Kopftuchverbot an Schulen: Berlin für Grundsatzentscheidung
Die Schulsenatorin engagiert Seyran Ateş, um das Kopftuchverbot für Berliner Lehrerinnen zu retten. Die Anwältin ist unter Muslimen umstritten.
Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) setzt auf Ateş, um Berlins umstrittenes „Neutralitätsgesetz“ zu retten, und lobte ausdrücklich deren Haltung „hinsichtlich religiöser Fragen“. Zudem stehe die Publizistin „für ein tolerantes Miteinander über die Religionsgrenzen in unserer Stadt hinaus“, betonte die Senatorin.
Das sehen nicht alle so, denn Ateş ist unter Muslimen umstritten. Burhan Kesici, der Vorsitzende des Islamrats, nennt die Personalie „unsensibel“. Und Fereshta Ludin, die vor vielen Jahren als erste muslimische Lehrerin vor das Bundesverfassungsericht zog, weil sie in Baden-Württemberg mit Kopftuch unterrichten wollte, und damit eine bundesweite Kopftuch-Debatte auslöste, empörte sich: „Die SPD wähle ich bestimmt nicht mehr“, schrieb sie auf Facebook.
Senat ergreift Partei in religiöser Frage
„Das Land Berlin will sich anscheinend in Religionsinterpretationen üben“, wundert sich Zeynep Çetin vom Berliner „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“. Es sei nicht Sache des Berliner Senats, zu entscheiden, welche religiöse Lesart richtig sei, oder sich auf eine Seite zu schlagen. Das habe mit staatlicher Neutralität nichts zu tun. Das Bundesverfassungsgericht habe klargemacht, dass Lehrerinnen nicht aufgrund ihres Kopftuchs benachteiligt werden dürften. Ihr Verband hat seit 2010 mehrere Lehrerinnen, die aufgrund ihres Kopftuchs diskriminiert wurden, juristisch unterstützt.
Die Hauptstadt Berlin ist das einzige Bundesland, das seinen Lehrerinnen und Lehrern, Polizisten und Juristen das Tragen jeglicher religiöser Symbole untersagt und an einem strikten Kopftuchverbot festhält. Das Bundesverfassungsgericht hält ein generelles Kopftuchverbot allerdings nur für gerechtfertigt, wenn der Schulfrieden konkret gefährdet ist, wie es schon vor zwei Jahren urteilte. Die meisten Bundesländer haben ihre Kopftuch-Verbote seither gelockert, Lehrerinnen können dort auch mit religiös motivierter Kopfbedeckung unterrichten.
Nur Berlin bleibt eisern. Zuletzt hatte es deshalb eine zunehmende Zahl von Gerichtsverfahren gegeben. Das Land Berlin lässt sich seine harte Linie etwas kosten: Im Februar sprach das Landesarbeitsgericht einer Lehrerin, die wegen ihres Kopftuches an Grundschulen abgelehnt worden war, erstmals eine Entschädigung von 8.680 Euro zu. Einer anderen Klägerin, die aufgrund ihres Kopftuchs als Quereinsteigerin an einem Gymnasium abgelehnt worden war, musste das Land Berlin Ende Juni eine Entschädigung in Höhe von 6.915 Euro zahlen.
Erstes Urteil für Januar 2018 erwartet
Das Land strebt jetzt eine Grundsatzentscheidung an. Unter Umständen sei man bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof zu gehen, kündigte Seyran Ateş an.
Im aktuellen Fall hat eine bereits angestellte muslimische Lehrerin dagegen geklagt, dass sie aufgrund ihres Kopftuchs von einer Grundschule an eine Berufsschule versetzt worden war. An Berufsschulen wird auch in Berlin eine Ausnahme vom Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen gemacht.
Beim Gerichtstermin am vergangenen Donnerstag gab es keine gütliche Einigung, nun wird der Prozess fortgesetzt. Ein erstes Urteil dazu wird für den Januar 2018 erwartet. Die Arbeitsrichterin machte bei der Güteverhandlung am Donnerstag allerdings schon deutlich, dass sie von einer Diskriminierung der Lehrerin ausgeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers