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Lauterbachs GesetzesvorhabenDigitale Patientenakte für alle

Das Bundeskabinett bringt Digitalisierungsgesetze auf den Weg. Elektronische Patientenakte und elektronisches Rezept sollen damit Standard werden.

Comic: Mario Lars

Berlin taz | Als am Mittwoch alle von Wirtschaft und Wirtschaftsförderung sprachen, hatte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwas zu verkünden: Bei der Sonder-Kabinettssitzung auf Schloss Meseberg wurden zwei Gesetzentwürfe aus seinem Haus beschlossen. Es geht um die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Nutzung von Pa­ti­en­t*in­nen­da­ten – und beide haben durchaus auch mit wirtschaftlichen Interessen zu tun. Jetzt beginne Deutschlands Aufholjagd in Sachen Digitalisierung, prophezeite Lauterbach am Mittwoch.

Dazu passt der Titel des „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“. Der zentrale Punkt darin ist die elektronische Pa­tientenakte ePA, die zum 1. Januar 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden soll – es sei denn, sie widersprechen aktiv. 80 Prozent der Versicherten hofft Lauterbach damit zu erreichen.

Im Vorfeld gab es vor allem datenschutzrechtliche Bedenken zum Umgang mit den sensiblen Gesundheitsdaten. Entsprechend differenziert soll nun die Widerspruchslösung aussehen: Versicherte sollen die Zugriffsfreigabe sowohl zeitlich als auch inhaltlich begrenzen können – etwa auf bestimmte Dokumente und Ärz­t*in­nen, und zwar direkt in der jeweiligen Arztpraxis.

Bereits zum 1. Januar 2024 soll das elektronische Rezept verbindlicher Standard werden. Die breite Verwendung der elektronischen Patientenakte und des elektronischen Rezepts sollen auf der einen Seite die Versorgung der Pa­ti­en­t*in­nen verbessern – etwa durch Vermeidung von Doppelbehandlungen und Wechselwirkungen von Medikamenten. Zum anderen sollen Daten aus der elektronischen Patientenakte der Forschung zugutekommen.

Datennutzung für das Gemeinwohl

Der ebenfalls bei der Kabinettsklausur verabschiedete Entwurf zum Gesundheits­datennutzungsgesetz soll laut Gesundheitsministerium „die Grundlage für eine bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten schaffen“, um den Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland „an die Weltspitze heranzuführen“.

Wer die Daten nutzen darf, soll das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entscheiden, das hierfür weiterentwickelt werde. Entscheidend sei dabei nicht, wer die Datennutzung beantrage, sondern seien „im Gemeinwohl liegende Nutzungszwecke“.

Auch für die Freigabe der Daten aus Patientenakten zu Forschungszwecken soll die Widerspruchslösung gelten. Das Gesundheitsministerium verspricht die Einrichtung einer „einfachen Verwaltung der Widersprüche, damit Patientinnen und Patienten über die Freigabe ihrer Daten für die Forschung oder weitere Zwecke an das FDZ entscheiden können“. Kranken- und Pflegekassen dürften die Daten generell verarbeiten, wenn dies nachweislich dem individuellen Schutz der Gesundheit der Versicherten dient.

Die Kosten der geplanten Digitalisierung bei den gesetzlichen Krankenkassen werden in Lauterbachs Gesetzentwurf auf „einmalig“ rund 789 Millionen Euro geschätzt, die im Zeitraum von 2024 bis 2026 anfallen sollen. (mit afp)

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7 Kommentare

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  • “ ….789 Millionen Euro geschätzt…” für digital-widersinnigen Überfluss?

    Die deutsche Schuldenuhr tickt —wohl nur nicht für Politiker ! Die Umfragen sprechen für sich, vielen reicht’s!

    Empfehlung: steuerzahler.de/se...s-schwarzbuch/?L=0

  • Warum nur für gesetzlich Versicherte, Herr Lauterbach?



    Allein das ist Grund genug, Ihrem m.E. unverständlichen Vorhaben aktiv zu widersprechen, abgesehen davon, dass es ja über die vergangenen Jahrzehnte auch ohne solchen digitalen Quatsch geht!

    Viele Ärzte, Krankenschwestern, Pflegekräfte tippen schon jetzt mehr, als sie “behandeln”: fragen Sie doch bitte mal direkt nach, wieviel Zeit überhaupt noch direkt am Patienten verbracht wird! Dokumentationen ohne Ende …, ein Wahnsinn.



    Bürokratie ohne Grenzen. Das ist die nackte Realität — wem hilft das bitte?

  • Es wird Zeit, dass auch in Deutschland die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen genutzt werden.

    Am Beispiel Schweden ist zu sehen, dass davon nicht nur das "Gesundheitssysthem" sondern auch die Patient+innen profitieren können.

    Die Patient*innen haben dort seit 2012 durch einen direkten, gesicherten Zugriff auf ihre eigenen Daten die Kontrolle über gespeicherte Informationen. - es geht also nicht in erster Linie um "geheime Datensammlungen" geldgieriger Ärzte oder Kostenträger.

    Übrigens, wer weiß denn heute eigentlich, was in persönlichen Patientenakten und Karteikarten bei Haus- oder Fachärzt*innen



    notiert und festgehalten wird?

    Wer fragt denn heute regelmäßig bei der eigenen Krankenversicherung nach, welche Daten dort gespeichert sind?

    Also, Einhaltung des Datenschutzes ist wichtig und sollte streng kontrolliert werden - es scheint aber eine typisch deutsche Eigenschaft zu sein, den Fokus in erster Linie auf die Risiken zu legen und dabei die Chancen zu übersehen.

    Um das auch mal anzumerken:



    ich bin weder SPD Mitglied noch Wähler der Partei, aber ich finde es schon beeindruckend, was Herr Lauterbach - verglichen mit den Leistungen seiner Vorgänger - so alles bewegt.



    Mir muss ja nicht alles in allen Einzelheiten gefallen, aber fleißig und kompetent scheint er zu sein.

  • Noch mehr Bürokratie, noch mehr Verwaltung. Wer soll denn am Ende da noch durchblicken ? Von der Unsicherheit, die eine zentrale Speicherung mit sich bringt, will ich gar nicht erst anfangen.

    Und da wundert man sich wenn immer mehr Ärzte ihre Selbstständigkeit aufgeben und ihre Praxen an Konzerne verkaufen, die ihnen die ganze Bürokratie abnimmt oder direkt im Ausland bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.

  • Zentrale Server. Unsicher. Ärzte, die sowieso schon in Bürokratie ersticken, sollen das Ding weitgehend unentgeltlich befüllen. Die bürokratisch bestens ausgestatteten Kassen wollen das nicht machen. Der Patient bestimmt, was der Arzt sieht, was soll der dann mit der lückenhaften Information anfangen ? Nein Danke.

    • @Aldi Wolf:

      Die Kassen "wollen" das nicht machen?

      Die können das doch gar nicht - die bekommen doch gar keine Informationen direkt von den Ärzten.

      Der Datenfluss läuft doch immer noch über die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Daten für die Abrechnung "aggregieren"!



      Mit dem Nebeneffekt (oder inzwischen eher Hauptzweck?), dass man bei Ärzten, die es darauf anlegen, nicht nachvollziehen kann, wenn sie beispielsweise abrechnungstechnisch eine 150-Stunden-Woche haben.



      Deswegen werden auch die KVen um diese Pfründe (aus denen sie - und vor allem ihr "nebenamtliches" ärztliches Führungspersonal - sich finanzieren) sicherlich nicht kampflos aufgeben.

      Direkte Abrechnung zwischen Arzt und Kasse gibt es bestenfalls bei der privaten KV - sofern nicht der Vertrag vom Patienten verlangt, in finanzielle Vorleistung zu gehen.

  • Wo muss ich widersprechen? Bei der Krankenkasse? Beim Arzt?



    Was passiert, wenn ich kein Handy besitze für das elektr. Rezept?