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Lebenslange Haft für Berliner RaserRasen ist kein zulässiger „Lifestyle“

Das Berliner Landgericht verurteilt zwei Raser im Revisionsverfahren erneut zu lebenslänglich – wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln.

Der Unfallort in der Tauentzienstraße, Berliner Ku'Damm, vor über drei Jahren im Februar 2016 Foto: dpa

Berlin taz | Hamdi H., 30, grinst fassungslos in die Luft, Marvin N., 27, starrt, nach außen teilnahmslos, auf den Boden, als der Vorsitzende Richter der 32. Strafkammer des Berliner Landgerichts, Matthias Schertz, am Dienstag Mittag das Urteil bekannt gibt: erneut lebenslänglich für die Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes infolge eines Autorennens in der Berliner Innenstadt in der Nacht vom 1. Februar 2016. Damit folgt das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft in wesentlichen Punkten.

Der Fall der „Ku’damm-Raser“ schrieb und schreibt Rechtsgeschichte. Zum ersten Mal hatte 2017 ein Gericht zwei Raser wegen Mordes verurteilt, der Bundesgerichtshof allerdings hob das Urteil als schlecht begründet ein Jahr später wieder auf. Die 32. Strafkammer, die den Fall seit November 2018 neu verhandelte, musste nun also seine Sichtweise wohl überlegt begründen und darüber entscheiden: War es Mord oder fahrlässige Tötung? Handelten Hamdi H. und Marvin N. bedingt vorsätzlich und nahmen die Gefahr in Kauf oder blendeten sie das Risiko schlicht aus?

Das Berliner Landgericht sieht den „bedingten Tötungsvorsatz“ als erwiesen an. Es sei der Kammer klar, dass die Angeklagten nicht mit Absicht gehandelt hätten, sagt Richter Schertz in seiner Urteilsbegründung, doch mit grober oder bewusster Fahrlässigkeit habe ihr Verhalten „nichts mehr zu tun“ gehabt. „Die Angeklagten haben mit dem Leben der anderen gespielt.“

Schertz zeichnet ein eher negatives Bild der beiden Angeklagten, die „selbstverliebt und rücksichtslos“ gehandelt und Rasen „als Lifestyle“ empfunden hätten. Aus einem anfänglichen Stechen habe sich das Wettrennen entwickelt, keiner von beiden hätte hinnehmen wollen zu verlieren, sie ignorierten rote Ampeln und rasten mit bis zu 160 Stundenkilometern – „wissend, dass man bei solcher Geschwindigkeit nicht mehr reagieren kann“, sagt Schertz. Ihre Fahrzeuge wurden „förmlich zu Projektilen“.

Sohn des Verstorbenen zeigt sich zufrieden

Der Audi von Hamdi H. bohrte sich in den rechts einbiegenden Jeep von Michael Warshitsky und schleuderte ihn 70 Meter weit, der 69-jährige Arzt im Ruhestand hatte keine Chance. Sein Sohn Maximilian, der im Prozess als Nebenkläger auftrat, zeigt sich nach der Urteilsverkündung „zufrieden“. Es sei „ein hartes Urteil“, sagt er, „aber gerecht“.

Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Urteilsbegründung den zu spät angesetzten Zeitpunkt des bedingten Tötungsvorsatzes moniert. Hier baut das neue Urteil nun vor. Es stützt sich dabei auf die Aussage des technischen Experten, dass die beiden Angeklagten circa 90 Meter vor der Unfallstelle noch hätten bremsen können. Marvin N. hätte sogar einen Moment den Fuß vom Gaspedal genommen, das haben die Auswertungen des Sachverständigen ergeben, um dann trotz roter Ampel Vollgas zu geben.

Die 32. Strafkammer sieht damit den bedingten Vorsatz auch für N. gegeben, obwohl H. derjenige war, der mit dem Jeep kollidierte. Das Argument des Sachverständigen, dass N. damit „das einzig Richtige“ getan hätte, nämlich durchzustarten, weil Bremsen nicht mehr geholfen hätte, ignoriert das Gericht. Die Verteidigung wird in Revision gehen.

Wäre es zu dem Verfahren auch bei der neuen Rechtslage von Paragraf 315d gekommen, der Raserei seither unter Strafe stellt? Ja, sagt Richter Schertz, ein solcher „Extremfall“ würde auch in Zukunft dazu führen, den bedingten Tötungsvorsatz, also Mordvorwurf, zu prüfen. Der Kammer sei bewusst, dass es für die beiden Angeklagten ein hartes Urteil sei. 15 Jahre. „Aber ganz perspektivlos ist es nicht.“ Vorzeitige Lockerungen seien denkbar. Und die Führerscheinsperre gilt schließlich nur für fünf Jahre.

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44 Kommentare

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  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    Ob Knast hilft?



    Z.B. gegen toxische Männlichkeit, oder Doofheit?

    • @94797 (Profil gelöscht):

      "Ob Knast hilft? Z.B. gegen toxische Männlichkeit, oder Doofheit?"



      Dagegen hat Knast leider noch nie geholfen, aber frei rumlaufen lassen geht ja nu auch nich, ne?!

      • 9G
        94797 (Profil gelöscht)
        @Frau Kirschgrün:

        Wohl wahr

        • @94797 (Profil gelöscht):

          Leider laufen jede Menge dieser Irren frei rum. Hier ein Beispiel aus der Lokalpresse, der Mann wird immer wieder, inzwischen längst ohne Führerschein, beim Rasen erwischt, baut Unfälle mit Verletzten,

          www.mannheim24.de/...ebook-7342689.html

          was kam raus? ein Jahr auf Bewährung plus zwei Jahre Führerscheinsperre.



          Würde er immer wieder in Supermärkten Rasierklingen in Äpfel stecken, wäre er längst in Sicherheitsverwahrung. Aber so müssen wir halt warten, bis es Tote gibt. Und selbst dann werden die Autoterroristen krakeelen, dass man ihn ja wieder laufen lassen soll.

          • 9G
            94797 (Profil gelöscht)
            @Renate:

            Genau. Diese Irren in Politik und Wirtschaft mit gleicher Persönlichkeitsstruktur, wie die beiden verurteilten Raser sind grade dabei , unseren Planeten gegen die Wand zu - fahren (sic).



            Und keiner kommt auf die Idee , die zu verurteilen.

  • Bei aller Skepsis darüber, ob der Mordvorwurf juristisch haltbar ist, trifft doch hier der niedere Beweggrund zu. Daher finde ich das Urteil durchaus angemessen und hoffe, dass andere Blechneurotiker den Bezug zur Realität wiederfinden.

  • Wer denken kann, dürfte in der Lage sein sich das Wissen anzueignen, dass bei einer Geschwindigkeit von (mehr als) 160 kmh die Chancen ein unerwartetes Hindernis auszuweichen sehr gering ist.

    Wer denken kann, dürfte in der Lage sein sich das Wissen anzueignen, dass innerhalb einer geschlossenen Ortschaft jeder Zeit ein unerwartetes Hindernis auftauchen kann.

    Wer denken kann, dürfte in der Lage sein sich das Wissen anzueignen, dass eine die Farbe "Rot" zeigende Ampel bedeutet, dass möglicherweise ein anderen Verkehrsteilnehmer den Weg kreuzen wird.

    Zählen wir die Ergebnisse jetzt zusammen:

    Wer denken kann, müsste in der Lage sein zu verstehen, dass bei eine Geschwindigkeit von (mehr als) 160 kmh innerhalb einer geschlossener Ortschaft eine die Farbe "Rot" zeigende Ampel bedeutet, dass sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein anderen Verkehrsteilnehmer den Weg kreuzen wird,

    Damit ist, jedenfalls für jemanden der denken kann, der bedingte Vorsatz gegeben, es wird billigend in Kauf genommen, dass es zu einem Unfall kommt.

    Jedenfalls, solange wie das Denkzentrum nicht ca. einen Meter unter dem Kopf angesiedelt ist und man zur Kompensation ein großes Auto benötigt.

  • "Ein Tötungsvorsatz läßt sich hier nicht konstruieren."

    Das sah der bgh andsers: bedingter Vorsatz grundsätzlich möglich - nur nicht genügend begründet.

    Mit 170 Sachen durch die Innenstadt und über rote Ampeln. Man weiß, das manche Menschen dann fahren, wenn sie grün haben und man weiß, dass bei 170 der Bremsweg länger ist als die Strecke, die man einsehen kann.

    Problematischer als der Vorsatz scheint mir die Versuchsproblematik zu sein. Wenn jetzt nichts passiert wäre, wäre die Tat dann trotzdem als Mordversuch zu werten?

    Mord passt da auch vom Strafrahmen her nicht.

  • Auch dieses Urteil wird rechtsunwirksam sein. Die Definition für Mord ist eindeutig und darunter fällt dieser Fall gewiss nicht. Das Gericht müsste das wissen.

    Es kann nicht angehen, daß sich ein Gericht als Tribunal und Gesetzgeber aufspielt.



    So tragisch und empörend dieser Fall auch ist, ist und bleibt es Aufgabe des Gesetzgebers, solche Fälle im Strafrecht zu verankern.



    Gerichte dürfen jedenfalls das Recht nicht nach gutdünken beugen. Sonst hat man bald wieder Freislersche Strafgerichthöfe. Wollen wir das?

    • @Unvernunft:

      Bitte erleuchten Sie uns Unwissende über „eindeutige Definition“ von Mord. Außer Fernsehkommissaren dürfte die nämlich keiner kennen.

      Abgesehen davon, dass es sich bei Mord um einen juristischen Tatbestand mit Tatbestandsmerkmalen handelt, welche Definitionen erst zugänglich sind, streitet sich die Strafrechtswissenschaft seit Jahren und Jahrzehnten gefühlt um jedes Komma des Mordparagraphen.

      Sollte es hierfür eine allgemein gültige und klare Definition geben, wäre das ein paar hundert s Professoren und ein paar tausend Richtern sicherlich aufgefallen.

      Mit Verlaub: Hobbyjuristen sollten sich mit Verdikten in Richtung Freisler zurückhalten

    • @Unvernunft:

      "Gerichte dürfen jedenfalls das Recht nicht nach gutdünken beugen." Das richtig und darf auch nicht geduldet werden.



      Der Recht sprechende Richter*in ist aber unabhängig und dem Gesetz und dem Gewissen verpflichtet.



      Unter



      www.juraforum.de/lexikon/mord



      kann m. E. diesem Urteil zugestimmt werden.



      "Die sonstigen niedrigen Beweggründe liegen vor, wenn die Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen. Ob das gegeben ist, beurteilt sich nach der Gesamtwürdigung des Einzelfalles."



      M. E. dürfte das Urteil wirksam bleiben.

  • Das Urteil wird mit ziemlicher Sicherheit vom BGH wieder einkassiert, da es andernfalls für gewaltige Rechtsunsicherheit sorgen könnte.

    Ein Tötungsvorsatz läßt sich hier nicht konstruieren. Selbst vom Vorwurf der "bedingten Tötungsabsicht" wird wenig übrig bleiben, da den Tätern hierzu nachgewiesen werden müßte, daß sie sich vollends ihrer Handlungen und aller möglichen Konsequenzen daraus bewußt waren - und zwar zum Zeitpunkt der Tat. Hätte man im Nachhinein einen Gesprächs- oder Chatverlauf gesichert, bei dem einer der Raser den anderen vor der Gefährdung warnt - wäre der Nachweis sehr einfach gewesen. Gab es aber nicht. Daher blieb dem Gericht nur über, sich an diesen einen Moment zu klammern, kurz vor der Kreuzung, in welchem die Täter - wie es heißt - kurz vom Gas gingen. Diesen Moment als Zeugnis der (Selbst)erkenntnis zu deuten, geht aber zu weit.

    Hier beißt sich die Rechtslage mit dem Empfinden der Öffentlichkeit. Oft hört und liest man das Argument, die Täter hätten(!) sich der Auswirkungen ihres Handelns bewußt sein können oder müssen. Klingt logisch, ist aber juristisch nicht ausreichend. Selbst in der Urteilsbegründung stecken Hinweise darauf, daß die Täter keine detaillierte Risikobewertung vorgenommen haben. Der Richter nannte die Handlungen "selbstverliebt". Selbstverliebte stellen ihre Interessen über die ihrer Mitmenschen - sie geben ihrer eigenen Existenz einen erhöhten Stellenwert und handeln daher in aller Regel nicht (bewußt) selbstgefährdent oder gar suizidal.

    Das schon oft bemühte Beispiel des blind in der Fußgängerzone herumballernden Schützen hinkt, da hier kein Risiko der Selbsttötung gegeben wäre.

    • @Walter Sobchak:

      Hat nicht einer der Täter zu seiner Beifahrerin über den anderen gesagt: "Der fährt wie ein Verrückter?" Das bedeutet, dass seine Einsicht in die situativen Verhältnisse, nämlich dass man in der Innenstadt ohne Fremdgefährdung keine 170km/h fahren kann, keineswegs ausgeblendet war. Beide Täter sind Autofreaks, die sehr wohl über Beschleunigungs- und Bremsmöglichkeiten Bescheid wissen und die Bedeutung von Ampeln (Querverkehr!) kennen. Was soll die Männer denn daran gehindert haben, in diesem Moment einsichtsfähig zu sein? Blutrausch gilt als Erschwernis-, nicht als Milderungsgrund. Der Wunsch nach Steigerung des Selbstwert- und Machtgefühls blendet die Einsichtfähigkeit in die Fremdgefährdung keinesfalls aus, sondern ergibt sich gerade aus ihr. Welche Risikobewertung soll man jemandem, der in der Innenstadt mit 170 km/h über rote Ampeln rast, noch zugestehen? Dass dies hochrisikohaftes Verhalten ist, lernt man in jeder Fahrschule! Was die Eigengefährdung betrifft, sehe ich nicht, wie sie die Fremdgefährdung entkräften könnte.

      • @EricB:

        Selbst die Erkenntnis einer grundsätzlichen Fremdgefährdung reicht nicht, um eine Tötungsabsicht nachzuweisen. Die erwähnte Aussage bleibt abstrakt."Das ist ja lebensgefährlich" wäre hingegen konkret.



        Die Eigengefährdung scheint mir sehr wohl relevant. Hätte einer der Täter vorab einen Abschiedsbrief (für den Fall seines Dahinscheidens) hinterlassen, wäre der Beweis einer vollumfänglichen Einsicht - auch der lethalen Fremdgefährdung - erbracht und die "bedingte Tötungsabsicht" nachgewiesen.



        Blutrausch ist noch einmal etwas anderes, dazu hätte es unmittelbar zuvor bereits zu einer Tat mit Verletzten oder Toten kommen müssen.

        "Welche Risikobewertung soll man jemandem, der in der Innenstadt mit 170 km/h über rote Ampeln rast, noch zugestehen?"



        Eben das ist der Knackpunkt. Der Verweis auf "gesunden Menschenverstand", auf "1 und 1 zusammenzählen" ist juristisch unbedeutend. Davon abgesehen war zum Zeitpunkt der Tat, das ist relativ offensichtlich, kein "gesunder Menschenverstand" mehr vorhanden.



        Die Verteidigung hat vorgebracht, daß ihre Mandanten darauf setzten, es werde schon alles gut gehen. So realitätsfern diese Annahme in Anbetracht der Umstände erscheinen mag, sie wird sich nicht (noch einmal) als "Schutzbehauptung" widerlegen lassen.

  • Grundsätzlich muss es möglich bei derartigen Verbrechen zu einer Verurteilung wegen Mordes zu kommen. Aber es ist wirklich nicht leicht zu begründen. Was wäre, wenn das Opfer überlebt hätte? Wäre man dann zu einem versuchten Mord gekommen? Fraglich. Aber die Angeklagten haben ja nicht nur, wie es der Vorsitzende Richter heute gesagt hat, aus "nichtigem Anlass mit dem Leben anderer Menschen gespielt", sie haben eindeutig aus niedrigen Beweggründen gehandelt, und zwar zur Befriedigung einer Lust, vergleichbar mit der im Gesetz explizit genannten Befriedigung des Geschlechtstriebs. Es handelt sich bei einer solchen extremen Raserei schlichtweg zu jedem Zeitpunkt um eine Gewalttat, die möglichen Opfer sind zwar unbekannt, ihr Tod ist aber dermaßen wahrscheinlich, dass er eindeutig billigend in Kauf genommen wird.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Bemerken Sie tatsächlich nicht die Absurdität des Arguments eines möglichen, unbekannten Opfers? Sicher könnte das ein interessanter Hebel sein um gegen Raser, denen nicht wenige taz-Leser*innen allein schon aus sozio-kulturellen und ökologischen Gründen nicht gerade wohlwollend begegnen dürften, vorzugehen. Oder auch gegen Kohlekraftwerksbetreiber oder Lebensmittelkonzerne, weil sie aus dem niederen Beweggrund der Profitmaximierung CO2 und Feinstaub freisetzen und klar gesundheitsschädliche Nahrung in Umlauf bringen die nahezu sicher auch mögliche unbekannte Opfer nach sich ziehen werden. Aber müsste dann nicht auch ihre nächste Grillparty vom SEK beendet werden, weil aus dem niederen Beweggrund der Befriedigung eines Genussbedürfnisses und Hedonismus CO2, Feinstaub und gesundheitsschädliche Nahrungsmittel verteilt werden die möglicherweise bekannte oder unbekannte Opfer zeitigen könnten?

      • @Ingo Bernable:

        Ist das Argument wirklich so absurd, wenn sie den Terminus "mit dem Auto den Ku'damm hinunter rasen" durch "in der Berliner Innenstadt eine Bombe zünden" ersetzen? Welcher Bombenleger (in von mir skizzierten Situationen) guckt sich denn die potentiellen Opfer vorher an oder lernt sie kennen oder entwickelt eine individuelle Mordabsicht auf jeden einzelnen. Nein, es muss dem Täter das einzelne Opfer natürlich nicht vorher bekannt sein, wenn sein Tatmittel nur ausreichend Zerstörungskraft besitzt.

        Da können Sie sich Ihre herbeifabulierte Hassgemeinschaft sparen und viel weiter vorne anfangen nachzudenken.

        • @nanymouso:

          Auch bei Ihrem fiktiven Bombenleger ist die entscheidende Frage wieder die mit welcher Zielsetzung und Einschätzung der Folgen die Detonation ausgelöst wird und der Vorsatz möglichst viele Menschen zu töten sollte da juristisch schon anders beurteilt werden als die irsinnige Idee damit einen netten Knalleffekt ohne Verletzte erreichen zu können. Mal abgesehen davon dass das Herbeiführen einer Explosion ein Straftatbestand ist und Geschwindigkeitsüberschreitung eine Ordnungswidrigkeit. Der Raserparagraph kam ja erst in Folge dieses Fall zustande.

  • Bei allem berechtigten Ärger über die Täter, macht mir das Urteil dennoch Sorgen, da nach dieser Argumentation auch viele andere Menschen zu Mördern erklärt werden könnten. Z.B. handelt ein Tabakwarenhersteller oder -händler durchaus ähnlich. Ihm ist klar, das Menschen sterben werden, er handelt aus niederen Beweggründen, da er zum Ziel hat sich zu bereichern etc.



    Ich bin kann mir nicht vorstellen, dass es einem Raser nicht lieber wäre, wenn niemand zu Schaden käme, oder dass ein Tabakwarenhersteller es nicht vorzöge wenn Rauchen gesund wäre.



    Das unterscheidet sie bei allem berechtigten Ärger von Mördern.

  • Emotional mag das nachvollziehbar anmuten und wird bei Vielen sicher auch den richtigen Nerv treffen. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass es gute Gründe gibt in der Jursidiktion zwischen Mord, Totschlag, (grob) fahrlässiger Tötung mit z.T. weiteren Abstufungen zu unterscheiden. Das Argument des bedingten Vorsatzes scheint dann im vorliegenden Fall aber nicht nur arg konstruiert eben weill es sich bei den Beiden offenbar um Idioten mit schier grenzenloser Selbstüberschätzung handelt, sondern droht auch die Abgrenzung der vorgenannten Kategorien zu verwischen. Wenn es aber bei dem Urteil primär um ein Exempel und um Abschreckung geht, auch um den Preis einer Grenzverschiebung dahin, dass sich die Frage ob eine Tat Mord oder fahrlässige Tötung war u.A. auch am Grad der öffentlichen Empörung bemisst, dann war es ein schlechtes Urteil und ein Bärendienst an der Glaubwürdigkeit der Justiz.

    • @Ingo Bernable:

      Zwischen Mord und Totschlag gibt es keinen prinzipiellen Unterschied. Für den Mord müssen zwar noch strafverschärfende Merkmale hinzutreten, das Grunddelikt "vorsätzliche Tötung eines Menschen" ist aber das Gleiche. "Mord" erhöht nur das Strafmaß.



      Psychologisch halte ich es durchaus für möglich, die Gefahr für sich selbst auszublenden (heimeliges Gefühl im geliebten Blechpanzer), aber das Leben der anderen preiszugeben.



      Es hätte auch Fußgänger oder Radfahrer erwischen können.

      • @Rosinsky Steffen:

        Ich habe keinen Zweifel daran, dass es psychologisch ebenso so möglich ist die Gefahr für andere auszublenden wie für sich selbst.

    • @Ingo Bernable:

      "[...] weill es sich bei den Beiden offenbar um Idioten mit schier grenzenloser Selbstüberschätzung handelt"

      Hm. Spielen Sie da auf verminderter Schuldfähigkeit an? Heikel.

      • @tomás zerolo:

        "Spielen Sie da auf verminderter Schuldfähigkeit an?"



        Nein, nur auf eine komplette Fehleinschätzung der Situation und der mit ihr verbundenen Risiken. Aber diese Fehleinschätzung war eben handlungsleitend.

    • @Ingo Bernable:

      Mit 170 km/h über den Ku'damm zu brettern kommt für mich schon ziemlich nahe daran, als wenn man mit einer scharfen Waffe wahllos in einer belebten Gegend rumballert. Da will man vielleicht auch niemand treffen oder gar töten, aber man nimmt es zumindest billigend in Kauf. Und so ist es hier nach meinem laienhaften Justizverständnis auch.

      So lange ein Exempel statuiert wird, bei dem man sich im rechtlichen Rahmen befindet, finde ich das in Ordnung.

      • @Katharina Reichenhall:

        Der Fehler Ihrer Argumentation besteht darin, dass Sie die unterschiedliche Einsichtsfähigkeit von Menschen nicht berücksichtigen sondern einfach voraussetzen. Wenn jemand, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, in einer belebten Gegend um sich schießt, dabei aber absolut überzeugt davon ist niemanden zu treffen weil er sich für den besten Schützen überhaupt hält, dann ist das zwar unendlich dumm, aber immer noch kein Vorsatz, auch kein bedingter oder eine billigende Inkaufnahme. Ich denke schon, dass man in so einem Fall den berechtigten Vorwurf machen kann, dass eine solche Person die mölichen Folgen ihres Handelns hätte erkennen können und müsssen, wenn das aber nicht der Fall ist bleibt es m.E. eben Fahrlässigkeit.

        • @Ingo Bernable:

          Nein, so wenig Unkenntnis vor Strafe schützt, so wenig kann Dummheit davor schützen. Die individuelle Einsichtsfähigkeit kann zwar vor Gericht beim Strafmaß einbezogen werden, sie kann aber nicht grundsätzlich die Geltung von Gesetzen und die Sanktionierung von Verstößen dagegen begrenzen. Es geht ja eben nicht nur um Strafe sondern auch um die zukünftige Einhaltung, also um Abschreckung potentieller Täter und Schutz potentieller Opfer.

          • @Benedikt Bräutigam:

            "[S]o wenig Unkenntnis vor Strafe schützt, so wenig kann Dummheit davor schützen." Im Allgemeinen ist das zwar zutreffend. Wenn aber, wie beim Mord der (direkte oder bedingte) Vorsatz gerade das abgrenzende Kriterium des anwendbaren Paragraphen definiert, würde ich das schon anders sehen. Dass keiner der Beiden die letztendlich tödlichen Folgen ihres Handelns korrekt und realistische einschätzte ist - soweit ich es den Medien entnehmen kann - unstrittig. Damit ist der Vorsatz m.E. zu verneinen. Lässt man sich hier auf das Argument ein, dass sie unter der Prämisse eines "gesunden Menschenverstandes" ihr Tun hätten anders beurteilen müssen, ist in der Folge schnell das gesamte Konzept von Fahrlässigkeit in Frage gestellt weil sich letztlich immer anführen lässt, dass eine fahrläsig handelnde Person es aber besser gewusst hätte haben müssen.



            Meinem Empfinden nach wird hier Rechtsbeugung betrieben und zwar mit potentiell abenteuerlichen Folgen weil sich, sollte die Urteilsbegründung Bestand haben, die Frage stellen wird, und zwar unabhängig vom neu geschaffenen Raserparagraphen StGB § 315d, ab wann eine Geschwindigkeitsüberschreigung als Mordversuch zu werten ist.

            • @Ingo Bernable:

              Lesen Sie die Urteilsbegründung. Sie liegen falsch. Man nahm kurz den Fuß vom Gas, also wahr man sich im klaren, dass man Menschen töten kann. Man hatte dieses Wissen und Einsicht, aber statt ihr zu folgen, gab man aus niederen Gründen (=Mordcharakteristika) wieder Gas.



              Im Übrigen haben die Angeklagten nie versucht, Kontakt mit dem Sohn des Opfers aufzunehmen.



              Das Urteil ist richtig und notwendig.

              • @Neville Longbottom:

                "Man nahm kurz den Fuß vom Gas, also wahr man sich im klaren, dass man Menschen töten kann." Dieser Zusammenhang ist doch rein spekulativ und kann auch komplett anders motiviert gewesen sein. Vielleicht wurde der Fuß kurz vom Pedal genommen um eine bessere Kurvenlage des Wagens zu erreichen.

            • @Ingo Bernable:

              Meinem Empfinden nach ist die Frage des Vorsatzes komplett irrelevant: wesentlich ist die Frage des verantwortungsvollen Handelns. Hier ist es eindeutig so, dass diese Autofahrer den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen haben.



              Das Urteil hat mich positiv überrascht. Wenn es eine neue Perspektive auf Geschwindigkeitsüberschreitungen nach ich zieht, dann umso besser.

              • @Renate:

                Damit sind wir wieder dort angelangt wo mein anfänglicher Kommentar ansetzte. Es sollte eben nicht um Empfinden gehen sondern um die Rechtslage und im §211 StGB steht nichts von "verantwortungsvollem Handeln". Und bezüglich dessen was Sie zu einer billigenden Inkaufnahme schreiben, die ja auch nach Argumentation des Gerichts den bedingten Vorsatz begründet, ist etwa im gestrigen Artikel zu dem Fall m.E. gegenteiliges zu entnehmen: taz.de/Vor-dem-Urt...-Prozess/!5579897/ Beide glaubten an die Unfehlbarkeit ihres Könnens und eben nicht daran, dass es wahrscheinlich oder auch nur möglich sei, dass es einen Toten geben könnte und genau das macht hier eben den relavanten Unterschied aus. Ich halte es für absolut unabdingbar derartig Differenzierungen vorzunhemen und in ein Urteil einfließen zu lassen, möchste Sie aber fragen ab wievle km/h zu schnell Sie den Vorwurf des Mordversuchs als angemessen empfinden?

                • @Ingo Bernable:

                  Die Formulierung "Meinem Empfinden nach" haben Sie in die Diskussion eingebracht, ich habe sie lediglich aufgegriffen. Ich bin keine Juristin, bin aber schon immer komplett genervt von diesem "etwas nicht extra gemacht haben". Interessiert mich einfach nicht die Bohne. Abgesehen davon, dass es sowieso unmöglich ist, etwas über diese Intentionen zu wissen, reicht es mir einfach nicht, dass ein Schaden nicht vorsätzlich verursacht wurde. Jeder ist für sein Handeln verantwortlich und muss Sorge tragen, dass kein Schaden entsteht.



                  Aus diesem Grunde allein fahre ich selbst schon lange nicht mehr Auto. Sicher könnte ich das Auto nicht plötzlich zum Stehen bringen, wenn ein kleines Kind vor mir auf die Straße läuft. In Ortschaften sollte auf keinen Fall mehr als 20 km/h erlaubt sein.

                • @Ingo Bernable:

                  "Beide glaubten an die Unfehlbarkeit ihres Könnens und eben nicht daran, dass es wahrscheinlich oder auch nur möglich sei, dass es einen Toten geben könnte…"



                  Also ist Ihrer Meinung nach der Glaube eines Täters an sich selbst und an seine subjektiven "Fähigkeiten" ausschlaggebend für das Strafmaß und ausschlaggebend für die Art des Tat-Vorwurfs?



                  So lassen sich prima Vorsatz und bedingte oder billigende Inkaufnahme tarnen.



                  Unwissenheit schützt vor Strafe nicht und (angebliche) Dummheit auch nicht. Ein Auto ist eine potenzielle Waffe, das weiß jeder Mensch, der sich an ein Steuer in einem Auto setzt. Und das Tötungspotenzial eines Autos wissentlich aus Gründen eines m. E. "Schwanzvergleichs" zu ignorieren, ist nicht "nur" Fahrlässigkeit.

                  • @Frau Kirschgrün:

                    "Also ist Ihrer Meinung nach der Glaube eines Täters an sich selbst und an seine subjektiven "Fähigkeiten" ausschlaggebend für das Strafmaß und ausschlaggebend für die Art des Tat-Vorwurfs?"



                    Sofern aus dieser Selbsteinschätzung eine begründete Aussagekraft über das Bestehen eines Vorsatze abgeleitet werden kann und dieses wiederum den entscheidenden Unterschied zwischen Mord und fahrlässiger Tötung ausmacht selbstverständlich ja.

                    • @Ingo Bernable:

                      Das hieße, jeder Mensch kann eine Ausrede vorschieben oder sich als Volldepp "tarnen", und die Richter*in müsste diese subjektive Fehleinschätzung des Täters|Verursachers zur Grundlage des Urteils machen – dadurch würde m. E. Gerichtsbarkeit überflüssig.



                      Geht gar nicht.

                  • @Frau Kirschgrün:

                    Frau Kirschgrün, I love your comments!



                    Die Strafe MUSS eine Signalwirking für die anderen rücksichtslosen Raser da draußen haben. Wir können doch nicht alle nur hoffen wollen, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort bei grün über die Ampel zu gehen/fahren und dabei von "Schwanzvergleichern" niedergemäht zu werden.

                    • @Katrina:

                      Danke für die 🌷 🌹 🌻 🌸 🌺 .

                    • @Katrina:

                      Es ist ja nun wirklich nicht so, dass der Sachverhalt nach bisheriger Rechtssprechung straffrei wäre, dass hier irgendjemand Straffreiheit gefordert hätte, oder dass wir i.A. anomische Zustände auf den Straßen hätten.



                      Und bezüglich der angeblichen Signalwirkung wäre 1.) schon auch abzuwägen wie stark diese tatsächlich bei Delikten ausfällt die eher impulsiv-emotional ausgelöst und nicht rational abgewogen sind und 2.) die Überlegung anzustellen, dass eine solche angestrebte Signalwirkung zwangsläufig nach sich zieht, dass das Strafmaß im nächsten krassen Fall dann noch weiter verschäft werden muss weil sich die allgemeine Wahrnehmung an den neuen Standard adaptiert. Und in den nächsten Fällen dann wieder und wieder und wo das mittlefristig hinführt dürfen Sie sich selbst ausmalen.

  • Ein sehr, sehr wichtiges Urteil. Und es ist richtig.

  • Ein gutes, richtiges und wichtiges Urteil, weil man einfach nicht mit fahrlässiger Tötung davon kommen sollte, wenn man mit 170 km/h durch eine Innenstadt brettert und dabei mehrere rote Ampeln überfährt.



    Ich hoffe nur, dass das Urteil dieses mal auch vor dem BGH Bestand haben wird.

  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    danke, Herr Schertz

  • 5 Jahre Führerscheinsperre? Lebenslang, und zwar richtig ein Leben lang keinen Führerschein mehr geben.

    • @Lara Crofti:

      Das verstehe ich auch nicht - man gibt also den Tätern ihre Waffe zurück, obwohl sie erwiesenermaßen keine Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs haben auf öffentlichen Strassen.



      Vielleicht ist das aber einfach das Höchstmaß in einer zu laschen Gesetzgebung?