Krieg der Sprache: Orks in Gefangenschaft
Antirussische Neologismen: Auf ukrainischer Seite reagiert man auf die Propagandasprache des Kremls rhetorisch kreativ. Dank dem „Herrn der Ringe“.
„Die mechanisierte Fürst-Ostroschkij-Brigade schickt die Orks zur Hölle und wünscht allen UkrainerInnen einen guten Morgen!“ Über 600.000 Follower haben den ukrainischen Telegram-Kanal „Geraschenkos Wahrheit“ abonniert und erhalten so diesen Gruß. Der Nachrichten-Kanal hat einen Bot, über den Fotos und Videos, welche etwa Kampfhandlungen oder Kriegsverbrechen dokumentieren, an den Kanal geschickt werden können. Information dazu werden von MitarbeiterInnen des Kanals übersichtlich aufbereitet, dann geht das Dokument online.
Durchschnittlich alle dreißig Minuten wird ein neuer Post veröffentlicht, darunter auch Verlautbarungen des ukrainischen Präsidenten und des Verteidigungsministeriums.
Der Gruß der „Fürst-Ostroschkij-Brigade“ sticht heraus, weil hier die Abonnenten des Kanals direkt angesprochen werden. Was diesen und all die anderen Posts aber vereint, ist die Wortwahl, besonders in Bezug auf die russischen Truppen und Russland an sich.
Es hat sich inzwischen eingebürgert, bei der Bezeichnung der russischen Kriegspartei Terminologie aus Tolkiens „Herr der Ringe“ zu verwenden. Russische Soldaten werden in sonst nüchternen Nachrichten-Posts als Orks bezeichnet und Russland als Mordor, im Tolkien-Roman steht dieser Begriff für das Reich des Bösen. Posts über russische Kriegsgefangene werden so mit „Der gefangene Ork“ übertitelt. Und mit „Orkostan“ als weiteres Synonym für Russland hat man sogar eine komplette Neuschöpfung kreiert.
Als der Putler auf die Krim kam
Putin wird in der Ukraine seit 2014, dem Jahr der Krim-Annexion, als Putler bezeichnet. Die Stoßrichtung ist klar: Zwei Namen – Hitler und Putin – verschmelzen hier zu einem. Neu ist die Bezeichnung von RussInnen als Raschisten. Auch hier eine Wort-Kombination – die englische Bezeichnung Russia trifft auf Faschist und beides mutiert zu Raschist. Russische Soldaten werden in Posts als Soldaten der raschistischen Armee beschrieben. Ohne jegliche Umschreibung wird inzwischen von der faschistischen Föderation gesprochen, wenn man die Russische Föderation meint.
In den offiziellen Mitteilungen der Regierung werden Putin und Russland direkt benannt, aber beides wird kleingeschrieben. Das wird inzwischen im ganzen Land so gehandhabt.
Alle diese Sprachregelungen zielen auf eine sprachliche Diskreditierung des Kriegsgegners. So ist die Wortschöpfung „Raschist“ eine direkte Reaktion auf die russische Propaganda-Terminologie, die Ukraine sei zu denazifizieren. Beide Seiten bedienen sich unter anderem eines Vokabulars aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Es sind Begriffe, die bis heute in beiden Ländern an die gemeinsame Vergangenheit erinnern, mit Bedeutung aufgeladen sind und nun im Propaganda-Kampf instrumentalisiert werden. Beide Seiten schenken sich nichts.
Der Unterschied ist: In Russland kommen die Begriffe von oben, in der Ukraine von unten. Hier kontert man kreativ und nimmt ganz bewusst Bezug auf die Terminologie Faschist, die in der Sowjetunion des Zweiten Weltkriegs im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland die vorherrschende Vokabel zur Bezeichnung des Kriegsgegners war. Die Bezugnahme auf Wortschöpfungen aus „Herr der Ringe“ erzählt wiederum von der Gefühlslage in der Ukraine, vom Kämpfen gegen eine Übermacht, die in der momentanen Situation generalisierend als das Böse gesehen wird. Auch die Bezeichnung der russischen Kriegsgefangenen als Orks entmenschlicht diese.
Man fragt sich: Wie rüstet man in beiden Ländern verbal wieder ab? Wie und wann lässt man Grautöne wieder zu? Wie also kommen die Gesellschaften beider Länder wieder raus aus dieser verbalen Gewaltspirale, die auf beiden Seiten das Verhalten der Truppen beeinflusst? Sprache wird auch nach dem Krieg eine große Rolle spielen, wenn sich hoffentlich beide Gesellschaften wieder aufeinander zu bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus