SPD-Politikerin über 219a: „Die Liste funktioniert nicht“

Nina Scheer will SPD-Chefin werden – und den Kompromiss zum „Werbeverbot“ für Abtreibungen neu verhandeln. Im Grunde gehöre der Paragraf gestrichen.

Nina Scheer blickt zur Seite

Nina Scheer bewirbt sich mit Karl Lauterbach um die Kandidatur für den SPD-Parteivorsitz Foto: dpa

taz: Frau Scheer, kürzlich hat die Bundesärztekammer eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten veröffentlicht, die in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche vornehmen – mit nur 87 Einträgen. Sie fordern, die Liste müsse besser werden. Wie könnte das klappen?

Nina Scheer: Es ist bekannt, dass es bundesweit etwa 1.200 Frauenärztinnen und -ärzte gibt, die Abbrüche vornehmen. Diese Anzahl findet sich auf der Liste nicht annähernd. Wenn wir Frauen wirklich informieren wollen, muss die Liste vollständig sein.

Einige haben schon erklärt, dass sie gar nicht auf die Liste wollen, weil sie diese als Pranger empfinden. Kann die Liste so jemals funktionieren?

Als Gesetzgeber muss man immer bereit sein, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die jetzige Situation bedeutet fortwirkende Rechtsunsicherheit für Ärztinnen und Ärzte und Informationsdefizite für Frauen. Es kann nicht sein, dass sogenannte Lebensschützer im Netz hetzen dürfen, aber die Ärztinnen und Ärzte nicht über ihre Arbeit aufklären dürfen. Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen ist eine legale, unverzichtbare Leistung.

Auch jenseits der Anzahl sind die Informationen auf der Liste dürftig. Wie die Frauen sich vorbereiten können, wie genau die Abbrüche ablaufen, steht da nicht.

Die Bundesärztekammer muss ausschöpfen, was das Gesetz hergibt. Es ist das Mindeste, dass der Kompromiss, den die SPD ohnehin nicht gern eingegangen ist, nun dem Sinn und Zweck nach umgesetzt wird.

Das heißt?

47, ist Umweltexpertin und Bundestagsabgeordnete der SPD und bewirbt sich gemeinsam mit dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach für den SPD-Vorsitz.

Wenn die Umsetzung des Gesetzes nicht funktioniert oder das gesellschaftliche Stigma sogar noch befeuert wird, kann es nicht so bleiben; konsequenterweise muss der Paragraf 219a dann gestrichen werden. Das war ja auch die Ursprungsforderung der SPD. Es ist ein Missverständnis, zu denken, die SPD gebe diese Forderung mit einem Kompromiss auf.

Wie soll das gehen, den Kompromiss noch mal zu verhandeln – in der Lage, in der die SPD gerade ist?

Wenn erkennbar ist, dass der Kompromiss nicht zielführend umzusetzen ist, muss zwangsläufig neu verhandelt werden. Sonst würden wir unsere eigenen Gesetze für unwichtig erklären.

Können Sie Ihre Fraktion denn dazu hinter sich bringen? Die Situation mit einer Union, die sich sträubt, wäre wieder genau dieselbe.

Die Situation ist doch eine andere: Die Liste funktioniert nicht. Wenn die Liste funktioniert hätte, müsste die Koalition erklären: Der Kompromiss war das, was innerhalb der Koalition möglich war, auch wenn das SPD-seitig von der Sache her für nicht ausreichend gehalten wurde. Jetzt aber gibt es eine neue Situation und damit erneut Handlungsbedarf.

Noch mal: Würden Sie die Mehrheiten in der Fraktion hinter sich bringen?

Was am Ende steht, weiß man vorher nie. Wenn man nur tätig wird, wenn Mehrheiten gewiss sind, ist Stillstand. Ohne entsprechende Forderung wird sich nichts ändern können. Alles Weitere wird sich zeigen.

Malu Dreyer, Interims-Chefin der SPD, ist offen für eine Koalition mit der Linken im Bund. „Sollte es eine Mehrheit links von der Union geben, müssen wir das Gemeinsame suchen und das Trennende analysieren“, sagte sie der Funke-Mediengruppe. „Unser Anspruch muss sein, ein Bündnis anzuführen.“ Natürlich teile man nicht alle Positionen mit der Linken. „Koalitionspartner sind nie das Gleiche wie man selbst. Dann muss man sich eben verständigen.“ Linke-Chefin Katja Kipping sagte, es gebe Hoffnung für neue linke Mehrheiten nach der nächsten Bundestagswahl. (dpa)

Sie kandidieren als SPD-Vorsitzende und haben angekündigt, aus der Groko gehen zu wollen. Ist die Forderung nach der Abschaffung des Paragrafen 219a eine Profilierung nach links, ohne dass tatsächlich etwas daraus folgen kann?

Nein. Ich finde es schade, dass dieser Vorwurf kommt. Mein jetziger Vorstoß wurde durch die Liste der Bundesärztekammer ausgelöst. Wenn die Liste vor meiner Kandidatur gekommen wäre, hätte ich ebenso reagiert, wäre aber möglicherweise anders wahrgenommen worden. Für mich ist das eine Frage der Überzeugung. Soll ich als Kandidatin nicht mehr erklären, was ich für richtig halte, nur um einem solchen Vorwurf zu entgehen? Das wäre doch absurd.

Sie selbst haben damals für den Kompromiss gestimmt.

Ja, ich hatte damals auch eine persönliche Erklärung verfasst, in der ich meine Kritik an dem Kompromiss erläuterte. Letztlich war ausschlaggebend, dass eine kleine Verbesserung erreicht wurde, indem Ärztinnen und Ärzte nun wenigstens über die Tatsache informieren dürfen, dass sie Abbrüche machen. Zu mehr waren CDU und CSU bekanntlich nicht bereit.

Warum haben Sie nicht auf einer interfraktionellen Abstimmung bestanden?

Die Union war dazu nicht ­bereit.

Die Union hat das doch gar nicht in der Hand. Linke, Grüne, FDP und SPD hätten die Mehrheit zustande gebracht.

Das ist nicht die Praxis in Koalitionen. In Koalitionsverträgen steht: keine wechselnden Mehrheiten. In dem Moment, in dem ein Koalitionspartner sagt, wir wollen das nicht, ist dieser Weg für den anderen Koalitionspartner verschlossen. Alles andere ist Vertragsbruch. Aber wenn die Positionen insgesamt zu weit auseinanderliegen, wie es auch beim Klimaschutz oder der Energiewende der Fall ist, muss man die Koalition eben hinterfragen oder verlassen. Alles andere führt zur Handlungsunfähigkeit, stärkt Rechtspopulismus und schadet unserer Demokratie.

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