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Länger im Gefängnis wegen IT-ProblemenDeutschlands digitale Inkompetenz

Ersatzfreiheitsstrafen sollten verkürzt werden, doch wegen IT-Problemen verschiebt sich die Reform. Unter dem digitalen Versagen leiden die Ärmsten.

Auch in der JVA Nürnberg müssen Menschen Ersatzfreiheitsstrafen absitzen Foto: Daniel Karmann/dpa

Bei der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg können sich alle anwesenden Po­li­ti­ke­r*in­nen gute An­wäl­t*in­nen leisten. Sie fahren eher mit dem Dienstwagen als mit dem verspäteten, aber völlig überfüllten Regionalexpress oder sie lassen sich gleich vom Chauffeur-Dienst des Bundestags abholen. Brot klauen müssen sie auch nicht, es gibt ja schließlich Catering. Während die Am­pel­po­li­ti­ke­r*in­nen bei ihrer Klausur versuchen, endlich auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, müssten sie vor allem bei einem Punkt kollektiv vor Scham erröten: Digitalisierung.

Gestern stand es als Thema auf der Tagesordnung. Denn international ist Deutschland mutmaßlich für drei Dinge bekannt: Autos, Fußball und seine mangelnde Digitalisierung.

Branchenverbände forderten deswegen in einem Brandbrief gerade entschiedenes Handeln von der Bundesregierung, weil Deutschland im internationalen Vergleich sonst endgültig den Anschluss verlieren würde. Auch die Energiewende wird gebremst durch die fehlende Digitalisierung, und in den viel zu oft noch analog arbeitenden Ausländerbehörden des Landes werden Anträge für Aufenthaltstitel monatelang nicht bearbeitet, was zu essenziellen Problemen für Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft führt.

Menschen, die sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage weder Brot zum Essen noch ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und schon gar keine Anwaltshonorare leisten können, kommen wegen Deutschlands digitaler Inkompetenz nun sogar länger in den Knast. Und das aus meist nichtigen Gründen.

Gefängnis wegen Fahren ohne Fahrschein

Denn während die Po­li­ti­ke­r*in­nen auf Schloss Meseberg gerade noch damit beschäftigt sind, wie der Einsatz künstlicher Intelligenz zur Verwaltungsdigitalisierung beitragen kann, wurde unlängst klamm und heimlich dafür gesorgt, dass die beschlossene Reform zu Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht wie geplant zum 1. Oktober in Kraft tritt, sondern erst vier Monate später. Das Ganze gut versteckt in einem Gesetz zur Güterverkehrsstatistik, damit es ja niemand mitbekommt.

Ein Länderverbund von neun Bundesländern, angeführt vom Freistaat Bayern, forderte für „Anpassungen im Bereich der IT“ sogar sechs Monate Aufschub und bekam nun einen Teil davon gewährt. Das bedeutet: Menschen, die wegen Banalitäten wie Fahren ohne Ticket, Diebstahl von Lebensmitteln oder Drogenbesitz zu geringen Geldstrafen verurteilt werden und diese trotzdem nicht zahlen können, müssen weiterhin einen nicht bezahlten Tagessatz mit einem Tag Gefängnis kompensieren.

Die beschlossene Reform würde die Haftstrafen immerhin halbieren. Aber den Umrechnungsschlüssel in einem Programm von 1:1 auf 1:2 zu ändern? In Bayern und den anderen Bundesländern scheinbar ein Ding der Unmöglichkeit.

Während in Bayern also monatelang die ach so aufwendigen Prozesse umgestellt werden, leiden darunter vor allem arme, suchtkranke oder obdachlose Menschen, die einen Großteil der rund 4.500 Inhaftierten (die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr, aber steigen in der Tendenz) in Deutschland ausmachen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen müssen.

Ungerechte Geldfressmaschine

Dabei ist längst klar: Ersatzfreiheitsstrafen funktionieren nicht als Resozialisierungsmaßnahme. Sie sind bloße Schikanen, die die Betroffenen noch mehr an den Rand der Gesellschaft treiben können. Die Message, die das menschenunwürdige System vermittelt: Du bist arm, also sperren wir dich ein. In einem demokratischen Staat sollte der Schutz von Hilfsbedürftigen über Softwareproblemen stehen, doch das scheint keine Rolle zu spielen.

Genauso wenig übrigens wie der Fakt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe eine Geldfressmachine ist. Ein Hafttag kann den Staat bis zu 150 Euro kosten. Die mangelnde Digitalisierung und der lahme Freistaat Bayern kosten den Staat also mehrere Millionen Euro. Geld, das in der Suchthilfe und zur Unterstützung von Obdach- und Wohnungslosen Menschen um einiges besser aufgehoben wäre und letztlich auch dazu führen würde, dass Menschen weniger ohne Ticket fahren und Nahrungsmittel klauen.

Die einzige logische Konsequenz wäre es, die Ersatzfreiheitsstrafe ganz abzuschaffen. Und der aktuelle Fall zeigt vor allem eines: Unter dem digitalen Versagen Deutschlands leiden die Ärmsten der Armen am meisten.

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18 Kommentare

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  • Wenn ich manche Kommentare hier lese, auf dem Beitrag von "Dima" wundere ich mich nicht mehr über den Untergang der "Linken".

  • @DIMA

    Ach, @DIMA. Immer ein Herz für Reiche.

  • Die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe wäre ein Strafbefreiung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Sozioökonomische Hintergründe dürfen bei der Strafe keine Rolle spielen. Ansonsten könnten Andere vollkommen zurecht die Ungleichbehandlung einwenden, was im Ergebnis zu einer Abschaffung der Geldstrafe führen würde.

    • @DiMa:

      "Sozioökonomische Hintergründe dürfen bei der Strafe keine Rolle spielen."



      Also gleiche Tagessätze für Mindestlöhner und Einkommensmillionäre? Das scheint mir doch eine eher eigenwillige Vorstellung von Gerechtigkeit zu sein.

    • @DiMa:

      Gleichbehandlung existiert - Stand heute - im Strafrecht nicht. Wenn ein Millionär die gleiche Strafe in Euro für ein Vergehen zahlen muss wie ein Hartz- ... ehm Bürgergeld-Empfänger, dann ist das das Gegenteil von Gleichbehandlung.



      Gleichbehandlung wäre es, wenn beide - sagen wir mal - eine Strafe von 3x der jeweiligen monatlichen Einkünfte zahlen müssten. Aber das wird selbstverständlich in D nie passieren.

      • @Kaboom:

        Ihnen ist aber schon klar, dass das nicht der Fall ist? Geldstrafen werden nach Tagessätzen verhängt und die Höhe der Tagessätze bemisst sich nach dem Einkommen. Der Millionär zahlt also mitnichten die gleiche Strafe in Euro wie der Bürgergeldempfänger.

    • @DiMa:

      Geldstrafen haben ja zwei Enden:



      Am einen Ende jene die nicht das Gelb haben.

      Am anderen Ende jene denen Strafen selbst in Millionenhöhe -mit Verlaub - scheißegal sind.

    • @DiMa:

      Achja, Ihren soziodings Hintergrund möchte ich nicht geschenkt haben.

      Den behalten Sie mal schön - viel Spaß im Leben !

    • @DiMa:

      Ihnen würde ich echt mal wünschen, die andere Seite, also die der Betroffenen kennen zu lernen. Merken Sie nicht, wie scheußlich Sie argumentieren ? Das ... ist unmenschlich, gefühlskalt, ja: kapitalistisch asozial.



      Ich verstehe immer gar nicht, warum sich solche Leute wie Sie auf dieser Seite befinden. Sie wären woanders viel besser aufgehoben. Bekehren werden Sie hier keinen - bestenfalls ärgern.



      Aber ... das bekommen Sie zurück.

      • @Zebulon:

        Wollen Sie mir ernsthaft vorschreiben, welche Sieten ich lese und welche Meinung ich zu haben habe?

        Seien Sie versichert, ich lese vielfältig.

    • @DiMa:

      Gratuliere - sie haben offensichtlich das €49 Ticket!

    • @DiMa:

      Dann gehen alle in den Knast. Gerechter währe es schon. Sozioökonomische Hintergründe müssen eine Rolle spielen und tun es auch im negativen Sinn. Wer Geld für einen guten Anwalt hat kommt besser weg. Wirtschaftskriminalität oder Steuerhinterziehung von Wohlhabenden wird wesentlich milder bestraft als ein Bürgergeldbezieher der ein bisschen Einkommen unterschlägt obwohl erstere einen viel größeren gesellschaftlichen Schaden verursachen.

    • @DiMa:

      Dann schaffen wir einfach Gleichberechtigung, indem Fahren ohne Fahrschein nun generell mit mindestens 3 Monaten Freiheitsentzug geahndet wird. So kriegt jede Bevölkerungsgruppe ihr Fett weg. Vielleicht erwischen wir noch ein paar Schulkinder, die dreisterweise ihren Fahrschein Zuhause vergessen haben. Das wird ihnen eine Lehre sein.

      • @max_muster:

        Zur Erinnerung, die Ersatzfreiheitsstrafe gilt bei allen Geldstrafen, nicht nur bei Fahren ohne Fahrschein.

        Wenn die von Ihnen ins Feld geführten drei Monate Freiheitsentzug eine Forderung zur Erhöhung von Strafen sind bin ich voll auf Ihrer Seite.

        • @DiMa:

          "Forderung zur Erhöhung von Strafen"



          Das mag allenfalls bei Delikten helfen die mit rein nüchtern-rationalem Kalkül begangen werden, also etwa bestimmten Arten von Wirtschaftskriminalität, bei Taten die aus einer materiellen Notlage begangen werden, wird das wohl ebenso wenig helfen wie bei Taten die aus Affekt oder Emotion verübt werden. Man hatte doch historisch schon Zeiten in denen etwa Taschendiebstahl mit dem Galgen geahndet wurde, aber auch das führte eben nicht dazu, dass die Taschendiebstähle aufhörten weil die Leute lieber ihren Hals riskierten als mitsamt ihrer Familien den sicheren Hungertod zu sterben.

    • @DiMa:

      So ist es. Hier ist ein taz-Bericht, aus dem hervorgeht, dass die Ersatzfreiheitsstrafe auch ihr Gutes hat: taz.de/Vater-des-H...tzfreiheitsstrafe/

      • @Budzylein:

        Mir ist klar, dass das sarkastisch gemeint ist, aber so herum bietet das nur eine billige Möglichkeit, sich zum Märtyrer zu machen. Haben schon GEZ Verweigerer gemacht, allerdings auch Klimaaktivisten wenn ich richtig erinnere. Die bessere Lösung wäre kostenloser ÖPNV und Abschaffung der Prohibition. Wenn Freiheitsstrafe, dann eben mit Augenmass. Ersatzfreiheitsstrafe sind nur eine Legalisierung von Ordnungswidrigkeiten für Wohlhabende.

        • @Systemknecht:

          Ich meinte das nicht sarkastisch, habe DIMA allerdings nicht so verstanden, dass er einheitliche Tagessätze befürworte (was ich ablehne).

          Die Verweigerung der Zahlung von Runfunkbeiträgen hat mit der Ersatzfreiheitsstrafe nichts zu tun. Niemand wird "zur Strafe" inhaftiert, weil er keine Rundfunkbeiträge zahlt. Wenn diese "Verweigerer" inhaftiert werden, handelt es sich um Beugehaft, um in der Zwangsvollstreckung die Abgabe eines Vermögensverzeichnisses zu erzwingen.