem sei sie oft gesperrt und es dauere teils monatelang, bis Geld darauf geladen werde.
Sadia beratschlagt mit ihrer Gruppe, will etwas tun, um Betroffene zu unterstützen. Am Ende gründen sie mit anderen Aktivist*innen die Tausch-Initiative. Eine Münchener Gruppe hat das Konzept bereits übernommen. Auf der Demo in Harburg schiebt Sadia zwei Kinder mit Ohrenschützern im Kinderwagen. Als sie anfangen zu quengeln, kauft sie ihnen bei einem Imbiss ein Stück Pizza. Auch dafür braucht man Bargeld.
„So wie die Bezahlkarte ausgestaltet ist“, erklärt Sarah Lincoln, „ist sie rechtswidrig“. Die Juristin ist in der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) aktiv und seit 2023 stellvertretende Richterin am Hamburger Verfassungsgericht. Im Juli 2024 haben die GFF und „Pro Asyl“ Betroffene bei Klagen vor dem Sozialgericht in Hamburg und Nürnberg unterstützt. In drei Eilverfahren wurde entschieden, dass das 50-Euro-Bargeldlimit mit dem Grundrecht der Antragssteller*innen auf ein menschenwürdiges Existenzminimum im Widerspruch steht. Ein viertes Verfahren wurde als nicht eilbedürftig abgewiesen.
„Die pauschale 50-Euro-Grenze geht so nicht“, erklärt Lincoln. Stattdessen müssten die Behörden den Bargeldbedarf im Einzelfall prüfen. Weil außerdem jede Überweisung einzeln freigegeben werden müsse, sieht Lincoln das Argument der Verwaltungsentlastung durch die Karte als widerlegt: „Man hat ein Bürokratiemonster geschaffen.“
Bezahlkarte grundrechtswidrig
Die Grundrechtswidrigkeit ergibt sich laut Lincoln aus den Restriktionen: Vieles, das zum Existenzminimum gehöre, könne man mit der Karte nicht kaufen oder nur sehr viel teurer. Auch kulturelle Teilhabe wie Vereinsmitgliedschaften oder Taschengeld für Kinder könne man nicht gewährleisten. Mit der Bezahlkarte müsse man damit de facto unter dem Existenzminimum leben. „Wer richtig profitiert“, kritisiert die Juristin, „sind Visa und Mastercard“.
Die Hamburger Sozialbehörde zeichnet ein anderes Bild: Die Karte werde gut angenommen, Betroffene seien erleichtert, ihr Geld so unkompliziert zu erhalten. Da sie damit nicht mehr bei den bezirklichen Kassen Bargeld abholen müssen, werde an dieser Stelle auch die Verwaltung entlastet. Man sei also „sehr zufrieden“.
Die Demonstrierenden in Harburg fordern statt der Bezahlkarte ein kostenloses Basiskonto ohne Einschränkungen. Auch Sarah Lincoln befürwortet das: Die Bezahlkarte sei unnötig. Schließlich habe in Deutschland jede Person das Recht, ein Konto zu eröffnen.
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