Kristina Hänel über Paragraf 219a: „Das Tabu ist gebrochen“

Kristina Hänel ist bekannt als „die Abtreibungsärztin“. Sie spricht über den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und der Ächtung von Abtreibungen.

Portrait einer Frau

Ärztin Kristina Hänel Foto: Boris Roessler/dpa

taz: Frau Hänel, vor zwei Jahren haben Sie der taz ein Interview gegeben, das Sie weltweit bekannt machte. In Ihrem Buch erzählen Sie, wie Sie dabei auf dem Pferd saßen und sich erst später wegen der vielen Telefonate mit Journalist*innen ein Headset zulegten. Wie hat die Medienpräsenz Ihr Leben noch verändert?

Kristina Hänel: Es melden sich so viele Frauen in der Praxis, dass wir nicht mehr alle versorgen können. Ich arbeite nicht mehr im Rettungsdienst, weil dafür einfach keine Zeit mehr ist. Mittlerweile betrachte ich es aber als Teil meiner Arbeit, auf Veranstaltungen und in Interviews über Schwangerschaftsabbrüche aufzuklären. Ansonsten gehe ich offener mit der Bedrohung durch „Abtreibungsgegner“ und Rechtsextreme um.

Inwiefern?

Über die Angriffe der Abtreibungsgegner wollte ich lange nicht öffentlich reden, um keine schlafenden Hunde zu wecken. Aber spätestens, als ich die erste Mail mit rechtsradikalem Inhalt bekam, in der ich mit dem Tode bedroht wurde, war mir klar, dass ich den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und der Ächtung des Schwangerschaftsabbruchs öffentlich benennen muss. Öffentlichkeit bedeutet Schutz.

Was ist der Zusammenhang?

Dem Fundamentalismus geht es immer um die Einschränkung der Freiheit. Der Körper der Frau gehört nicht ihr, sondern dem Staat. Der sagt ihr, dass sie nicht alleine entscheidet, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.

Weil laut Paragraf 218 Abtreibung verboten ist und nur unter bestimmten Umständen straffrei bleibt.

Der Gesetzgeber sagt, er müsse den Embryo vor der Frau schützen – das schafft er nur, indem er eine ideologische Sicht einnimmt, nach der das vom Grundgesetz geschützte Leben ab der Zeugung beginnt. So sehen es die Kirchen. Wenn man daraus aber ableitet, die Freiheit eines Menschen einschränken zu dürfen, dann ist das letztendlich ein faschistoides Denken, das an die Mutterkreuzideologie der Nazis anknüpft.

Es ist ja kein Zufall, dass der so genannte Werbeverbots-Paragraf 219a aus dem Jahr 1933 stammt. Oder dass der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen in der Kanzlei anfängt, die die AfD vertritt und Yannic Hendricks, der mich und viele andere Ärzt*innen angezeigt hat. Wenn man diesen Zusammenhang nicht sieht, fehlt eine entscheidende Dimension. Ich habe das auch erst durch Interviews mit ausländischen Medien verstanden.

ist Allgemeinmedizinerin in Gießen. Seit mehr als 30 Jahren macht sie Schwangerschaftsabbrüche. Weil sie das auch auf ihre Webseite schreibt, wurde sie 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt – das Gericht sah einen Verstoß gegen Paragraf 219a StGB, das Werbeverbot für Abtreibungen.

Die 61-Jährige hat Berufung eingelegt und will notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht. Ihr Fall hat dazu geführt, dass nun auch Bundesrat und Bundestag über eine Abschaffung des Paragrafen diskutieren. Am Freitag erhielt Kristina Hänel den Clara-Zektin-Ehrenpreis, mit dem die Linkspartei herausragende Leistungen von Frauen in Gesellschaft und Politik würdigt.

Warum?

Die haben alle immer eine Frage gestellt, die von deutschen Journalist*innen nie kam. „Warum habt ihr in Deutschland diese Gesetze? Warum behandelt ihr die Frauen so?“ Wirklich alle wollten das wissen, die New York Times, der Guardian, die Holländer sowieso, aber auch die Franzosen, die ja katholisch sind. Aber dort sind Staat und Kirche sauber getrennt. Anders als bei uns.

Nun sind die Versuche, den Paragrafen 219a zu kippen, gescheitert. Der Bundestag hat ihn modifiziert, Ärzt*innen dürfen jetzt auf ihre Homepage schreiben, dass sie Abbrüche vornehmen, mehr aber auch nicht. Mehr Informationen, etwa zu Methoden, stehen auf einer Ärzt*innen-Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Aber die enthält die für die Frauen relevanten Details gar nicht, bis zu welcher Woche jemand einen Abbruch macht. Viele machen das nur bis zur zehnten, dabei ist er bis zur vierzehnten Schwangerschaftswoche erlaubt.

Wie kriegen Frauen das raus?

Gar nicht! Viele Beratungsstellen bemühen sich zwar um aktuelle Informationen, aber leider sind die oft nicht vollständig. Ich hatte neulich eine Frau hier, die hatte von einer Liste von Pro Familia zehn Praxen abtelefoniert und wurde von einigen übel beschimpft, weil sie schon in der zehnten Schwangerschaftswoche war. Eine andere Frau, die zu mir kam, hatte einen Termin in einer Praxis, wurde aber wieder weggeschickt, weil sie schon in der elften Woche war. Sie musste wieder neu auf die Suche gehen, ein Auto organisieren. Da vergeht wertvolle Zeit – je später der Abbruch, desto größer die Risiken. Und das sind leider keine Einzelfälle.

War Ihr Einsatz für die Streichung des 219a umsonst?

Nein, gar nicht. Es wird endlich wieder über das Thema geredet, das Tabu ist gebrochen. Es gibt eine neue Generation von Mediziner*innen, die die Frauen nicht alleine lassen will.

Zudem können Sie noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Ist das schon absehbar?

Leider nicht, weil das Urteil gegen mich wegen der neuen Gesetzeslage aufgehoben wurde und ich noch einmal vor Gericht muss. Das wird mich wieder verurteilen müssen, dann erst ist der Weg frei.

Als die taz im Juli bekannt machte, wie wenige Mediziner*innen sich auf die neue Liste haben setzen lassen, gab es Stimmen aus der SPD, „doch noch einmal rangehen“ zu wollen an den 219a, den sie mit der CDU so verabschiedet hat. Haben Sie Hoffnung, dass die SPD doch noch die Kurve kriegt?

Ja, weil der 219a ein Armenparagraf ist und die SPD sich deshalb eigentlich verantwortlich fühlen müsste.

Kristina Hänel liest aus „Das Politische ist persönlich“ in folgenden Städten:

Do, 17.10., Linden, 19 Uhr

Fr, 25.10., Worms, 19 Uhr

Sa, 2.11., München, 19 Uhr

So, 3.11., Stuttgart, t.b.a.

Mo, 4.11., Mannheim, 19 Uhr

So, 17.11., Trier, t.b.a.

Mo, 18.11., Saarbrücken, 19.30

Was meinen Sie mit Armenparagraf?

Unter dem leiden nicht die Akademikerinnen. Die landen nicht auf Seiten wie babycaust.de, wo ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht wird und sie Bilder von zerstückelten Föten zu sehen kriegen. Die finden sich zurecht. Aber die anderen, die es ohnehin schon schwer haben im Leben, die vielleicht die Sprache nicht sprechen, die Alleinerziehenden, die abhängig sind von staatlichen Hilfen – die sitzen weinend bei mir in der Praxis, weil es ihnen der Staat so schwer macht, an die Informationen zu kommen, die sie brauchen, um die Fristen einhalten zu können.

Daran ist aber nicht nur der Paragraf 219a schuld, sondern auch der Paragraf 218, der Frauen eine Bedenkfrist und eine Zwangsberatung verordnet. Und der dem Staat den Einfluss darauf nimmt, wie gut Frauen in einer Region versorgt sind. Aber an den 218 traut sich niemand heran, auch Sie setzen sich nur für die Streichung des 219a ein.

Ich bin angezeigt worden wegen dem 219a, dagegen habe ich mich gewehrt, das ist mein Thema. Der 219a schafft die große Verunsicherung, deswegen trauen sich Ärzt*innen nicht an das Thema heran, deswegen können Dozent*innen an Uni-Kliniken angezeigt werden, wenn sie Medizinstudierende ausbilden wollen. Aber in der Bewegung, die sich für die sexuelle Selbstbestimmung einsetzt, wird heiß darüber gestritten, wie wir mit dem 218 umgehen sollten. Die einen sagen mir, du verrätst die Frauenbewegung, wenn du den nicht mit thematisierst, wenn du vor das Bundesverfassungsgericht ziehst, die anderen sagen, nimm den bloß nicht mit rein in die Verfassungsklage, damit vergibst du jede Chance, den 219a zu kippen.

Und wie stehen Sie zum 218?

Ich halte es mit der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Deutschland dazu aufgefordert hat, die Bedenkzeit und die Zwangsberatung abzuschaffen, weil das zu späteren Abbrüchen führt und damit die Gesundheit gefährdet.

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