Kriegspropaganda für Kinder in Russland: Psychose für die Kleinsten

Schon Dreijährige werden indoktriniert: Wie russische Kriegs­propaganda auf Kinder­gärten ausgeweitet wird.

Baby in Militäruniform im Kinderwagen mit einer Spielzeugpistole

Militarisierung der Kleinsten: Baby in der Uniform aus dem Großen Vaterländischen Krieg am 9. Mai 2019 Foto: Zuma/picture alliance

„Hat der Präsident vielleicht richtig gehandelt, als er den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, um Darina, Dina und Sofija zu verteidigen?“, fragt die Erzieherin im Kindergarten „Indigo“ in der Stadt Kasan, 700 Kilometer südöstlich von Moskau gelegen. Vor einer Wand mit einem riesengroßen Regenbogen sitzen zehn Kinder im Kreis. Alle sind vier bis fünf Jahre alt. „Wer von euch ist dafür, dass wir momentan Krieg führen? Wer bejaht, hebt die Hand. Seid aufrichtig! Eins, zwei drei. Marat! Du zögerst noch?“

Die Erzieherin macht weiter: „Wer von euch ist dafür, dass der Krieg nicht stattfinden soll?“ Eine Hand schnellt sofort hoch, zwei weitere folgen. Die Erzieherin zählt diese Hände nicht, ist es doch eine Pattsituation mit zwei Enthaltungen. Ihre Stimme bleibt weich und drückt zugleich Entschiedenheit aus: „Also, jetzt hat der Krieg schon angefangen und wir sollten unseren Präsidenten und unsere Armee unterstützen, um die Sache zu Ende zu führen, denn sonst kommen die Amerikaner und die Europäer, und dann wird es für uns ungemütlich.“

Ins Leben gerufen hat diese Propagandaveranstaltung der Direktor des Kasaner „Zentrums für Frühentwicklung“. In dem Raum, in dem das „Event“ stattfindet, gibt es auch eine mobile Wand im Tarnfarbenlook. Das Z-Symbol (für den Sieg) erstreckt sich über die ganze Fläche. Davor posieren die Jungs in Tarnklamotten und Militärbarett. Sie salutieren. Diese Inszenierung ist Teil des Veranstaltungspakets, das Kindergärten beim „Zentrum für Frühentwicklung“ buchen können.

Der Clip, der dies zeigt, ist auf dem unabhängigen russischsprachigen Nachrichtenportal „Medusa“ zu finden, das im lettischen Riga seinen Sitz hat. Es ist ein Video im Video, denn es sind auch die Mütter der Kinder im Bild, die sich die Aufnahme der Propagandaveranstaltung ansehen.

Sie sind Zeuginnen der direkten Manipulation des eigenen Kindes, und sie sollen definitiv sehen, wie sich das Kind bei der Gretchenfrage „Ja oder Nein zum Krieg“ verhält, um gegebenenfalls nachzujustieren. Im Kontext der Propaganda für die Kleinsten wird sogar das Nichtwort „Krieg“ benutzt.

Das Wort, das nicht genannt werden darf

Was machen Eltern und Gesellschaft, wenn sich die Kleinen, die nun offiziell gebrieft sind, im öffentlichen Raum zu diesem Thema äußern? Wie antworten? Und wenn so das Wort, das nicht genannt werden darf, seinen Weg an die Oberfläche findet? „Des Kaisers neue Kleider“ lässt grüßen.

Jugendliche finden sich inzwischen zu Tiktok-Flashmobs zusammen, um auf ihren iPads Brot zu schneiden: die theatral aufgeladene Zerstörung von „Feindproduktion“. „Ich schäme mich nicht“ ist das Motto eines anderen Flashmobs. Auf einem Clip ist zum Beispiel eine Familie zu sehen, die zur Liedzeile „Russland ist Ruhm“ die Faust ekstatisch nach oben reckt. Massenpsychose. Bis hin zu Kirchtürmen, die mit dem Z-Symbol geschmückt werden.

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